TE Vwgh Erkenntnis 1994/12/14 93/01/0852

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Veröffentlicht am 14.12.1994
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

MRK Art10;
MRK Art19;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Händschke, Dr. Bernegger und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des Dr. M in Wien, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 25. November 1992, Zl. MA 61/IV - E 183/91, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.560,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 25. November 1992 wies die belangte Behörde das Ansuchen des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft vom 23. Oktober 1991 gestützt auf § 10 Abs. 1 Z. 6 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. Nr. 311 (im folgenden: StbG), ab. Die Ermittlungen zu den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 2 bis 6 und Z. 8 StbG hätten zunächst ergeben, daß hinsichtlich des Beschwerdeführers weder in Österreich noch in anderen Staaten, in welchen er sich länger aufgehalten habe, negative Vormerkungen bestanden hätten. In der Folge habe der Beschwerdeführer jedoch ein Verhalten gesetzt, welches geeignet sei, "das Gesamtbild seiner Persönlichkeit einer Revision zu unterziehen". Als Folge einer dem Gesetz entsprechenden Kündigung seines Dienstverhältnisses durch die Stadt Wien habe der Beschwerdeführer öffentlich durch Verteilung von Flugzetteln zum Hungerstreik gegen die Gemeinde Wien und ihre Repräsentanten aufgerufen. Er habe sich zu diesem Zweck in unmittelbarer Nähe des Wiener Rathauses aufgestellt, sich "ein aufrührerisch formuliertes Plakat" umgehängt und habe so gegen den "Amtsmißbrauch" im Rathaus, den er für seine Kündigung verantwortlich gemacht habe, demonstriert. Diesen aggressiv-provokanten Vorfall könne die Verleihungsbehörde nur als Ausdruck einer negativen Einstellung zum Gastland qualifizieren bzw. darin nicht nur eine Störung der öffentlichen Ordnung und Ruhe, sondern auch eine latente Selbstgefährdung erblicken. Die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG liege daher nicht vor. Eine Begutachtung der allenfalls vorliegenden außerordentlichen Leistungen des (erst seit 1991 in Österreich wohnhaften) Beschwerdeführers zur Vollziehung des § 10 Abs. 4 StbG habe sich daher erübrigt. Nach Vorhalt des Verleihungshindernisses gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG vertrat der Beschwerdeführer u.a. die Auffassung, daß sein in der Öffentlichkeit gesetztes Verhalten lediglich als Inanspruchnahme der in Österreich bestehenden demokratischen und rechtsstaatlichen Mechanismen zu sehen sei und vielmehr sein Vertrauen und seine positive Einstellung dem Gastland gegenüber zum Ausdruck bringen sollte. Demgegenüber vertrat die Verleihungsbehörde die Auffassung, daß die rechtsstaatliche Ordnung durch die Möglichkeit einer instanzenmäßigen Überprüfung von Entscheidungen einen geordneten Weg aufzeige, subjektiv empfundenes Unrecht zu bekämpfen. Das vom Beschwerdeführer gesetzte Verhalten sei weder mit den rechtsstaatlichen Strukturen Österreichs vereinbar noch dem Bildungsstand des Beschwerdeführers angemessen, ein solches Vorgehen sei den mitteleuropäischen Verhaltensmustern zur Durchsetzung von Ansprüchen eher fremd. Die weiteren Argumente des Beschwerdeführers, wie die völlige Integration seiner Person und seiner Familie in die österreichischen Verhältnisse, sein Bemühen, zwischen türkischen und österreichischen Firmen bzw. Stellen Kontakte zu knüpfen, die Zugehörigkeit zu einer staatstragenden Partei Österreichs, seien als Entscheidungsgrundlagen für die Verleihungsbehörde nicht geeignet, da bereits bei Vorliegen auch nur eines Einbürgerungshindernisses eine Verleihung nicht zu erfolgen habe und ein solcher Mangel nicht durch verschiedene andere Qualitäten des Bewerbers ausgeglichen werden könne.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde werden Rechtswidrigkeit des Inhaltes und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Der Beschwerdeführer erachtet sich in dem gesetzlich gewährleisteten Recht, die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen zu bekommen, und in dem Recht, daß vor Entscheidung über Ansuchen um Verleihung der Staatsbürgerschaft eine Stellungnahme des Bezirksvorstehers einzuholen sei, verletzt.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, die Verwaltungsakten vorlegt und die kostenpflichige Abweisung beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG muß der Fremde nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bieten, daß er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit bildet.

Nach Auffassung des Beschwerdeführers ließen die von der belangten Behörde der Entscheidung zugrunde gelegten Tatsachenfeststellungen bei richtiger rechtlicher Beurteilung im Hinblick auf § 10 Abs. 1 Z. 6 StGB nicht den Schluß zu, daß der Beschwerdeführer nach seinem bisherigen Verhalten keine Gewähr dafür biete, daß er zur Republik Österreich bejahend eingestellt sei und eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit bilde.

Die beiden Kriterien des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG sind auf Grund des Gesamtverhaltens des Bewerbers und nicht bloß eines bestimmten Verhaltens zu beurteilen, aus dem in die Zukunft reichende Schlußfolgerungen gezogen werden können (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 27. September 1977, Slg. 9394/A, und vom 4. März 1987, Slg. 12416/A). Die in der genannten Bestimmung geforderte positive Einstellung zur Republik Österreich bezieht sich auf die politische Gesinnung des Bewerbers und soll insbesondere gewährleisten, daß nicht Personen mit antidemokratischer Einstellung in den österreichischen Staatsverband aufgenommen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 1970, Slg. 7889/A). Das Vorliegen dieser Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG kann somit nur bejaht werden, wenn vom Gesamtverhalten des Bewerbers her auf keine grundsätzlich negative Einstellung zur Republik Österreich bzw. zu deren grundlegenden Institutionen geschlossen werden kann. Aus der vom Beschwerdeführer nach seiner Kündigung durch die Gemeinde Wien durchgeführten Protestaktion vor dem Wiener Rathaus kann eine solche negative Einstellung des Beschwerdeführers zur Republik Österreich und deren grundlegenden Einrichtungen nicht abgeleitet werden (vgl. dazu das zitierte Erkenntnis, Slg. 12416/A). Wenn die belangte Behörde in diesem Zusammenhang auch darauf abstellt, daß das Verhalten des Beschwerdeführers nicht mit den rechtsstaatlichen Strukturen Österreichs vereinbar sei, muß ihr insbesondere entgegengehalten werden, daß die Freiheit der Meinungsäußerung neben dem rechtsstaatlichen Prinzip in der österreichischen Bundesverfassung verankert ist. Nach der Bundesverfassung stehen einem Bürger nicht nur die vorgesehenen Rechtsschutzwege offen, sondern auch die Möglichkeiten der verschiedensten, auch negativen Meinungsäußerungen, die durch Art. 10 EMRK garantiert sind. Aus dem weiteren Umstand, daß ein Verhalten dem Bildungsstand eines Bewerbers um die Staatsbürgerschaft nicht angemessen sei, läßt sich - entgegen der Auffassung der belangten Behörde - für die Frage der bejahenden Einstellung des Bewerbers um die Staatsbürgerschaft zur Republik Österreichs nichts gewinnen.

Auch wenn die belangte Behörde weiters meint, die vom Beschwerdeführer vor dem Wiener Rathaus erfolgte Protestaktion lasse den Schluß zu, der Beschwerdeführer stelle im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG eine Gefahr für die öffentliche Ruhe und Ordnung dar, kann ihr nicht gefolgt werden. Schutzobjekt des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das zitierte Erkenntnis Slg. 7889/A) der Gesamtkomplex öffentlich-rechtlicher Normen. Die belangte Behörde selbst ist aber nicht der Auffassung, daß der Beschwerdeführer gegen eine öffentlich-rechtliche Norm verstoßen hat. Es kann daher nicht davon die Rede sein, daß vom Gesamtverhalten des Beschwerdeführers her der Schluß gerechtfertigt sei, der Beschwerdeführer werde in Zukunft wesentliche, zur Abwehr und Unterdrückung von Gefahren für die öffentliche Ruhe und Ordnung erlassene Vorschriften mißachten (vgl. das zitierte Erkenntnis Slg. 12416/A).

Schon im Hinblick darauf stellt sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG dar, weshalb er aufzuheben war.

Wenn der Beschwerdeführer des weiteren eine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aus dem Grund geltend macht, daß im Verleihungsverfahren keine Stellungnahme des Bezirksvorstehers, wie es § 103h Abs. 1 Z. 14 Wiener Stadtverfassung vorsehe, eingeholt worden sei, kommt dieser Verfahrensrüge schon deshalb keine Berechtigung zu, da der Beschwerdeführer die Wesentlichkeit dieses behaupteten Verfahrensmangels nicht dartut.

Im übrigen wird darauf hingewiesen, daß ein Verweis auf den Inhalt eines in einem anderen Verfahren eingebrachten Schriftsatzes keine gesetzmäßige Darlegung der Beschwerdegründe darstellt (siehe u.a. das hg. Erkenntnis vom 27. Oktober 1983, Zlen. 82/16/0158, 0159).

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da an Stempelgebühren nur jene für die Beschwerdeergänzung im Sinne des § 48 Abs. 1 Z. 1 VwGG erforderlich war.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1993010852.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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