TE Vfgh Beschluss 1992/9/29 V8/91, V71/91

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Veröffentlicht am 29.09.1992
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8500 Straßen

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
Tir StraßenG §15 Abs1

Leitsatz

Zurückweisung von Individualanträgen auf Aufhebung einer Verordnung betreffend die Auflassung von Gemeindewegen nach dem Tir StraßenG mangels Eingriff in die Rechtssphäre der Antragsteller; kein subjektives Recht auf Aufrechterhaltung des Gemeingebrauches an einer Straße; Grundstücke der Antragsteller auch nach Auflassung der Gemeindestraßen hinreichend erschlossen

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Der Gemeinderat der Gemeinde Kematen in Tirol hat mit Verordnung vom 7. Mai 1990, Z 612-5/1990, kundgemacht an der Gemeindeamtstafel vom 22. Mai 1990 bis 6. Juni 1990, gemäß §15 Abs1 Tiroler Straßengesetz, LGBl. 13/1989, "die gänzliche Auflassung des Gemeindeweges hins. der Gp. 2012 KG Kematen und die teilweise Auflassung des Gemeindeweges hins. der Gp. 2029 KG Kematen, vom Vermessungspunkt 8909 bis Vermessungspunkt 5976" beschlossen.

2. Die Antragsteller begehren mit ihren auf Art139 B-VG gestützten Eingaben, diese Verordnung zur Gänze wegen Gesetzwidrigkeit aufzuheben.

Zur Begründung ihrer Antragslegitimation führen die Antragsteller aus, daß sie durch die angefochtene Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Kematen in Tirol in ihrem "rechtlich geschützten Interesse an der Aufrechterhaltung der bestehenden Wegverbindung" zu in ihrem Eigentum stehenden Grundstücken beeinträchtigt seien. Mit der Auflassung dieser Wegeverbindungen werde ihnen ein "unnötiges Sonderopfer" auferlegt, weil die Erschließung ihrer Grundstücke dadurch "schwerwiegend beeinträchtigt" sei.

Die Antragsteller erachten sich durch die angefochtene Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Kematen in Tirol in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt; auch sei die Verordnung gesetzlich nicht gedeckt, da sie die - nach wie vor bestehende - Verkehrsbedeutung der Gemeindestraße im Sinne des §13 Abs2 Tiroler Straßengesetz nicht berücksichtige.

3. Der Gemeinderat der Gemeinde Kematen in Tirol und die Tiroler Landesregierung beantragen in ihren Äußerungen die Zurückweisung mangels Antragslegitimation, in eventu die Abweisung der vorliegenden Anträge.

II. Die Anträge sind nicht zulässig.

1. Gemäß Art139 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, daß der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch die angefochtene Verordnung - im Hinblick auf deren Gesetzwidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, daß die Verordnung für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, daß die Verordnung in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, daß die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteter Weise - rechtswidrigen Eingriffes zu Verfügung steht (VfSlg. 10511/1985, 11726/1988).

2. Die Antragsteller benützten die aufgelassenen Gemeindestraßen aus dem Titel des Gemeingebrauches; ihre Grundstücke sind - auch nach Auflassung der genannten Gemeindestraßen - hinreichend erschlossen.

Die Antragsteller sind daher durch die bekämpfte Auflassung der gegenständlichen Gemeindestraßen ausschließlich in wirtschaftlicher Hinsicht betroffen. Unbeschadet der hier belanglosen Frage, ob im Rahmen einer aufrechten Widmung zum Gemeingebrauch entsprechende Nutzungsrechte abgeleitet werden können (vgl. VfSlg. 9309/1981), steht jedenfalls niemandem ein Recht auf Aufrechterhaltung des Gemeingebrauches an einer Straße zu. Auch die §§4, 13 und 15 des Tiroler Straßengesetzes, LGBl. 13/1989, vermitteln kein derartiges subjektives Recht eines Straßenbenützers. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in ähnlich gelagerten Fällen (vgl. vor allem VfSlg. 10423/1985 unter Hinweis auf VfSlg. 8060/1977 und 8670/1979) dargelegt hat, äußert die Auflassung eines öffentlichen Weges lediglich wirtschaftliche Auswirkungen auf die bisherigen Wegebenützer. Es handelt sich nur um faktische Reflexwirkungen von an die Allgemeinheit gerichteten Normen. Die Rechtssphäre der Antragsteller wird dadurch jedoch nicht berührt, weil die Zu- und Abfahrt zu und von ihren Liegenschaften nach wie vor gesichert ist und eine widmungsgemäße Nutzung der Grundstücke der Antragsteller durch die bekämpfte Verordnung (anders als in VfSlg. 9089/1981) nicht verhindert wird. Besondere Umstände, die es erlauben würden, einen aktuellen Eingriff in eine rechtliche geschützte Interessenssphäre anzunehmen, sind nicht zu erkennen (vgl. VfSlg. 8984/1980, 9089/1981 sowie 9309/1981 und die dort zitierte Judikatur). Die bis zur Erlassung der bekämpften Verordnung im Rahmen des Gemeingebrauches bestehende Möglichkeit, die Grundstücke auch über die nun aufgelassenen Wege zu erreichen, vermittelt den Antragstellern keine Rechtsposition, die der von ihnen dargelegten Betroffenheit Anerkennung im Rechtsbereich verschaffen würde.

Die Rechtssphäre der Antragsteller wird durch die bekämpfte Verordnung sohin nicht im Sinne des Art139 B-VG berührt.

Die Anträge waren daher mangels Legitimation der Antragsteller zurückzuweisen.

Dem anwaltlich vertretenen Gemeinderat der Gemeinde Kematen in Tirol waren die begehrten Kosten nicht zuzusprechen, weil ein Kostenersatz an die Behörde nach §61a VerfGG 1953 nicht vorgesehen ist (vgl. VfSlg. 11347/1987).

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Straßenverwaltung, Gemeindestraße, Widmung (einer Straße), Gemeingebrauch (einer Straße), Rechte subjektive, Auflassung (einer Straße)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:V8.1991

Dokumentnummer

JFT_10079071_91V00008_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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