Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
VwGG §46 Abs1;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 93/13/0060Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat in den Rechtssachen der B-GmbH in Z, vertreten durch Dr. U, Rechtsanwalt in W, über 1. die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung zweier Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof gegen die Bescheide der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 18. Februar 1993, Zl. 6/2-2156/91-o2, betreffend Umsatz-, Körperschaft- und Gewerbesteuer 1982 bis 1984, sowie Zl. 6/2-2156/1/91-02, betreffend Haftung für Kapitalertragsteuer 1982 bis 1984, und 2. die Beschwerden gegen die beiden eben genannten Bescheide, den Beschluß gefaßt:
Spruch
1. Den Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht stattgegeben.
2. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Unbestritten ist, daß die angefochtenen Bescheide Rudolf L. in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der beschwerdeführenden GmbH zuzustellen waren. Als Zustelldatum wird in beiden Beschwerden jeweils der 8. März 1993 genannt. Träfe dies zu, so wären beide Beschwerden rechtzeitig, nämlich am letzten Tag der sechswöchigen Beschwerdefrist, erhoben. Die belangte Behörde verweist allerdings in ihrer Gegenschrift auf die in den Verwaltungsakten befindlichen Rückscheine, aus denen hervorgehe, daß die Zustellung bereits am 4. März 1993 erfolgt sei und beantragt die Zurückweisung der Beschwerden als verspätet.
In einer Replik zur Gegenschrift der belangten Behörde bringt die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgendes vor.
Die Sendungen, mit denen die beiden angefochtenen Bescheide zugestellt wurden, habe nicht der Geschäftsführer Rudolf L., sondern seine Ehefrau in Empfang genommen. Daß dies bereits am 4. März 1993 der Fall gewesen sei - dieses Datum ist der Übernahmsbestätigung handschriftlich beigefügt und entspricht der Poststampiglie des Zustellpostamtes - könne nicht ausgeschlossen werden. Die Ehefrau des Geschäftsführers sei aber weder ein Organ der Beschwerdeführerin noch deren Angestellte oder Gesellschafterin. Sie verfüge über keine Vollmacht, für die Beschwerdeführerin Postsendungen in Empfang zu nehmen. Die Zustellung an sie sei daher gemäß § 13 Abs. 3 ZustG nicht wirksam. Üblicherweise übergebe die Ehefrau des Geschäftsführers die von ihr übernommene Post stets noch "am selben Tag zu Mittag" ihrem Ehemann. Die beiden angefochtenen Bescheide habe sie allerdings erst am 8. März 1993 ihrem Ehemann vorgelegt, sodaß die Zustellungen mit diesem Tag wirksam geworden seien. Für den Fall, daß die Zustellung der angefochtenen Bescheide dennoch bereits am 4. März 1993 rechtswirksam zustandegekommen sein sollte, werde gemäß § 46 VwGG ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist gestellt. Als "unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis", das zur Fristversäumung geführt habe, werde der Umstand geltend gemacht, daß die Ehefrau des Geschäftsführers die beiden Postsendungen entgegen ihrer sonst zuverlässigen Vorgangsweise nicht sofort, sondern erst am 8. März 1993 ihrem Ehemann übergeben habe. Das allenfalls darin gelegene Verschulden könne der Beschwerdeführerin nicht zugerechnet werden, weil die Ehefrau des Geschäftsführers "in keinem rechtlichen Zusammenhang" zur Beschwerdeführerin stehe.
Soweit die Beschwerdeführerin die Auffassung vertritt, an die Ehefrau ihres Geschäftsführers habe nicht rechtswirksam zugestellt werden können, ist ihr zunächst die Bestimmung des § 16 Abs. 1 und 2 ZustG entgegenzuhalten, wonach eine Ersatzzustellung an jede erwachsene Person erfolgen kann, die an derselben Abgabestelle wie der Empfänger wohnt, sofern die Sendung nicht dem Empfänger selbst zugestellt werden kann. Nach der ausdrücklichen besonderen Anordnung des letzten Halbsatzes des § 16 Abs. 1 ZustG ist ferner eine Ersatzzustellung für den Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 ZustG zulässig, wenn der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich dieser Vertreter regelmäßig an der Abgabestelle aufhält (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, 1093).
Daß die Ehefrau des Geschäftsführers der Beschwerdeführerin als Ersatzempfänger für ihren Ehemann in Betracht kam, ergibt sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach die Ehefrau an derselben Abgabestelle wohnt und regelmäßig die private und geschäftliche Post ihres Ehemannes übernimmt. Beide Sendungen waren nicht zu eigenen Handen zuzustellen, sodaß eine Ersatzzustellung nicht ausgeschlossen war (§ 21 ZustG). Daß der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte (§ 16 Abs. 5 ZustG), wird nicht behauptet, sodaß kein Umstand erkennbar ist, der einer rechtswirksamen Ersatzzustellung entgegenstehen könnte. Die von der Beschwerdeführerin zitierte Bestimmung des § 13 Abs. 3 ZustG, wonach in Fällen, in denen der Empfänger keine natürliche Person ist, die Sendung einem zur Empfangnahme befugten Vertreter zuzustellen ist, schließt eine Ersatzzustellung im Sinne des § 16 leg. cit. nicht aus. Im Beschwerdefall war der zur Empfangnahme befugte Vertreter der Beschwerdeführerin, dessen Funktion im § 16 Abs. 1 ZustG ausdrücklich erwähnt wird, deren Geschäftsführer Rudolf L. An diesen konnte rechtswirksam im Wege einer Ersatzzustellung zugestellt werden. Daß die Ersatzzustellung möglicherweise durch einen "Aushilfszusteller" erfolgte, ist ebenso irrelevant, wie der Umstand, daß die Ehefrau des Geschäftsführers die Postsendungen erst am 8. März 1993 ihrem Ehemann übergeben hat. Da die Zustellung somit bereits am 4. März 1993 erfolgte, erweisen sich die erst am 19. April 1993 zur Post gegebenen Verwaltungsgerichtshofbeschwerden als verspätet. Es ist daher zu prüfen, ob den von der Beschwerdeführerin "in eventu" gestellten Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Berechtigung zukommt.
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, daß sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, daß ein "allfälliges Verschulden" nur der Ehegattin des Geschäftsführers angelastet werden könnte, die die Postsendungen nicht bereits am 4. März 1993, sondern erst am 8. März 1993 ihrem Ehegatten übergeben habe. Ein derartiges Verschulden könne aber nicht einem Verschulden der Beschwerdeführerin gleichgehalten werden.
Richtig ist, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zwar das Verschulden eines Parteienvertreters dem Verschulden des Vertretenen gleichzuhalten ist, nicht jedoch ein Verschulden anderer Personen. Führt das Fehlverhalten anderer Personen, etwa das von Kanzleiangestellten oder Haushaltsangehörigen zu einer Fristversäumung, so ist zu prüfen, ob der Parteienvertreter bzw. die Partei selbst dadurch ein schuldhaftes Verhalten gesetzt hat, daß sie eine IHR auferlegte Sorgfaltspflicht außer acht gelassen hat (z.B. Auswahlverschulden, mangelnde Überwachungstätigkeit oder sonstiges Organisationsverschulden). Nun hat die Beschwerdeführerin vorgebracht, daß die Ehefrau des Geschäftsführers, die von ihr in Empfang genommene Post "immer bereits am selben Tag zu Mittag" ihrem Ehemann übergeben habe. Möglicherweise soll damit zum Ausdruch gebracht werden, daß der Geschäftsführer keine Veranlassung hatte, sich bei seiner Ehefrau nach dem tatsächlichen Zustelltag zu erkundigen. Diese Auffassung ist allerdings verfehlt. Gerade bei Ersatzzustellungen, bei denen die sonst übliche Eintragung des Zustelldatums in einem Fristenbuch oder eine anderweitige Evidenthaltung von Fristen regelmäßig unterbleibt, gehört es zu den Obliegenheiten der primär zur Empfangnahme von Sendungen befugten Person, sich Gewißheit darüber zu verschaffen, wann die Ersatzzustellung erfolgt ist. Die bloße Annahme, der Tag der Weiterleitung durch den Ersatzempfänger an den Primärempfänger sei stets ident mit jenem, an dem der Ersatzempfänger die Sendung angenommen hat, vermag eine ausdrückliche Feststellung des Zustelldatums auch dann nicht zu ersetzen, wenn die Weiterleitung üblicherweise unverzüglich erfolgt. Von der Beschwerdeführerin wird überdies betont, daß Sendungen mit Zustellnachweis "nie an gesellschaftsfremde Personen zugestellt" worden seien. Umsomehr hätte für den Geschäftsführer der Beschwerdeführerin Veranlassung bestanden, bei einer für ihn völlig ungewöhnlichen Ersatzzustellung über seine Ehefrau diese nach dem Zustelldatum zu fragen. Daß er derart wichtige und ihm ohne weiteres zumutbare Erkundigungen unterlassen hat, ist ihm als Verschulden anzulasten, das nicht bloß einen minderen Grad des Versehens darstellt, und das - wie bereits gesagt - als Verschulden des Vertreters der Beschwerdeführerin zuzurechnen ist.
Den Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher nicht stattzugeben. Daraus folgt weiters, daß die verspätet eingebrachten Beschwerden gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen waren.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1993130058.X00Im RIS seit
03.04.2001