TE Vwgh Erkenntnis 1995/1/17 94/11/0273

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Veröffentlicht am 17.01.1995
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
43/01 Wehrrecht allgemein;

Norm

AVG §68 Abs1;
VwGG §30 Abs2;
WehrG 1990 §35 Abs1;
WehrG 1990 §36a Abs1 Z2 idF 1992/690;
WehrG 1990 §36a Abs1 Z2;
WehrG 1990 §53 Abs8;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 94/11/0278

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des F in L, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Bescheide 1) des BMLV vom 11. August 1994, Zl. 518.694/4-2.7/92, betreffend Befreiung von der Präsenzdienstpflicht, und 2) des Militärkommandos NÖ vom 25. August 1994, Zl. N/62/23/54/29, betreffend Einberufung zum Grundwehrdienst, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid des Bundesministers für Landesverteidigung wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Beschwerde gegen den Einberufungsbefehl des Militärkommandos Niederösterreich wird als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der im Jahre 1962 geborene Beschwerdeführer war mit Bescheid des Militärkommandos Niederösterreich vom 4. Dezember 1990 bis 15. August 1992 gemäß § 36 Abs. 2 Z. 2 des Wehrgesetzes 1990 aus besonders berücksichtigungswürdigen wirtschaftlichen Interessen von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes befreit worden. Begründend wurde in diesem Bescheid die Notwendigkeit angeführt, Maßnahmen zu treffen, die dem Beschwerdeführer die Präsenzdienstleistung trotz des "Betreibens" eines näher bezeichneten landwirtschaftlichen Betriebes ermöglichten.

Mit Schreiben vom 28. März 1992 begehrte er neuerlich die Befreiung von der Präsenzdienstpflicht (über den 15. August 1992 hinaus). Dieser Antrag wurde mit dem erstangefochtenen Bescheid im Instanzenzug abgewiesen.

Mit dem zweitangefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer gemäß § 35 des Wehrgesetzes 1990 zur Ableistung des Grundwehrdienstes vom 3. Oktober 1994 an einberufen.

In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes der angefochtenen Bescheide und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide. Der Bundesminister für Landesverteidigung hat in seiner Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der gegen den erstangefochtenen Bescheid gerichteten Beschwerde beantragt. In Ansehung des zweitangefochtenen Bescheides wurde kein Vorverfahren im Sinne der §§ 35 Abs. 3 und 36 Abs. 1 VwGG eingeleitet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 36a Abs. 1 Z. 2 des Wehrgesetzes 1990 in der Fassung BGBl. Nr. 690/1992 können taugliche Wehrpflichtige von der Verpflichtung zur Leistung des Präsenzdienstes auf ihren Antrag befreit werden, wenn und solange es besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche oder familiäre Interessen erfordern.

1.1. Die belangte Behörde anerkannte das Vorliegen wirtschaftlicher Interessen des Beschwerdeführers an seiner Befreiung von der Präsenzdienstpflicht, weil er Pächter eines landwirtschaftlichen Betriebes (gemeinsam mit seiner Ehefrau) sei. Sie verneinte aber deren besondere Rücksichtswürdigkeit im Sinne des Gesetzes, weil der Großteil des Familieneinkommens durch die unselbständige Erwerbstätigkeit der Ehefrau des Beschwerdeführers erzielt werde. Ein Großteil der Kredite, deren Abdeckung der Beschwerdeführer für seine Unabkömmlichkeit vom Betrieb ins Treffen führe, sei während der Zeit seiner befristeten Befreiung aufgenommen worden; auch die Verlängerung des Pachtvertrages sei während dieser Zeit erfolgt; darin liege eine Verletzung seiner Verpflichtung zur Harmonisierung seiner beruflichen und wirtschaftlichen Dispositionen mit seiner bevorstehenden Präsenzdienstleistung. Eine Einstellung des landwirtschaftlichen Betriebes während der Präsenzdienstleistung sei wegen des Mißverhältnisses zwischen dem Einkommen der Ehefrau des Beschwerdeführers und den aus seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit erzielten Reinerträgen ohne Gefährdung der Existenz der Familienmitglieder zumutbar.

Die Beschwerde geht auf die von der belangten Behörde angenommene Verletzung der Harmonisierungspflicht nicht ein. Sie argumentiert in Ansehung der wirtschaftlichen Interessen des Beschwerdeführers lediglich mit der Unmöglichkeit der Anstellung von Hilfskräften und dem Vorteil der Aufrechterhaltung landwirtschaftlicher Betriebe unter dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes, also aus öffentlichen Interessen.

1.2. Die belangte Behörde anerkannte auch das Vorliegen familiärer Interessen des Beschwerdeführers an seiner Befreiung von der Präsenzdienstpflicht, weil er zwei minderjährige Kinder im Volksschul- bzw. Kindergartenalter (geboren in den Jahren 1987 und 1989) habe, zu deren Betreuung seine Ehefrau auf Grund ihrer beruflichen Tätigkeit nicht in der Lage sei, die aber er selbst neben seiner Tätigkeit im landwirtschaftlichen Betrieb besorgen könne. Die belangte Behörde verneinte aber auch die besondere Rücksichtswürdigkeit dieser Interessen unter Hinweis auf die Möglichkeit der "anderweitigen" Betreuung der Kinder in der Zeit, in der die Ehefrau wegen ihrer beruflichen Tätigkeit daran gehindert sei. Aus der Wiedergabe der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens in der Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt sich, daß die Behörde unter der anderweitigen Betreuung die Unterbringung bei einer sogenannten Tagesmutter in der Zeit nach Schul- bzw. Kindergartenschluß versteht.

Der Beschwerdeführer bringt dagegen vor, daß es an einer Möglichkeit fehle, die Kinder von der Schule bzw. dem Kindergarten zu der Tagesmutter zu transportieren; hiefür stünden weder öffentliche Verkehrsmittel zur Verfügung noch würde die in Aussicht genommene Tagesmutter diese Transporte übernehmen können. Schließlich müsse das Wohnhaus der Familie des Beschwerdeführers während neun Monaten im Jahr beheizt werden (die klimatischen Verhältnisse des in ungefähr 800 m Höhe gelegenen Betriebes im Waldviertel würden dies erfordern), sodaß die Kinder am Abend in ein eiskaltes Haus kommen würden. Die Ehefrau wäre auf Grund ihrer Arbeitszeit von 9.00 Uhr bis 19.30 Uhr auch nicht in der Lage, die notwendigen Besorgungen (Einkäufe) zu machen. Es sei schließlich pädagogisch nicht vertretbar, die Kinder für die Dauer der Präsenzdienstleistung des Beschwerdeführers "de facto von ihren beiden Eltern zu trennen und quasi als Verschubmasse zwischen Volksschule und Kindergarten und einer Tagesmutter hin und her zu schieben".

Die belangte Behörde hat sich hinsichtlich ihrer Annahme, die Kinder des Beschwerdeführers könnten in der Zeit zwischen Schul- bzw. Kindergartenschluß bis zum Abend (bis zu ihrer Abholung durch ihre Mutter) von einer Tagesmutter betreut werden, nicht mit der Frage auseinandergesetzt, wie die Kinder zu dieser Tagesmutter gelangen könnten. Die Tatsachen, daß es in der näheren Umgebung Tagesmütter gebe und daß dort auch die Möglichkeit bestünde, die Kinder bis in die Abendstunden unterzubringen, sind nur dann erheblich, wenn auch gesichert wäre, daß die Kinder dorthin gelangen könnten. Die Behauptung, eine solche Möglichkeit wäre nicht gegeben, ist daher auch keine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung, abgesehen davon, daß der Beschwerdeführer (in seiner Stellungnahme und der seiner Ehefrau vom 23. Juni 1994) die ihm vorgehaltene Unterbringungsmöglichkeit bei einer Tagesmutter u. a. wegen des "Transportproblems" für ausgeschlossen erklärt hat. Dasselbe gilt für die Fragen der notwendigen Besorgungen (Einkäufe) und Beheizung. Dabei ist insbesondere zu beachten, daß die belangte Behörde eine allfällige Einberufung des Beschwerdeführers für einen Oktober- oder Jännertermin in Aussicht gestellt und - wie sich aus dem zweitangefochtenen Bescheid ergibt - auch vorgenommen hat. Dies würde zwar das Problem des Urlaubs der in Rede stehenden Tagesmutter im Juli und August lösen, aber die Frage der Verkehrsprobleme und Beheizung in den Vordergrund rücken.

Bemerkt sei auch einerseits, daß die vorübergehende Unterbringung bei einer geschulten und von öffentlichen Stellen empfohlenen Tagesmutter aus pädagogischer Sicht nicht unvertretbar erscheint, sowie andererseits, daß die im § 53 Abs. 8 des Wehrgesetzes 1990 vorgesehene Möglichkeit einer vorübergehenden Dienstfreistellung bei Erkrankung der Kinder (entgegen den betreffenden Ausführungen in der Gegenschrift) nicht dem Bereich der "Inanspruchnahme gesetzlicher Rechte" zugerechnet werden kann (z.U. von der Möglichkeit der Inanspruchnahme von Pflegeurlaub durch die Ehefrau des Beschwerdeführers, auf die ein - im zeitlichen Ausmaß beschränkter - Rechtsanspruch besteht).

Der erstangefochtene Bescheid war daher wegen fehlender Sachverhaltsfeststellungen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.

2. Der Einberufung eines Wehrpflichtigen zur Präsenzdienstleistung steht nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht entgegen, daß er das Vorliegen von Befreiungsgründen behauptet. Ein Einberufungsbefehl wäre unter diesem Gesichtspunkt nur dann rechtswidrig, wenn er im Widerspruch zu einem rechtskräftigen Befreiungsbescheid stünde. Solange eine solche Befreiung nicht ausgesprochen ist, besteht auf Grund des Gesetzes die Präsenzdienstpflicht (vgl. das Erkenntnis vom 8. März 1991, Zl. 91/11/0013).

Daß die Einberufung eines Wehrpflichtigen auch während eines anhängigen Verwaltungsverfahrens betreffend Befreiung von der Präsenzdienstpflicht bzw. während eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in Ansehung eines ein solches Verwaltungsverfahren beendenden negativen Bescheides rechtlich zulässig ist (eine Beschwerde gegen einen solchen Bescheid ist keiner aufschiebenden Wirkung zugänglich), ändert aber nichts an der geschilderten eindeutigen Rechtslage betreffend Zulässigkeit der Einberufung.

Es ist daher auch keineswegs so, daß die Rechtswidrigkeit eines in einem Verfahren betreffend Befreiung ergangenen Bescheides ohne weiteres auch die Rechtswidrigkeit eines Einberufungsbefehles nach sich zöge.

Da bereits der Inhalt der Beschwerde gegen den zweitangefochtenen Bescheid erkennen läßt, daß die behaupteten Rechtsverletzungen nicht gegeben sind, war die Beschwerde insoweit gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

3. Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Wehrrecht Rechtskraft Besondere Rechtsgebiete Diverses

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994110273.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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