TE Vfgh Erkenntnis 1992/9/28 B1438/91

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.09.1992
beobachten
merken

Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

StGG Art5
Schiedskommissionsverordnung, BGBl 128/1991 §20 Abs2
AVG §76 Abs5
ASVG §345

Leitsatz

Verletzung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger im Recht auf Unversehrtheit des Eigentums durch Vorschreibung von Sachverständigengebühren im Verfahren vor der Landesberufungskommission; Landesberufungskommission funktionell als Organ des Bundes tätig; analoge Anwendung einer den Personalaufwand regelnden Bestimmung der Schiedskommissionsverordnung auf Sachverständigengebühren ausgeschlossen

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) ist verpflichtet, der beschwerdeführenden Partei die mit S 15.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mit "Beschluß" der Landesberufungskommission für Kärnten vom 30. Oktober 1991 wurden im Verfahren der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter gegen einen Vertragsfacharzt wegen Verstoßes gegen §8 Abs2 des Gesamtvertrages Sachverständigengebühren festgelegt und die Ärztekammer für Kärnten sowie der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger zur Tragung und Überweisung dieser Gebühren an die Sachverständigen verhalten.

Dieser Bescheid ist im wesentlichen wie folgt begründet:

"Im vorliegenden Fall gibt es für die von den Sachverständigen erbrachten Leistungen keine Gebührenansätze. Es kommt daher die Vorschrift des §34 Abs2 GebAG zur Anwendung. Dabei ist eine weitgehende Annäherung der Gebühren an die Einkünfte anzustreben, die der Sachverständige für eine gleiche oder ähnliche Tätigkeit im außergerichtlichen Erwerbsleben üblicherweise bezöge. ...

Für das Verfahren vor der Landesberufungskommission gilt die Schiedskommissionsverordnung, BGBl Nr. 128/91. Dort wird für die Landesberufungskommission lediglich im §20 bestimmt, daß die Beisitzer ihre Tätigkeit ehrenamtlich ausüben, während die Vorsitzenden eine Entschädigung erhalten wobei diese einerseits von der in Betracht kommenden gesetzlichen Interessensvertretung, andererseits vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger je zur Hälfte getragen werden. Da in der Schiedskommissionsverordnung darüber hinaus eine Bestimmung über die sonst der Kommission entstehenden Kosten nicht enthält, greifen die Vorschriften des AVG Platz. Darüber hinaus ist eine analoge Anwendung des §20 der SchKV notwendig und wohl auch zulässig.

Gemäß §74 AVG hat zunächst jede Behörde die ihr in Verwaltungsverfahren erwachsenen Kosten selbst zu tragen. Nach der Vorschrift des §75 Abs2 AVG ist die Heranziehung der BETEILIGTEN zu anderen als den in den §76 bis 78 AVG vorgesehenen Leistungen unter welchem Titel immer, unzulässig. Folgt man nun der Bestimmung des §76 Abs1 AVG so gilt, daß dann wenn einer Behörde bei einer Amtshandlung Barauslagen erwachsen, daß hiefür - sofern nach den Verwaltungsvorschriften nicht auch diese Barauslagen von Amtswegen zu tragen sind - im allgemeinen die Parteien aufzukommen haben, die um die Amtshandlung angesucht haben. Als Barauslagen im Sinne dieser Gesetzesstelle gelten auch die Gebühren, die den Sachverständigen und Dolmetschern zustehen. Darüberhinaus bestimmt Abs2 des §76 AVG, daß dann, wenn die Amtshandlung durch das Verschulden eines anderen Beteiligten verursacht wurde, die Auslagen von diesem zu tragen sind. Schließlich sieht §76 Abs5 AVG vor, daß die den Sachverständigen und Dolmetschern zustehenden Gebühren - falls sie für die Beteiligten des Verfahrens nicht aufzukommen haben - von jenen Rechtsträgern zu tragen sind, in dessen Namen die Behörde in der Angelegenheit gehandelt hat.

Soweit die Landesberufungskommission daher bei dem Ausspruch über die Verpflichtung der Kostentragung die Vorschrift des §20 Abs2 der SchKV analog anwendet, läßt sich dies letzten Endes auch mit den Bestimmungen des §76 AVG in Einklang bringen."

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, mit der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums sowie die allfällige Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm geltend gemacht werden und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift jedoch nicht erstattet.

3. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

3.1. Die beschwerdeführende Partei bringt vor, die belangte Behörde habe bei Erlassung des angefochtenen Bescheides einen so schweren Fehler begangen, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen sei. Die Landesberufungskommission für Kärnten habe die Bestimmung des §20 Abs2 Schiedskommissionsverordnung 1991, BGBl. Nr. 128/1991, zu Unrecht in Analogie herangezogen. Gemäß §76 Abs5 AVG seien die den Sachverständigen zustehenden Gebühren - falls hiefür nicht die Beteiligten des Verfahrens aufzukommen haben - von jenem Rechtsträger zu tragen, in dessen Namen die Behörde in der Angelegenheit gehandelt habe. Eine Partei habe gemäß §76 Abs1 AVG für die Barauslagen und damit auch für die Sachverständigengebühren dann aufzukommen, wenn sie um die Amtshandlung angesucht habe. Nach §76 Abs2 AVG habe ein anderer Beteiligter die Barauslagen zu tragen, wenn er sie verursacht habe; wurde die Amtshandlung von Amts wegen angeordnet, so belasten die Auslagen den Beteiligten dann, wenn sie durch sein Verschulden herbeigeführt worden sind. Diese Kostentragungsregelung gelte gemäß §347 Abs4 ASVG auch für das Verfahren vor der Landesberufungskommission; eine planwidrige Rechtslücke liege keinesfalls vor, weshalb eine analoge Anwendung der Schiedskommissionsverordnung rechtswidrig sei. Dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger sei im durchgeführten Verfahren auch weder die Stellung einer Partei noch eines Beteiligten zugekommen. Da die Landesberufungskommission ihre Grundlage in §345 Abs1 ASVG habe, sei sie als Bundesbehörde zu qualifizieren; Rechtsträger der Landesberufungskommission sei somit der Bund. Diesen hätten daher auch die Sachverständigenkosten zu treffen. Würde man aber eine analoge Anwendung des §20 Abs2 der Schiedskommissionsverordnung für zulässig halten, dann wäre diese Bestimmung gesetzwidrig, weil in §347 Abs4 ASVG ausdrücklich vorgesehen sei, daß für das Verfahren vor der Schiedskommission ausschließlich das AVG anzuwenden ist, sofern das ASVG nichts anderes anordnet.

3.2. Die Beschwerdevorwürfe treffen zu.

Der angefochtene Bescheid greift in das Eigentumsrecht ein. Dieser Eingriff ist nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10356/1985, 10482/1985, 11650/1988) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruht, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat, ein Fall, der nur dann vorliegt, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hat, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist.

Der angefochtene Bescheid stützt sich auf §76 Abs5 AVG, er ist daher nicht gesetzlos ergangen. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Bestimmung wurden weder vorgebracht noch sind solche im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof entstanden. Die behauptete Grundrechtsverletzung läge daher dann vor, wenn die Behörde das Gesetz denkunmöglich angewendet hätte.

Nach §76 Abs5 AVG treffen Sachverständigengebühren - falls hiefür nicht die Beteiligten des Verfahrens aufzukommen haben - jenen Rechtsträger, in dessen Namen die Behörde in der Angelegenheit gehandelt hat; damit treffen die Sachverständigengebühren, wenn dafür die Beteiligten nicht aufzukommen haben, jenen Rechtsträger, als dessen Organ die Landesberufungskommission fungiert. Dies ist aber, wie in der Beschwerde zu Recht geltend gemacht wird, der Bund, für den die belangte Behörde funktionell tätig ist.

Mit Recht ist die beschwerdeführende Partei auch der Ansicht, daß eine analoge Anwendung der Schiedskommissionsverordnung nicht in Frage kommt. Die Schiedskommissionsverordnung legt in §20 Abs2 ausdrücklich die Rechtsträger fest, die für die dem Vorsitzenden der Kommission gebührende Entschädigung aufzukommen haben. Gemäß §2 F-VG 1948 hat solche Aufwendungen - sofern die zuständige Gesetzgebung nichts anderes bestimmt (vgl. zB auch §1 Abs1 FAG 1989) - der Rechtsträger zu tragen, dessen Aufgaben von der Behörde besorgt werden; diesen Rechtsträger treffen nach der genannten Verfassungsbestimmung aber nicht die Aufwendungen einer konkreten Amtshandlung. Beim Personal- und Amtssachaufwand (s. §1 Abs1 FAG 1989) handelt es sich um Aufwendungen grundsätzlich anderer Natur als bei dem mit einer konkreten Amtshandlung verbundenen Sachaufwand, sodaß eine analoge Anwendung des §20 Abs2 der Schiedskommissionsverordnung auf Sachverständigengebühren ausgeschlossen ist.

Da aber auch nach §76 Abs5 AVG die beschwerdeführende Partei nicht als Rechtsträger in Frage kommt, in deren Namen die belangte Behörde in der Angelegenheit gehandelt hat, wurde die beschwerdeführende Partei wegen denkunmöglicher Anwendung des Gesetzes (nämlich §76 AVG und §20 Abs2 der Schiedskommissionsverordnung) im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.

3.3. Demnach war der Bescheid, da er zufolge seines Inhaltes und seiner sprachlichen Fassung untrennbar ist, zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 Abs2 VerfGG; in den zuerkannten Kosten ist USt in Höhe von S 2.500,-- enthalten.

Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren, Kostentragung (Verwaltungsverfahren), Sozialversicherung, Sachverständige, Gebühr (Sachverständige), Schiedskommission (Sozialversicherung)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:B1438.1991

Dokumentnummer

JFT_10079072_91B01438_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten