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27 RechtspflegeNorm
StGG Art13Leitsatz
Verletzung im Recht auf freie Meinungsäußerung durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen beleidigender Schreibweise; inkriminierte Äußerung keine BeleidigungSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Die Rechtsanwaltskammer für Kärnten ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit S 15.000,-- festgesetzten Prozeßkosten innerhalb von 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Auf Grundlage einer Anzeige des Bürgermeisters der betroffenen Gemeinde erkannte der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Kärnten den Beschwerdeführer mit Erkenntnis vom 18. Dezember 1990, Zl. D 29/90-18, für schuldig, er habe in einer Vorstellung vom 16. August 1990 an die genannte Gemeinde ua. ausgeführt:
"In politischen Systemen nach dem Muster Ceaucescu begreift man es, wenn Berufungsbehörden ihrem Auftrag entsprechend als reine Bestätigungsmaschinerie tätig werden."
Er habe dadurch das Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und eines die Ehre und das Ansehen des Standes beeinträchtigenden Verhaltens begangen; hiefür wurde er zur Disziplinarstrafe einer Geldbuße von S 3.000,-- und zum Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt.
Begründet wurde dieses Erkenntnis damit, daß ein Rechtsanwalt nach §9 RAO befugt sei, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachte, unumwunden vorzubringen. Es sei ihm aber verwehrt, Behörden oder andere Staatsbürger, insbesondere auch Gemeinden herabzusetzen oder zu beleidigen. Die außer Streit stehende Schreibweise des Beschwerdeführers stelle eine beleidigende gegenüber der betroffenen Gemeinde dar.
2. Der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Berufung gab die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) mit Bescheid vom 19. November 1991, Zl. 16 Bkd 1/91 - 11, nicht Folge.
3. Dagegen wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf ein faires Verfahren sowie auf Beachtung des Grundsatzes "nullum crimen nulla poena sine lege" geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt wird.
4. Die OBDK als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den bekämpften Bescheid verteidigt und für die Abweisung der Beschwerde eintritt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige und begründete - Beschwerde erwogen:
A. Gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften bringt die Beschwerde keine Normbedenken vor. Aus der Sicht dieses Beschwerdefalles sind beim Verfassungsgerichtshof solche auch nicht entstanden.
Der Beschwerdeführer wurde deshalb nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.
B. Zu den behaupteten Vollzugsfehlern:
1. Nach Art13. Abs1 StGG hat jedermann das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern. Das Recht der freien Meinungsäußerung ist zwar nur innerhalb der gesetzlichen Schranken gewährleistet, doch darf auch ein solches Gesetz keinen Inhalt haben, der den Wesensgehalt des Grundrechtes einschränkt (vgl. VfSlg. 6166/1970, 10700/1985). Eine nähere Bestimmung dieses Wesensgehaltes findet sich in Art10 EMRK. Diese Bestimmung bekräftigt den Anspruch auf freie Meinungsäußerung - "right to freedom of expression", "droit a la liberte d'expression" - (Abs1) und stellt klar, daß dieses Recht die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen einschließt, sieht aber im Hinblick darauf, daß die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringe, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor,
"wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten."
(Zur Korrektur der Übersetzung des Art10 Abs2 EMRK vgl. VfSlg. 6288/1970, wonach die Unrichtigkeit der deutschen Übersetzung in der falschen Satzstellung der Worte "unentbehrlich sind" besteht. Bei richtiger Übersetzung sollten diese Worte, wie in der in der Bundesrepublik Deutschland publizierten deutschen Übersetzung, am Schluß dieses Absatzes stehen.)
Gemäß Art10 Abs2 EMRK darf also die Freiheit der Meinungsäußerung nur aus den dort angeführten Gründen beschränkt werden.
2. Der Beschwerdeführer bringt vor, seinen - unstrittigen - Ausspruch nicht in beleidigender Absicht getätigt zu haben und wirft der Behörde ein willkürliches Verkennen der Rechtslage vor,
"... da mein Vorbringen, wonach ein solcher Vergleich niemals beabsichtigt war, ungeachtet blieb und offenbar die bloße Erwähnung eines verpönten Systems dazu führt, daß mir ein beleidigendes Verhalten vorgeworfen wird. Allein der Umstand, daß ein solcher Text erwähnt wurde, rechtfertigt nach den logischen Denkgesetzen keineswegs eine derartige Schlußfolgerung."
3. Die belangte Behörde meint, daß sich aus dem Text der Vorstellung eindeutig ergebe, daß die betroffene Gemeinde mit einem diktatorischen System verglichen wurde; dies komme auch in der Entscheidung klar zum Ausdruck. Richtig sei, daß der Rechtsanwalt gemäß §9 Abs1 RAO verpflichtet sei, die übernommenen Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten. Er sei befugt, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachte, unumwunden vorzubringen, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten. Dies rechtfertige aber keine beleidigenden Ausführungen.
4. Ein Verwaltungsakt, der sich gegen die Meinungsäußerungsfreiheit richtet, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ua. dann verfassungswidrig, wenn ein verfassungsmäßiges Gesetz denkunmöglich angewendet wurde (VfSlg. 3762/1960, 6166/1970 und 6465/1971). Eine denkunmögliche Gesetzesanwendung liegt auch vor, wenn die Behörde dem Gesetz fälschlich einen verfassungswidrigen - hier also: die besonderen Schranken des Art10 EMRK mißachtenden - Inhalt unterstellt (VfSlg. 10386/1985, 10700/1985, 12086/1989).
4.1. Der Beschwerdeführer vertrat einen Mandanten in einem Bauverfahren, bei dem die betroffene Gemeinde Baubewilligungswerberin war. Vorsitzender des Gemeindevorstandes als Berufungsbehörde war der Vizebürgermeister, der in erster Instanz für die Gemeinde als Baubewilligungswerberin eingeschritten war. In der gegen den Berufungsbescheid erhobenen Vorstellung an die Landesregierung, in der die Interessensverquickung der Berufungsbehörde mit der Baubewilligungswerberin darlegt wurde, erfolgte die inkriminierte Aussage.
4.2. Der Verfassungsgerichtshof vermag in der inkriminierten Aussage eine Beleidigung nicht zu erkennen. Die Äußerung drückte den Unmut des Beschwerdeführers über die Rechtslage aus. Damit wurde aber - wenn auch mit einem möglichen Wortüberschwang - nur zum Ausdruck gebracht, daß eine bestimmte prozessuale Fallkonstellation - nämlich die Verquickung von hoheitlichen und privatwirtschaftlichen Befugnissen - in einem Regime wie dem von Ceaucescu, nicht aber in einem Rechtsstaat wie der Republik Österreich verständlich sei. Nach §9 Abs1 RAO ist ein Rechtsanwalt befugt, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung fordert besondere Zurückhaltung bei der Beurteilung einer Äußerung als strafbares Disziplinarvergehen. Der Verfassungsgerichtshof ist der Meinung, daß die inkriminierte Aussage noch als zulässiges Angriffs- und Verteidigungsmittel im Sinne der RAO zu werten ist. Der Verfassungsgerichtshof ist - angesichts des Hintergrunds des der Vorstellung vorangegangenen baubehördlichen Verfahrens - der Meinung, daß eine demokratische Gesellschaft die in Rede stehende Aussage hinnehmen kann, ohne daß ihre öffentliche Ordnung, der Schutz des guten Rufes oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung Schaden erleiden. Eine verfassungskonforme Auslegung der angewendeten - verfassungsgesetzlich unbedenklichen - Vorschrift muß daher zum Ergebnis führen, daß ein Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und eines die Ehre und das Ansehen des Standes beeinträchtigenden Verhaltens nicht stattgefunden hat.
5. Der angefochtene Bescheid verletzt den Beschwerdeführer daher im Recht auf freie Meinungsäußerung. Er war daher aufzuheben.
III. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, und Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
IV. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Prozeßkosten sind S 2.500,-- an Umsatzsteuer enthalten.
Schlagworte
Meinungsäußerungsfreiheit, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Rechtsanwälte, Auslegung verfassungskonformeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1992:B13.1992Dokumentnummer
JFT_10079376_92B00013_00