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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §19 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde 1. der öffentlich rechtlichen Weggenossenschaft P, vertreten durch den Obmann, 2. des H, 3. des R, 4. der H R, 5. des G, 6. der E und
7. des F, alle in I, alle vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom 25. Jänner 1993, Zl. 513.029/01-I 5/93 (in der Fassung des Berichtigungsbescheides vom 10. Februar 1993, Zl. 513.029/02-I 5/93), betreffend Zurückweisung einer Berufung (mitbeteiligte Partei: Gemeinde D, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Eingabe vom 22. April 1991 beantragte die mitbeteiligte Partei beim Landeshauptmann von Steiermark die Erteilung der wasserrechtlichen Bewilligung für eine biologische Kläranlage für die Ortschaften D und W-P.
Mit Kundmachung vom 31. Mai 1991 beraumte der Landeshauptmann unter Hinweis darauf, daß die mitbeteiligte Partei um die wasserrechtliche Bewilligung für die Errichtung einer biologischen Kläranlage angesucht habe, eine mündliche Verhandlung für den 24. Juni 1991 an. Mit einer weiteren Kundmachung vom 19. Juni 1989 wurde die "Verhandlung betreffend wasserrechtliche Bewilligung für die Abwasserbeseitigungsanlage der Gemeinde D" auf den 2. Juli 1991 verschoben. In beiden Kundmachungen wird darauf hingewiesen, daß die für das Verfahren eingereichten Pläne und sonstigen Behelfe bis zum Tag vor der örtlichen Erhebung bei der Rechtsabteilung 3 (des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung) und beim Gemeindeamt D zur allgemeinen Einsicht aufliegen. Beide Kundmachungen wurden an der Amtstafel der mitbeteiligten Partei angeschlagen. Die beschwerdeführenden Parteien wurden zu dieser Verhandlung nicht persönlich geladen.
Mit Bescheid vom 2. Juli 1991 erteilte der Landeshauptmann von Steiermark der mitbeteiligten Partei die wasserrechtliche Bewilligung für
a) die Errichtung und den Betrieb einer biologischen Kläranlage auf den Grundstücken Nr. 102/2 und 102/3 der KG D samt Einbringung von biologisch gereinigten Abwässern im Ausmaß von 7 l/s zuzüglich Fremdwasser bzw. 280 m3/d zuzüglich Fremdwasser in den D und
b) die Errichtung und den Betrieb von Kanalanlagen in den Ortsteilen W, P und B samt zugehörigen Pumpwerken.
Dieser Bescheid wurde den beschwerdeführenden Parteien nicht zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 1. Juni 1992 begehrten die beschwerdeführenden Parteien (bzw. deren Rechtsvorgänger), den Bescheid des Landeshauptmannes vom 2. Juli 1991 dahin abzuändern, daß die wasserrechtliche Bewilligung nicht erteilt werde, allenfalls den Bescheid zu beheben und das Verfahren neu durchzuführen. In eventu wurde Berufung erhoben sowie ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt. In diesem Schriftsatz brachten die beschwerdeführenden Parteien vor, durch die geplanten Maßnahmen der mitbeteiligten Partei würden ihre Rechte im Sinne des § 12 Abs. 2 WRG 1959 verletzt. Die Ladung zur Wasserrechtsverhandlung sei nicht ordnungsgemäß öffentlich kundgemacht worden, sodaß die Erweiterung der Rechtskraftwirkung auf die dem Verfahren nicht beigezogenen Parteien nicht eingetreten sei. Die mitbeteiligte Partei habe um die Bewilligung zur Errichtung einer biologischen Kläranlage angesucht. Als Verhandlungsgegenstand sei in der Kundmachung des Landeshauptmannes die Errichtung einer biologischen Kläranlage bezeichnet worden. Wie die beschwerdeführenden Parteien erst jetzt erfahren hätten, sei Gegenstand der Verhandlung nicht nur die Errichtung dieser biologischen Kläranlage, sondern auch die Errichtung und der Betrieb von Kanalanlagen in den Ortsteilen W, P und B und die Wasserversorgung der mitbeteiligten Partei gewesen. Durch den Bau der biologischen Kläranlage allein hätten sich die beschwerdeführenden Parteien nicht beschwert erachten können. Sie hätten sich aus diesem Grund nicht veranlaßt gesehen, in die Planunterlagen Einsicht zu nehmen und sich mit dem kundgemachten Projekt näher auseinanderzusetzen. Die öffentliche Kundmachung des ersten Verhandlungstermines sei am 11. Juni 1991 an der Gemeindeamtstafel angeschlagen worden. Diese Kundmachung habe den Hinweis enthalten, daß die dem Projekt zugrundeliegenden Unterlagen beim Gemeindeamt der mitbeteiligten Partei zur allgemeinen Einsicht aufliegen. Zu diesem Zeitpunkt sei aber weder der technische Bericht für die Kläranlage noch jener für den Kanal vorhanden gewesen.
Mit Bescheid vom 25. Jänner 1993 wies die belangte Behörde die Berufung der beschwerdeführenden Parteien als verspätet zurück. In der Begründung wird ausgeführt, aus dem Verfahrensakt gehe hervor, daß der Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 2. Juli 1991 bereits Mitte Juli 1991 den Verfahrensparteien nachweislich zugestellt und nach Ablauf der zweiwöchigen Rechtsmittelfrist in Rechtskraft erwachsen sei. Die Berufung der beschwerdeführenden Parteien sei als verspätet zurückzuweisen gewesen, weil der wasserrechtliche Bewilligungsbescheid des Landeshauptmannes nicht innerhalb der ab Zustellung an die beigezogenen Parteien zu berechnenden Berufungsfrist bekämpft worden sei. Aus diesem Grund sei auf die Frage, ob den Beschwerdeführern im Wasserrechtsverfahren überhaupt Parteistellung zugekommen sei, nicht mehr weiter einzugehen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Auch die mitbeteiligte Partei hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die beschwerdeführenden Parteien bringen vor, die erweiterte Rechtskraftwirkung nach § 107 Abs. 2 WRG 1959 könne nur bei ordnungsgemäßer öffentlicher Kundmachung der Ladung zur mündlichen Verhandlung eintreten, und verweisen dazu auf die Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts. Da im Beschwerdefall der Verhandlungskundmachung nicht zu entnehmen gewesen sei, daß in der mündlichen Verhandlung nicht nur über die Errichtung einer biologischen Kläranlage, sondern auch über Kanalanlagen in den Ortsteilen W, P und B verhandelt werden sollte, komme § 107 Abs. 2 WRG 1959 nicht zum Tragen.
Nach § 107 Abs. 2 WRG 1959 kann eine Partei (§ 102 Abs. 1), die eine mündliche Verhandlung ohne ihr Verschulden versäumt hat, ihre Einwendungen auch nach Abschluß der mündlichen Verhandlung und bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Angelegenheit vorbringen. Solche Einwendungen sind binnen 2 Wochen von dem Zeitpunkt, in dem die Partei nachweislich davon Kenntnis erhalten hat, daß ihre Rechte durch das Bauvorhaben berührt werden, bei der Behörde einzubringen, die die mündliche Verhandlung anberaumt hat, und von dieser oder von der Berufungsbehörde in gleicher Weise zu berücksichtigen, als wären sie in der mündlichen Verhandlung erhoben worden.
Diese Fassung hat § 107 Abs. 2 WRG 1959 durch die WRG-Novelle 1990, BGBl. Nr. 252, erhalten.
Zu § 107 Abs. 2 WRG 1959 in der Fassung vor der Novelle 1990 haben die Gerichtshöfe öffentlichen Rechts in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß die in dieser Bestimmung angeordnete Rechtskrafterstreckung nur jene Fälle betrifft, in denen die mündliche Verhandlung ordnungsgemäß kundgemacht worden ist; unterblieb eine solche Verhandlungskundmachung, dann blieb die Möglichkeit nachträglicher Einwendungen offen (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 18. Oktober 1979, VfSlg. 8661 sowie das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. Mai 1988, Zl. 87/07/0197 u.a.).
Durch die WRG-Novelle 1990 erhielt § 107 Abs. 2 WRG 1959 eine neue Fassung, die jene Textstellen - insbesondere den Hinweis auf § 41 Abs. 2 AVG - nicht mehr enthält, aus denen der Verfassungsgerichtshof in seinem grundlegenden Erkenntnis VfSlg. 8661 abgeleitet hat, daß die zu § 107 Abs. 2 WRG 1959 (in der Fassung vor der Novelle 1990) angeordnete Rechtskrafterstreckung nur dann eintritt, wenn die Anberaumung der mündlichen Verhandlung öffentlich bekannt gemacht wurde. Aus dieser Änderung kann aber nicht abgeleitet werden, die Rechtskrafterstreckung trete nunmehr auch dann ein, wenn die Anberaumung der mündlichen Verhandlung nicht (ordnungsgemäß) öffentlich bekanntgemacht wurde.
Durch die WRG-Novelle 1990 wurde nicht nur § 107 Abs. 2, sondern auch § 107 Abs. 1 WRG 1959 neu gefaßt. Die Struktur des gesamten § 107 leg. cit. wurde weitgehend verändert. § 107 Abs. 1 teilt die Parteien eines wasserrechtlichen Verfahrens in 2 Gruppen ein und bestimmt, daß eine Gruppe persönlich zur mündlichen Verhandlung zu laden ist, während die andere durch Anschlag in den Gemeinden, in denen das Vorhaben ausgeführt werden soll, zu laden ist. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (1152 Blg. XVII. GP, 34) heißt es dazu:
"Die rigorose Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Parteienbegriff macht auch herkömmliche Wasserrechtsverfahren zunehmend aufwendig und kaum mehr gesetzmäßig durchführbar, ohne gleichzeitig wesentlich zum Rechtsschutz der Betroffenen beizutragen. In Anlehnung an die Bestimmungen der GewO wird daher der Kreis jener Parteien, die jedenfalls persönlich zu laden sind, auf die unmittelbar Betroffenen beschränkt; für sonstige Parteien (§ 102) und Beteiligte genügt eine öffentliche Kundmachung der Anberaumung der Verhandlung (Ediktalverfahren). Diese Regelung macht auch eine Neuregelung der Präklusion im Wasserrecht erforderlich."
Daraus erhellt, daß die Änderung des § 107 WRG 1959 darauf abzielte, den Kreis der persönlich zu Ladenden zu beschränken, nicht aber darauf, jener Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts den Boden zu entziehen, welche eine Rechtskrafterstreckung nur dann annahm, wenn die Anberaumung der mündlichen Verhandlung öffentlich bekannt gemacht wurde.
Aufgrund des untrennbaren systematischen Zusammenhanges zwischen den Absätzen 1 und 2 des § 107 WRG 1959 kann eine Auslegung des § 107 Abs. 2 leg. cit. nicht ohne Bedachtnahme auf die vorangehende Bestimmung des § 107 Abs. 1 WRG 1959 erfolgen. Die an die Versäumung einer mündlichen Verhandlung anknüpfende Regelung des § 107 Abs. 2 WRG 1959 baut auf den Bestimmungen des § 107 Abs. 1 leg. cit über die mündliche Verhandlung auf und setzt diese voraus, sodaß die Rechtskrafterstreckung nur dann zum Tragen kommt, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind, d.h. wenn die Anberaumung der mündlichen Verhandlung in der dort vorgesehenen Weise öffentlich bekannt gemacht wurde. Wenn die Erläuterungen zur Regierungsvorlage davon sprechen, daß für sonstige Parteien und Beteiligte eine öffentliche Kundmachung der Anberaumung der Verhandlung "genügt", dann ergibt sich daraus auch, daß es sich bei dieser öffentlichen Kundmachung um ein Mindesterfordernis handelt, welches nicht unterschritten werden darf. Eine unterbliebene oder nicht ordnungsgemäß erfolgte öffentliche Kundmachung "genügt" nicht, um die im § 107 Abs. 2 WRG 1959 angeordnete Rechtskrafterstreckung zu bewirken.
Für dieses Ergebnis spricht auch der Grundsatz verfassungskonformer Interpretation, bestehen doch gegen eine Erstreckung der Rechtskraft auch in Fällen unterbliebener oder nicht ordnungsgemäß durchgeführter öffentlicher Bekanntmachung der mündlichen Verhandlung verfassungsrechtliche Bedenken (vgl. VfSlg. 8661).
§ 107 Abs. 1 dritter Satz WRG 1959 bestimmt, daß die anderen Parteien so wie die sonstigen Beteiligten durch Anschlag in den Gemeinden, in denen das Vorhaben ausgeführt werden soll, zu laden sind. Diese Anordnung verdrängt zwar die Bestimmung des § 41 Abs. 1 AVG, ob und wie eine mündliche Verhandlung öffentlich bekannt gemacht wird, nicht aber die Anordnung des § 41 Abs. 2 zweiter Satz AVG, wonach die Verständigung (Kundmachung) über die Anberaumung der Verhandlung die für Ladungen vorgeschriebenen Angaben zu enthalten hat.
Nach § 19 Abs. 2 AVG ist in der Ladung außer Ort und Zeit der Amtshandlung auch anzugeben, was den Gegenstand der Amtshandlung bildet.
In der Kundmachung des Landeshauptmannes von Steiermark vom 31. Mai 1995 ist als Gegenstand der Verhandlung die Errichtung einer biologischen Kläranlage durch die Gemeinde D angegeben. In der Kundmachung vom 19. Juni 1991 ist von der Abwasserbeseitigungsanlage der Gemeinde D die Rede. Wenngleich die Anforderungen an die Umschreibung des Gegenstandes der Verhandlung in der Kundmachung nicht überdehnt werden dürfen, sollen die Regelungen über das Ediktalverfahren praktikabel bleiben, muß doch festgestellt werden, daß eine solche Umschreibung des Verhandlungsgegenstandes, wie sie sich in den erwähnten Kundmachungen findet, den Anforderungen an eine ordnungsgemäße öffentliche Bekanntmachung der Wasserrechtsverhandlung nicht entspricht. Die Umschreibung des Verhandlungsgegenstandes muß so gestaltet sein, daß vom Vorhaben potentiell betroffene Personen der Kundmachung bei gehöriger Aufmerksamkeit zumindest einen Hinweis darauf entnehmen können, daß sie möglicherweise vom Vorhaben betroffen sein könnten und sie veranlaßt werden, in die Projektsunterlagen Einsicht zu nehmen. Die in Rede stehenden Kundmachungen enthalten nicht den geringsten Hinweis auf die örtliche Situierung der Kläranlage der mitbeteiligten Partei. Hiezu kommt, daß in der Kundmachung nur von einer Kläranlage die Rede war, wärend Gegenstand der mündlichen Verhandlung und auch des Bescheides des Landeshauptmannes vom 2. Juli 1991 eine biologische Kläranlage sowie die Errichtung und der Betrieb von Kanalanlagen in den Ortsteilen W, P und B war. Zu Recht machen daher die Beschwerdeführer geltend, sie hätten keine Veranlassung gehabt, in die Projektsunterlagen Einsicht zu nehmen, da sie von einer Kläranlage nicht betroffen gewesen wären, wohl aber - ihren Behauptungen zu Folge - von den Kanalanlagen.
Da § 107 Abs. 2 WRG 1959 eine Rechtskrafterstreckung nur dann anordnet, wenn die Anberaumung der mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht wurde, eine solche ordnungsgemäße öffentliche Bekanntmachung im Beschwerdefall aber nicht vorliegt, durfte die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführer nicht als verspätet zurückweisen.
Dem Einwand der mitbeteiligten Partei in der Gegenschrift, die beschwerdeführenden Parteien seien vom Bau der Kläranlage und den Kanalanlagen nicht berührt, ist zu erwidern, daß es Sache der belangten Behörde sein wird, diese Frage im fortgesetzten Verfahren zu prüfen.
Aus den dargestellten Erwägungen erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
Schlagworte
Übergangene ParteiEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1993070039.X00Im RIS seit
12.11.2001Zuletzt aktualisiert am
27.02.2009