TE Vwgh Erkenntnis 1994/12/15 94/06/0140

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Veröffentlicht am 15.12.1994
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Index

L37156 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Steiermark;
L82000 Bauordnung;
L82006 Bauordnung Steiermark;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §38;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
BauO Stmk 1968 §2 Abs1;
BauO Stmk 1968 §61 Abs2 lita;
BauRallg;
VwGG §42 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Müller, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über die Beschwerde

1) des E, 2) des W, 3) des F, 4) des R, 5) des H und 6) des P, alle in Graz und alle vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz vom 19. Mai 1994, Zl. A 17-K-10.369/1993-10, betreffend Einwendungen gegen eine Baubewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1) C in Graz, und 2) H in Graz), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Landeshauptstadt Graz hat den Beschwerdeführern zusammen Aufwendungen in der Höhe von S 13.880,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die mitbeteiligten Parteien (kurz: Bauwerber) kamen mit Ansuchen vom 13. Jänner 1993 mit Zustimmung der Grundeigentümer bei der Baubehörde erster Instanz um Widmungsbewilligung zwecks Errichtung einer Wohnhausanlage auf einer näher bezeichneten Liegenschaft in Graz ein. Mit Bescheid vom 6. Juli 1993 wurde die angestrebte Widmung unter Festsetzung einer Reihe von Bebauungsgrundlagen und Auflagen erteilt. Der Erstbeschwerdeführer (als Nachbar) wurde erst durch Zustellung dieses Widmungsbewilligungsbescheides in das Verfahren einbezogen und erhob fristgerecht Berufung, die mit dem Bescheid der belangten Behörde vom 9. Dezember 1993 als unbegründet abgewiesen wurde. Dieser Berufungsbescheid wurde über Beschwerde des Erstbeschwerdeführers mit dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. September 1994, Zl. 94/06/0023, dem der nähere Sachverhalt zu entnehmen ist, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Dieses Erkenntnis wurde dem Erstbeschwerdeführer, der belangten Behörde und den auch hier mitbeteiligten Parteien (zu Handen ihrer Verfahrensvertreter) jeweils am 10. November 1994 zugestellt.

Mit undatiertem, am 20. Jänner 1993 bei der Behörde eingelangten Ansuchen kamen die Bauwerber zwecks Realisierung ihres Projektes um entsprechende Baubewilligung (sowie um Demolierungsbewilligung zwecks Abbruches eines bestehenden Gebäudes) ein. Hierüber wurde von der Baubehörde für den 1. Juli 1993 eine Bauverhandlung anberaumt, zu der die Beschwerdeführer (die Eigentümer benachbarter Liegenschaften sind) nicht geladen wurden. In der Verhandlungsschrift werden (aber) der Zweitbeschwerdeführer und der Fünftbeschwerdeführer als anwesend geführt. In der Verhandlungsschrift heißt es weiters (hektographierter Vordruck), den nicht durch berufsmäßige Parteienvertreter vertretenen Beteiligten werde die zur Vornahme ihrer Verfahrenshandlungen nötigen Anleitungen unter Belehrung der mit diesen Handlungen und Unterlassungen unmittelbar verbundenen Rechtsfolgen erteilt. Die Nachbarn würden belehrt, daß sie, wenn sie sich, ohne Einwendungen zu erheben, vor Schluß der Verhandlung entfernten, dem Parteienantrag, der den Gegenstand der Verhandlung bilde, als zustimmend angesehen würden, und daß Einwendungen, welche von ihnen nach Schluß der Verhandlung vorgebracht würden, keine Berücksichtigung fänden. Festgehalten ist weiters, daß von den Nachbarn keine Einwendungen vorgebracht wurden. Es heißt dann weiters, daß sich die "nicht unterfertigten Beteiligten" vor Schluß der Verhandlung entfernt hätten. Am Schluß der Niederschrift befinden sich eine Reihe von Unterschriften; sodann bestätigte der Verhandlungsleiter die Richtigkeit der schriftlichen Wiedergabe des Verhandlungsverlaufes.

Festzuhalten ist auch, daß keiner der Beschwerdeführer vor dieser Bauverhandlung (schriftlich) Einwendungen erhoben hatte.

Mit Eingabe vom 5. Juli 1993 (bei der Behörde tags darauf eingelangt) bezog der Erstbeschwerdeführer Stellung gegen das Projekt und beantragte, die Bauverhandlung unter Beiziehung seiner Person, "aber auch aller anderen von diesem Bauvorhaben betroffenen Nachbarn" zu wiederholen oder ihm sonst Gelegenheit zu geben, seine ihm nach dem Baurecht zustehenden Einwendungen nach Kenntnisnahme von Art, Umfang und Situierung des Bauvorhabens vorbringen zu können (die Eingabe bezog sich auch auf das Widmungsbewilligungsverfahren).

Nach Zustellung der Berufungsentscheidung im Widmungsbewilligungsverfahren (diese erfolgte nach Darstellung im angefochtenen Bescheid am 17. Dezember 1993) erteilte der Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz der Baubehörde erster Instanz mit Bescheid vom 11. Jänner 1994 die angestrebte Baubewilligung und Demolierungsbewilligung unter Vorschreibung von Auflagen; weiters sprach die Behörde aus, daß dem Antrag des Erstbeschwerdeführers "auf Zuerkennung der Parteistellung" stattgegeben, der Antrag auf Wiederholung der Bauverhandlung unter Beiziehung seiner Person aber auch aller anderen von diesem Bauvorhaben betroffenen Nachbarn hingegen abgewiesen werde, sowie schließlich, daß die "Austragung des privatrechtlichen Inhaltes der Einwendungen dieses Nachbarn (speziell Wertminderung seiner Liegenschaft)" dem Zivilrechtsweg vorbehalten bleibe. Zusammenfassend führte die Behörde (mit näherer Begründung) aus, daß der Erstbeschwerdeführer in keinem Nachbarrecht verletzt werde.

Dieser Bescheid wurde u.a. den Erst- bis Dritt- und Fünft- und Sechstbeschwerdeführern und dem Rechtsvorgänger des Viertbeschwerdeführers zugestellt.

Dagegen erhoben alle Beschwerdeführer Berufung, in der sie vorbrachten, Grundvoraussetzung für die Erteilung einer Baubewilligung erster Instanz sei die Erteilung einer rechtskräftigen Widmungsbewilligung. Im Gegenstandsfall sei jedoch die Baubewilligung vor Rechtskraft der Widmungsbewilligung erteilt worden, weshalb der bekämpfte Bescheid schon aus diesem Grunde verfehlt sei. Der "Verwendungszweck der geplanten Verbauung" lasse insbesondere im Bereich der Tiefgarage bzw. deren Einfahrt eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung, insbesondere eine unzumutbare Immission an Lärm, Geruch und Staub erwarten, sodaß die Behörde zu den Liegenschaften der Beschwerdeführer größere als die in der Baubewilligung festgelegten Gebäudeabstände hätte festlegen müssen. Das Verfahren sei diesbezüglich mangelhaft geblieben (wurde näher ausgeführt). Die Unterlagen, "insbesondere die Perspektive des geplanten Objektes" seien unrichtig. Damit sei "auch die Entscheidungsgrundlage des angefochtenen Bescheides weggefallen". Auch überschreite die mit dem (der Beurteilung der Beschwerdeführer zufolge nicht in Rechtskraft erwachsenen) Widmungsbewilligungsbescheid festgelegte Dichte rechtsirrig den höchstzulässigen Bebauungsdichtewert. Der Zweitbeschwerdeführer und der Fünftbeschwerdeführer machen weiters geltend, sie hätten nicht an der Bauverhandlung vom 1. Juli 1993 teilgenommen; die Verhandlungsschrift sei diesbezüglich unrichtig. Es sei ihnen nicht nachvollziehbar, wie es zu dieser unzutreffenden Protokollierung gekommen sei.

Die belangte Behörde ergänzte das Ermittlungsverfahren durch Einholung eines Gutachtens des Amtes für Umweltschutz, zu dem sich die Beschwerdeführer ablehnend äußerten.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufungen der Beschwerdeführer als unbegründet abgewiesen. Begründend führte die Behörde zusammenfassend aus, die Widmungsbewilligung sei in erster Instanz mit Bescheid vom 6. Juli 1993 erteilt worden. Dagegen habe der Erstbeschwerdeführer berufen, sodaß die Widmungsbewilligung mit der am 17. Dezember 1993 erfolgten Zustellung der Berufungsentscheidung an den Erstbeschwerdeführer - da ein ordentliches Rechtsmittel gegen die Berufungsentscheidung nicht mehr zulässig sei - in Rechtskraft erwachsen sei. Demnach sei das Vorbringen der Beschwerdeführer, daß die Baubewilligung vor Rechtskraft der Widmungsbewilligung erteilt worden sei, unzutreffend, weil der Bewilligungsbescheid erst am 11. Jänner 1994 ausgefertigt worden sei. Auch die weiteren Einwände seien sachlich nicht berechtigt (wird näher ausgeführt; festzuhalten ist, daß die belangte Behörde nicht von einer Präklusion der Einwendungen ausging, aber andererseits auch nicht auf das Vorbringen des Zweit- und des Fünftbeschwerdeführers hinsichtlich der Unrichtigkeit der Verhandlungsschrift einging).

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

In einem weiteren Schriftsatz haben die Beschwerdeführer auf das zwischenzeitig im Widmungsverfahren ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. September 1994, Zl. 94/06/0023, verwiesen und vorgebracht, hiedurch fehle es dem verfahrensgegenständlichen Projekt an der Widmungsbewilligung, weshalb der angefochtene Bescheid ihrer Ansicht nach (zu ergänzen: schon deshalb) aufzuheben sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1) Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Mitspracherecht des Nachbarn im Baubewilligungsverfahren in zweifacher Weise beschränkt: Es besteht einerseits nur insoweit, als den Nachbarn nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektiv-öffentliche Rechte zukommen und andererseits nur in jenem Umfang, in dem der Nachbar solche Rechte im Verfahren durch die rechtzeitige Erhebung entsprechender Einwendungen wirksam geltend gemacht hat (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Dezember 1980, Slg. Nr. 10.317/A, u.v.a.).

Gemäß § 61 Abs. 2 der Steiermärkischen Bauordnung 1968 (BO), LGBl. Nr. 149, in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung LGBl. Nr. 54/1992, kann der Nachbar gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen; diese sind in dieser Bestimmung taxativ aufgezählt. Dazu gehört u. a. (§ 61 Abs. 2 lit. a BO) das Verbot der Erteilung einer Baubewilligung vor Rechtskraft der Widmungsbewilligung.

2) Mit dem mehrfach genannten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. September 1994, das unterdessen zugestellt wurde, wurde der im Widmungsbewilligungsverfahren ergangene Berufungsbescheid der belangten Behörde aufgehoben. Dadurch ist das Widmungsbewilligungsverfahren in die Lage zurückgetreten, in der es sich vor Erlassung des Berufungsbescheides befunden hatte (§ 42 Abs. 3 VwGG). Der Rechtszustand zwischen Erlassung des Berufungsbescheides im Widmungsverfahren und seiner Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof ist im nachhinein so zu betrachten, als ob der aufgehobene Bescheid von Anfang an nicht erlassen worden wäre. Damit wird auch gemeindebehördlichen Bescheiden, deren Rechtmäßigkeit von der Rechtskraft eines anderen Gemeindebescheides abhängig ist (im Beschwerdeverfahren war die Rechtmäßigkeit der im Baubewilligungsverfahren ergangenen Bescheide von der Rechtskraft des Berufungsbescheides im Widmungsbewilligungsverfahren abhängig), durch die Aufhebung des letzteren nachträglich die Rechtsgrundlage entzogen (was aber - mangels ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung - nicht bedeutet, daß der Baubewilligungsbescheid mit Behebung des Widmungsbescheides gleichsam automatisch in Wegfall gerate, sondern gegebenenfalls aufzuheben ist - zu all dem siehe ausführlich das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Juni 1994, Zl. 94/06/0174, mit weiteren Hinweisen auf Lehre und Judikatur). Das bedeutet, daß die Einwendung der Beschwerdeführer, die Baubewilligung dürfe nicht vor Rechtskraft der Widmungsbewilligung erteilt werden, auf Grund der Sach- und Rechtslage, von der der Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Beschwerdeverfahren auszugehen hat, jedenfalls nachträglich und im Ergebnis berechtigt war.

3) Somit war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben. Auf Grund der im Beschwerdefall gegebenen Verfahrenslage kann dahingestellt bleiben, wie vorzugehen gewesen wäre, hätten die Nachbarn die Einwendung des Verbotes der Erteilung einer Baubewilligung vor Rechtskraft der Widmungsbewilligung nicht erhoben. Im Hinblick auf die Aufhebung des angefochtenen Bescheides (wie auch auf die Aufhebung des Berufungsbescheides im Widmungsbewilligungsverfahren) erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit dem weiteren Vorbringen in der Beschwerde.

4) Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Kostenmehrbegehrens betrifft unrichtig verzeichnete Stempelgebühren.

Schlagworte

Rechtskraft Besondere Rechtsprobleme Verfahren vor dem VwGH Verhältnis zu anderen Materien und Normen VwGG (siehe auch Heilung von Verfahrensmängeln der Vorinstanz im Berufungsverfahren)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994060140.X00

Im RIS seit

03.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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