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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
VwGG §33 Abs1;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):94/17/0418Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Kramer, Dr. Puck, Dr. Gruber und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Rauscher, über die Anträge der XY-Gesellschaft m.b.H. & Co Nfg KG in T, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, auf Wiederaufnahme der durch die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes 1.) vom 14. Juli 1994, Zl. 94/17/0192-7 (Antrag zu Zl. 94/17/0417), 2.) vom 14. Juli 1994, Zl. 94/17/0193-7 (Antrag zu Zl. 94/17/0418), abgeschlossenen Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 5 VwGG, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Den Anträgen auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird nicht Folge gegeben.
Begründung
Mit Beschlüssen vom 14. Juli 1994, Zlen. 94/17/0192-7 und 94/17/0193-7, stellte der Verwaltungsgerichtshof die Verfahren über die Beschwerden der nunmehrigen Antragstellerin gegen den Gemeinderat der Marktgemeinde Lichtenwörth wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in Angelegenheit einer Berufung gegen die Vorschreibung einer Standortabgabe zu 1.) für August 1993 und zu 2.) für September 1993 infolge Nachholung der versäumten Berufungsbescheide nach Ablauf der gesetzten Nachholungsfrist wegen Klaglosstellung im Sinne der Rechtsprechung nach § 33 Abs. 1 VwGG ein.
Die beiden Berufungsbescheide des Gemeinderates vom 6. Mai 1994 wurden von der Antragstellerin mit Vorstellung bekämpft.
Mit Bescheiden vom 7. November 1994 gab die Niederösterreichische Landesregierung den Vorstellungen Folge, behob die Berufungsbescheide und verwies die Angelegenheiten zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde. Nach der Begründung dieses Bescheides sehe das NÖ Standortabgabegesetz 1992 eine Berechnung der Standortabgabe per Gewicht nicht vor. Die Abgabenvorschreibungen über die Standortabgabe durch Berechnung nach dem Gewicht des deponierten Abfalles seien daher rechtswidrig. Die bekämpften Berufungsbescheide des Gemeinderates vom 6. Mai 1994 seien wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben gewesen.
Mit zwei am 8. November 1994 zur Post gegebenen Anträgen begehrt die Antragstellerin nunmehr die Bewilligung der Wiederaufnahme des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens unter Berufung auf § 45 Abs. 1 Z. 5 VwGG. Nach der Begründung dieser Anträge habe der Gemeinderat die nachgeholten Bescheide vom 6. Mai 1994 nach Ablauf der gesetzten Nachholungsfrist erlassen. Die Antragstellerin sei damit im Sinne des § 33 Abs. 1 VwGG klaglos gestellt worden, weswegen der Verwaltungsgerichtshof das Säumnisbeschwerdeverfahren eingestellt habe. Durch die Bescheide der Niederösterreichischen Landesregierung vom 7. November 1994 seien die Bescheide des Gemeinderates, die die Klaglosstellung bewirkt hätten, nachträglich aufgehoben worden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die beiden Anträge wegen ihres persönlichen, sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und über die Anträge erwogen:
§ 33 Abs. 1 VwGG lautet:
"Wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, daß der Beschwerdeführer klaglos gestellt wurde, ist nach dessen Einvernahme die Beschwerde in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluß als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen. Dasselbe gilt, wenn die Beschwerde zurückgezogen wurde."
§ 36 Abs. 2 VwGG lautet auszugsweise:
"Bei Säumnisbeschwerden nach Art. 132 B-VG ist der belangten Behörde aufzutragen, innerhalb einer Frist bis zu
drei Monaten den Bescheid zu erlassen ... Die Frist kann einmal
verlängert werden ... Wird der Bescheid fristgerecht erlassen,
so ist das Verfahren über die Säumnisbeschwerde einzustellen."
Gemäß § 45 Abs. 1 Z. 5 VwGG ist die Wiederaufnahme eines durch Beschluß abgeschlossenen Verfahrens auf Antrag einer Partei zu bewilligen, wenn das Verfahren vor dem Gerichtshof wegen Klaglosstellung oder wegen einer durch Klaglosstellung veranlaßten Zurückziehung der Beschwerde eingestellt, die behördliche Maßnahme, die die Klaglosstellung bewirkt hatte, jedoch nachträglich behoben wurde.
Der Verwaltungsgerichtshof ist der Auffassung, daß die Frage der Zulässigkeit der vorliegenden Wiederaufnahmeanträge vor dem Hintergrund der folgenden Erwägung zu beurteilen ist. Die Regelung des § 45 Abs. 1 Z. 5 VwGG bezieht sich sowohl auf Bescheidbeschwerden als auch auf Säumnisbeschwerden. Es scheint dem Gerichtshof von Bedeutung zu sein, sich - auch bei der Frage nach dem Inhalt des Wiederaufnahmetatbestandes nach § 45 Abs. 1 Z. 5 VwGG bei seiner Anwendung auf Säumnisbeschwerden - den Unterschied zwischen Bescheidbeschwerde und Säumnisbeschwerde, was die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichtshof anlangt, vor Augen zu halten. Die Anhängigkeit einer Bescheidbeschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof läßt die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde (und allenfalls ihrer Oberbehörde) unberührt. Soweit die Verwaltungsverfahrensgesetze eine Abänderung oder Aufhebung des Bescheides durch die Verwaltungsbehörde, die den Bescheid erlassen hat, oder durch die Oberbehörde vorsehen, bleiben diese Verwaltungsbehörden hiefür ungeachtet der Anhängigkeit einer Bescheidbeschwerde zuständig. Dies ist eine der Ausprägungen, die die bloß nachprüfende und bloß kassatorische verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Verwaltungsakten in Österreich kennzeichnet. Hinsichtlich der Befugnis, einen Bescheid aufzuheben, gibt es also eine Parallelität von Kontrollzuständigkeiten. Anders ist das System bei Säumnisbeschwerden zu sehen. Hier geht es nicht um eine Überprüfungsfunktion, in deren Rahmen eine Mehrfachkontrolle von der Rechtsordnung akzeptiert wird, sondern um die Herstellung einer eindeutigen Zuständigkeitsordnung für die zu treffende Sachentscheidung selbst.
Dem hg. Beschluß vom 26. Juni 1989, Zl. 89/12/0101 = ZfVB 1990/2/833 = Anw 1990, 573 (mit grundsätzlich zustimmender Anmerkung von Arnold), lag der Fall zugrunde, daß der Verwaltungsgerichtshof den (innerhalb der Frist nach § 36 Abs. 2 VwGG) nachgeholten Bescheid, der zur Einstellung des Säumnisbeschwerdeverfahrens geführt hatte und in der Folge mit Bescheidbeschwerde bekämpft worden war, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben hat; der Gerichtshof hatte sodann über den in der Folge gestellten und auf § 45 Abs. 1 Z. 5 VwGG gestützten Antrag auf Wiederaufnahme des Säumnisbeschwerdeverfahrens zu entscheiden. Er gab dem Wiederaufnahmeantrag keine Folge und verwies in der Begründung zunächst auf § 63 Abs. 1 VwGG, wonach die Verwaltungsbehörde ab Zustellung des aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes unter Bindung an die Rechtsanschauung dieses Gerichtshofes zur Entscheidung in der Sache verpflichtet sei. Die Aufhebung eines Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften oder wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes setze die Bejahung der Zuständigkeit der belangten Behörde voraus (Hinweis auf das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 13. Mai 1980, Slg. N.F. Nr. 10.128/A = ZfVB 1981/2/598, sowie auf Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, 187). Sodann heißt es in der Begründung weiter, schon diese, die Zuständigkeit umfassende Bindungswirkung des aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes stehe der Stattgebung des Wiederaufnahmeantrages bezüglich des mit Einstellungsbeschluß beendeten Säumnisbeschwerdeverfahrens, das denselben Gegenstand betreffe, entgegen. Vielmehr habe die sechsmonatige Frist des § 27 VwGG für die Erhebung einer Säumnisbeschwerde im Falle der Nichterledigung des dem Verfahren zugrundeliegenden Begehrens des Beschwerdeführers ab der Zustellung des aufhebenden Verwaltungsgerichtshofserkenntnisses an die belangte Behörde zu laufen begonnen.
Der Verwaltungsgerichtshof ist der Auffassung, daß die entscheidenden Gesichtspunkte dieser Begründung auf die vorliegenden Wiederaufnahmefälle zu übertragen sind.
Hier wurden die nachgeholten Berufungsbescheide des Gemeinderates (die die Einstellung der verwaltungsgerichtlichen Säumnisbeschwerdeverfahren gemäß § 33 Abs. 1 VwGG auslösten) zwar nicht vom Verwaltungsgerichtshof, wohl aber von der Gemeindeaufsichtsbehörde mit Bescheiden vom 7. November 1994 über Vorstellung der Antragstellerin aufgehoben und die Sache an die Gemeinde zurückverwiesen. Aufhebungsgrund war dabei eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des nachgeholten Bescheides des Gemeinderates (hier: der Abgabenvorschreibung selbst) und NICHT die Unzuständigkeit des Gemeinderates zur Nachholung nach Fristablauf. Die Bindungswirkung dieses kassatorischen aufsichtsbehördlichen Bescheides, und zwar seiner die Aufhebung tragenden Begründung, erstreckt sich bei Erlassung bzw. Überprüfung des Ersatzbescheides auf die Gemeindebehörden, die Vorstellungsbehörde selbst und den Verwaltungsgerichtshof (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. Oktober 1971, Slg. N.F. Nr. 8091/A - verstärkter Senat, vom 13. November 1973, Slg. N.F. Nr. 8494/A, und aus jüngerer Zeit etwa vom 28. Mai 1993, Zl. 90/17/0122, sowie viele andere).
Was der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 13. Mai 1980, Slg. N.F. Nr. 10.128/A (wie übrigens auch der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 22. März 1979, Slg. Nr. 8536
= ZfVB 1979/4/1758, 1792) über die Bindung an die (eine notwendige Voraussetzung für eine Bescheidaufhebung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften bildende, implizite) Annahme des Verwaltungsgerichtshofes über die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde ausgesprochen hat, gilt wegen der vergleichbaren Bindungswirkung auch für kassatorische Vorstellungsbescheide.
Den vorliegenden Wiederaufnahmeanträgen steht daher diese, die Zuständigkeit umfassende Bindungswirkung der aufhebenden, dem Rechtsbestand angehörenden Bescheide der Niederösterreichischen Landesregierung vom 7. November 1994 entgegen.
Aus diesen Erwägungen konnte den in Rede stehenden Wiederaufnahmeanträgen keine Folge gegeben werden.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994170417.X00Im RIS seit
03.04.2001Zuletzt aktualisiert am
24.07.2015