TE Vwgh Erkenntnis 1994/11/21 90/10/0196

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Veröffentlicht am 21.11.1994
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
82/05 Lebensmittelrecht;

Norm

AVG §37;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
LMG 1975 §20;
LMG 1975 §21;
LMG 1975 §22 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und den Senatspräsidenten Mag. Onder sowie die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde der B-AG in N, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Gesundheit und öffentlicher Dienst (jetzt Bundesminister für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz) vom 24. September 1990, Zl. 700.422/3-VII/B/12/90, betreffend Maßnahmen gemäß § 22 des Lebensmittelgesetzes 1975, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 13.220,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 12. März 1990 wurden der Beschwerdeführerin gemäß § 22 Abs. 1 des Lebensmittelgesetzes 1975 bei der Führung des Lebensmittelkleinhandelsbetriebes in Wien 8, A-Straße, nachfolgende Aufträge erteilt:

"1. Lebensmittel, die eine gekühlte Lagerung benötigen, sind so zu lagern, daß deren Kerntemperatur +6 Grad C nicht übersteigt.

2. Es ist Vorsorge zu treffen, daß gekühlt zu lagernde Produkte sofort nach ihrer Anlieferung gekühlt gelagert werden.

Für die Erfüllung dieser Aufträge wird eine Frist von 2 Wochen ab Rechtskraft dieses Bescheides gesetzt."

In der Begründung dieses Bescheides wurde im wesentlichen ausgeführt, es sei bei mehreren zwischen dem 11. Juli 1989 und dem 11. September 1989 durch Organe der Magistratsabteilung 59 - Marktamtsabteilung für den 8./9. Bezirk vorgenommenen Überprüfungen des obgenannten Lebensmittelkleinhandelsbetriebes festgestellt worden, daß im Betrieb Mängel bestünden, die besorgen ließen, daß dort in Verkehr gebrachte Lebensmittel entgegen der Vorschrift des § 20 LMG 1975 durch äußere Einwirkung hygienisch nachteilig beeinflußt werden. Als Betriebsinhaberin sei der Beschwerdeführerin durch ein Schreiben der Magistratsabteilung 63 vom 15. November 1989 Gelegenheit gegeben worden, vom Ergebnis der Überprüfungen und den in Aussicht genommenen Maßnahmen Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. Hierauf habe die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 9. Februar 1990 vorgebracht, daß die Mängel bereits behoben seien. Eine neuerliche Überprüfung des Betriebes durch die Magistratsabteilung 59 - Marktamtsabteilung für den 8./9. Bezirk habe jedoch laut Bericht vom 6. März 1990 ergeben, daß weiterhin große Mengen von Lebensmitteln, die einer Kühlung bedürfen, außerhalb der Kühlregale gelagert würden. Da somit immer noch eine nachteilige Beeinflussung von Lebensmitteln in hygienischer Hinsicht durch Außerachtlassung der im § 20 LMG 1975 gebotenen Sorgfalt zu besorgen sei, seien nunmehr gemäß § 22 Abs. 1 LMG 1975 die im Spruch angeführten Maßnahmen zu verfügen gewesen.

Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 24. September 1990 gab die belangte Behörde der von der Beschwerdeführerin gegen den genannten Bescheid des Landeshauptmannes von Wien erhobenen Berufung insoweit Folge, als dieser Bescheid aufgehoben und wie folgt verfügt wurde:

"1. Lebensmittel, die eine gekühlte Lagerung benötigen, sind so aufzubewahren, daß ihre Kerntemperatur + 6 Grad C nicht übersteigt, wobei ein kurzfristiger, d.h. maximal 5 Stunden dauernder, Temperaturanstieg bis höchstens + 9 Grad C toleriert wird.

2. Milch- und Milcherzeugnisse sind so zu lagern, daß den unter Punkt 1 aufgestellten Anforderungen entsprochen wird.

3. Die Einhaltung der unter Punkt 1 genannten Anforderungen sind laufend stichprobenartig zu kontrollieren und über diese Kontrollen Aufzeichnungen zu führen. Hiebei sind mit einem geeichten Thermometer thermisch ungünstig liegende Waren zu prüfen."

In der Begründung ihres Bescheides führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, es habe gemäß § 20 LMG 1975, wer Lebensmittel, Verzehrprodukte oder Zusatzstoffe in Verkehr bringe, vorzusorgen, daß sie nicht durch äußere Einwirkung hygienisch nachteilig beeinflußt werden, soweit das nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft möglich und nach der Verkehrsauffassung nicht unzumutbar ist. Gemäß § 22 leg. cit. habe der Landeshauptmann, soweit eine nachteilige Beeinflussung von Lebensmitteln, Verzehrprodukten oder Zusatzstoffen in hygienischer Hinsicht durch Außerachtlassung der im § 20 gebotenen Sorgfalt zu besorgen ist, auch wenn Bestimmungen im Sinne des § 21 nicht erlassen sind, Maßnahmen und Vorkehrungen im Einzelfall mit Bescheid zu verfügen.

Mit dem Bescheid der ersten Instanz seien der Beschwerdeführerin für die Filiale mit dem Standort A-Straße, 1080 Wien, Auflagen erteilt worden, welche sicherstellen sollten, daß gekühlt zu lagernde Waren so zu lagern seien, daß deren Kerntemperatur 6 Grad C nicht übersteigt, sowie daß gekühlt zu lagernde Produkte sofort nach deren Anlieferung gekühlt zu lagern seien. Grund für die Vorschreibungen, die auf Grund einer Betriebsrevision nach entsprechender Einräumung des Parteiengehörs erfolgt seien, sei eine Anzeige eines Kunden, welcher in der Filiale mit dem genannten Standort mehrmals saure Milchprodukte gekauft habe.

Die Beschwerdeführerin habe in ihrer Berufung darauf hingewiesen, es sei das grundsätzliche Problem bei der Anlieferung von Milcherzeugnissen, daß die Anlieferung grundsätzlich in den Abend- bzw. Nachtstunden erfolge und die Lagerräume, in welchen die Packungen durch den Zulieferer deponiert werden, keine Kühleinrichtungen vorsähen. Dies sei in 90 % der Geschäfte der Fall. Im übrigen werde schon durch die Filialleitung Vorsorge getroffen, daß alle zu kühlenden Waren entsprechend gelagert werden; im Falle eines Defektes der Kühlanlagen werde unverzüglich der entsprechende Wartungsdienst gerufen. Es sei durch die Filialleiterin sogar versucht worden, die Anlieferung der Milcherzeugnisse in den Wochen mit hoher nächtlicher Außentemperatur auf den frühen Morgen zu verschieben, was jedoch nur in einigen Ausnahmefällen geglückt sei. Die während der Nachtstunden angelieferten Produkte seien ausschließlich so vorgekühlt, daß eine kurzfristige ungekühlte Lagerung keinen nachteiligen Einfluß auf die spätere Lagerfähigkeit der Erzeugnisse habe. Auch die kurzfristige Lagerung von Milch oder Milcherzeugnissen außerhalb der Kühlvitrinen in der Filiale habe keinen Einfluß auf deren Qualität, weil die gut durchgekühlte Ware einen nur geringen Temperaturanstieg erfahre. Der Bescheid sei überdies schon deshalb mangelhaft, weil aus ihm nicht hervorgehe, daß eines der beprobten Lebensmittel eine höhere Kerntemperatur als + 6 Grad C aufgewiesen habe; eine gemessene Umlufttemperatur sage nämlich noch keineswegs etwas über die tasächliche Kerntemperatur aus. Eine hygienische Benachteiligung von Milcherzeugnissen sei auch deshalb auszuschließen, weil deren Lagerung durch eine Dauer von mehr als 15 Stunden in der Filiale auszuschließen sei. Die Grundsätze der Hygiene umfaßten nicht nicht eingehaltene bestimmte Lagertemperaturen, sondern sie bezögen sich auf die Einhaltung zumutbarer Sauberkeit und zumutbarer Vorkehrungen vor Verschmutzung. Diese Umstände träfen jedoch nicht auf den vorliegenden Sachverhalt zu. Es werde daher - allenfalls nach Erledigung von (näher ausgeführten) Beweisanträgen - die Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides beantragt.

Nach Einholung eines Gutachtens des der belangten Behörde beigegebenen Amstsachverständigen für Fragen der Lebensmittelhygiene habe diese wie folgt erwogen:

Tenor der Berufung sei nach Ansicht der belangten Behörde, daß geringfügige und kurfristige Überschreitungen der Kerntemperatur von + 6 Grad bei Überprüfung von Betrieben toleriert werden sollen. Um darüber befinden zu können, sei es notwendig abzuklären, was im Einzelfall als "geringfügiger und kurzfristiger Temperaturanstieg" anzusehen sei. Im Einvernehmen mit der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung und -forschung in Wien könne im Falle von Milcherzeugnissen bei einem maximalen TEMPERATURANSTIEG auf + 9 Grad C von "GERINGFÜGIG" und bei einer DAUER von MAXIMAL 5 STUNDEN von "KURZFRISTIG" gesprochen werden. Den Ausführungen der Beschwerdeführerin, wonach kurzfristige Lagerung von Milch außerhalb der Kühlvitrinen keine nachteilige Beeinflussung des Produktes nach sich ziehe, weil gut durchgekühlte Erzeugnisse lediglich einen leichten Temperaturanstieg erführen, zumal Gebinde einen Isolierungseffekt hätten, werde zugestimmt, weshalb daher der angefochtene Bescheid entsprechend abzuändern gewesen sei. Zu den Ausführungen der Berufung zu § 20 LMG 1975 in Verbindung mit den Grundsätzen der Hygiene sei festzustellen, daß "durch § 20 LMG 1975 Verhaltensweisen, nicht jedoch Waren pönalisiert werden" (vgl. Anmerkung zu § 20 LMG 1975 "Das Lebensmittelgesetz 1975" - Brustbauer/Jesionek/Petuely/Wrabetz). Gegenstand des vorliegenden Verfahrens seien daher nicht in irgendeiner Weise beeinträchtigte Waren, sondern der Auftrag, sich im Umgang mit dem Lebensmittel "Milch/Milcherzeugnisse" so zu verhalten, daß die Kerntemperatur der Ware + 6 Grad C nicht übersteige.

Die Durchführung der von der Beschwerdeführerin in der Berufung gestellten Beweisanträge habe unterbleiben können, weil es sich im vorliegenden Verwaltungsverfahren nicht um ein Strafverfahren handle (dies gelte auch für die gerügte mangelhafte Tatsachenfeststellung des angefochtenen Bescheides), sondern um die ANFORDERUNG SELBST. Die Besichtigung des Betriebes in Verbindung mit dem Vorkommen verdorbener bzw. gerade noch nicht zu beanstandender Ware habe die belangte Behörde zu dem Schluß kommen lassen, daß das Verhalten, welches die Kerntemperatur auf + 6 Grad C konstant hält (Punkt 1 des Bescheides), nur durch gekühlte Lagerung unverzüglich nach Anlieferung der Ware zu erreichen sei (Punkt 2). Der Nichtbeachtung geringfügiger Abweichungen sei durch die im vorliegenden Berufungsbescheid getroffenen Anordnungen Rechnung getragen worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 22 Abs. 1 des Lebensmittelgesetzes 1975 hat der Landeshauptmann, soweit eine nachteilige Beeinflussung von Lebensmitteln, Verzehrprodukten oder Zusatzstoffen in hygienischer Hinsicht durch Außerachtlassung der im § 20 gebotenen Sorgfalt zu besorgen ist, auch wenn Bestimmungen im Sinne des § 21 nicht erlassen sind, Maßnahmen und Vorkehrungen im Einzelfall mit Bescheid zu verfügen.

Nach § 20 leg. cit. hat derjenige, der Lebensmittel, Verzehrprodukte oder Zusatzstoffe in Verkehr bringt, vorzusorgen, daß sie nicht durch äußere Einwirkung hygienisch nachteilig beeinflußt werden, soweit das nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft möglich und nach der Verkehrsauffassung nicht unzumutbar ist.

Die Formulierung "durch äußere Einwirkung" umfaßt nicht nur feste, flüssige oder gasförmige Substanzen, die mit der Ware in Verbindung kommen und diese hygienisch nachteilig beeinflussen können, sondern schließt auch andere Einwirkungen, wie Temperatur, Sonneneinstrahlung oder mechanische Kräfte ein (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. November 1990, Zl. 89/10/0201). Der Einwand der beschwerdeführenden Partei, § 22 in Verbindung mit § 20 des Lebensmittelgesetzes 1975 sei auf den Beschwerdefall nicht anzuwenden, weil bereits aufgrund des Vorliegens einer Verpackung der beanstandeten Produkte eine mögliche Verschmutzung von außen ausgeschlossen sei, geht daher ins Leere (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 1992, Zlen. 91/10/0162, 91/10/0188).

Hingegen ist die Beschwerdeführerin im Ergebnis im Recht, wenn sie der belangten Behörde Verletzung von Verfahrensvorschriften vorwirft.

Voraussetzung für eine Maßnahme nach § 22 Abs. 1 des Lebensmittelgesetzes 1975 ist, daß durch Außerachtlassung der im § 20 gebotenen Sorgfalt eine hygienisch nachteilige Beeinflussung von Lebensmitteln zu besorgen ist. Nach den Annahmen der belangten Behörde ist im gegebenen Zusammenhang dem hygienischen Standard Genüge getan, wenn Lebensmittel, die eine gekühlte Lagerung benötigen, so aufbewahrt werden, daß ihre Kerntemperatur +6 Grad C. nicht übersteigt, wobei ein kurzfristiger, maximal 5 Stunden dauernder Temperaturanstieg bis höchstens +9 Grad C. tolerierbar ist. Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Berufung behauptet, durch die in ihren Filialen bestehenden Verhältnisse würden Lebensmittel hygienisch nicht nachteilig beeinflußt, es sei nie festgestellt worden, daß der von der Behörde als adäquat angesehene hygienische Standard (Einhaltung einer bestimmten Kerntemperatur) unterschritten worden sei.

In diesem Zusammenhang erweist sich die Beschwerde insoweit als berechtigt, als sie die Verletzung von Verfahrensvorschriften dahingehend behauptet, daß Tatsachenfeststellungen fehlen, auf deren Grundlage die Behörde zur Beurteilung hätte gelangen können, daß bei der Beschwerdeführerin beim Umgang mit Lebensmitteln die Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt in hygienischer Hinsicht im Sinne des § 22 Lebensmittelgesetz 1975 zu besorgen sei; der Beschwerde ist auch darin zu folgen, daß in der Begründung des in Beschwerde gezogenen Bescheides Ausführungen zur Zumutbarkeit der erteilten Aufträge fehlen. Dazu kommt, daß sich die belangte Behörde bei ihrer Sachverhaltsermittlung und in der Begründung ihres Bescheides ausschließlich mit Milch und Milchprodukten befaßt hat, jedoch Punkt 1. des Spruches des in Beschwerde gezogenen Bescheides insoweit darüber hinausgeht, als damit alle Lebensmittel, die einer gekühlten Lagerung bedürfen, erfaßt werden (z.B. Frischfleisch, frische Fische).

Durch die aufgezeigten Mängel hat die belangte Behörde Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der in Beschwerde gezogene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung der von der Beschwerdeführerin beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Kostenzuspruch stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens bezieht sich auf Stempelgebühren für nicht erforderliche Beilagen.

Schlagworte

Begründung Allgemein Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtliche Beurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1990100196.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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