Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des J in I, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 16. August 1993, Zl. IIb2-K-2672/1-1993, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer ist schuldig, dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 16. August 1993 wurde die dem Beschwerdeführer für Kraftfahrzeuge der Gruppen A und B erteilte Lenkerberechtigung gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 wegen mangelnder geistiger Eignung entzogen. Gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. wurde bestimmt, daß ihm bis zum Nachweis der geistigen Eignung die Berechtigung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A und B nicht wieder erteilt werden dürfe.
In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zunächst ist dem Beschwerdeführer zu entgegnen, daß die von der Erstbehörde in ihrem Bescheid vom 5. April 1993 im Spruch offensichtlich irrtümlich angebrachte Nennung von "§ 57 Abs. 1 AVG" im vorliegenden Fall den Bescheid noch nicht zum Mandatsbescheid macht: Gemäß § 57 Abs. 1 AVG ist die Behörde berechtigt, unter bestimmten Voraussetzungen einen Bescheid auch ohne vorausgegangenes Ermittlungsverfahren, einen sogenannten "Mandatsbescheid", zu erlassen. Maßgeblich ist, daß die Behörde UNMIßVERSTÄNDLICH zum Ausdruck gebracht hat, daß sie von der Möglichkeit des § 57 leg. cit. Gebrauch gemacht hat, damit die dort vorgesehenen Rechtsfolgen eintreten (vgl. die in Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4 auf Seiten 419 f angeführten Hinweise auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes). Wenn es dem Beschwerdeführer auch zuzugestehen ist, daß die Erlassung eines Mandatsbescheides nach durchgeführtem Ermittlungsverfahren nicht grundsätzlich gänzlich auszuschließen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. November 1990, Zl. 90/07/0102), ist aus der bloßen Zitierung des § 57 Abs. 1 AVG bei der gegebenen Sachlage nicht davon auszugehen, daß sich die Erstbehörde auf diese Bestimmung "gestützt" hat und damit die dort genannten Rechtsfolgen auslösen wollte. Sie legte nämlich in der Rechtsmittelbelehrung des - nach umfangreichem Ermittlungsverfahren erlassenen - Bescheides ausdrücklich dar, daß dieser mit Berufung bekämpft werden könne und führte auch in notwendigem Ausmaß die näheren Umstände der Berufungserhebung aus. Weiters sprach sie aus, daß gemäß § 64 Abs. 2 AVG einer allfälligen Berufung die aufschiebende Wirkung aberkannt werde. Es kann sohin im Beschwerdefall keinem Zweifel unterliegen, daß es sich bei dem erstinstanzlichen Bescheid um kein auf § 57 Abs. 1 AVG gestütztes Mandat handelt.
Zu Unrecht bekämpft der Beschwerdeführer auch die vorliegende Entziehungsmaßnahme:
Die belangte Behörde stützte die Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers wegen mangelnder geistiger Eignung insbesondere auf das Gutachten des Amtsarztes der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 1. März 1993 das seinerseits auf den Befundbericht der Universitätsklinik für Psychiatrie Innsbruck vom 27. Jänner 1993 Bedacht nahm und diesen verwertete. Danach wurde nach persönlicher Exploration des Beschwerdeführers, testpsychologischer Untersuchung und Einholung eines EEG - soweit hier wesentlich - festgestellt, daß sich beim Beschwerdeführer bei psychopathologisch nur diskret organischen Zeichen sowohl im EEG als auch in der testpsychologischen Untersuchung deutliche Zeichen einer hirnorganischen Beeinträchtigung finden. Als auffällig wurde der deutlich reduzierte Wert im Bereich der visuellen Merkfähigkeit erkannt, die Ätiologie der gegebenen Vigilitätsschwankungen wurde als unklar beschrieben und eine neurosonographische Untersuchung der zerebralen Durchblutungssituation zu deren Abklärung als geeignet befunden. Die Psychiatrische Universitätsklinik Innsbruck kam zu dem Ergebnis, daß der Beschwerdeführer von psychiatrischer Seite her als nicht fahrtauglich einzustufen sei. Der von der Behörde beigezogene Amtsarzt befand - unter Verwertung des genannten Befundes - daß der Beschwerdeführer zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A und B nicht geeignet sei. Die belangte Behörde folgte im angefochtenen Bescheid diesem Gutachten und führte aus, daß gemäß § 31 KDV als ausreichend frei von psychischen Krankheiten und geistigen Behinderungen im Sinne des § 30 Abs. 1 Z. 1 KDV nur Personen gelten, bei denen weder Erscheinungsformen von solchen Krankheiten oder Behinderungen noch schwere geistige und seelische Störungen vorliegen, die eine Beeinträchtigung des Fahrverhaltens erwarten lassen. Der festgestellte Zustand beim Beschwerdeführer schließe seine Fahrtauglichkeit aus, sodaß die Lenkerberechtigung gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 zu entziehen sei, wobei es dem Beschwerdeführer freistehe, unter Vorlage eines positiven medizinischen Gutachtens neuerlich um die Lenkerberechtigung anzusuchen.
Der Beschwerdeführer setzt dem entgegen, daß die belangte Behörde das amtsärztliche Gutachten vom 1. März 1993 nicht hätte heranziehen dürfen, weil es nur unzureichend begründet und hiefür ein falsches Formular verwendet worden sei, und der Amtssachverständige auch nicht hinreichend auf das fachärztliche psychiatrische Gutachten Bezug genommen habe. Weiters habe die belangte Behörde rechtswidrig die Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers unterlassen. Schließlich habe die belangte Behörde im Hinblick auf § 67 Abs. 2 KFG 1967 auch nicht ein Gutachten des Gerichtsmediziners Univ.Prof. Dr. H vom 3. Jänner 1992 heranziehen dürfen.
Dem ist zu entgegnen, daß der Amtssachverständige - wie bereits zuvor dargestellt - hinreichend auf den Befund der psychiatrischen Universitätsklinik Innsbruck vom 27. Jänner 1993 Bedacht genommen und dessen wesentlichen Inhalt auch zitiert hat. Daraus ergibt sich unzweifelhaft, daß beim Beschwerdeführer die visuelle Merkfähigkeit beeinträchtigt ist, und - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - auf Grund der abschließenden Beurteilung auch, daß bei ihm Störungen in der Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf etwas Neues zu richten ("Vigilität", siehe Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch257, 1637) vorliegen.
Wenn der Beschwerdeführer darauf hinweist, daß im Befund der Psychiatrischen Universitätsklinik Innsbruck davon die Rede sei, daß "keine Aufmerksamkeits- und Konzentrationsleistungsstörungen" gegeben seien, ist dem zu entgegnen, daß sich dies ausschließlich auf den psychologischen Test bezogen hat, während als Ergebnis des EEG ausdrücklich auf die "Vigilitätsschwankungen" beim Beschwerdeführer hingewiesen und dies auch bei der abschließenden Beurteilung berücksichtigt wurde.
Gemäß § 30 Abs. 1 Z. 1 KDV 1967 gilt als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Gruppe geistig und körperlich geeignet, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften ausreichend frei von psychischen Krankheiten und geistigen Behinderungen ist. DARÜBER HINAUS müssen die nötigen kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit und Bereitschaft zur Verkehrsanpassung gegeben sein. Die belangte Behörde stellte ihre Entziehungsmaßnahme darauf ab, daß beim Beschwerdeführer die Voraussetzung im Sinne des § 30 Abs. 1 Z. 1 erster Satz in Verbindung mit § 31 KDV 1967 nicht gegeben und er damit zum Lenken von Kraftfahrzeugen geistig nicht geeignet sei. Es war daher entbehrlich, weitere Gutachten über die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers einzuholen.
Schließlich ist dem Einwand des Beschwerdeführers, das Gutachten des Univ.Prof. Dr. H vom 3. Jänner 1992 sei zu alt, um es berücksichtigen zu können, zu entgegnen, daß dessen Ergebnisse von der belangten Behörde nicht als tragende Begründung in den angefochtenen Bescheid aufgenommen wurden, sondern es bloß im Rahmen der Beweiswürdigung zur Bestätigung der Ausführungen des Amtssachverständigen herangezogen wurde.
Aus dem Inhalt der Verwaltungsakten ist ersichtlich, daß der Beschwerdeführer als Lenker eines Kraftfahrzeuges am 21. Juli 1991 einen Verkehrsunfall verursachte, indem er von der Fahrbahn abkam und auf der linken Straßenseite gegen einen auf dem Bankett gehenden Fußgänger fuhr, wodurch dieser tödliche Verletzungen erlitt. Der Beschwerdeführer verantwortete sich bei seiner ersten Einvernahme nach dem Unfall, daß er sich diesen nur so erklären könne, daß er kurz eingeschlafen sei oder sonst "irgendeine geistige Abschaltung" gehabt habe. Das hierauf im Zuge eines gerichtlichen Strafverfahrens eingeholte Gutachten des Univ.Prof. Dr. H vom 3. Jänner 1992 erbrachte nach EEG-Untersuchungsergebnissen mehrfach phasenhaft in Erscheinung getretene Vigilitätsschwankungen und damit plötzlich auftretende Aufmerksamkeitsstörungen. Der Sachverständige führte aus, sehe man den Unfall und die Verantwortung des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund der erhobenen Befunde, so sei bei ihm wahrscheinlich plötzlich eine wie bei der Ableitung des Hirnstrombildes beobachtete Vigilitätsschwankung aufgetreten und sei der Beschwerdeführer kurz eingeschlafen. Wenn auch dieses länger zurückliegende Gutachten des Univ.Prof. Dr. H im Rahmen des zu erstellenden amtsärztlichen Gutachtens nicht mehr verwendet werden durfte (und auch nicht mehr verwendet wurde), war es der belangten Behörde nicht verwehrt, im Rahmen der Beweiswürdigung darauf hinzuweisen, daß die Gutachten im Einklang stehen. Im übrigen ist das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht geeignet, Bedenken am Gutachten des Amtssachverständigen zu erwecken.
Da es somit der Beschwerde nicht gelungen ist, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
SachverhaltsermittlungBeweismittel Sachverständigenbeweis Medizinischer SachverständigerGutachten Verwertung aus anderen Verfahrenfreie BeweiswürdigungBescheidcharakter BescheidbegriffMaßgebender Bescheidinhalt Fassung die der Partei zugekommen istSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel SachverständigenbeweisEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1993110226.X00Im RIS seit
25.01.2001Zuletzt aktualisiert am
09.06.2010