Index
14 OrganisationsrechtNorm
B-VG Art89 Abs2Leitsatz
Zurückweisung eines Antrags eines Landesgerichts auf Aufhebung einerSatzungsbestimmung betreffend Kostenersatz für Heilmassagen durch dieKrankenversicherung mangels Legitimation; Antragstellung durch einnicht legitimiertes Organ, nämlich des Vorsitzenden des zuständigenSenates des Gerichtes in Arbeits- und SozialrechtssachenSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. 1. Mit Antrag vom 16. Mai 2006 beantragte das Landesgericht Korneuburg in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vorsitzenden des nach dem ASGG zuständigen Senates gemäß Art89 Abs2 iVm Art139 Abs1 B-VG, der Verfassungsgerichtshof möge "die Wortfolge '2,00 Euro' des Anhanges 6, Punkt 2a, zugeordnet dem Wortlaut 'Manuelle Heilmassage', der Satzung der Niederösterreichischen Gebietskrankenkass[e], in der Fassung der ersten Änderung, kundgemacht im Internet unter www.avsv.at, amtliche Verlautbarung Nr. 62/2003, vom 5.7.2003" als gesetzwidrig aufheben.
2. Zu dem bei ihm anhängigen Ausgangsstreit führt das Landesgericht Korneuburg aus, die Klägerin habe über ärztliche Verschreibung im Jahr 2005 jeweils zehn Heilmassagen, zehn Moorpackungen und zehn Wärmetherapien bei einer freiberuflichen Heilmasseurin durchführen lassen und dafür EUR 350,-- bezahlt. Die Beklagte, die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse (im Folgenden: NÖ GKK) als gesetzliche Krankenversicherungsträgerin der Klägerin, habe ihr einen Kostenzuschuss für die Heilmassagen und Moorpackungen von EUR 2,-- pro Sitzung und für die Wärmetherapien von Cent 50 pro Sitzung, somit insgesamt EUR 45,--, geleistet.
Die Klägerin begehre von der Beklagten die Zahlung von EUR 177,50 und bringe dazu vor, das die Kostenzuschüsse für die Berufsgruppe der Heilmasseure wesentlich unter dem Kostenersatz für gleichwertige Leistungen freiberuflicher Physiotherapeuten liege; die Unterschiede in den Zuschüssen seien unsachlich. Die Höhe des ihr aufgebürdeten Selbstbehaltes von ca. 87 vH sei gesetzes- und verfassungswidrig. Der Anspruch der Klägerin orientiere sich an den Kostenzuschüssen für freiberuflich tätige Physiotherapeuten (für die Heilmassagen EUR 11,85 pro Sitzung, für die Moorpackungen EUR 4,40 pro Sitzung und für die Wärmetherapie EUR 1,50 pro Sitzung). Das Gericht hege Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der Norm, die näher dargelegt werden.
3.1. Die satzungsgebende NÖ GKK legte die auf die angefochtene Satzung bezughabenden Akten vor und erstattete eine Äußerung, in der sie die angefochtene Satzungsbestimmung verteidigt und die Abweisung des Antrages begehrt.
3.2. Die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen teilte mit, dass die auf die angefochtene Satzung Bezug habenden Akten in Verstoß geraten seien und erstattete ebenfalls eine Äußerung, in der sie die angefochtene Satzungsbestimmung verteidigt und die Abweisung des Antrages begehrt.
3.3. Über Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes teilte das antragstellende Landesgericht Korneuburg mit, dass der Beschluss vom 16. Mai 2006, mit dem beim Verfassungsgerichtshof der Antrag auf Aufhebung der Verordnung gestellt wurde, vom vorsitzenden Richter ohne Beteilung der fachkundigen Laienrichter gefasst worden sei.
3.3.1. Zur Zulässigkeit dieser Vorgangsweise äußerte sich das antragstellende Gericht über Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes wie folgt:
"Mit der Zivilverfahrens-Novelle 2002, BGBl. I Nr. 76/2002, wurde die Stellung des Vorsitzenden des arbeits- und sozialrechtlichen Senates gegenüber den fachkundigen Laienrichtern wesentlich ausgebaut. Nach der Regierungsvorlage (962 der Beilagen zu den stenografischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP war es ausdrückliches Ziel der Novelle, Laienrichter in allen Instanzen zu denjenigen Entscheidungen beizuziehen, die über die Sache selbst ergehen, wo also ihre Fachkunde zum Tragen kommen kann (insbesondere zur urteilsmäßigen Entscheidung der Sache), nicht jedoch zu Formalentscheidungen und prozessleitenden Verfügungen aller Art. Selbst in der mündlichen Streitverhandlung steht damit den Laienrichtern nur mehr das Recht zu, Fragen zu stellen sowie gemäß §214 Abs2 ZPO über Einsprüche gegen die Entscheidungen des Vorsitzenden betreffend der Protokollführung mitzuwirken. Hingegen entscheiden die Laienrichter nicht (mehr) mit, welche Beweise aufgenommen werden und wann der Vorsitzende durch den Beschluss auf Schluss der Verhandlung die Beweisaufnahme beendet. Die Laienrichter haben damit eine den Geschworenen vergleichbare Stellung, die ebenfalls auf die Beweisaufnahme durch den Schwurgerichtshof keine Einflussnahmemöglichkeit haben. Dass damit die Sachentscheidung wesentlich beeinflusst wird, nahm der Gesetzgeber offenbar in Kauf.
Beschließt der Senat entgegen der Ansicht des Vorsitzenden, eine Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof nicht vorzunehmen, steht es dem Vorsitzenden frei, durch Wiederholung der Beratung mit anderen Laienrichtern das von ihm gewünschte Ergebnis herbeizuführen. Dieser Senat wäre an eine anderslautende Entscheidung nicht gebunden, weil der Beschluss, eine Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof nicht vorzunehmen, nicht der Rechtskraft fähig ist. Die Änderung der Senatszusammensetzung ist nach §12 Abs6 ASGG nur durch §412 ZPO begrenzt. Da ein Beschluss auf Anfechtung einer Norm beim Verfassungsgerichtshof auch außerhalb der mündlichen Streitverhandlung gefasst werden kann, ist §412 ZPO nicht anwendbar, sodass eine Änderung der Senatsbesetzung nach §12 Abs6 ASGG zulässig ist.
...
Die Anwendung der Norm besteht nicht nur in der Fällung der Sachentscheidung durch den Senat, sondern auch etwa in der Durchführung eines Provisorialverfahrens, die ausschließlich dem Vorsitzenden obliegt. Weiters wendet der Vorsitzende die Norm bereits dann an, wenn er prozessleitende Verfügungen gemäß seinem (mit den Laienrichtern nicht akkordierten) Verständnis trifft. ...
Die Neufassung des §11 Abs1 Z3 ASGG entspricht dem System, das aus den Zivilprozessgesetzen hervorleuchtet. Zu den Aufgaben, die der Vorsitzende im Rahmen der Schaffung der Entscheidungsgrundlagen hat, gehört nicht nur die gesamte Beweisaufnahme, sondern auch die Vorbereitung der rechtlichen Grundlagen. Etwa ist es Aufgabe des Vorsitzenden, gemäß §4 Abs1 IPRG anzuwenden[des] fremdes Recht zu ermitteln; nach §43 Abs3 ASGG ist es Aufgabe des Vorsitzenden, den Inhalt kollektivrechtlicher Normen (Kollektivverträge, Mindestlohntarife, Satzungen, Lehrlingsentschädigungen) zu ermitteln. Eine teleologische Reduktion des Wortlautes des §11 Abs1 Z3 ASGG, die Vorbereitung der rechtlichen Grundlagen der Entscheidung durch Einleitung eines Normenkontrollverfahrens durch den Vorsitzenden sei unzulässig, kommt nach Ansicht des Landesgerichtes Korneuburg nicht in Betracht."
3.3.2. Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst nahm zu dieser Frage - nach Befassung des Bundesministeriums für Justiz - wie folgt Stellung:
"Gemäß §11a Abs1 Z3 ASGG in der Fassung der Zivilverfahrens-Novelle 2002, BGBl. I Nr. 76, ist in Verfahren erster Instanz der Vorsitzende auch befugt, in- und außerhalb der mündlichen Verhandlung Beschlüsse, ausgenommen Endbeschlüsse, zu fassen und einstweilige Verfügungen zu erlassen.
Ausweislich der Materialien (962 BlgNR 21. GP, 47) sollte durch die Neufassung des §11a Abs1 Z3 ASGG in Abkehr von der bisherigen Rechtslage eindeutig klargestellt werden, dass es sich bei der vorangehenden Auflistung der Befugnisse des Vorsitzenden in Z1 und 2 - angesichts der Generalklausel für Beschlüsse aller Art in Z3 - nicht um eine abschließende, sondern lediglich um eine deklarative Aufzählung von ausnahmsweise dem Vorsitzenden zukommenden Entscheidungen in der Sache selbst handle.
Diese Änderung bewirkte also, dass an die Stelle einer Aufzählung von Beschlüssen, die der Vorsitzende auch allein zu fassen befugt ist, eine Generalklausel getreten ist, die ihrem Wortlaut nach lediglich Endbeschlüsse (in Besitzstörungsverfahren) der alleinigen Entscheidungskompetenz des Vorsitzenden entzieht.
Der Antrag gemäß Art89 Abs2 iVm. Art139 bzw. Art140 B-VG an den Verfassungsgerichtshof auf Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung bzw. der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes erfolgt in Beschlussform.
Der Wortlaut des §11 Abs1 Z3 ASGG scheint daher nahe zu legen, Anträge an den Verfassungsgerichtshof auf Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung in die alleinige Entscheidungsbefugnis des Vorsitzenden zu stellen. Die Materialien führen in diesem Zusammenhang erläuternd aus, dass die Laienrichter in allen Instanzen zu denjenigen Entscheidungen beizuziehen seien, die über die Sache selbst ergehen, wo also ihre Fachkunde zum Tragen kommen könne (insbesondere zur urteilsmäßigen Entscheidung der Sache), nicht jedoch zu Formalentscheidungen und prozessleitenden Verfügungen aller Art. Beschlüsse jedweder Art, die nicht über die Sache ergehen, habe nach §11 Abs1 Z3 ASGG nunmehr der Vorsitzende allein zu fassen; die Laienrichter würden im Senat über das Urteil und den Endbeschluss in erster Instanz sowie über Rechtsmittel, die aufgrund der Anfechtung einer solchen erstinstanzlichen Entscheidung in zweiter oder dritter Instanz ergehen, entscheiden. Den solcherart entlasteten Laienrichtern werde damit Gelegenheit geboten, sich voll und ganz auf diejenigen Entscheidungen zu konzentrieren, für die ihrer Fachkunde größte Bedeutung zukomme.
Vordergründig würden also auch die Materialien dafür sprechen, den Antrag auf Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung der alleinigen Entscheidungskompetenz des Vorsitzenden zu überlassen, weil sie an mehreren Stellen deutlich zum Ausdruck bringen, dass die Laienrichter nur an solchen Entscheidungen mitwirken sollen, bei denen ihre Fachkompetenz zum Tragen kommt. Die Frage der Gesetzwidrigkeit einer Verordnung ist aber (mit Ausnahme der Präjudizialität) eine reine Rechtsfrage, zu der die Laienrichter wenig beizutragen vermögen.
Ein derartiger Prüfungsantrag ist auch kein Beschluss, der 'über die Sache ergeht', auch wenn die Frage der Gesetzwidrigkeit einer Verordnung Auswirkungen auf die Endentscheidung hat. Würde jeder Beschluss, der die Entscheidung in irgendeiner Weise beeinflussen kann, als 'Beschluss, der über die Sache ergeht', qualifiziert, so müsste dies beispielsweise auch für Beschlüsse über die Bestellung eines Sachverständigen bzw. die Abweisung eines Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens gelten, womit sie nicht in die alleinige Entscheidungskompetenz des Vorsitzenden fielen. Genau dies würde aber der Absicht des Gesetzgebers zuwiderlaufen.
Für die Lösung der vorliegenden Frage ist aber nach Ansicht des Bundeskanzleramtes-Verfassungsdienst nicht primär §11 Abs1 Z3 ASGG, sondern Art139 B-VG maßgeblich. Entscheidend dabei ist, welchen Inhalt der Begriff 'Gericht' in Art139 Abs1 B-VG hat.
Der Verfassungsgerichtshof vertritt dazu in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass zur Antragstellung nach Art139 (und 140) B-VG nur jener Spruchkörper berechtigt sei, der auch 'die Norm anzuwenden habe' (zB VfSlg. 3992/1961, 7367/1974, 12.381/1990, 12.845/1991).
Dies ergibt sich nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes aus dem Zusammenhalt der Bestimmungen der Art89 Abs2, 139 und 140
B-VG. ...
...
Der Begriff 'Gericht' in Art139 Abs1 B-VG (ebenso wie in Art140 B-VG) ist demnach so [zu] verstehen, dass nur jener Spruchkörper zur Antragstellung berechtigt ist, der die anzufechtende Norm auch anzuwenden hat. Dieser Spruchkörper ist im arbeitsgerichtlichen Verfahren erster Instanz in der Regel nicht der Vorsitzende, sondern der gemäß §11 ASGG in der Hauptsache erkennende Senat; hat allerdings der Vorsitzende in Fällen, in denen ihm nach dem ASGG (ausnahmsweise) die alleinige Entscheidungskompetenz zukommt, Bedenken gegen eine von ihm anzuwendende Norm - etwa eine verfahrensrechtliche Bestimmung -, so ist er auch das zur Stellung eines Antrags gemäß Art139 B-VG zuständige Organ.
Nach Auffassung des Bundeskanzleramtes-Verfassungsdienst ist §11a ASGG so zu verstehen, dass darin die Zuständigkeit zur Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof gar nicht geregelt wird; sie ergibt sich vielmehr unmittelbar aus Art89 Abs2 iVm. Art139 Abs1 (bzw. - für das Verfahren in zweiter und dritter Instanz - Art140 Abs1) B-VG: Demnach ist jeweils jener Spruchkörper für die Antragstellung zuständig, der die betreffende Norm im arbeitsgerichtlichen Verfahren anzuwenden hat; das ist nach dem ASGG, wie bereits ausgeführt, in der Regel der nach der Geschäftsverteilung zuständige Senat unter Beteiligung der fachkundigen Laienrichter, in den Fällen des §11a Abs1 ASGG aber der Vorsitzende allein.
Sollte der Verfassungsgerichtshof allerdings der Auffassung sein, dass §11a ASGG auch die Zuständigkeit für Beschlüsse über Anträge an den Verfassungsgerichtshof regelt, so wäre dessen Abs1 Z3 in verfassungskonformer Interpretation dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass derartige Beschlüsse nicht unter die Generalklausel fallen und somit einer Senatsentscheidung unter Beteiligung der fachkundigen Laienrichter bedürfen, es sei denn, die anzufechtende Norm ist vom Vorsitzenden bei der Fällung einer in seine alleinige Zuständigkeit fallenden Entscheidung anzuwenden."
3.3.3. Auch die NÖ GKK erstattete eine Äußerung zu dieser Frage.
II. Der Antrag ist mangels im Sinne des §11 Abs1 ASGG ordnungsgemäßer Gerichtsbesetzung (Beschlussfassung durch den Senat) unzulässig:
1.1. Gemäß Art89 Abs2 B-VG hat "ein Gericht", wenn es gegen die Anwendung einer Verordnung aus dem Grund der Gesetzwidrigkeit Bedenken hat, den Antrag auf Aufhebung dieser Verordnung beim Verfassungsgerichtshof zu stellen. Gemäß Art139 Abs1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Gesetzwidrigkeit von Verordnungen einer Bundes- oder Landesbehörde "auf Antrag eines Gerichtes, eines unabhängigen Verwaltungssenates oder des Bundesvergabeamtes, sofern aber der Verfassungsgerichtshof eine solche Verordnung in einer anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte, von Amts wegen."
Gemäß §57 Abs2 VfGG kann "[v]on einem Gericht (einem unabhängigen Verwaltungssenat, dem Bundesvergabeamt) ... der Antrag auf Aufhebung einer Verordnung oder von bestimmten Stellen einer solchen nur dann gestellt werden, wenn die Verordnung vom Gericht (unabhängigen Verwaltungssenat, Bundesvergabeamt) in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden oder wenn die Gesetzmäßigkeit der Verordnung eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht (unabhängigen Verwaltungssenat, Bundesvergabeamt) anhängigen Rechtssache ist."
1.2. Gemäß §10 Abs1 ASGG wird, soweit nichts anderes angeordnet ist, die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit in Senaten ausgeübt, die sich nach Abs2 dieser Bestimmung aus Richtern und fachkundigen Laienrichtern zusammensetzen; ein Richter hat den Vorsitz zu führen. Gemäß §11 Abs1 ASGG haben sich die Senate der Landesgerichte aus einem Richter und zwei fachkundigen Laienrichtern zusammenzusetzen.
1.3. §11a ASGG idF der Zivilverfahrens-Novelle 2002, BGBl. I Nr. 76, lautet:
"§11a. (1) In Verfahren erster Instanz ist der Vorsitzende auch befugt,
1. über die Bewilligung gerichtlicher Aufkündigungen sowie über Anträge auf Erlassung von Übergabs- und Übernahmsaufträgen (§§560 bis 570 ZPO) zu entscheiden;
2. eine gütliche Beilegung eines Rechtsstreits oder die Herbeiführung eines gerichtlichen Vergleichs über einzelne Streitpunkte zu versuchen; kommt ein Vergleich zustande, so kann er dessen Inhalt auf Antrag in ein gerichtliches Protokoll aufnehmen;
dies auch wenn es an der nach §11b erforderlichen qualifizierten Vertretung mangelt;
3. in und außerhalb der mündlichen Verhandlung Beschlüsse, ausgenommen Endbeschlüsse, zu fassen und einstweilige Verfügungen zu erlassen.
(2) Die Oberlandesgerichte haben durch Senate, die sich nur aus drei Richtern zusammensetzen (Dreiersenate der Oberlandesgerichte), zu entscheiden über
1. Angelegenheiten nach dem Abs1 Z2 und 3,
2. Rekurse, die gegen Beschlüsse, ausgenommen Endbeschlüsse, erhoben werden, sowie
3. eine Mitteilung an den Berufungsgegner nach §473a ZPO, wenn darüber in nicht öffentlicher Sitzung befunden wird.
(3) Der Oberste Gerichtshof hat durch einen Dreiersenat (§7 des Bundesgesetzes über den Obersten Gerichtshof) zu entscheiden über
1. Angelegenheiten nach dem Abs1 Z3 sowie
2. Rechtsmittel gegen die nach Abs2 Z1 und 2 gefaßten Beschlüsse.
(4) Eine Nichtigkeit (§477 Abs1 Z2 ZPO) liegt auch dann nicht vor, wenn an Stelle des Vorsitzenden im Verfahren erster Instanz oder der Dreiersenate im Rechtsmittelverfahren (Abs2 und 3) Senate nach §11 Abs1 entschieden haben."
1.4. Die bis 31. Dezember 2002 in Geltung gestandene Fassung des §11a Abs1 ASGG hatte hingegen gelautet:
"§11a. (1) In Verfahren erster Instanz ist der Vorsitzende auch befugt,
1. über die Bewilligung gerichtlicher Aufkündigungen sowie über Anträge auf Erlassung von Übergabs- und Übernahmsaufträgen (§§560 bis 570 ZPO) zu entscheiden;
2. eine gütliche Beilegung eines Rechtsstreits oder die Herbeiführung eines gerichtlichen Vergleichs über einzelne Streitpunkte zu versuchen; kommt ein Vergleich zustande, so kann er dessen Inhalt auf Antrag in ein gerichtliches Protokoll aufnehmen;
dies auch wenn es an der nach §11b erforderlichen qualifizierten Vertretung mangelt;
3. Klagen, Rechtsmittel und Rechtsbehelfe sowie sonstige Anträge und Schriftsätze zurückzuweisen, soweit hiezu das Gericht erster Instanz außerhalb der mündlichen Streitverhandlung berufen ist;
4. außerhalb einer Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung zu entscheiden über
a) die Verfahrenshilfe;
b)
die Verbindung von Rechtssachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung;
c)
die Trennung der Verhandlung über Ansprüche, die in derselben Klage geltend gemacht worden sind;
d) die Unterbrechung des Verfahrens;
e)
die örtliche oder sachliche Unzuständigkeit sowie über die Überweisung einer Rechtssache an das nicht offenbar unzuständige Gericht;
f)
Anträge auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand;
g)
die einstweilige Zulassung als Bevollmächtigter (§38 ZPO);
h)
die Sicherheitsleistung für Prozeßkosten (§§56 ff ZPO);
i) die Verhängung von Mutwillens- und Ordnungsstrafen;
j)
die Berichtigung von Urteilen und Beschlüssen (§§419, 430 ZPO);
k)
die Ergänzung von Beschlüssen (§430 ZPO), die der Vorsitzende nach den lita bis j oder nach den Z1 oder 3 gefaßt hat."
Zu dieser früheren Fassung hatte der Oberste Gerichtshof die Auffassung vertreten, dass auf die Mitwirkung der fachkundigen Laienbeisitzer nur in Fällen verzichtet werden könne, zu denen sie mit ihrer besonderen Sachkunde nichts beizutragen vermögen. Der Oberste Gerichtshof hat daher etwa die Mitwirkung der Laienrichter in Beschlüssen über Fragen der inländischen Gerichtsbarkeit (OGH 14. September 1995, 8 ObA 294/95) und über die Berichtigung der Parteibezeichnung (OGH 30. Oktober 1996, 9 ObA 2239/96x) für geboten erachtet. Nach dieser bis 31. Dezember 2002 geltenden Fassung konnte - schon mangels Erwähnung in der Aufzählung des §11a Abs1 ASGG - auch kein Zweifel darüber bestehen, dass Anträge an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art139 (oder 140) B-VG nicht allein vom vorsitzenden Richter, sondern vom Senat zu fassen waren.
2. Die Vorschriften über die Zusammensetzung und Aufgaben der Senate bzw. des Vorsitzenden der Senate in den §§11 ff ASGG enthalten keine ausdrückliche Regelung der Frage, wer zur Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art139 (und 140) B-VG zuständig ist. Durch die Zivilverfahrens-Novelle 2002 wurde die Z4 des §11a Abs1 ASGG aufgehoben und gleichzeitig die Z3 im Sinne einer Generalklausel dahin gehend neu gefasst, dass dem Vorsitzenden die Befugnis für Beschlüsse aller Art, mit Ausnahme von Endbeschlüssen (in Besitzstörungsverfahren), zusteht. Somit käme nach dem Wortlaut des Gesetzes dem vorsitzenden Richter nunmehr allein die Befugnis zu, einen - in Beschlussform ergehenden - Antrag nach Art139 (und 140) B-VG zu stellen.
Dies hätte aber zur Folge, dass der Vorsitzende allein über einen Antrag entscheiden kann (vgl. §11a Abs4 ASGG), welcher die vom Senat (bzw. der Senatsmehrheit) zu treffende Sachentscheidung maßgeblich zu präformieren vermag, während die Mehrheit des Senates von der Entscheidung über einen solchen Antrag ausgeschlossen werden kann.
3. Der Verfassungsgerichtshof hat sich bereits mehrfach mit der Frage auseinander gesetzt, welches Organ eines Gerichtes zur Antragstellung nach Art139 und 140 B-VG berufen ist (vgl. VfSlg. 3992/1961, 7367/1974, 12.381/1990, 12.845/1991). Er ist dabei von der Überlegung ausgegangen, dass sich die Lösung dieser Frage aus dem Zusammenhalt der von der Präjudizialität handelnden Bestimmungen der Art89 Abs2, Art139 und 140 B-VG ergibt.
Schon in VfSlg. 3992/1961 hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass aus dem - für alle Gerichte gleich geltenden - Begriff der Präjudizialität folgt, dass zur Antragstellung (nach Art140 B-VG) nur jene Organe legitimiert sind, "die bei der Entscheidung über eine Rechtssache ein Gesetz, gegen welches sie aus dem Grunde der Verfassungswidrigkeit Bedenken hegen, anzuwenden haben". Daraus folge weiter, dass von der Antragstellung jene Organe ausgeschlossen seien, die die Rechtssache nicht zu entscheiden haben. In VfSlg. 7376/1974 sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass ein Richterkollegium - auch wenn es im Rahmen der Justizverwaltung tätig wird - zur Einleitung eines Verordnungsprüfungsverfahrens legitimiert ist, "wenn es eine Norm anzuwenden hat, d.h. wenn diese Voraussetzung für seine ... Entscheidung ist".
An die dargestellte Rechtsprechung anknüpfend erachtete der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 12.381/1990 einen Antrag auf Aufhebung einer Bestimmung über die aufschiebende Wirkung im Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 für zulässig, den der Verwaltungsgerichtshof durch das als Berichter bestellte Mitglied gestellt hatte, da dieser über die aufschiebende Wirkung (ohne Senatsbeschluss) zu entscheiden habe und demgemäß auch das zur Antragstellung nach Art140 B-VG legitimierte Organ sei.
Schließlich erklärte der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 12.845/1991, dass in einem Beschwerdeverfahren nach Art129a Abs1 Z2 B-VG wegen der Verletzung in Rechten durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt das nach der Geschäftsverteilung zur Entscheidung zuständige Mitglied zur Antragstellung nach Art140 B-VG namens des unabhängigen Verwaltungssenates berufen sei, weil dieser zufolge §67a Abs1 Z2 iVm Abs2 AVG über eine solche Beschwerde durch eines seiner Mitglieder entscheide.
4.1. Der Verfassungsgerichtshof hält an seiner dargestellten Rechtsprechung fest. Zur Antragstellung nach Art139 (iVm Art89 Abs2) B-VG ist nur jener Spruchkörper eines Gerichtes berechtigt, der die anzufechtende Norm bei der Entscheidung in der Sache anzuwenden hat. Dies ist im vorliegenden, ein sozialgerichtliches Verfahren betreffenden Fall aber der gemäß §11 Abs1 ASGG aus dem vorsitzenden Richter und zwei fachkundigen Laienrichtern zusammengesetzte Senat, da dieser auch zur urteilsmäßigen Entscheidung in der Sache zuständig ist.
4.2. Der vorsitzende Richter eines arbeits- und sozialgerichtlichen Senates ist zwar zur Anfechtung einer von ihm für gesetzwidrig erachteten Verordnung vor dem Verfassungsgerichtshof berechtigt, wenn er diese Verordnung bei einer von ihm allein zu treffenden Entscheidung (etwa in einem Verfahren zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung) anzuwenden hätte, nicht aber auch dann, wenn die Verordnung nicht von ihm allein, sondern bei der Sachentscheidung vom kollegial zusammengesetzten richterlichen Spruchkörper anzuwenden wäre, wie dies hier der Fall ist. §11a Abs1 Z3 ASGG kann schon deshalb nicht so verstanden werden, dass er dem Vorsitzenden eines für die Sachentscheidung zuständigen Senates auch die Befugnis zur (alleinigen) Beschlussfassung über einen Antrag nach Art139 B-VG einräumt, weil diese Befugnis auf verfassungsgesetzlicher Ebene ausschließlich in den Art89 Abs2 iVm Art139 B-VG gründet.
5. Der Antrag war daher, weil er von einem nicht zur Antragstellung legitimierten Organ gestellt wurde, als unzulässig zurückzuweisen.
6. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
VfGH / Antrag, VfGH / Legitimation, Arbeits- u SozialgerichtsbarkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2007:V34.2006Zuletzt aktualisiert am
30.01.2009