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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 lita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Waldner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über den Antrag der RM und des NM in B, beide vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in K, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung einer Beschwerde gegen den Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 24. Juni 1994, Zl. Ro-173/8/1994, betreffend naturschutzbehördliche Bewilligung, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Dem Antrag wird nicht stattgegeben.
Begründung
Der im Spruch genannte Bescheid wurde den Beschwerdeführern am 11. Juli 1994 zugestellt. Der mit 24. August 1994 datierte Beschwerdeschriftsatz wurde am 26. August 1994 zur Post gegeben. Mit Beschluß vom 26. September 1994 wies der Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde zurück.
Die Beschwerdeführer begehren die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist mit folgender Begründung:
Der rechtsanwaltliche Vertreter der Beschwerdeführer habe die Beschwerde am 16. August 1994 auf Band diktiert. Die Kanzleiangestellte K. habe dieses Tonband am 18. August 1994 abgehört und (den Text) in das EDV-Textverarbeitungsprogramm eingegeben. Am Morgen des 19. August 1994 habe sie einen Ausdruck der Beschwerde dem Vertreter zum Korrekturlesen vorgelegt. Dieser habe auf dem Entwurf handschriftliche Korrekturen vorgenommen und Frau K. den Auftrag erteilt, die entsprechenden Ausbesserungen vorzunehmen und die Beschwerde auf Schriftsatzpapier auszudrucken. Frau K. sei diesem Auftrag nachgekommen und habe darüber hinaus - wie es von ihr üblicherweise gehandhabt werde - das Datum auf der letzten Seite der Beschwerde von ursprünglich 18. August 1994 auf 19. August 1994 ausgebessert, weil sie davon ausgegangen sei, daß die Beschwerde an diesem Tag von ihr zur Post gebracht werden werde. Frau K. habe es sich zur Gewohnheit gemacht, Schriftsätze immer mit jenem Datum zu versehen, an welchem diese auch tatsächlich postalisch abgefertigt würden. Der Beschwerdeschriftsatz sei dem Vertreter am 19. August 1994 zur Unterfertigung vorgelegt worden. Der Vertreter habe die Beschwerde durchgelesen und überprüft, ob die Beilagen ordnungsgemäß vorhanden und mit den erforderlichen Bundesstempelmarken versehen worden seien. Bei dieser Überprüfung habe er festgestellt, daß auf den beiden Planbeilagen die erforderlichen Bundesstempelmarken fehlten und demzufolge auch auf der letzten Seite (des Schriftsatzes) die Barauslagen für die Beilagen unrichtig verzeichnet worden seien. Er habe daraufhin Frau K. ersucht, die Planbeilagen noch mit je S 30,-- Bundesstempelmarken zu versehen und auch das Kostenverzeichnis auf der letzten Seite der Beschwerde entsprechend auszubessern. Frau K. habe dem Vertreter daraufhin mitgeteilt, daß in der Kanzlei S 30,-- Bundesstempelmarken nicht vorhanden seien und auch vor Kanzleischluß nicht mehr besorgt werden könnten. Der Vertreter habe Frau K. daraufhin angewiesen, am 22. August 1994 die beiden Beilagen mit Bundesstempelmarken zu versehen, das Kostenverzeichnis in seinem Punkt b) auf S 900,-- und die Position "Verdienst insgesamt" auf S 12.260,-- auszubessern, sowie die Beschwerde samt Beilagen verläßlich am 22. August 1994 eingeschrieben zur Post zu geben. Diese Anweisung habe der Vertreter besonders eindringlich formuliert, weil er gewußt habe, daß er infolge eines seit längerem geplanten Kurzurlaubes vom 22. bis 24. August 1994 nicht in der Kanzlei sein werde. Der Vertreter habe in Frau K. eine äußerst verläßliche und eher als übergenau zu bezeichnende Mitarbeiterin. Er habe daher mit absoluter Sicherheit damit rechnen können, daß diese seinem Auftrag, der nur in der manipulativen Tätigkeit des Aufklebens von Bundesstempelmarken und der Postaufgabe der Beschwerde bestanden habe, ordnungsgemäß nachkommen werde. Frau K. habe den Vertreter überdies darauf hingewiesen, daß es keinen guten Eindruck mache, wenn auf einer Beschwerde an ein Höchstgericht sichtbare Korrekturen von Fehlern - wie dies im Falle einer handschriftlichen Ausbesserung des Kostenverzeichnisses der Fall gewesen wäre - vorhanden seien. Deshalb habe sie die erste Seite der Beschwerde zum Zwecke der Unterfertigung durch den Vertreter ausgedruckt und zugesagt, die erforderliche Korrektur des Kostenverzeichnisses am 22. August 1994 in den Computer einzugeben und dann noch die Seiten 2, 15 und 16 auszudrucken und diesen dann richtigen "Mantelbogen" gegen den ursprünglichen auszutauschen. Am 22. August 1994 sei Frau K. allein in der Kanzlei gewesen. Offenbar infolge der damit verbundenen Arbeitsüberlastung habe sie auf den ihr am 19. August 1994 erteilten Auftrag zur Postaufgabe vergessen.
Erst am 24. August habe sie ihr Versehen bemerkt, worauf sie unverzüglich den erteilten Auftrag erledigt habe. Sie habe also die fehlenden Bundesstempelmarken auf die Beilagen aufgeklebt, das Kostenverzeichnis korrigiert und die Beschwerde zur Post gegeben; all dies in der Hoffnung, daß die geringfügige Fristüberschreitung von zwei Tagen zu keiner Zurückweisung der Beschwerde führen werde. Gleichzeitig mit der Korrektur des Kostenverzeichnisses habe Frau K., wie es ihrer oben erwähnten Gewohnheit entspreche, auf der letzten Seite des "Mantelbogens" der Beschwerde das Datum auf "24.8.1994" - den Tag der tatsächlichen Aufgabe der Beschwerde - korrigiert. Soweit sich der Vertreter erinnern könne, sei Frau K. noch nie ein ähnlicher Fehler unterlaufen. Es sei daher davon auszugehen, daß es sich im gegenständlichen Fall um eine leichte Fahrlässigkeit bzw. um einen minderen Grad des Versehens handle.
Selbst auf der Grundlage dieser Sachverhaltsbehauptungen könnte der Wiedereinsetzungsantrag nicht erfolgreich sein.
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist. Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist diesem als Verschulden anzurechnen, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat. Der bevollmächtigte Anwalt muß den Aufgaben, die ihm aus dem Bevollmächtigungsvertrag erwachsen, auch insoweit nachkommen, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Insbesondere muß der Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, daß die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozeßhandlungen sichergestellt wird. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen sein, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. z.B. den Beschluß vom 22. März 1991, Zl. 91/10/0018, und die dort angeführte Rechtsprechung). Das Versehen eines Kanzleibediensteten ist für einen Rechtsanwalt (und damit für die von ihm vertretene Partei) nur dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis, das ohne sein Verschulden die Einhaltung der Frist verhinderte, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleibediensteten nachgekommen ist. Wenn der Wiedereinsetzungswerber als Wiedereinsetzungsgrund ein Versehen eines Kanzleiangestellten seines bevollmächtigten Rechtsanwaltes geltend macht, so hat er durch konkrete Behauptungen im Wiedereinsetzungsantrag nicht nur darzutun, worin das Versehen bestanden hat, sondern auch, daß es zur Fehlleistung der Kanzleiangestellten gekommen ist, obwohl die dem Rechtsanwalt obliegenden Aufsichts- und Kontrollpflichten eingehalten wurden. Erlaubt das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag über das beim Rechtsanwalt des Wiedereinsetzungswerbers eingerichtete Kontrollsystem und über die konkreten Umstände, auf die die Versäumung der Beschwerdefrist zurückzuführen ist, eine Beurteilung der Frage der Einhaltung der Kontrollpflichten nicht, so schließt dies die Annahme eines tauglichen Wiedereinsetzungsgrundes aus (vgl. z. B. den Beschluß vom 26. September 1990, Zl. 90/10/0070).
Die Art und Intensität der über die betreffende Kanzleiangestellte durch den Rechtsanwalt ausgeübten Kontrolle betreffend wird im Antrag nichts vorgebracht; weder die Behauptung, daß der Rechtsanwalt die Anweisung, die Sendung am 22. August 1994 zur Post zu geben, "besonders eindringlich formuliert" habe, noch jene, daß der Rechtsanwalt mit absoluter Sicherheit damit habe rechnen können, daß seine äußerst verläßliche Mitarbeiterin seinen Aufträgen nachkommen werde, vermögen angesichts der vorgebrachten Umstände ein konkretes Vorbringen über die in der Kanzlei des Vertreters getroffenen organisatorischen Maßnahmen, die die ordnungsgemäße Ausfertigung und Postaufgabe von fristgebundenen Schriftstücken gewährleisten sollen, zu ersetzen. Solche Darlegungen wären im vorliegenden Fall schon unter dem Gesichtspunkt geboten gewesen, als nach den Sachverhaltsbehauptungen des vorliegenden Antrages die Vorgeschichte der Säumnis
- "Blanko"-Unterfertigung der ersten Seite eines umfangreichen Schriftsatzes, dessen Fertigstellung in Kenntnis des Umstandes, daß diese nach ihrer "Gewohnheit" bei der Datierung des Schriftsatzes selbständig dessen Inhalt gestaltet, ohne Kontrolle der Kanzleiangestellten überlassen wird - nicht auf eine Kanzleiorganisation schließen läßt, die die rechtzeitige Einbringung formgerechter und vollständiger Eingaben gewährleistet.
Der Wiedereinsetzungsantrag läßt somit nicht erkennen, daß der Vertreter der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden bzw. ohne ein einen minderen Grad des Versehens nicht übersteigendes Verschulden gehindert war, die Frist zur Erhebung der Beschwerde einzuhalten. Der Wiedereinsetzungsantrag war somit abzuweisen.
Es erübrigt sich daher auch eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob der behauptete Sachverhalt angesichts des Umstandes, daß die Behauptung, der Beschwerdeschriftsatz sei deshalb mit "24.9.1994" datiert, weil es der "Gewohnheit" der Kanzleiangestellten entspreche, alle Schriftsätze mit dem Tag der Postaufgabe zu datieren, der Aktenlage (Tag der Postaufgabe ist der 26. September 1994) nicht entspricht, als bescheinigt angesehen werden könnte.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994100153.X00Im RIS seit
02.03.2001Zuletzt aktualisiert am
17.05.2013