TE Vwgh Erkenntnis 1994/11/29 94/05/0318

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Veröffentlicht am 29.11.1994
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
22/02 Zivilprozessordnung;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §1026;
ABGB §1332;
AVG §10 Abs1;
AVG §10 Abs2;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg;
ZPO §146 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Hauer und die Hofräte Dr. Degischer, Dr. Giendl, Dr. Kail und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde des W in Wels, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 9. September 1994, Zl. BauR-011061/6-1994 Jo/Vi, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Bausache, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus der Beschwerde und dem vorgelegten Bescheid ergibt sich nachstehender Sachverhalt:

Mit Bescheid vom 14. Jänner 1991 wies der Magistrat der Stadt Wels das Ansuchen des Beschwerdeführers um Erteilung einer Baubewilligung für einen Abstellraum sowie für Umwidmungen von Kellerräumen auf den Grundstücken Nr. n1 und n2, je KG Lichtenegg, ab. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, den konsenslos errichteten Abstellraum bei einem näher bezeichneten Objekt auf den genannten Grundstücken binnen drei Monaten ab Rechtskraft des Bescheides zu entfernen. Der gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung des Beschwerdeführers gab der Stadtsenat der Stadt Wels mit Bescheid vom 5. Juli 1993 keine Folge.

Aufgrund der dagegen erhobenen Vorstellung des Beschwerdeführers hob die belangte Behörde mit Bescheid vom 2. November 1993 den Bescheid des Stadtsenates vom 5. Juli 1993 auf und verwies die Angelegenheit zur Ergänzung des Sachverhaltes und neuerlichen Entscheidung an den Stadtsenat der Stadt Wels. Die bewilligungspflichtigen Maßnahmen seien nicht zwingend als Einheit zu sehen, woraus ein Anspruch auf getrennten Abspruch über die Errichtung eines Abstellraumes und die Umwidmung der Kellerräume ableitbar sei. Der Sachverhalt sei ergänzungsbedürftig. Mit einem neuerlichen Bescheid des Stadtsenates vom 6. Juni 1994 wurde aufgrund der Berufung des Beschwerdeführers der erstinstanzliche Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Baubehörde erster Instanz verwiesen. Der Bescheid des Stadtsenates der Stadt Wels vom 6. Juni 1994 wurde dem Vertreter des Beschwerdeführers am 8. Juni 1994 zugestellt. Mit Schreiben vom 8. Juni 1994, beim Magistrat der Stadt Wels am 9. Juni 1994 eingelangt, gab der Vertreter des Beschwerdeführers die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses bekannt. Mit Schreiben vom 25. Juni 1994, das am 27. Juni 1994 zur Post gegeben wurde, brachte der Beschwerdeführer die Vorstellung gegen den Bescheid des Stadtsenates der Stadt Wels vom 6. Juni 1994 ein. Mit Schreiben vom 12. Juli 1994 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, daß beabsichtigt sei, seine Vorstellung zufolge Verspätung zurückzuweisen. Mit einem Schreiben vom 9. August 1994 teilte der Beschwerdeführer mit, daß die Vorstellung sehr wohl rechtzeitig eingebracht worden sei; er halte sich seit Mai 1994 aus beruflichen Gründen vor allem in Zell am See und Wien auf. Daher habe er erst am 13. Juni 1994 Kenntnis vom gegenständlichen Bescheid erlangt, es sei daher die Vorstellung fristgerecht erhoben worden. Die Zustellung an den seinerzeitigen Rechtsvertreter habe keine Rechtswirkungen mehr, da das Vollmachtsverhältnis am 8. Juni 1994 aufgelöst worden sei. Mit einem weiteren Schreiben vom 9. August 1994 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung der Vorstellung. Er brachte abermals eine Vorstellung ein. Der Antrag auf Wiedereinsetzung wurde damit begründet, daß es für den Beschwerdeführer ein unabwendbares Ereignis darstelle, wenn sein damaliger Rechtsvertreter den Bescheid des Stadtsenates der Stadt Wels vom 6. Juni 1994 am 8. Juni 1994 zugestellt erhalten habe und seiner Fortsetzungpflicht nicht nachgekommen sei. Der Beschwerdeführer selbst hätte nicht früher Vorstellung erheben können, da er den Bescheid erst am 13. Juni 1994 erhalten habe. Es träfe ihn daher an der Versäumung auch keinerlei Verschulden.

Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 9. September 1994 wurde dem Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung der Vorstellung keine Folge gegeben. Gleichzeitig wurde die Vorstellung des Beschwerdeführers vom 25. Juni 1994 gegen den Bescheid des Stadtsenates der Stadt Wels vom 6. Juni 1994 als verspätet zurückgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Bewilligung der Wiedereinsetzung verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber erwogen:

Zutreffend ist schon die belangte Behörde davon ausgegangen, daß die Zustellung des Bescheides des Stadtsenates der Stadt Wels vom 6. Juni 1994 am 8. Juni 1994 an den (damaligen) Vertreter des Beschwerdeführers rechtswirksam erfolgte, da die Kündigung des Vollmachtsverhältnisses der Behörde gegenüber erst am 9. Juni 1994, dem Einlangen der Bekanntgabe der Auflösung des Vollmachtsverhältnisses, rechtswirksam erfolgte. Gemäß den nach § 10 Abs. 2 AVG heranzuziehenden Vorschriften des Bürgerlichen Rechtes (§ 1026 ABGB) treten die Wirkungen der Aufhebung einer Vollmacht dem Dritten (hier Baubehörde zweiter Instanz) gegenüber solange nicht ein, als sie ohne sein Verschulden unbekannt war (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. Mai 1989, Zl. 89/01/0104).

Da die Zustellung des Bescheides am 8. Juni 1994 rechtswirksam erfolgte, begann die Vorstellungsfrist mit diesem Tag zu laufen. Die belangte Behörde ging daher zurecht davon aus, daß die Vorstellung verspätet erhoben wurde.

Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 25. März 1976, Slg. Nr. 9.024/A, ausgesprochen, daß nicht nur ein äußeres Ereignis, sondern auch ein Irrtum ein "Ereignis" im Sinne des § 71 Abs. 1 AVG sein kann. Nach ständiger hg. Rechtsprechung ist ein Ereignis unvorhergesehen, wenn die Partei es tatsächlich nicht mit einberechnet hat und dessen Eintritt unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden konnte. Das im Begriff der "Unvorhergesehenheit" gelegene Zumutbarkeitsmoment ist dahin zu verstehen, daß die erforderliche zumutbare Aufmerksamkeit dann noch gewahrt ist, wenn der Partei in Ansehung der Wahrung der Frist nur ein "minderer Grad des Versehens" (seit der AVG-Novelle 1990 BGBl. Nr. 357) unterläuft (siehe den hg. Beschluß vom 26. November 1992, Zl. 92/06/0222). Ein solcher "minderer Grad des Versehens" (§ 1332 ABGB) liegt nur dann vor, wenn es sich um leichte Fahrlässigkeit handelt, also dann, wenn ein Fehler begangen wird, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, wobei an beruflich rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige Personen (siehe Fasching, Zivilprozessrecht2, Rz. 580, sowie das hg. Erkenntnis vom 26. April 1994, Zl. 93/05/0104).

Der Beschwerdeführer, der seinem ersten Schreiben vom 9. August 1994 zufolge Kenntnis davon hatte, daß das Vollmachtsverhältnis am 8. Juni 1994 aufgelöst worden ist, hatte am 13. Juni 1994 jedenfalls Kenntnis vom Bescheid des Stadtsenates vom 6. Juni 1994. Wenn der Beschwerdeführer nun vorbringt, es möge zutreffen, daß die Unkenntnis über die Rechtslage im allgemeinen keinen Wiedereinsetzungsgrund darstelle, im besonderen Fall müsse sie jedoch als unabwendbares Ereignis angesehen werden, wobei zu bedenken sei, daß der Beschwerdeführer juristischer Laie sei und die rechtlichen Zusammenhänge hinsichtlich der Zustellungsvorschriften, insbesonders aber auch die Frage der Rechtswirkungen der Zustellung an einen Rechtsanwalt, der dem Klienten bereits die Vollmacht aufgelöst habe, nicht gekannt habe, so ist dazu auszuführen, daß der Verwaltungsgerichtshof immer wieder betont hat, daß die rein subjektive Beurteilung einer bestimmten Rechtslage den Wiedereinsetzungswerber niemals hindern könne, sich über die Wirkung eines Bescheides vorsorglich bei Rechtskundigen zu informieren (vgl. das o.a. hg. Erkenntnis vom 26. April 1994, Zl. 93/05/0104, und die dort zitierte Vorjudikatur). Der Beschwerdeführer hat es aber unterlassen, irgendwelche Erkundigungen in diesem Sinne einzuholen, obwohl er in Kenntnis davon, daß der Bescheid des Stadtsenates vom 6. Juni 1994 erlassen, aber ihm dieser nach seinen eigenen Angaben nicht zugekommen war, daran zweifeln mußte, daß die Berufungsfrist erst am 13. Juni 1994 zu laufen begonnen hätte. Dem Beschwerdeführer wäre es zuzumuten gewesen, sich über die Fragen des Fristenlaufes zu informieren. Die Sorglosigkeit, die zur Fristversäumung führte, erlaubt die Annahme eines bloß minderen Grades des Versehens nicht. Der Umstand, daß der Beschwerdeführer wußte, daß das Vollmachtsverhältnis Anfang Juni 1994 aufgelöst wurde und ihm der Bescheid, gegen den sich seine Vorstellung richtete, nach seinen eigenen Angaben in der Beschwerde gar nicht persönlich zugestellt wurde, der Bescheid aber dem Beschwerdeführer am 13. Juni 1994 "zur Kenntnis" gelangte, mußte ihn umsomehr veranlassen, sich ausreichend darüber zu informieren, wann und wem der mit Vorstellung bekämpfte Bescheid zugestellt worden war und welche Rechtswirkungen an diese Zustellung geknüpft waren. Da dieses Verhalten des Beschwerdeführers für die Fristversäumung kausal war, hat die belangte Behörde den Wiedereinsetzungsantrag zurecht abgewiesen.

Da somit schon der Inhalt der Beschwerde erkennen ließ, daß die vom Beschwerdeführer behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nicht öffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Schlagworte

Ende Vertretungsbefugnis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994050318.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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