TE Vwgh Erkenntnis 1994/11/25 94/19/0420

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Veröffentlicht am 25.11.1994
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §19 Abs1 Z2;
AVG §39 Abs2;
ZustG §8 Abs1;
ZustG §8 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Stöberl, Dr. Holeschofsky und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des K alias R, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. Mai 1993, Zl. 4.330.140/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG erlassenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. Mai 1993 wurde in Erledigung der Berufung des Beschwerdeführers - eines Staatsangehörigen von Ghana, der am 19. Jänner 1992 in das Bundesgebiet eingereist war und am 22. Jänner 1992 einen Asylantrag gestellt hatte - gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 12. März 1992 - mit dem festgestellt worden war, daß bei ihm die Voraussetzungen für seine Anerkennung als Flüchtling nicht vorlägen - ausgesprochen, daß der Asylantrag gemäß § 19 Abs. 1 Asylgesetz 1991 abgewiesen wird und damit die Asylgewährung versagt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark als Erstbehörde hat ihren abweislichen Bescheid damit begründet, daß dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft (im Sinne der damals anzuwendenden Rechtslage gemäß § 1 Asylgesetz (1968) in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) nicht zukomme.

Der Beschwerdeführer hat in seiner dagegen erhobenen Berufung diese Beurteilung der Erstbehörde bekämpft und im einzelnen dargelegt, aus welchen Gründen seine Flüchtlingseigenschaft anerkannt und ihm Asyl hätte gewährt werden müssen.

Die belangte Behörde hat - ohne sich mit der Frage der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen - den Asylantrag des Beschwerdeführers unter Heranziehung des § 19 Abs. 1 Z. 2 Asylgesetz 1991 deshalb abgewiesen, weil sie der Ansicht war, daß der Beschwerdeführer eine Änderung der Abgabestelle (§ 8 Abs. 1 Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982) nicht rechtzeitig mitgeteilt habe. Er habe sich am 19. März 1993 von seiner Unterkunft in G abgemeldet und der Behörde eine andere Abgabestelle nicht bekanntgegeben; eine andere Abgabestelle habe die Behörde nicht ermitteln können.

Der Beschwerdeführer bestreitet, daß er den von der belangten Behörde herangezogenen Tatbestand des § 19 Abs. 1 Z. 2 Asylgesetz 1991 verwirklicht habe. Er bringt dazu in tatsächlicher Hinsicht im wesentlichen vor, er sei in dem in der Alpenregion gelegenen Gasthof "K" in G untergebracht gewesen und habe sich wegen fehlender warmer Bekleidung dort "unglücklich gefühlt". Er habe aber von einem Freund in Wien die Zusicherung erhalten, daß dieser ihm mit warmer Bekleidung aushelfen werde und deshalb im Gasthof "K" bekanntgegeben, daß er "kurze Zeit besuchsweise nach Wien reisen werde"; dies sei auch geschehen. Da er die ihm zugesicherte Hilfe in Wien nicht habe erlangen können, sei er wieder zum Gasthof "K" zurückgekehrt; dieser Gasthof sei in der Zwischenzeit aber gesperrt worden. Aus diesem Grund habe er sich dann nach Graz begeben und dort über Vermittlung der Flüchtlingshilfsorganisation "Z" eine Unterkunft in Graz, P-Straße 59, erhalten. Hinsichtlich dieser Unterkunft sei eine ordnungsgemäße Anmeldung beim Meldeamt der Bundespolizeidirektion Graz vorgenommen worden.

In § 19 Abs. 1 Z. 2 Asylgesetz 1991, welches Gesetz gemäß seines § 25 Abs. 2 von der belangten Behörde anzuwenden war, weil das dem Beschwerdefall zugrundeliegende Berufungsverfahren dort am 1. Juni 1992 bereits anhängig war, wird normiert, daß Asylanträge in jedem Stand des Verfahrens abzuweisen sind, wenn der Asylwerber eine Änderung der Abgabestelle (§ 8 Abs. 1 Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982) nicht rechtzeitig mitgeteilt hat. Nach den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage 270 BlgNr. 18. GP stand hinter der Einführung dieser Bestimmung die Erkenntnis, daß es "aus Gründen der Administration zwingend notwendig" sei, eine "gesetzliche Möglichkeit vorzusehen, in bestimmten Situationen das Asylverfahren auch vor Abschluß des Ermittlungsverfahrens zu beenden", dies unter dem Gesichtspunkt, daß "bisher die Behörde mangels einer diesbezüglichen Norm ein Verfahren nicht abschließen konnte, wenn der Asylwerber den Ausgang dieses Verfahrens nicht abgewartet hat, weil er entweder während des Verfahrens in die Illegalität ging oder aber Österreich verlassen hat". Durch die Einführung der Bestimmung des § 19 Abs. 1 leg. cit. sollte nach den Intentionen des Gesetzgebers dieser Mißstand beseitigt werden. Er begründete in den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage diesen Schritt weiters damit, ein Abschluß eines Asylverfahrens mit negativem Bescheid, ohne in die Sache eingehen zu müssen, erscheine in den in Abs. 1 leg. cit. aufgezählten Gründen gerechtfertigt, "weil der Asylwerber in diesen Fällen zu erkennen gibt, daß er aus welchen Gründen immer an einer Asylgewährung offenbar nicht mehr interessiert ist". Der Gesetzgeber geht damit im Anwendungsbereich des § 19 Abs. 1 von der - widerlegbaren - Vermutung aus, dem Asylwerber fehle es in diesen Fällen am erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Die Widerlegbarkeit dieser Vermutung wird insbesondere dadurch deutlich, daß in den Fällen der Abwesenheit oder Unauffindbarkeit des Asylwerbers (§ 19 Abs. 1 Z. 1 und 2 leg. cit.), ein Antrag auf Wiedereinsetzung möglich ist, während dies für den dritten Fall des § 19 Abs. 1 (Weigerung des Asylwerbers an der erkennungsdienstlichen Behandlung mitzuwirken) nicht der Fall ist. Die Bestimmungen des § 19 Abs. 1 Z. 1 und 2 Asylgesetz 1991 haben daher keinen pönalen Charakter, sondern dienen ausschließlich der Verfahrensökonomie. Die Behörde darf sich aus diesem Grunde nicht auf die Unterlassung der PERSÖNLICHEN Bekanntgabe der Änderung der Abgabestelle berufen, wenn ihr diese auf anderem Wege bereits bekannt geworden ist. Während die Bestimmung des § 8 Abs. 1 Zustellgesetz ("unverzüglich") einen unmittelbaren zeitlichen Bezug aufweist (ohne Verzug, ohne unnötigen Aufschub), setzt "Rechtzeitigkeit" im Sinne des § 19 Abs. 1 Z. 2 leg. cit. voraus, daß die Behörde durch die Unterlassung der Mitteilung an der Fortsetzung des Verfahrens insoweit gehindert wird, als sie ihre Verpflichtungen aus den von ihr einzuhaltenden Verfahrensbestimmungen des Asylgesetzes bzw. des AVG, soweit sie die Zuziehung des Asylwerbers erfordern und die für den Abschluß des Verfahrens unerläßlich sind, nicht erfüllen kann (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. September 1994, Zlen. 93/01/0823 bis 0825).

Vor dem Hintergrund dieser Judikatur erweist sich der angefochtene Bescheid jedoch als inhaltlich rechtswidrig, weil auch im vorliegenden Beschwerdefall die Voraussetzungen für eine Anwendung des § 19 Abs. 1 Z. 2 Asylgesetz 1991 nicht vorgelegen haben.

Weder aus dem Inhalt des angefochtenen Bescheides - der am 2. Juni 1993 in der Form erlassen wurde, daß der mit 13. Mai 1993 datierte Bescheid unter Berufung auf § 19 Abs. 3 Asylgesetz 1991 ab dem 2. Juni 1993 bei der belangten Behörde zur Abholung bereitgehalten wurde - noch aus den vorgelegten Verwaltungsakten ist zu erkennen, welche Informationsquelle der belangten Behörde im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides zu der Beurteilung geführt hat, daß der Beschwerdeführer seine Abgabestelle geändert, aber gleichzeitig keine andere bekanntgegeben habe. Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten lag der belangten Behörde im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nämlich lediglich ein am 14. Februar 1992 eingelangtes Schreiben der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vor, wonach ein Asylwerber namens R aus O keinen Wohnsitz mitgeteilt habe. Daß dieser Asylwerber mit dem Beschwerdeführer ident sein könnte, ist nach dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakte aber erst für einen nach Erlassung des angefochtenen Bescheides gelegenen Zeitpunkt durch das am 21. Februar 1994 bei der belangten Behörde eingelangte Telefax der Bundespolizeidirektion Wien belegt. Hingegen sind dem angefochtenen Bescheid taugliche Gründe, warum die belangte Behörde ohne Heranziehung des in Anwendung gebrachten Abweisungsgrundes an der Fortsetzung des Berufungsverfahrens gehindert war bzw. inwieweit dafür eine Mitwirkung des Asylwerbers erforderlich gewesen wäre, nicht zu entnehmen. Dem Beschwerdeführer muß daher beigepflichtet werden, daß die belangte Behörde seine Berufung keiner "Formalentscheidung" sondern einer sachlichen Erledigung hätte unterziehen müssen.

Des weiteren ist den vorgelegten Verwaltungsakten zu entnehmen, daß die Bezirkshauptmannschaft Voitsberg am 13. Juli 1993 mitgeteilt hat, daß der Beschwerdeführer nach Graz verzogen sei. Wie sich aus einem im Rahmen des hg. Verfahrens zur Erlangung der Verfahrenshilfe (zur hg. Zl. VH 93/01/0512) vorgelegten Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Voitsberg vom 1. Juli 1993 ergibt, hat diese Behörde - der die Abgabestelle des Beschwerdeführers offenkundig bekannt war - den angefochtenen Bescheid an den Beschwerdeführer übermittelt; dieser ist dem Beschwerdeführer am 2. Juli 1993 an der Abgabestelle in Graz, P-Straße, tatsächlich zugekommen. Danach kann aber nicht nachvollzogen werden, welche erfolglosen Bemühungen die belangte Behörde angestellt hat, um eine geänderte Abgabestelle des Beschwerdeführers zu ermitteln bzw. auf welche Informationsquelle im angefochtenen Bescheid die Feststellung gestützt wird, die Behörde habe eine andere Abgabestelle nicht ermitteln können.

Für eine Anwendung des § 19 Abs. 1 Z. 2 Asylgesetz 1991 bestand somit kein Anlaß.

Der angefochtene Bescheid war aus den dargelegten Gründen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 1 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesonders deren Art. III Abs. 2. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer bereits im Pauschalbetrag für den Schriftsatzaufwand enthalten ist.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994190420.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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