TE Vwgh Erkenntnis 1994/12/14 94/03/0149

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Veröffentlicht am 14.12.1994
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §39 Abs2;
AVG §66 Abs4;
ZustG §17 Abs1;
ZustG §17 Abs2;
ZustG §17 Abs3;
ZustG §4;
ZustG §8 Abs1;
ZustG §8 Abs2;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 94/03/0204

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte DDr. Jakusch und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Werner, über die Beschwerde des P in B, vertreten durch Dr. U, Rechtsanwalt, gegen die Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark 1.) vom 8. März 1994, Zl. UVS 303.2-16/93-21, und 2.) vom 8. März 1994, Zl. UVS 30.2-29/93-20, betreffend Übertretungen des Fernmeldegesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 25.780,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Post- und Telegraphendirektion für Steiermark als Fernmeldebehörde I. Instanz vom 10. November 1992, GZ. 343973-07/92, wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, a) in seiner Wohnung in der Zeit vom August 1991 bis 21. September 1992 eine in Österreich nicht zugelassene Funkanlage PRESIDENT Grant und in der Zeit vom September 1991 bis 21. September 1992 eine in Österreich nicht zugelassene Funkanlage STANDARD C528 unbefugt besessen zu haben, b) die Funkanlage PRESIDENT Grant in seiner Wohnung in der Zeit vom August 1991 bis 21. September 1992 unbefugt betrieben zu haben und c) die Funkanlage STANDARD C528 in seiner Wohnung in der Zeit vom September 1991 bis 21. September 1992 unbefugt betrieben zu haben. Er habe dadurch Verwaltungsübertretungen nach § 26 Abs. 1 Z. 1 und 2 Fernmeldegesetz, BGBl. 170/1949, begangen, weshalb zu a) eine Geldstrafe von S 5.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe) und zu b) und

c) jeweils Geldstrafen von S 5.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafen) und Freiheitsstrafen im Ausmaß von 10 Tagen verhängt wurden. Weiters wurden die beiden Sprechfunkanlagen sowie ein HF-Verstärker gemäß § 28 Fernmeldegesetz zu Gunsten der Republik Österreich für verfallen erklärt. In der Begründung des Bescheides, der an den Beschwerdeführer unter der Adresse

B 2, gerichtet war, wurde u.a. ausgeführt, im Zuge einer fernmeldebehördlichen Nachschau am 21. September 1992 seien in der Wohnung des Beschwerdeführers die genannten Sprechfunkanlagen vorgefunden worden. Die Behörde verfügte die Zustellung des Bescheides durch die Post an den Beschwerdeführer zu eigenen Handen an die Adresse B 2. Nach dem zweiten erfolglosen Zustellversuch wurde das Schriftstück beim Postamt hinterlegt, wobei die Abholfrist am 13. November 1992 begann.

Mit Berufung vom 11. Dezember 1992, eingebracht ebenfalls am 11. Dezember 1992, beantragte der Beschwerdeführer die gänzliche Aufhebung des Bescheides und die Einstellung des Strafverfahrens. Zur Rechtzeitigkeit der Berufung führte er aus, daß er nicht im Haushalt seiner Mutter in der B 2 wohne, sondern in dem einige Häuser davon entfernt liegenden Wohnhaus mit der Adresse S 12. Auch die fernmeldebehördliche Nachschau habe in diesem Wohnhaus, S 12, stattgefunden. Da die belangte Behörde die Zustellung des Bescheides an die Adresse der Wohnung seiner Mutter verfügt habe, habe die Hinterlegung nicht die Wirkung einer Zustellung erlangt. Die Zustellung sei daher erst mit der Behebung des Schriftstückes durch den Beschwerdeführer am 27. November 1992 erfolgt.

Mit Eingabe vom 20. Juli 1993 teilte der Beschwerdeführer der belangten Behörde mit, aus dem Erhebungsbericht der Fernmeldebehörde ergebe sich, daß die Beschlagnahme der Funkanlagen im Haus S 12 durchgeführt worden sei. In diesem Haus wohne der Beschwerdeführer zusammen mit seiner Freundin, den mütterlichen Haushalt unter der Adresse B 2 habe er schon vor Jahren verlassen.

Das Postamt B teilte der belangten Behörde mit, ein Lokalaugenschein habe ergeben, daß die Häuser B 2 und S 12 ca. 20 Meter voneinander entfernt lägen und der Zugang zum zweitgenannten Haus durch das erstgenannte Objekt führe. An der Wohnungstür des Hauses B 2 sei das Namensschild des Beschwerdeführers angebracht.

Mit Eingabe vom 4. Februar 1994 teilte der Beschwerdeführer mit, alle bisherigen fernmeldebehördlichen Amtshandlungen seien in der Wohnung des Beschwerdeführers an der Adresse S 12 durchgeführt worden. Dies sei der Fernmeldebehörde seit 10. Juni 1991 schon deshalb bekannt, weil ein Erhebungsbericht vom 10. Juni 1991 der Erhebungsbeamten Ing. W und Ing. L ausdrücklich die Wohnung S 12 aufweise. In diesem Erhebungsbericht sei die Wohnadresse des Beschwerdeführers mit S 12 angegeben und als "Inkassoadresse" - diese sei keine Abgabestelle iSd ZustellG - die Wohnadresse der Mutter (B 2) angeführt. Mit Bescheid vom 12. Juli 1991, Zl. 32206-7/91, sei der Beschwerdeführer bereits rechtskräftig verurteilt worden, an der Adresse S 12 vor dem 1. Juli 1991 ohne fernmeldebehördliche Genehmigung eine Fernseh- und Rundfunkempfangsanlage betrieben zu haben. Üblicherweise würden aber in einem unbewohnten Haus nicht Fernseh- und Radioprogramme empfangen. Der Beschwerdeführer besitze für die Zeit ab 1. Juli 1991 eine Rundfunkbewilligung des Rundfunkamtes Graz für die Wohnung S 12. Er habe seiner Mutter nicht Postvollmacht erteilt, sie leite jedoch bei ihr eingelangte, für den Beschwerdeführer bestimmte Post an diesen weiter und dürfe auch Geldbeträge in Empfang nehmen. Der Beschwerdeführer sei bereits nach Ableistung des Präsenzdienstes Anfang 1990 in die neue Wohnung im Haus S 12 eingezogen. Er bewohne in diesem Haus das Obergeschoß mit folgenden Räumen: Küche, Vorraum, Eßzimmer, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Bad und WC. Briefe seien dem Beschwerdeführer regelmäßig an die Adresse seiner Mutter zugestellt worden, welche sie in der Folge an ihn weitergeleitet habe. Anders habe es sich bei Paketen verhalten:

diese seien stets zur Übernahme durch den Beschwerdeführer an die Adresse S 2 zugestellt worden. Der Umstand, daß die Wohnung des Beschwerdeführers über den Hausdurchgang des Hauses B 2 zu erreichen sei, begründe im Durchgangshaus keine Abgabestelle iSd ZustellG. Als Beilage legte der Beschwerdeführer Fotos der Häuser B 2 und S 12 - beide stehen im Eigentum des Beschwerdeführers - sowie des Zuganges zum letztgenannten Haus vor. Des weiteren brachte er schriftliche Erklärungen der Mutter H H, der Tante I H, der Freundin I S und eines Bekannten mit Namen C S vor; in allen diesen schriftlichen Erklärungen wird bestätigt, daß der Beschwerdeführer die Wohnung im Haus S 12 bewohnt habe.

Im Zuge der am 8. März 1994 durchgeführten mündlichen Verhandlung sagte Ing. W, Bediensteter des Fernmeldebüros, als Zeuge aus, beim Einsatz am 21. September 1992 habe er im Haus S 12 eine werkstättenmäßige Einrichtung vorgefunden. Es habe eine ziemlich heruntergekommene Sitzgarnitur gegeben, auf welcher Gerümpel herumgelegen sei. Der Zeuge habe den großen Raum, in welchem sich die beschlagnahmten Gegenstände befunden hätten, und den danebenliegenden Raum aufgesucht. Es sei ihm nicht aufgefallen, daß eine Küche oder ein Badezimmer vorhanden gewesen wären. Die Häuser mit der Adresse B 2 einerseits und S 12 andererseits bildeten nach Ansicht des Zeugen keine bauliche Einheit, das letztgenannte Haus könne aber als eine Art Schuppen zum Haus B 2 gehören. Im Zuge der Amtshandlung im Jahr 1991 habe jemand ein Rohr auf das Eternitdach des Hauses S 12 geworfen, wodurch dieses Dach an einer Stelle durchgebrochen sei. Am Beginn der Amtshandlung vom 21. September 1992 sei dem Zeugen aufgefallen, daß dieses Loch noch vorhanden gewesen sei. Im Erhebungsbericht vom 10. Juni 1991 habe der Zeuge deshalb die Anschrift des Beschwerdeführers mit S 12 angegeben, weil der Beschwerdeführer ihm diese angegeben habe.

Weiters wurde Insp. J, Gendarmeriepostenkommando B, welcher bei der Amtshandlung am 21. September 1992 zur Assistenzleistung von Ing. W im Einsatz war, als Zeuge vernommen. Er gab an, daß er sich an vier Räume und ein WC im Haus S 12 erinnern könne. Es sei in jedem Raum ein Kasten gestanden; soweit die Kästen offen gewesen wären, sei ersichtlich gewesen, daß darin elektronisches Zubehör aufbewahrt würde. Wäsche und Kleidungsstücke habe der Zeuge nicht bemerkt. In jenem Raum, den der Zeuge als Küchenraum betrachtet habe, seien alte Küchenkästen vorhanden gewesen. Ob er eine Koch- und Spülgelegenheit vorgefunden habe, könne er nicht mehr sagen. Er könne sich auch nicht an eine Schlafgelegenheit erinnern. Er habe den Eindruck gewonnen, daß das Gebäude eine Werkstatt darstelle.

In der mündlichen Verhandlung vernahm die belangte Behörde schließlich auch Frau H H, die Mutter des Beschwerdeführers, als Zeugin. Sie sagte aus, der Beschwerdeführer habe früher in ihrer Wohnung B 2 gewohnt; im Herbst 1990 seien die früheren Mieter aus der Wohnung S 12 ausgezogen, und hätten Kästen sowie eine aus Gasherd, Abwasch, Kühlschrank und Küchenkästen bestehende Kücheneinrichtung zurückgelassen. Der Beschwerdeführer sei sodann im Frühjahr 1991 dort eingezogen, er habe die zurückgebliebenen Einrichtungsgegenstände übernommen. Zudem habe er von der Wohnung B 2 eine ausziehbare Schlafcouch mitgenommen. Der Beschwerdeführer bewahre seine Wäsche in seiner Wohnung in Kästen auf. WC und Bad mit Badewanne befänden sich in einem Raum; der Gasherd sei angeschlossen, die Gasflaschen stünden im Garten.

Die Berufung wurde mit den angefochtenen Bescheiden der belangten Behörde als verspätet zurückgewiesen, und zwar, soweit sie sich gegen Spruchpunkt a) des Straferkenntnisses richtet (unbefugter Besitz von Funkanlagen), mit dem zweitangefochtenen Bescheid, im übrigen mit dem erstangefochtenen Bescheid. Die Begründung der angefochtenen Bescheide ist im wesentlichen gleichlautend. Der Beschwerdeführer sei seit 18. September 1978 mit der Adresse B 2, polizeilich gemeldet. Er habe dem Postamt eine Anschriftänderung nicht bekanntgegeben, vielmehr sei an der Wohnungstüre des Hauses B 2 das Namensschild des Beschwerdeführers angebracht. Aus einer schriftlichen Aussage des Postzustellers ergebe sich, dieser habe davon ausgehen können, daß sich der Beschwerdeführer regelmäßig an der Abgabestelle aufhalte, weil bisher sämtliche Sendungen (z.B. auch das Arbeitslosengeld) von der Mutter des Beschwerdeführers übernommen worden seien. Auch werde die in den Postkasten eingelegte, an den Beschwerdeführer gerichtete Post regelmäßig entnommen. Die belangte Behörde nehme als erwiesen an, daß sich die Räumlichkeiten im Haus S 12 während der fernmeldebehördlichen Erhebungen im Jahr 1991 und im Jahr 1992 in einem solchen Zustand befunden haben, daß nicht davon ausgegangen werden könne, der Beschwerdeführer habe dort gewohnt. Es habe an jeglicher normalen Wohnungseinrichtung, insbesondere an einer normalen Schlafgelegenheit gefehlt. In den vorhandenen Kästen sei keinerlei Wäsche gesehen worden. Im Küchenraum seien zwar alte Küchenkästen vorhanden gewesen, diese seien aber nicht in entsprechender Verwendung gestanden. Die Räume seien nicht wohnungsmäßig, sondern werkstättenmäßig eingerichtet gewesen. Auch sei im Jahr 1991 ein Loch im Eternitdach des Hauses S 12 und der Decke entstanden, welches im Zeitpunkt der fernmeldebehördlichen Nachschau am 21. September 1992 noch immer vorhanden gewesen sei. Die Feststellungen gründeten sich auf die glaubwürdigen und widerspruchsfreien Angaben der Zeugen Ing. W und Revierinspektor R. Diesen stünden zwar die Angaben der als Zeugin vernommenen Mutter entgegen; es entspreche aber den Erfahrungen des täglichen Lebens, daß eine Mutter ihre Kinder zumindest nicht belaste. Da kein Grund gefunden werden könne, aus welchem die beiden anderen Zeugen wider besseres Wissen unwahre Angaben machen sollten, und im Hinblick auf den bei der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck messe die belangte Behörde diesen Aussagen mehr Glaubwürdigkeit zu als den Aussagen der Mutter des Beschwerdeführers. Es sei daher als erwiesen anzunehmen, daß der Beschwerdeführer die Räumlichkeiten im Hause S 12 zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Amtshandlung sowie vorher und nachher, insbesondere auch im Zeitpunkt der Zustellung des Straferkenntnisses, nicht als Wohnung benutzt habe. Die Benutzung zu Wohnzwecken, die einem durchschnittlichen bis unterdurchschnittlichen Standard entsprächen, sei mangels entsprechenden Mobiliars zu verneinen. Auch in Anbetracht des Umstandes, daß lediglich eine heruntergekommene Sitzgarnitur bzw. eine zu einer solchen verstellbaren Jokacouch vorhanden gewesen sei, aber keinerlei Kleidung, Wäsche und Eßgeschirr vorgefunden worden seien, könne davon ausgegangen werden, daß die Räumlichkeiten nicht bewohnt worden seien. Das Straferkenntnis sei dem Beschwerdeführer an die Adresse B 2 gesandt und beim zuständigen Postamt hinterlegt worden. Der Hinterlegung komme die Wirkung der Zustellung zu. Zudem sei zu beachten, daß der Beschwerdeführer der Erstbehörde eine Änderung seiner Anschrift bzw. Abgabestelle nicht bekanntgegeben habe, wozu er aber gemäß § 8 Abs. 1 ZustellG verpflichtet gewesen wäre. Vielmehr habe die Erstbehörde aufgrund der bisherigen Amtshandlungen gegenüber dem Beschwerdeführer und der dabei verfaßten Niederschriften, die stets die Wohnadresse mit B 2 angeben, davon ausgehen können, daß sich an dieser Adresse die Abgabestelle des Beschwerdeführers befinde. Die am 13. November 1992 erfolgte Zustellung durch Hinterlegung habe zur Folge, daß die Berufung des Beschwerdeführers verspätet eingebracht sei.

Gegen diese Bescheide wenden sich die vorliegenden Beschwerden.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsstrafakten vor und beantragte in ihren Gegenschriften die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat den Beschluß gefaßt, die Beschwerden wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zu verbinden, und über diese erwogen:

Gemäß § 4 ZustellG ist Abgabestelle im Sinne dieses Gesetzes der Ort, an dem die Sendung dem Empfänger zugestellt werden darf; das ist die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder der Arbeitsplatz des Empfängers, im Fall einer Zustellung anläßlich einer Amtshandlung auch deren Ort.

Gemäß § 13 Abs. 1 ZustellG ist die Sendung dem Empfänger an

der Abgabestelle zuzustellen.

§ 21 ZustellG lautet:

"(1) Dem Empfänger zu eigenen Handen zuzustellende Sendungen dürfen nicht an einen Ersatzempfänger zugestellt werden.

(2) Kann die Sendung beim ersten Zustellversuch nicht zugestellt werden, so ist der Empfänger schriftlich unter Hinweis auf die sonstige Hinterlegung zu ersuchen, zu einer gleichzeitig zu bestimmenden Zeit an der Abgabestelle zur Annahme des Schriftstückes anwesend zu sein. Dieses Ersuchen ist in den für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Zur angegebenen Zeit ist ein zweiter Zustellversuch durchzuführen. Ist auch dieser erfolglos, ist nach § 17 zu hinterlegen."

Gemäß § 17 Abs. 3 ZustellG gelten hinterlegte Sendungen mit dem ersten Tag der Abholfrist als zugestellt.

Gemäß § 8 Abs. 1 ZustellG hat eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen. Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist gemäß § 8 Abs. 2 ZustellG, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann.

Als Wohnung werden Räumlichkeiten verstanden, die im Zeitpunkt der Zustellung dem Empfänger tatsächlich als Unterkunft in der Art eines Heimes dienen, somit Räumlichkeiten, die der Empfänger tatsächlich benutzt, wo er gewöhnlich zu nächtigen oder sich sonst aufzuhalten pflegt (vgl. hg. Erkenntnis vom 30. Juni 1986, Zl. 88/10/0069). Auf die polizeiliche Meldung kommt es nicht an (vgl. hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1990, Zl. 90/11/0081). Eine sonstige Unterkunft ist eine nicht als Wohnung zu qualifizierende Unterkunft (vgl. hg. Erkenntnis vom 17. Juni 1992, Zl. 92/01/0317). Welche Abgabestelle die Behörde wählt, liegt in ihrem Ermessen (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, Wien 1994, Band 1, Seite 1036).

Im vorliegenden Fall ist strittig, ob im Haus in B 2, im Zeitpunkt der Zustellung eine Abgabestelle des Beschwerdeführers gegeben war.

Die belangte Behörde ging im angefochtenen Bescheid in sachverhaltsmäßiger Hinsicht davon aus, daß in den Räumlichkeiten des Hauses S 12 jegliche erforderliche Wohnungseinrichtung gefehlt habe und der Beschwerdeführer daher diese Räumlichkeiten nicht bewohnt habe. Im weiteren zog sie daraus die rechtliche Folgerung, daß die Räumlichkeiten im Haus B 2 Abgabestelle für den Beschwerdeführer seien.

Dem Verwaltungsgerichtshof steht die Kontrolle der Beweiswürdigung nur insoweit zu, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen, nicht aber, ob der Akt der Beweiswürdigung in dem Sinne richtig ist, daß z. B. eine den Beschwerdeführer belastende und nicht dessen Verantwortung entsprechende Sachverhaltsannahme den Tatsachen entspricht (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053).

Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren auf eine Rundfunkbewilligung des Rundfunkamtes Graz für das Haus S 12 als Indiz für das Bewohnen dieser Räumlichkeiten hingewiesen. Er hat darauf verwiesen, daß der Erhebungsbericht der Post- und Telegraphendirektion für Steiermark vom 10. Juni 1991 seine Wohnadresse mit S 12 ausweist und bereits im Rahmen dieser Erhebungen Ing. W tätig gewesen sei. Er hat weiters darauf verwiesen, daß die Bescheinigung über die vorläufige Beschlagnahme der Funkanlagen als Ort der Amtshandlung seine "Wohnung" in der B 2 ausweist und auch das Straferkenntnis der Post- und Telegraphendirektion für Steiermark vom 10. November 1992 als Tatort seine "Wohnung" bezeichnet, daß aber in beiden Fällen offenkundig und unstrittig die Räumlichkeiten im Haus S 12 gemeint gewesen seien. Weiters wurden im Verwaltungsverfahren u.a. die schriftlichen Bestätigungen von I S, der Freundin des Beschwerdeführers, und von C S vorgelegt, nach welchen es im Obergeschoß des Hauses S 12 Wohnräume gebe und der Beschwerdeführer dort spätestens seit September 1992 wohne; I S führt zudem diese Adresse als ihren Zweitwohnsitz an. Der Beschwerdeführer zeigt zu Recht auf, daß die belangte Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung auf keines dieser Vorbringen eingegangen ist. Bereits dadurch hat die belangte Behörde Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Aufgrund der Beschreibung der Einrichtung im Haus S 12 durch die Zeugen Ing. W und Rev.Insp. R läßt sich nicht mit Sicherheit ausschließen, daß der Beschwerdeführer dieses Objekt bewohnt hat, zumal Ing. W aussagte, daß er lediglich in einem großen Raum und einem Nebenraum gewesen sei, und sich Rev.Insp. R zwar an vier Räume und ein WC erinnern konnte, aber nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers - dem entsprechen auch die schriftlichen Bestätigungen von I S und C S - das Obergeschoß zusätzlich zum WC folgende fünf Räume aufgewiesen habe: Vorraum, Küche, Eßzimmer, Wohnzimmer, Schlafzimmer. Aktenwidrig ist die Annahme der belangten Behörde, anläßlich der fernmeldebehördlichen Nachschau im Jahre 1991 sei im Eternitdach und "in der Decke" ein großes Loch entstanden, welches auch noch bei der Amtshandlung am 21. September 1992 vorhanden gewesen sei. Auf einen derartigen Schaden verweist nämlich nur Ing. W in seiner Zeugenaussage, spricht dabei aber lediglich von einem Loch in Eternitdach. Schließlich ist darauf zu verweisen, daß Ing. W in der Berufungsverhandlung die vom Beschwerdeführer beigebrachten Fotos des Hauses S 12 vorgelegt wurden; Ing. Weber sagte zu diesen Fotos lediglich aus, er könne sich nicht erinnern, daß zum Zeitpunkt der Amtshandlung bereits Vorhänge vor den Fenstern gehangen wären. Wenn aber abgesehen von den Vorhängen des äußere Erscheinungsbild des Hauses, wie es aus den Fotos erkennbar ist, dem Erscheinungsbild im Zeitpunkt der Amtshandlung am 21. September 1992 entsprach, so ist dem Verwaltungsgerichtshof ohne nähere Erläuterung nicht einsichtig, daß dieses den Eindruck eines "Schuppens" vermittelt habe, wie dies Ing. W aussagte. Aus dem Vorstehenden ergibt sich aber, daß die belangte Behörde die Sachverhaltsfeststellung, der Beschwerdeführer habe das Haus S 12 nicht bewohnt, nicht in schlüssiger Beweiswürdigung getroffen hat.

Im vorliegenden Fall kommt es überdies nicht darauf an, ob sich im Haus S 12 eine Abgabestelle befand, sondern ob das Haus B 2 eine Abgabestelle des Beschwerdeführers darstellte. Zu Recht verweist die Beschwerde darauf, daß der angefochtene Bescheid keine Sachverhaltsfeststellungen enthält, aufgrund derer die Rechtsfrage, ob an der Adresse B 2 eine Abgabestelle iSd § 4 ZustellG für den Beschwerdeführer gegeben war, beurteilt werden könnte. Nun kann zwar der belangten Behörde zugute gehalten werden, daß der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren behauptet hat, aus der Wohnung seiner Mutter ausgezogen und zugleich in die Wohnung im Haus S 12 eingezogen zu sein, sodaß, wenn sich letztere Behauptung als unwahr erweist, ein Indiz gegen den Wahrheitsgehalt der ersten Behauptung vorliegt. Da aber im Verwaltungsverfahren eine schriftliche Erklärung der Mutter des Beschwerdeführers vorgelegt worden ist, nach welcher der Beschwerdeführer keine Möglichkeit mehr gehabt habe, in ihrer Wohnung zu übernachten - gleiches bestätigt eine schriftliche Erklärung der Tante des Beschwerdeführers -, und die Mutter als Zeugin in der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde ausgesagt hat, der Beschwerdeführer habe im Rahmen seines Umzuges seine Schlafcouch von ihrer Wohnung in das Haus S 12 verbracht - nach den Feststellungen der belangten Behörde befand sich im Haus S 12 eine Schlafcouch -, hätte die belangte Behörde jedenfalls sachverhaltsmäßige Feststellungen betreffend das Haus B 2 treffen müssen. Der Sachverhalt erweist sich somit in einem wesentlichen Punkt als ergängzungsbedürftig. Die belangte Behörde konnte diese Sachverhaltsfeststellungen nicht durch den Hinweis darauf ersetzen, daß der Beschwerdeführer Niederschriften über seine Einvernahmen unterfertigt habe, in welchen hinsichtlich der Personalangaben die Wohnadresse mit B 2 angegeben sei, weil das Vorliegen der relevanten Sachverhaltselemente nicht durch eine allfällige Zustimmung oder einen unterlassenen Widerspruch des Beschwerdeführers ersetzt werden kann. In diesem Sinne hat auch die Mitteilungspflicht nach § 8 Abs. 1 ZustellG - und die in § 8 Abs. 2 ZustellG vorgesehene Rechtsfolge - zur Voraussetzung, daß sich während eines Verfahrens die sachverhaltsmäßigen Voraussetzungen für eine Abgabestelle iSd § 4 ZustellG ändern; da aber der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren vorgebracht hat, daß bereits zu Beginn des gegenständlichen Verfahrens die sachverhaltsmäßigen Voraussetzungen für eine Abgabestelle an der Adresse B 2 nicht (mehr) gegeben gewesen seien, kann der Hinweis auf § 8 ZustellG entsprechende Feststellungen nicht entbehrlich machen.

Die angefochtenen Bescheide waren somit wegen Rechtwidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzugeben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994030149.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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