Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §66 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des J in Innsbruck, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 28. Juni 1994, Zl. IIb2-K-2921/1-1994, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Kraftfahrangelegenheit, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Bundespolizeidirektion Innsbruck sprach mit Mandatsbescheid vom 5. Mai 1994 die vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers aus. Der Bescheid wurde nach zwei erfolglosen Zustellversuchen an der Adresse Innsbruck, E-Straße 8, beim Zustellpostamt hinterlegt und ab 11. Mai 1994 zur Abholung bereitgehalten.
Mit Eingabe vom 6. Juni 1994 an die Bundespolizeidirektion Innsbruck begehrte der Beschwerdeführer die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die (allfällige) Versäumung der Vorstellungsfrist und erhob unter einem Vorstellung gegen den Mandatsbescheid. Mit Bescheid dieser Behörde vom 9. Juni 1994 wurde der Wiedereinsetzungsantrag "gem. § 68/1 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes wegen entschiedener Sache zurückgewiesen".
Über die Berufung des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid entschied die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG wie folgt: "Die Entscheidung wird in der Weise abgeändert, daß der Spruch nun zu lauten hat:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen."
In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend; er beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung damit, der Beschwerdeführer habe neben seinem ordentlichen Wohnsitz in Innsbruck, T-Straße 16b, auch an der Anschrift Innsbruck, E-Straße 8, (dem Wohnhaus seiner Eltern) einen ordentlichen Wohnsitz. Dies habe die Erstbehörde aufgrund seiner eigenen Angaben annehmen können. Er habe daher mit der Zustellung behördlicher Sendungen an diese Adresse rechnen und dafür vorsorgen müssen, daß er Zustellvorgänge rechtzeitig wahrnehmen könne. Da er dies offenbar unterlassen habe, treffe ihn ein die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließendes Verschulden an der Versäumung der Vorstellungsfrist.
Die Beschwerde bringt zunächst vor, aufgrund der formellen Besonderheit des Spruches des angefochtenen Bescheides sei aus der Vorstellung des Beschwerdeführers eine Berufung gemacht und diese als unbegründet abgewiesen worden. Es fehle jedoch ein Abspruch darüber, was mit der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid bzw. mit der Vorstellung des Beschwerdeführers geschehen sei.
Mit dem erstinstanzlichen Bescheid vom 9. Juni 1994 wurde der Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers vom 6. Juni 1994 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Das ergibt sich aus dem Wortlaut seines Spruches. Die beigegebene, unklare Begründung zwingt nicht zur Annahme, daß es sich bei diesem Spruch etwa bloß um ein Vergreifen im Ausdruck handelt. Die Erstbehörde hat daher über den Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers nicht meritorisch entschieden, sondern eine formale Entscheidung getroffen. Damit war die Entscheidungsbefugnis der belangten Behörde insofern eingeschränkt, als ihr ein meritorischer Abspruch über den Wiedereinsetzungsantrag verwehrt war. Gegenstand des Berufungsverfahrens (= "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG) konnte lediglich die Rechtmäßigkeit des verfahrensrechtlichen Ausspruchs der Erstbehörde sein (vgl. die bei Ringhofer, aaO 635f unter E 85 bis 89 wiedergegebene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).
Auf dem Boden dieser Rechtslage erweist sich der angefochtene Bescheid, wie immer man ihn deutet, als rechtswidrig. Versteht man ihn mit dem Beschwerdeführer als Abweisung seiner in eine Berufung umgedeuteten Vorstellung, läge die Überschreitung der Entscheidungsbefugnis der belangten Behörde darin, daß sie unter Übergehung der ersten Instanz erstmals über die an diese gerichtete Vorstellung abgesprochen hätte. Eine Deutung des angefochtenen Bescheides allein aus dem Wortlaut seines Spruches erbrächte das unsinnige Ergebnis, daß dann überhaupt keine Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag, sondern ausschließlich ein die Berufung abweisender Ausspruch vorläge. Versteht man den angefochtenen Bescheid aber so wie die belangte Behörde in der Gegenschrift als Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages (dafür spricht die im Hinblick auf die Unklarheit seines Spruches gebotene Bedachtnahme auf die Begründung), so läge wiederum eine Überschreitung der Entscheidungsbefugnis der belangten Behörde als Berufungsbehörde vor. Statt selbst über den Wiedereinsetzungsantrag meritorisch zu entscheiden, hätte die belangte Behörde angesichts der offensichtlichen Unhaltbarkeit der erstinstanzlichen Zurückweisung wegen entschiedener Sache die ersatzlose Aufhebung dieser Formalentscheidung aussprechen müssen, um so den Weg zur meritorischen Behandlung des Wiedereinsetzungsantrags freizumachen. Durch ihre meritorische Entscheidung über diesen Antrag hat die belangte Behörde entgegen ihrer in der Gegenschrift geäußerten Ansicht den Beschwerdeführer auch in Rechten verletzt, da ihm damit eine Instanz genommen wurde.
Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht darauf, daß Ersatz für Schriftsatzaufwand nur in Höhe des dafür vorgesehenen Pauschbetrages von S 12.500,-- gebührt, in dem die Umsatzsteuer bereits enthalten ist.
Im Hinblick auf die Erledigung der Beschwerde erübrigt sich eine Entscheidung über den (zu hg. Zl. 94/11/0044 protokollierten) Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.
Schlagworte
Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Verfahrensrechtliche Entscheidung der Vorinstanz (siehe auch Inhalt der Berufungsentscheidung Anspruch auf meritorische Erledigung) Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Bindung an den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens Allgemein Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) Rechtliche Wertung fehlerhafter Berufungsentscheidungen Rechtsverletzung durch solche EntscheidungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994110227.X00Im RIS seit
20.11.2000