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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art119a;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):94/17/0394 94/17/0397 94/17/0396 94/17/0395Betreff
Der VwGH hat über die Anträge der XY-Gesellschaft m.b.H. in T, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, auf Wiederaufnahme der durch die Beschlüsse des VwGH 1.) vom 4. Mai 1994, Zl. 93/17/0341-10 (Antrag zu Zl. 94/17/0393),2.) vom 4. Mai 1994, Zl. 93/17/0397-7 (Antrag zu Zl. 94/17/0394),3.) vom 17. Mai 1994, Zl. 93/17/0463-7 (Antrag zu Zl. 94/17/0395),4.) vom 17. Mai 1994, Zl. 94/17/0085-5 (Antrag zu Zl. 94/17/0396), und 5.) vom 17. Mai 1994, Zl. 94/17/0115-6 (Antrag zu Zl. 94/17/0397), abgeschlossenen Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 5 VwGG, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Den Anträgen auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird nicht Folge gegeben.
Begründung
1.1. Mit Beschluß vom 4. Mai 1994, Zl. 93/17/0341-10, stellte der Verwaltungsgerichtshof ein Verfahren über die Beschwerde der nunmehrigen Antragstellerin gegen den Gemeinderat der Marktgemeinde Lichtenwörth wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in Angelegenheit einer Berufung gegen die Vorschreibung einer Standortabgabe für Jänner und Februar 1993 infolge Nachholung des versäumten Berufungsbescheides nach Ablauf der gesetzten Nachholungsfrist wegen Klaglosstellung im Sinne der Rechtsprechung nach § 33 Abs. 1 VwGG ein.
1.2. Mit den weiteren vier oben zitierten Beschlüssen vom
4. und 17. Mai 1994 stellte der Verwaltungsgerichtshof die weiteren Säumnisbeschwerdeverfahren betreffend jeweils die Bemessungszeiträume März, April, Mai und Juni 1993 infolge Nachholung der versäumten Berufungsbescheide innerhalb der gesetzten Nachholungsfrist gemäß § 36 Abs. 2 letzter Satz VwGG ein.
1.3. Die erwähnten nachgeholten Berufungsbescheide des Gemeinderates (alle) vom 6. April 1994 wurden von der Antragstellerin mit Vorstellung bekämpft.
Mit Bescheid vom 4. Oktober 1994 gab die Niederösterreichische Landesregierung den Vorstellungen Folge, behob die Berufungsbescheide und verwies die Angelegenheiten zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde. Nach der Begründung dieses Bescheides sehe das NÖ Standortabgabegesetz 1992 eine Berechnung der Standortabgabe per Gewicht nicht vor. Die Abgabenvorschreibungen über die Standortabgabe durch Berechnung nach dem Gewicht des deponierten Abfalles seien daher rechtswidrig. Die bekämpften Berufungsbescheide des Gemeinderates vom 6. April 1994 seien wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben gewesen.
1.4. Mit fünf am 11. Oktober 1994 zur Post gegebenen Anträgen begehrt die Antragstellerin nunmehr die Bewilligung der Wiederaufnahme des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens unter Berufung auf § 45 Abs. 1 Z. 5 VwGG. Nach der Begründung dieser Anträge habe der Gemeinderat den nachgeholten Bescheid vom 6. April 1994 nach Ablauf der gesetzten Nachholungsfrist erlassen. Die Antragstellerin sei damit im Sinne des § 33 Abs. 1 VwGG klaglos gestellt worden, weswegen der Verwaltungsgerichtshof das Säumnisbeschwerdeverfahren eingestellt habe. Durch den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 4. Oktober 1994 seien die Bescheide des Gemeinderates, die die Klaglosstellung bewirkt hätten, nachträglich aufgehoben worden.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat die gemeinsame Beratung und Entscheidung über die Wiederaufnahmeanträge wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges beschlossen und erwogen:
2.1. § 33 Abs. 1 VwGG lautet:
"Wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, daß der Beschwerdeführer klaglos gestellt wurde, ist nach dessen Einvernahme die Beschwerde in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluß als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen. Dasselbe gilt, wenn die Beschwerde zurückgezogen wurde."
§ 36 Abs. 2 VwGG lautet auszugsweise:
"Bei Säumnisbeschwerden nach Art. 132 B-VG ist der belangten Behörde aufzutragen, innerhalb einer Frist bis zu
drei Monaten den Bescheid zu erlassen ... Die Frist kann einmal
verlängert werden ... Wird der Bescheid fristgerecht erlassen,
so ist das Verfahren über die Säumnisbeschwerde einzustellen."
Gemäß § 45 Abs. 1 Z. 5 VwGG ist die Wiederaufnahme eines durch Beschluß abgeschlossenen Verfahrens auf Antrag einer Partei zu bewilligen, wenn das Verfahren vor dem Gerichtshof wegen Klaglosstellung oder wegen einer durch Klaglosstellung veranlaßten Zurückziehung der Beschwerde eingestellt, die behördliche Maßnahme, die die Klaglosstellung bewirkt hatte, jedoch nachträglich behoben wurde.
2.2. Zum Wiederaufnahmeantrag Zl. 94/17/0393:
2.2.1. Wie sich aus der Darstellung des Sachverhaltes ergibt, wurde das diesem Antrag zugrundeliegende verwaltungsgerichtliche Verfahren mit hg. Beschluß vom 7. Mai 1994 wegen Nachholung des versäumten Berufungsbescheides NACH Ablauf der Nachholungsfrist in Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG eingestellt. Nur bezüglich dieses Einstellungsfalles ist die Sachverhaltsschilderung in den Wiederaufnahmeanträgen zutreffend, denn die übrigen vier Verfahren wurden wegen fristgerechter Bescheidnachholung gemäß § 36 Abs. 2 letzter Satz VwGG eingestellt.
2.2.2. Der Verwaltungsgerichtshof ist der Auffassung, daß die Frage der Voraussetzungen des vorliegenden Wiederaufnahmeantrages vor dem Hintergrund der folgenden Erwägungen zu beurteilen ist. Die Regelung des § 45 Abs. 1 Z. 5 VwGG bezieht sich sowohl auf Bescheidbeschwerden als auch auf Säumnisbeschwerden. Es scheint dem Gerichtshof von Bedeutung zu sein, sich - auch bei der Frage nach dem Inhalt des Wiederaufnahmetatbestandes nach § 45 Abs. 1 Z. 5 VwGG bei seiner Anwendung auf Säumnisbeschwerden - den Unterschied zwischen Bescheidbeschwerde und Säumnisbeschwerde, was die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichtshof anlangt, vor Augen zu halten. Die Anhängigkeit einer Bescheidbeschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof läßt die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde (und allenfalls ihrer Oberbehörde) unberührt. Soweit die Verwaltungsverfahrensgesetze eine Abänderung oder Aufhebung des Bescheides durch die Verwaltungsbehörde, die den Bescheid erlassen hat, oder durch die Oberbehörde vorsehen, bleiben diese Verwaltungsbehörden hiefür ungeachtet der Anhängigkeit einer Bescheidbeschwerde zuständig. Dies ist eine der Ausprägungen, die die bloß nachprüfende und bloß kassatorische verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Verwaltungsakten in Österreich kennzeichnet. Hinsichtlich der Befugnis, einen Bescheid aufzuheben, gibt es also eine Parallelität von Kontrollzuständigkeiten. Anders ist das System bei Säumnisbeschwerden zu sehen. Hier geht es nicht um eine Überprüfungsfunktion, in deren Rahmen eine Mehrfachkontrolle von der Rechtsordnung akzeptiert wird, sondern um die Herstellung einer eindeutigen Zuständigkeitsordnung für die zu treffende Sachentscheidung selbst.
2.2.3. Dem hg. Beschluß vom 26. Juni 1989, Zl. 89/12/0101 = ZfVB 1990/2/833 = Anw 1990, 573 (mit grundsätzlich zustimmender Anmerkung von Arnold), lag der Fall zugrunde, daß der Verwaltungsgerichtshof den (innerhalb der Frist nach § 36 Abs. 2 VwGG) nachgeholten Bescheid, der zur Einstellung des Säumnisbeschwerdeverfahrens geführt hatte und in der Folge mit Bescheidbeschwerde bekämpft worden war, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben hat; der Gerichtshof hatte sodann über den in der Folge gestellten und auf § 45 Abs. 1 Z. 5 VwGG gestützten Antrag auf Wiederaufnahme des Säumnisbeschwerdeverfahrens zu entscheiden. Er gab dem Wiederaufnahmeantrag keine Folge und verwies in der Begründung zunächst auf § 63 Abs. 1 VwGG, wonach die Verwaltungsbehörde ab Zustellung des aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes unter Bindung an die Rechtsanschauung dieses Gerichtshofes zur Entscheidung in der Sache verpflichtet sei. Die Aufhebung eines Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften oder wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes setze die Bejahung der Zuständigkeit der belangten Behörde voraus (Hinweis auf das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 13. Mai 1980, Slg. N.F. Nr. 10.128/A = ZfVB 1981/2/598, sowie auf Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, 187). Sodann heißt es in der Begründung weiter, schon diese, die Zuständigkeit umfassende Bindungswirkung des aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes stehe der Stattgebung des Wiederaufnahmeantrages bezüglich des mit Einstellungsbeschluß beendeten Säumnisbeschwerdeverfahrens, das denselben Gegenstand betreffe, entgegen. Vielmehr habe die sechsmonatige Frist des § 27 VwGG für die Erhebung einer Säumnisbeschwerde im Falle der Nichterledigung des dem Verfahren zugrundeliegenden Begehrens des Beschwerdeführers ab der Zustellung des aufhebenden Verwaltungsgerichtshofserkenntnisses an die belangte Behörde zu laufen begonnen.
Der Verwaltungsgerichtshof ist der Auffassung, daß die entscheidenden Gesichtspunkte dieser Begründung auf den vorliegenden Wiederaufnahmefall zu übertragen sind.
Hier wurde der nachgeholte Berufungsbescheid des Gemeinderates (der die Einstellung des verwaltungsgerichtlichen Säumnisbeschwerdeverfahrens gemäß § 33 Abs. 1 VwGG auslöste) zwar nicht vom Verwaltungsgerichtshof, wohl aber von der Gemeindeaufsichtsbehörde mit Bescheid vom 4. Oktober 1994 über Vorstellung der Antragstellerin aufgehoben und die Sache an die Gemeinde zurückverwiesen. Aufhebungsgrund war dabei eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des nachgeholten Bescheides des Gemeinderates (hier: der Abgabenvorschreibung selbst) und NICHT die Unzuständigkeit des Gemeinderates zur Nachholung nach Fristablauf. Die Bindungswirkung dieses kassatorischen aufsichtsbehördlichen Bescheides, und zwar seiner die Aufhebung tragenden Begründung, erstreckt sich bei Erlassung bzw. Überprüfung des Ersatzbescheides auf die Gemeindebehörden, die Vorstellungsbehörde selbst und den Verwaltungsgerichtshof (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. Oktober 1971, Slg. N.F. Nr. 8091/A - verstärkter Senat, vom 13. November 1973, Slg. N.F. Nr. 8494/A, und aus jüngerer Zeit etwa vom 28. Mai 1993, Zl. 90/17/0122, sowie viele andere).
Was der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 13. Mai 1980, Slg. N.F. Nr. 10.128/A (wie übrigens auch der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 22. März 1979, Slg. Nr. 8536
= ZfVB 1979/4/1758, 1792) über die Bindung an die (eine notwendige Voraussetzung für eine Bescheidaufhebung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften bildende, implizite) Annahme des Verwaltungsgerichtshofes über die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde ausgesprochen hat, gilt wegen der vergleichbaren Bindungswirkung auch für kassatorische Vorstellungsbescheide.
Dem vorliegenden Wiederaufnahmeantrag steht daher diese, die Zuständigkeit umfassende Bindungswirkung des aufhebenden, dem Rechtsbestand angehörenden Bescheides der Niederösterreichischen Landesregierung vom 4. Oktober 1994 entgegen.
2.3. Zu den Wiederaufnahmeanträgen Zlen. 94/17/0394 bis 94/17/0397:
In den diesen Anträgen zugrundeliegenden Beschwerdefällen erfolgte die Nachholung der versäumten Bescheide durch den Gemeinderat der Marktgemeinde Lichtenwörth INNERHALB der vom Verwaltungsgerichtshof gesetzten Nachholungsfristen gemäß § 36 Abs. 2 letzter Satz VwGG.
2.3.1. Zur Begründung, warum auch diesen Wiederaufnahmeanträgen nicht Folge gegeben werden konnte, ist jedenfalls im Hinblick auf die sonst gleiche Verfahrensrechtslage auf den vorstehenden Punkt 2.2. zu verweisen.
2.3.2. Der Verwaltungsgerichtshof ist für den Fall der Einstellung des Säumnisbeschwerdeverfahrens wegen fristgerechter Bescheidnachholung gemäß § 36 Abs. 2 letzter Satz VwGG darüberhinaus der Auffassung, daß hier ein Wiederaufnahmeantrag nach § 45 Abs. 1 Z. 5 VwGG nicht in Betracht kommt, weil die versäumte Entscheidung von der (in der Nachfrist) ZUSTÄNDIGEN Verwaltungsbehörde nachgeholt wurde. Der Verwaltungsgerichtshof war zu diesem Zeitpunkt eben zur Sachentscheidung nicht zuständig und wäre es nur durch Nichteinhaltung der Nachfrist (wieder) geworden. Dazu kam es in den vorliegenden Fällen aber nicht mehr. Deswegen ist im Nachholungszeitpunkt DIESE Säumnis, die den Prozeßgegenstand des Verfahrens wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gebildet hat, beendet. Der innerhalb der Nachholungsfrist nachgeholte Bescheid ist in allen seinen Wirkungen nicht anders zu sehen als jeder andere zuständigerweise erlassene Bescheid. Eine Aufhebung der fristgerecht nachgeholten Sachentscheidung bewirkt nicht die Fortsetzung DERSELBEN Säumnis, vielmehr beginnt die Entscheidungsfrist neu zu laufen (vgl. die hg. Beschlüsse vom 23. März 1981, Zl. 81/17/0026, vom 15. Juni 1981, Zl. 81/17/0093, und vom 7. Juli 1983, Zl. 83/08/0102 = ZfVB 1984/2/687 = Anw 1983, 717, sowie Arnold, Anw 1987, 244). Es verbietet sich die Annahme, daß durch die Aufhebung des nachgeholten Bescheides eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes - dessen Entscheidungsbefugnis freilich zunächst die Rechtskraft seines Einstellungsbeschlusses entgegenstünde - überhaupt "wieder aufleben" könnte, die im Zeitpunkt der Bescheidnachholung gar nicht gegeben war, und daß insofern eine Wiederaufnahme in derselben Sache möglich wäre.
Da aber eine Wiederaufnahme dieselbe Sache voraussetzt und die "Sache" bei der Säumnisbeschwerde die Verletzung der Entscheidungspflicht ist, diese aber hier infolge einer fristgerechten Entscheidung durch die zuständige Behörde ihr Ende gefunden hat, erweist sich ein Wiederaufnahmeantrag nach § 45 Abs. 1 Z. 5 VwGG in den Nachholungsfällen innerhalb der Frist des § 36 Abs. 2 VwGG auch aus diesem Grund als unberechtigt.
2.4. Aus diesen Erwägungen konnte sämtlichen Wiederaufnahmeanträgen keine Folge gegeben werden.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994170393.X00Im RIS seit
03.04.2001Zuletzt aktualisiert am
24.07.2015