Index
24/01 Strafgesetzbuch;Norm
AVG §13a;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte DDr. Jakusch und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Werner, über die Beschwerde des J in S, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Salzburg vom 30. Mai 1994, Zl. UVS-3/2004/2-1994, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Salzburg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.950,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Hallein vom 29. März 1994 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 29. Oktober 1993 um 17.39 Uhr auf einer bestimmt bezeichneten Stelle der Tauernautobahn A10 einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw in Fahrtrichtung Salzburg gelenkt, und zwar trotz einer durch Vorschriftszeichen kundgemachten erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h mit einer Geschwindigkeit von mindestens 152 km/h. Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 52 lit. a Z. 10a StVO 1960 begangen, weshalb gemäß § 99 Abs. 3 lit. a leg. cit. eine Geldstrafe von S 5.000,-- verhängt wurde. In der Begründung des Bescheides wurde im wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe die Übertretung nicht bestritten. Angesichts der eklatanten Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit und in Anbetracht des Strafrahmens von bis zu S 10.000,-- sei die Strafe in der festgesetzten Höhe erforderlich, um dem Beschwerdeführer das Unrecht der Übertretung deutlich zu machen und ihn von der Begehung gleichartiger Übertretungen abzuhalten. Schließlich wird ausgeführt: "Die allseitigen Verhältnisse des Beschuldigten wurden entsprechend berücksichtigt".
Ausschließlich gegen den Ausspruch über die Strafe wendet sich die vom Beschwerdeführer eingebrachte Berufung, welche mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen wurde. Zur Begründung wird ausgeführt, auch wenn die strafbare Handlung im gegenständlichen Fall keine nachteiligen Folgen nach sich gezogen habe, komme einer Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit um mindestens 52 % ein sehr hoher Unrechtsgehalt zu. Der Beschwerdeführer habe vorgebracht, er habe die erlaubte Höchstgeschwindigkeit deshalb übertreten, weil seine im Fahrzeug befindliche minderjährige Tochter dringend eine Toilette aufsuchen hätte müssen. Daraus ergebe sich, daß der Beschwerdeführer mit Vorsatz gehandelt habe. Die bisherige Unbescholtenheit des Beschwerdeführers sei bereits von der belangten Behörde als mildernd gewertet worden, eben diese Wertung treffe auch für die Einsicht des Beschwerdeführers und den Beweggrund für die Geschwindigkeitsübertretung im Berufungsverfahren zu. Sonstige Milderungs- und Erschwerungsgründe seien im Verfahren nicht hervorgekommen. Hinsichtlich der zu berücksichtigenden Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse sei folgendes zu bemerken: Aus den vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen ergebe sich ein monatliches Nettoeinkommen von S 17.000,--. Den Beschwerdeführer träfen Sorgepflichten für zwei minderjährige Kinder sowie Rückzahlungsverpflichtungen für ein Leasingfahrzeug und für Bankverbindlichkeiten. Den Beschwerdeführer träfen aber keine Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seiner Lebensgefährtin und gegenüber dem dritten im Haushalt wohnenden Kind. Aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Mietvertrag ergäbe sich für ihn keine Mietzahlungsverpflichtung, weil als Mieter und somit als Zahlungsverpflichteter ausschließlich seine Lebensgefährtin aufscheine. Wenn auch dem Beschwerdeführer eine moralische Unterhaltsverpflichtung gegenüber seiner Lebensgefährtin und dem dritten im Haushalt befindlichen Kind sowie eine moralische Verpflichtung zur Beteilung an den Mietzinszahlungen treffe, sei aber eine derartige Verpflichtung doch nicht geeignet, Auswirkungen auf die Strafbemessung zu zeitigen. Berücksichtigt würde somit ein Monatseinkommen von S 17.000,-- bei Sorgepflichten für zwei minderjährige Kinder und Rückzahlungsverpflichtungen. Die von der Behörde erster Instanz verhängte Strafe erweise sich daher als angemessen.
Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsstrafakten vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer wendet sich dagegen, daß die belangte Behörde als Schuldform für seine Verwaltungsübertretung Vorsatz annahm. Nach allgemeiner Lebenserfahrung denke der Lenker eines Pkw"s bei einem von im Fahrzeug befindlichen Kindern angemeldeten dringenden "Toilettenbedürfnis" einzig daran, so schnell als möglich den Kindern Abhilfe zu verschaffen, sodaß er die zulässige Höchstgeschwindigkeit lediglich fahrlässig mißachte. Die belangte Behörde könne nicht annehmen, der Beschwerdeführer habe vorsätzlich darauf abgezielt, die zulässige Geschwindigkeit zu überschreiten. Dem Beschwerdeführer ist entgegenzuhalten, daß er im Verwaltungsstrafverfahren vorgebracht hat (vgl. Niederschrift über die Vernehmung vom 17. Februar 1994), er habe eine überhöhte Geschwindigkeit GEWÄHLT, weil seine Tochter dringend die Toilette aufsuchen habe müssen. Aufgrund dieser Sachlage ergibt sich aber, daß der Beschwerdeführer den tatbildmäßigen Erfolg (Geschwindigkeitsüberschreitung) nicht bezweckt hat, er aber wußte, daß dieser mit seiner Handlung verbunden war, sodaß er mit dolus principalis gehandelt hat. Frei von Rechtsirrtum konnte daher die belangte Behörde als Schuldform für das Handeln des Beschwerdeführers Vorsatz annehmen.
Aktenwidrig ist die Behauptung des Beschwerdeführers, die belangte Behörde habe nicht darauf Rücksicht genommen, ob mit seiner Handlung eine Gefährdung der Verkehrssicherheit verbunden gewesen ist. Sie führt nämlich im angefochtenen Bescheid aus, daß die Geschwindigkeitsüberschreitung im gegenständlichen Fall keine konkret nachteiligen Folgen nach sich gezogen habe.
Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, die belangte Behörde habe es unterlassen, die für die Strafbemessung relevanten wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers zu erheben. Es sei eine notorische Tatsache, daß Mietverträge häufig nur auf den Namen eines Mieters lauteten, während aber dieser Mieter nicht für die Zahlungen aufkäme, sondern der alleinverdienende Lebensgefährte. Die belangte Behörde habe in Verletzung ihrer Manuduktionspflicht den Beschwerdeführer nicht aufgefordert, Beweismittel für seine Mietzahlungsverpflichtungen vorzulegen. Der Beschwerdeführer kann mit diesem Vorbringen allerdings eine Verletzung von Verfahrensvorschriften nicht aufzeigen. Die belangte Behörde hat ihn mit Schreiben vom 9. Mai 1994 aufgefordert, seine Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse bekanntzugeben. Der Beschwerdeführer hat daraufhin eine Lohnabrechnung für April 1994 sowie Nachweise über die gesetzliche Unterhaltsverpflichtung gegenüber zwei minderjährigen Kindern sowie über Verpflichtungen aus einem Leasingvertrag und über Bankverbindlichkeiten vorgelegt. Weiters hat er eine Bestätigung der Stadtgemeinde S über eine Haushaltsgemeinschaft vorgelegt, welche ihn als Lebensgefährten der als Haushaltsvorstand ausgewiesenen D anführt. Schließlich legte er die Abschrift eines Mietvertrages vor, in welchem ausschließlich D als Mieterin ausgewiesen ist. Aufgrund dieser Angaben des Beschwerdeführers konnte die belangte Behörde ohne weitergehende Erhebungen die relevanten Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschwerdeführers feststellen. Da es der Beschwerdeführer im Verwaltungsstrafverfahren unterlassen hat, mitzuteilen, daß und inwieweit er mit Mietzahlungsverpflichtungen belastet sei, ist es nicht rechtswidrig, wenn die belangte Behörde Feststellungen, ob und gegebenenfalls inwieweit er mit derartigen Verpflichtungen belastet sei, unterlassen hat. Es ergibt sich auch nicht aus der Manuduktionspflicht nach § 13a AVG, daß die belangte Behörde verpflichtet gewesen wäre, den Beschwerdeführer zu einem ergänzenden Vorbringen aufzufordern. Im übrigen wird auch in der Beschwerde nicht vorgebracht, ob und in welchem Ausmaß den Beschwerdeführer Mietzahlungen trafen.
Der Beschwerdeführer rügt weiters, die belangte Behörde habe angenommen, daß der Strafmilderungsgrund der bisherigen Unbescholtenheit vorliege, sie habe aber zu Unrecht angenommen, daß dies bereits von der Strafbehörde erster Instanz als strafmildernd gewertet worden sei. Somit sei im Berufungsverfahren ein zusätzlicher Milderungsgrund hervorgekommen, sodaß es zu einer Herabsetzung der Strafe hätte kommen müssen.
Der Verwaltungsgerichtshof kann der Ansicht des Beschwerdeführers, es müsse stets zur Herabsetzung der Strafe führen, wenn im Berufungsverfahren ein weiterer Milderungsgrund festgestellt werde, nicht beitreten. Allerdings entspricht es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. hg. Erkenntnisse vom 13. Juni 1989, Zl. 88/08/0125, und vom 20. Dezember 1976, Zl. 1228/76), daß die Berufungsbehörde in einem derartigen Fall ausdrücklich zu begründen hat, aus welchen Erwägungen sie dennoch die von der Erstbehörde verhängte Strafe für angemessen hält und nicht eine Herabsetzung der Strafe vornimmt. Das in der Gegenschrift der belangten Behörde zitierte hg. Erkenntnis vom 13. Februar 1991, Zl. 91/03/0014, enthielt keine Aussage zur Frage erst im Berufungsverfahren hervorkommenden Milderungsgründe.
Die belangte Behörde hat im gegenständlichen Fall den Strafmilderungsgrund der Unbescholtenheit als gegeben angenommen. Nach den Ausführungen im angefochtenen Bescheid hat dies aber deshalb nicht zur Herabsetzung der Strafe geführt, weil bereits die Erstbehörde die bisherige Unbescholtenheit als mildernd gewertet habe. Zu Recht zeigt nun der Beschwerdeführer auf, daß das Straferkenntnis erster Instanz nicht auf den Milderungsgrund der Unbescholtenheit Bezug nimmt. Die Ausführungen im Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Hallein, daß die "allseitigen Verhältnisse des Beschuldigten" entsprechend berücksichtigt worden seien, lassen - selbst im Zusammenhang mit dem Inhalt des Verwaltungsstrafaktes - in keiner Weise erkennen, daß dieser Strafmilderungsgrund Eingang in die Strafbemessung gefunden hätte. Die belangte Behörde hätte daher in ihrer Begründung darlegen müssen, warum sie den genannten Strafmilderungsgrund als in der Strafbemessung des Erstbescheides berücksichtigt hielt, oder, falls sich eine derartige Berücksichtigung im erstinstanzlichen Bescheid nicht erweisen läßt, warum die nunmehrige Einbeziehung dieses Milderungsgrundes nicht zur Herabsetzung der Strafe führt.
Bereits aus diesem Grunde war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben. Ob die belangte Behörde den Strafmilderungsgrund des reumütigen Geständnisses bei der Strafbemessung berücksichtigt hat und ob sie hiezu in Anbetracht der aufgrund der Radarmessung und der fotographischen Festhaltung relativ sicheren Beweislage überhaupt verpflichtet gewesen wäre, kann daher dahingestellt bleiben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Der durch die Verordnung festgesetzte Schriftsatzaufwand beinhaltet auch die Umsatzsteuer. Der Aufwandersatz für Stempelgebühren war zuzusprechen für drei Ausfertigungen der Beschwerde (S 360,--) sowie eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides (S 90,--).
Schlagworte
Begründung von Ermessensentscheidungen Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides Erschwerende und mildernde Umstände Allgemein Erschwerende und mildernde Umstände Schuldform Persönliche Verhältnisse des BeschuldigtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994030190.X00Im RIS seit
12.06.2001