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L90204 Landarbeitsordnung Oberösterreich;Norm
AZG §1 Abs2 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des F in B, vertreten durch DDr. W, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 25. April 1994, Zl. VwSen-220243/13/Kon/Fb, betreffend Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.310,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als ein zur Vertretung einer näher bezeichneten Genossenschaft m.b.H. (einer Lagerhausgenossenschaft - im folgenden "Gen") nach außen berufenes Organ schuldig erkannt, es zu verantworten zu haben, daß an fünf namentlich genannte, als LKW-Lenker beschäftigte, Arbeitnehmer der Gen am 5. August 1991 keine Fahrtenbücher ausgegeben waren. Er habe dadurch fünf Übertretungen nach § 17 Abs. 2 des Arbeitszeitgesetzes in Verbindung mit § 4 Abs. 1 der Fahrtenbuchverordnung begangen. Über ihn wurden fünf Geldstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt.
In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Der Beschwerdeführer hat eine Replik zu dieser Gegenschrift erstattet. Darauf hat die belangte Behörde ihrerseits repliziert.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer bestreitet, daß das Arbeitszeitgesetz
auf die in Rede stehenden Arbeitnehmer anzuwenden sei. Sie
unterlägen vielmehr dem Landarbeitsgesetz.
Gemäß § 1 Abs. 2 Z. 2 des Arbeitszeitgesetzes, BGBl. Nr. 461/1969, sind vom Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes Arbeitnehmer ausgenommen, für die die Vorschriften des Landarbeitsgesetzes, BGBl. Nr. 140/1948, gelten. Gemäß § 32a AZG in der Fassung des Art. XI (Z. 3) des Arbeitsrechtlichen Begleitgesetzes, BGBl. Nr. 833/1992, sind, soweit in diesem Bundesgesetz auf andere Bundesgesetze verwiesen wird, diese in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden; nach Art. XI Z. 4 leg. cit. trat u.a. § 32a mit 1. Jänner 1993 in Kraft.
Gemäß § 5 Abs. 4 des Landarbeitsgesetzes 1984, BGBl. Nr. 287, gelten als Betriebe der Land- und Forstwirtschaft, deren Arbeitnehmer Land- und Forstarbeiter im Sinne dieses Gesetzes sind und deren Arbeitsvertragsrecht und Arbeitnehmerschutz im Landarbeitrecht geregelt wird (§ 1 Abs. 1 und 2), auch Betriebe der land- und forstwirtschaftlichen Ein- und Verkaufsgenossenschaften, soweit diese überwiegend mit dem Einkauf land- und forstwirtschaftlicher Betriebserfordernisse und dem Lagern und dem Verkauf unverarbeiteter land- und forstwirtschaflicher Erzeugnisse befaßt sind. Die O.ö. Landarbeitsordnung 1979, LGBl. Nr. 84, enthält in ihrem § 5 Abs. 4 eine wörtlich gleichlautende Bestimmung.
Vorauszuschicken ist, daß der Verwaltungsgerichtshof die von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift vorgetragene Meinung nicht teilt, aus § 32a AZG ergebe sich, daß § 1 Abs. 2 Z. 2 bis zum 1. Jänner 1993 eine statische Verweisung enthalten habe, sodaß alle Arbeitnehmer, die unter das Landarbeitsgesetz 1948 gefallen wären, auch nach dessen Novellierung im Jahr 1974 (mit der zweiten LAG-Novelle BGBl. Nr. 782, und folglich auch nach dessen Wiederverlautbarung als Landarbeitsgesetz 1984) vom Anwendungsbereich des AZG ausgenommen geblieben gewesen seien. Diese Auffassung hätte zur Folge, daß eine Gruppe von Arbeitnehmern, nämlich Arbeitnehmer von Betrieben land- und forstwirtschaftlicher Ein- und Verkaufsgenossenschaften, welche ihre Tätigkeit nicht ausschließlich (abgesehen von vorübergehenden Abweichungen - vgl. Art. IV Abs. 2 des Kundmachungspatentes zur Gewerbeordnung 1859, auf welche Bestimmung § 5 Abs. 4 des Landarbeitsgesetzes 1948 verwiesen hat) auf ihre Mitglieder beschränken, die aber überwiegend mit dem Einkauf land- und forstwirtschaftlicher Betriebserfordernisse und dem Lagern und dem Verkauf unverarbeiteter land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse befaßt sind, sowohl dem AZG als auch dem LAG unterlägen wären. Eine Regelung dieses Inhaltes ist dem Gesetzgeber nicht zusinnbar. Die Verweisungen im § 1 Abs. 2 AZG haben demnach nicht nur den Sinn, die Wiederholung eines in einem anderen Gesetz ausformulierten normativen Inhaltes zu vermeiden, was zur Annahme einer sogenannten statischen Verweisung zu führen hätte. Die Verweisungen haben vielmehr den Sinn, das AZG subsidiär als Arbeitnehmerschutzbestimmung für jene Arbeitnehmer vorzusehen, die diesbezüglich nicht einer anderen Regelung unterliegen; die Verweisungen sollen sicherstellen, daß alle Arbeitnehmer einer dieser Regelungen unterliegen. Diese Überlegung führt dazu, daß eine Ausweitung des persönlichen Anwendungsbereiches einer der im § 1 Abs. 2 AZG genannten Rechtsvorschriften dazu führt, daß die betreffenden Arbeitnehmer nicht mehr dem AZG unterliegen. Im Zusammenhang mit dem LAG kann es in dieser Beziehung dahinstehen, ob dieses Herausfallen aus dem Anwendungsbereich des AZG bereits mit der Änderung des LAG oder erst mit der Anpassung des in Betracht kommenden Ausführungsgesetzes (hier der O.ö. Landarbeitsordnung), die erst die Verbindlichkeit für die betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber herstellt, bewirkt wird, weil im Tatzeitpunkt die in Rede stehende Anpassung längst verwirklicht war.
Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die strittige Frage, ob die in Rede stehenden Arbeitnehmer der Gen dem AZG unterlegen sind, ob also die Tatbestandsmäßigkeit der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen gegeben ist, auf dem Boden des LAG 1984 zu beantworten ist.
Der Sinn der Ausnahme von Arbeitnehmern land- und forstwirtschaftlicher Genossenschaften aus dem Anwendungsbereich des Arbeitnehmerschutzrechtes des Bundes kann nur darin erblickt werden, daß sie - zumindest überwiegend - Tätigkeiten ausüben, die von Land- und Forstwirten ausgeübt werden müßten, gäbe es die Genossenschaften nicht. Die im Gesetz genannten Tätigkeiten, nämlich der Einkauf land- und forstwirtschaftlicher Betriebserfordernisse und das Lagern und der Verkauf unverarbeiteter land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse, sind solche Tätigkeiten, die ihrer Art nach land- und forstwirtschaftlichen Betrieben eigen sind. Die Arbeitnehmer von Genossenschaften, die überwiegend damit beschäftigt sind, sollen Arbeitnehmern von Land- und Forstwirten gleichgestellt werden.
Die Unterscheidung zwischen land- und forstwirtschaftlichen Arbeitnehmern und allen anderen, die auch verfassungsrechtlich (kompetenzrechtlich) vorgezeichnet ist (Art. 10 Abs. 1 Z. 11 bzw. Art. 12 Abs. 1 Z. 6 B-VG), findet so auch ihre sachliche Rechtfertigung. Nicht die formale Zugehörigkeit zum Betrieb eines bestimmten Arbeitgebers, sondern der Inhalt der Tätigkeit ist hiefür entscheidend. Dabei spielt auch eine Rolle, daß es nicht anginge, daß Arbeitnehmer einer Beschäftigung nachgehen, die der zahlreicher anderer Arbeitnehmer völlig gleicht, aber nur aus diesem Grunde nicht denselben arbeitsrechtlichen (arbeitnehmerschutzrechtlichen) Bestimmungen unterliegen, weil ihr Arbeitgeber eine bestimmte rechtliche Qualifikation aufweist, wozu im gegenständlichen Zusammenhang noch kommt, daß - in Ansehung der höchstzulässigen Arbeitszeit - im Landarbeitsgesetz keine Bestimmungen enthalten sind, die der Besonderheit der Situation bei Berufskraftfahrern Rechnung tragen.
Da das Landarbeitsgesetz 1984 im § 5 Abs. 4 nicht auf Arbeitnehmer von Genossenschaften, sondern auf Arbeitnehmer von Betrieben von Genossenschaften abstellt, ist zur Lösung der im vorliegenden Beschwerdefall zu beantwortenden Frage zunächst zu prüfen, ob die Gen nur einen einheitlichen Betrieb darstellt oder ob sie ihre Tätigkeit in mehreren voneinander jeweils zu unterscheidenden Betrieben im Sinne des Arbeitsrechtes, denen jeweils verschiedene Arbeitnehmer angehören, ausübt. So wäre es denkbar, daß eine Genossenschaft zwar überwiegend mit Tätigkeiten befaßt ist, die mit Land- und Forstwirtschaft nichts zu tun haben (wozu die Gen aufgrund ihrer Statuten grundsätzlich berechtigt zu sein scheint), sich in einem oder einigen als Betriebe organisierten Bereichen aber auf ihre spezifischen Aufgaben als verlängerter Arm ihrer Mitglieder konzentriert. Die in den zuletzt genannten Betrieben beschäftigten Arbeitnehmer wären dann als Landarbeiter zu qualifizieren und würden dem AZG nicht unterliegen. Nur wenn eine solche Trennbarkeit von Betrieben im Rahmen der Tätigkeit einer Genossenschaft nicht möglich sein sollte, wäre darauf abzustellen, ob die Genossenschaft als Ganze den Erfordernissen des § 5 Abs. 4 LAG 1984 entspricht; in diesem Fall wären nämlich alle Arbeitnehmer dieser Genossenschaft vom Anwendungsbereich der Arbeitnehmerschutzbestimmungen des Bundes ausgenommen.
Das Gesetz stellt weiters auf das Überwiegen land- und forstwirtschaftlicher Tätigkeiten in den Betrieben ab. Im Lichte des vorher Gesagten ist das quantitative Verhältnis der spezifischen land- und forstwirtschaftlichen Tätigkeiten gegenüber den anderen in diesem Betrieb entfalteten Tätigkeiten zu ermitteln. Das kann aber in einer dem Gebot der Sachlichkeit entsprechenden Weise nicht mit den betragsmäßig zum Ausdruck kommenden Umsätzen erfolgen. Die Werte der umgesetzten Waren allein sind vielfach nicht ausschlaggebend, weil dadurch eine verhältnismäßig geringfügige Betriebssparte, die mit wenigen hochwertigen Gütern befaßt ist, gegenüber einer überwiegenden Tätigkeit das Ergebnis der Beurteilung verzerren könnte: Die den weitaus größten Teil der Tätigkeit beanspruchende Verwertung unverarbeiteter landwirtschaftlicher Produkte könnte durch wenige, eventuell sogar nur nebenbei abgewickelte, Geschäfte mit teuren Waren, die den land- und forstwirtschaftlichen Tätigkeiten nicht zuzuordnen sind, ihren rechtlichen Charakter verlieren und Arbeitnehmer entgegen dem Wesen ihrer tatsächlich entfalteten Tätigkeiten einem diesem Wesen fremden Rechtsbereich zuordnen. Umgekehrt könnte eine überwiegend der Land- und Forstwirtschaft fremde Geschäftstätigkeit - etwa als Handelsbetrieb mit Waren aller Art und offenem Kundenkreis - durch ein einziges (oder einige wenige) Rechtsgeschäfte, mit denen die Arbeitnehmer der Genossenschaft nur am Rande zu tun haben (wie etwa die Vermittlung der Anschaffung eines kostspieligen landwirtschaftlichen Gerätes, wie etwa eines Mähdreschers), ein Überwiegen des Umsatzes aus diesem Geschäftszweig bewirken, sodaß aus faktisch als Handelsangestellte beschäftigten Arbeitnehmern in rechtlicher Hinsicht Landarbeiter würden.
Daß diese Problematik nicht zu vernachlässigen ist, beweist der Inhalt der Verwaltungsakten, wonach sich die Tätigkeit der Gen auch auf Bereiche, die der Land- und Forstwirtschaft völlig fremd sind, erstreckt, in denen leicht hohe Umsätze bewerkstelligt werden können (wie z.B. Reparaturen und Serviceleistungen an Kraftfahrzeugen, Handel mit alkoholischen Getränken).
Auf den vorliegenden Beschwerdefall angewendet bedeutet das, daß es die belangte Behörde unterlassen hat, den für die Lösung der anstehenden Frage, ob auf die als LKW-Lenker beschäftigten Arbeitnehmer der Gen das AZG anzuwenden ist oder nicht, maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln. Die von der belangten Behörde erhobenen Umsätze in den einzelnen Betriebssparten reichen zur Lösung des Beschwerdefalles nicht. Die Behörde hat es insbesondere verabsäumt, dem Vorhandensein von Betrieben im geschilderten Sinn und der Zuordenbarkeit der in Rede stehenden Arbeitnehmer zu solchen Betrieben nachzugehen; sie hat ferner die zur Beurteilung des Überwiegens der in Betracht kommenden Tätigkeiten gegenüber anderen Tätigkeiten notwendigen Ermittlungen nicht angestellt.
Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994110167.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
23.11.2015