TE Vfgh Beschluss 1992/9/29 B1381/90

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Veröffentlicht am 29.09.1992
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- u Zwangsausübung unmittelb

Leitsatz

Das Beweisverfahren erbrachte keine Hinweise, daß der Beamte dem Beschwerdeführer die Festnahme auch nur angedroht hätte, um ihn zum Mitkommen zu bewegen. Die Aufforderung, zur Bezirkshauptmannschaft (Fremdenpolizei) mitzukommen, stellte sich unter voller Berücksichtigung aller konkreten Begleitumstände - so auch des Umstands, daß der Beschwerdeführer sich vorübergehend nicht im Besitz des Reisepasses befand, den er aber vor Abschluß der Amtshandlung gar nicht zurückverlangt hatte - nur als "Einladung" dar, die der Fremde nach eigenem Gutdünken unerfüllt lassen konnte, ohne dabei Gefahr zu laufen, daß er deshalb unverzüglich ("unmittelbar") physischem (Polizei-)Zwang unterworfen werde, um den gewünschten Zustand herzustellen. Eine derartige, den Charakter eines schlichten "Ansinnens" tragende formlose Enuntiation entbehrt des individuell-normativen Inhalts, wie ihn Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF vor der Nov. BGBl. 685/1988 zwingend verlangt (vgl. zB B782/90, B v 30.09.91).

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. O T begehrte in seiner an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG der Sache nach die kostenpflichtige Feststellung, er sei am 8. November 1990 in Dornbirn dadurch, daß ihn ein Angehöriger der Städtischen Sicherheitswache zur Bezirkshauptmannschaft verbrachte, demnach durch einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

1.2. Der Bürgermeister der Stadt Dornbirn als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er für die Zurückweisung, hilfsweise für die Abweisung der Beschwerde eintrat.

2. Über die Beschwerde wurde erwogen:

2.1. Vorausgeschickt wird, daß dieses beim Verfassungsgerichtshof am 1. Jänner 1991 bereits anhängig gewesene Verfahren (über eine Beschwerde gegen Akte polizeilicher Befehls- und Zwangsgewalt) kraft der Übergangsbestimmung des ArtIX Abs2 (iVm ArtX Abs1 Z1) des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 (Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1988), BGBl. 685/1988, nach der "bisherigen" Rechtslage, dh. nach der Rechtslage bis zum 31. Dezember 1990, zu Ende zu führen ist (s. dazu: ArtII des Bundesgesetzes vom 6. Juni 1990, BGBl. 329/1990).

2.2.1. Im verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren wurden G H, M W, P P und V T als Zeugen und O T als Partei vernommen.

2.2.2. Auf Grund der Ergebnisse des Beweisverfahrens wurde folgender Sachverhalt als erwiesen festgestellt:

M W vom Meldeamt Dornbirn erschien am 8. November 1990 in den Räumlichkeiten der Stadtpolizei und gab dort dem Polizeibeamten

G H bekannt, daß der ihn begleitende Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, über keinen gültigen österreichischen Sichtvermerk verfüge; außerdem übergab er dem H den Paß des Fremden. Daraufhin fragte H telefonisch bei P P von der Bezirkshauptmannschaft (Fremdenpolizei) nach, der ihn und den Beschwerdeführer zu sich bestellte. Die beiden begaben sich daher zu P, dem H den Paß des Beschwerdeführers aushändigte. Nach Prüfung der Sachlage erklärte P ua., der Beschwerdeführer dürfe sich nicht in Österreich niederlassen, und folgte ihm den Reisepaß aus.

Das Beweisverfahren erbrachte keine Hinweise, daß G H dem Beschwerdeführer die Festnahme auch nur angedroht hätte, um ihn zum Mitkommen (zu P P) zu bewegen. Des weiteren behauptete der Beschwerdeführer auch gar nicht, daß er den Reisepaß schon vor der Amtshandlung bei der Fremdenpolizei zurückverlangt habe und ihm die sofortige Ausfolgung verweigert worden sei.

2.3.1. Zu einer formalen Festnahme kam es nach den Verfahrensergebnissen offenkundig nicht. Daher bleibt zu prüfen, ob in der Aufforderung, zur Bezirkshauptmannschaft mitzukommen, ein - den Beschwerdeführer (allenfalls) in seiner persönlichen Freiheit einschränkender - "Befehl" iSd Art144 B-VG (aF) zu erblicken ist:

Unverzichtbares Inhaltsmerkmal eines verfahrensfreien Verwaltungsaktes in der Erscheinungsform eines - alle Voraussetzungen des Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF vor der Nov. BGBl. 685/1988 erfüllenden - "Befehls", dh. der "Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehlsgewalt", bildet der Umstand, daß dem Befehlsadressaten eine bei Nichtbefolgung unverzüglich einsetzende physische Sanktion angedroht wird. Dies traf hier - angesichts des erwiesenen Sachverhalts - nicht zu. Der mit der vorliegenden Beschwerde bekämpfte Vorgang stellte sich vielmehr unter voller Berücksichtigung aller konkreten Begleitumstände - so auch des Umstands, daß der Beschwerdeführer sich vorübergehend nicht im Besitz des Reisepasses befand, den er aber vor Abschluß der Amtshandlung gar nicht zurückverlangt hatte - nur als "Einladung" dar, die der Fremde nach eigenem Gutdünken unerfüllt lassen konnte, ohne dabei Gefahr zu laufen, daß er deshalb unverzüglich ("unmittelbar") - das ist jedenfalls ohne Dazwischentreten weiterer Verwaltungsakte (etwa der konkreten formalen Androhung der sofortigen Festnahme, wenn der erteilte Befehl unbefolgt bliebe) - physischem (Polizei-)Zwang unterworfen werde, um den gewünschten Zustand herzustellen.

Eine derartige, den Charakter eines schlichten "Ansinnens" tragende formlose Enuntiation entbehrt nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (s. VfSlg. 8688/1979, 9457/1982, 9922/1984, 11568/1987, 11878/1988, VfGH 30.9.1991 B782/90 uam.) des individuell-normativen Inhalts, wie ihn die Bestimmung des Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF vor der Nov. BGBl. 685/1988 zwingend verlangt.

Auf die (Rechts-)Frage, ob der Fall anders zu beurteilen wäre (s. etwa VfSlg. 3069/1956), wenn man dem Beschwerdeführer (bei der Stadtpolizei) die Rückgabe des Passes verweigert hätte, mußte im Hinblick auf die gegebene Sachlage nicht mehr eingegangen werden.

2.4. Da es allein schon aus diesem Grund an einem tauglichen Beschwerdegegenstand fehlt, war die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren getroffen werden.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Festnehmung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:B1381.1990

Dokumentnummer

JFT_10079071_90B01381_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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