Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §39 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Sauberer, DDr. Jakusch, Dr. Gall und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Werner, über die Beschwerde der H in M, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 14. April 1994, Zl. IIb2-V-9452/3-1994, betreffend Verweigerung einer Ausnahmebewilligung gemäß § 45 Abs. 2 StVO 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Tirol hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 14. April 1994 wies die Tiroler Landesregierung den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung von dem mit Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 15. November 1989 verordneten Fahrverbot auf der X-Straße, Gemeinde K in Tirol, jeweils in der Zeit vom 1. November bis 15. April, gemäß § 94b Abs. 1 lit. b und § 45 Abs. 2 StVO 1960 ab. Zur Begründung führte die Landesregierung aus, die Beschwerdeführerin habe zur Unterstützung ihres Antrages vorgebracht, die Unerreichbarkeit eines an sich durch eine Straße erschlossenen Eigentums sei ein schwerer Eingriff. Allein schon zum eigenen Haus fahren zu können, "sohin an einem gesunden Aufenthalt", sei Grund genug, ein persönliches Interesse anzunehmen. Dazu führte die Berufungsbehörde aus, entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin könne nicht schon die Erreichbarkeit eines Jagdhauses mit einem Fahrzeug ein erhebliches persönliches oder wirtschaftliches Interesse an der beantragten Ausnahmegenehmigung begründen. Auch die im Zuge des Verfahrens erwähnte Instandhaltungspflicht sei nicht näher ausgeführt und begründet worden, sodaß die Behörde das Vorliegen eines erheblichen wirtschaftlichen Interesses nicht habe feststellen können. Es treffe zwar zu, daß nach dem Motivenbericht zur Bestimmung des § 45 Abs. 2 StVO 1960 beispielsweise ein persönliches Interesse dann vorliege, wenn jemand eine Ausnahme von einem Parkverbot vor seinem Wohnhaus begehre, weil er schwer gehbehindert sei. Hier gehe es aber um die Erreichbarkeit eines Wohnhauses durch eine schwer körperbehinderte Person und nicht bloß um die Zufahrt zu einem Jagdhaus, wobei offenbar eine Körperbehinderung nicht vorliege. In jedem Fall dürfe auch selbst bei Vorliegen eines erheblichen persönlichen oder wirtschaftlichen Interesses eine Ausnahmebewilligung nur dann erteilt werden, wenn eine wesentliche Beeinträchtigung von Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs nicht zu erwarten sei. Wie dem Schutzgedanken der gegenständlichen Verordnung zu entnehmen sei, sei diese im Interesse der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs auf der X-Straße erlassen worden. Der Vertreter der Weginteressentschaft X-Tal habe erklärt, das X-Tal sei extrem lawinengefährdet und die Weginteressentschaft als Straßenerhalter könne im Winter die Verkehrssicherheit nicht gewährleisten. Wenn die Beschwerdeführerin demgegenüber einwende, die Weggemeinschaft habe keinen Einwand gegen eine Ausnahmebewilligung erhoben, so werde die daran geknüpfte Voraussetzung, nämlich, daß der Weggemeinschaft daraus keinerlei Haftung entstehe, übersehen. Durch die Erteilung der beantragten Ausnahmegenehmigung würde nach Ansicht der Berufungsbehörde eine trotz des Fahrverbotes allfällige bestehende Haftung der Weginteressentschaft entfallen. So gesehen wäre die Zustimmung der Weginteressentschaft mit keinem Risiko verbunden, sodaß der ins Treffen geführten Zustimmung keine große Bedeutung zukomme. Da sohin weder ein erhebliches persönliches oder wirtschaftliches Interesse der Beschwerdeführerin als Grund für die erbetene Ausnahmegenehmigung habe festgestellt werden können, noch eine wesentliche Beeinträchtigung von Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs ausgeschlossen werden könne, habe der Berufung keine Folge gegeben werden können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 45 Abs. 2 StVO 1960 in der im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides hier anzuwendenden Fassung vor der 19. Novelle (BGBl. Nr. 518/1994) kann die Behörde in anderen als den im Abs. 1 bezeichneten Fällen Ausnahmen von Geboten oder Verboten, die für die Benützung der Straße gelten, auf Antrag bewilligen, wenn ein erhebliches persönliches (wie z.B. auch wegen einer schweren Körperbehinderung) oder wirtschaftliches Interesse des Antragstellers eine solche Ausnahme erfordert oder wenn sich die ihm gesetzlich oder sonst obliegenden Aufgaben anders nicht oder nur mit besonderen Erschwernissen durchführen ließen und eine wesentliche Beeinträchtigung von Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs nicht zu erwarten ist.
§ 45 Abs. 2 leg. cit. sieht somit als Voraussetzung für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung einerseits das Vorliegen entsprechender Interessen auf Seite des Antragstellers und andererseits - kumulativ - das negative Tatbestandselement vor, daß durch die Ausnahmebewilligung eine wesentliche Beeinträchtigung von Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs nicht zu erwarten ist (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 24. Juni 1994, Zl. 93/02/0278). Zum Schutzbereich des Erfordernisses der "Sicherheit des Verkehrs" zählen nicht nur die außerhalb des Antragstellers gelegenen Sicherheitsinteressen, sondern auch die Interessen seiner eigenen Sicherheit.
Die belangte Behörde hat dies zwar zutreffend erkannt, hat aber bei Prüfung, ob im vorliegenden Fall die Tatbestandsvoraussetzungen des § 45 Abs. 2 StVO 1960 erfüllt sind, weder den Erfordernissen der im Verwaltungsverfahren geltenden Verpflichtung zur amtwegigen Erforschung der Wahrheit (§ 39 Abs. 2 AVG) noch der Verpflichtung zur ausreichenden Begründung des Bescheides (§ 60 AVG) entsprochen. Die Beschwerdeführerin hat nämlich anläßlich ihrer Vernehmung am 31. März 1993 einerseits Größe, Bauweise und Ausstattung des Hauses geschildert und andererseits dargelegt, daß sie sich bereits bisher mindestens 50 % der Zeit des Jahres in diesem Haus aufgehalten habe und die Absicht habe, sich in Zukunft überhaupt ganzjährig mit nur geringfügigen beruflich bedingten Abwesenheiten in diesem Haus aufzuhalten. Sie trage sich auch mit dem Gedanken, ihren ordentlichen Wohnsitz von M dorthin zu verlegen. Dennoch unterließ es die belangte Behörde - sofern sie Bedenken gegen die Richtigkeit dieser Darlegungen hatte -, darüber Ermittlungen anzustellen. Im angefochtenen Bescheid aber setzte sich die belangte Behörde mit diesem Vorbringen überhaupt nicht auseinander, sondern ging ohne jegliche Begründung davon aus, es handle sich um ein Jagdhaus, das mit einem Fahrzeug zu erreichen, kein persönliches oder wirtschaftliches Interesse an der beantragten Ausnahmebewilligung begründen könne.
Zum Tatbestandselement der fehlenden Beeinträchtigung von Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs wiederum begnügte sich die belangte Behörde mit der Feststellung, dem Schutzgedanken der in Rede stehenden Verordnung sei zu entnehmen, sie sei im Interesse der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs auf der X-Straße erlassen worden, die ihrerseits extrem lawinengefährdet sei, und es könne die Weginteressentschaft als Straßenerhalter im Winter die Verkehrssicherheit nicht gewährleisten. Bei dieser Beurteilung übersah die belangte Behörde, daß das in Rede stehende Fahrverbot nicht absolut gilt, sondern in der bezughabenden Verordnung durch mehrere Ausnahmen eingeschränkt ist. Die belangte Behörde hätte daher aus dem Gedanken der Amtswegigkeit des Ermittlungsverfahrens heraus zu prüfen gehabt, ob nicht die Situation der Beschwerdeführerin - sei es, weil das gegenständliche Haus an einer Stelle liegt, die auch bei generell herrschender Lawinengefahr noch ohne Gefährdung durch Lawinen erreicht werden kann, sei es, daß die Beschwerdeführerin etwa infolge besonderer Kenntnis der örtlichen Verhältnisse in der Lage ist, von sich aus einer allenfalls drohenden Gefahr zu begegnen, sei es aus anderen Gründen - jener vergleichbar ist, in der sich jene Personen befinden, zu deren Gunsten bereits in der Verordnung eine Ausnahme vom Fahrverbot normiert wurde. Sollte derartiges nämlich zutreffen, so könnte eine der Beschwerdeführerin erteilte Ausnahmebewilligung nach § 45 Abs. 2 StVO 1960 nicht dem der gegenständlichen Verordnung zugrundeliegenden Schutzgedanken widersprechen, sodaß der Erteilung einer solchen Ausnahmebewilligung das Tatbestandselement der wesentlichen Beeinträchtigung der Sicherheit des Verkehrs nicht entgegenstünde.
Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2. Das Stempelgebührenaufwand betreffende Mehrbegehren war abzuweisen, da die Beschwerde nur zweifach einzubringen war und für die Vorlage des angefochtenen Bescheides Stempelgebühren nur in der Höhe von S 60,-- zu entrichten waren.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994030127.X00Im RIS seit
12.06.2001