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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
ABGB §1332;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 94/08/0275Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell und Dr. Müller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schidlof, 1. über den Antrag des H in W, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in W, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung der Beschwerde gegen den aufgrund des Beschlusses des zuständigen Unterausschusses des Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des LAA Wien vom 21. 7. 1994 und 2. über die Beschwerde gegen den genannten Bescheid den Beschluß gefaßt:
Spruch
1.
Dem Wiedereinsetzungsantrag wird nicht stattgegeben.
2.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Begründung
Mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 1. September 1994, Zl. VH 94/08/0039, wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 61 VwGG die Verfahrenshilfe, unter anderem durch die Beigebung eines Rechtsanwaltes, zur Einbringung einer Beschwerde gegen den obgenannten Bescheid bewilligt. Daraufhin wurde mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 13. September 1994 Dr. B zum Vertreter bestellt. Eine Ausfertigung des Bewilligungsbeschlusses sowie des Bescheides wurde dem Rechtsanwalt am 30. September 1994 zugestellt.
Gegen den Bescheid des Landesarbeitsamtes Wien vom 21. Juli 1994 richtet sich die vorliegende, erst am 29. November 1994 (und daher verspätet) zur Post gegebenen Beschwerde, mit der ein Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Beschwerdefrist verbunden ist. Dieser Antrag wird wie folgt begründet:
Der Beschwerdeführer habe sich nach Verständigung von der Bestellung des Rechtsanwaltes zum Verfahrenshelfer mit dessen Kanzlei in Verbindung gesetzt und mit dem Konzipienten des Verfahrenshelfers Mag. G vereinbart, alle bezughabenden Unterlagen vorbeizubringen. In Entsprechung dieser Vereinbarung habe er seine gesamte Korrespondenz sowie die Bescheide der erstinstanzlichen und der belangten Behörde übermittelt. Mag. G habe dem Beschwerdeführer mitgeteilt, daß er vom Verfahrenshelfer beauftragt worden sei, eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof vorzubereiten. Nach Ausarbeitung dieser Beschwerde habe ihm der Konzipient eine Kopie zur Stellungnahme übermittelt und es sei die Beschwerde nach seiner Genehmigung und Überprüfung durch den Verfahrenshelfer an den Verfassungsgerichtshof abgefertigt worden. Da der Beschwerdeführer selbst nicht rechtskundig sei, sei ihm der Unterschied zwischen dem Verwaltungs- und dem Verfassungsgerichtshof nicht geläufig gewesen. Mit Auftrag des Verfassungsgerichtshofes vom 9. November 1994, dem Verfahrenshelfer zugestellt am 15. November 1994, sei die Behebung von Formmängeln vorgeschrieben worden. Aufgrund dieses Auftrages habe sich der Irrtum herausgestellt, der dem Verfahrenshelfer unterlaufen sei. Aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen habe nämlich der Verfahrenshelfer bei der Vormerkung der Frist zur Einbringung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde irrtümlich "Beschwerde" vermerkt und Mag. G mit der Konzipierung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde beauftragt. Die Frist sei zweifach berechnet und genauestens eingetragen worden. Dies sei vom Verfahrenshelfer selbst durchgeführt worden. Bei der Eintragung im Fristenbuch sei jedoch fatalerweise die Wortfolge "Beschwerde fix" vermerkt worden. Eine derartige Fehlleistung sei dem Verfahrenshelfer trotz langjähriger Berufserfahrung noch niemals unterlaufen und habe auch trotz aller Vorsicht und genauesten Überwachung nicht aufgedeckt werden können. Die Aufdeckung eines solchen Fehlers sei gerade deshalb nahezu unmöglich, weil nach dem Zeitpunkt, in dem die weitere Vorgangsweise festgelegt werde, das Hauptaugenmerk naturgemäß in der Berechnung, Festsetzung und Überwachung der Frist und in der inhaltlichen Auseinandersetzung der Beschwerde liege. Von Nachteil sei auch gewesen, daß die Beschwerde (an den Verfassungsgerichtshof) lange vor dem Fristende fertig gestellt und abgesendet worden sei, sodaß der Lauf der Frist nicht gesondert noch einmal durch Einsicht in den Bestellungsbescheid überprüft worden sei. Dies geschehe zur Absicherung üblicherweise nur dann, wenn eine Fristsache erst gegen Ende der Frist erledigt werden könne. Im gegenständlichen Fall sei aber allen Beteiligten klar gewesen, daß im Zeitpunkt der Abfertigung der Beschwerde (an den Verfassungsgerichtshof) noch rund 14 Tage der Frist zur Verfügung gestanden sei, sodaß die nochmalige Kontrolle, bei der vielleicht durch Zufall das Versehen entdeckt worden wäre, habe unterbleiben können. Der Beschwerdeführer sei daher durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis, nämlich durch das Versehen seines Verfahrenshelfers, an der rechtzeitigen Einbringung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gehindert gewesen. Als Rechtsunkundiger habe er alle zumutbaren Schritte gesetzt, um seine Rechte zu wahren und fristgerecht die ihm geratenen Rechtshandlungen durchgeführt. Was das ihm zurechenbare Versehen seines Verfahrenshelfers anbelange, so stelle es ein Versehen geringsten Grades dar. Das Einschleichen solcher Fehler sei nahezu unvermeidbar und habe sich der Irrtum trotz fehlerfreier Organisation und Überwachung in der Kanzlei des Verfahrenshelfers ereignet. Der Irrtum sei erst durch den schon genannten Mängelbehebungsauftrag des Verfassungsgerichtshofes bemerkt worden, sodaß der vorliegende Wiedereinsetzungsantrag fristgerecht sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 1 lit. a und e VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:
1. Zum Wiedereinsetzungsantrag:
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. den Beschluß vom 30. September 1994, Zl. 94/08/0168, mit weiteren Judikaturhinweisen) ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, während jenes eines Kanzleibediensteten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes (auch eines bei einem Rechtsanwalt tätigen Rechtsanwaltsanwärters) dem Rechtsanwalt (und damit der Partei) nur dann als Verschulden anzurechnen, wenn er die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht jenem Bediensteten gegenüber unterlassen hat.
Der Begriff des minderen Grades des Versehens in § 46 Abs. 1 VwGG ist grundsätzlich der leichten Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB gleichzustellen. Der Wiedereinsetzungswerber bzw. sein Vertreter darf also nicht sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen haben. Dabei ist an rechtskundige berufliche Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen.
Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers (innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist) gesteckt ist.
Auf dem Boden dieser Rechtslage ist das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag nicht geeignet, einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund darzutun. Denn der Verfahrenshelfer bezeichnet im Wiedereinsetzungsantrag die Gründe, aus denen er seiner Behauptung nach in das Fristenbuch irrtümlich nicht die Wortfolge "VwGH-Beschwerde", sondern nur "Beschwerde" (worunter er offensichtlich nur die Verfassungsgerichtshofbeschwerde versteht) eingetragen und seinen Konzipienten mit der Vorbereitung und Ausarbeitung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde beauftragt hat (worauf, ebenfalls nach seiner Behauptung im Wiedereinsetzungsantrag, letztlich die verspätete Einbringung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde zurückzuführen ist), "heute nicht mehr nachvollziehbar" und führte sie demgemäß nicht im einzelnen an. Das aber hat zur Folge, daß dem Verwaltungsgerichtshof eine Prüfung der Frage, ob dem Verfahrenshelfer ungeachtet des eindeutigen Wortlautes des obgenannten Bescheides des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Wien vom 13. September 1994 in Verbindung mit dem Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 1. September 1994, dessen Nichtbeachtung zunächst für eine auffallende Sorglosigkeit spricht, dennoch nur ein minderer Grad des Versehens zur Last zu legen ist, von vornherein verwehrt ist und schon deshalb kein tauglicher Wiedereinsetzungsgrund im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG vorliegt.
2. Die Beschwerde war daher gemäß § 34 Abs. 1 in Verbindung mit § 26 Abs. 1 und 3 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist zurückzuweisen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994080274.X00Im RIS seit
03.04.2001