TE Vwgh Erkenntnis 1995/1/19 94/18/0984

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Veröffentlicht am 19.01.1995
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §71 Abs1 Z1;
FrG 1993 §82 Abs1 Z4;
MRK Art6 Abs3 lite;
VwGG §46 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 12. Oktober 1994, Zl. Senat-KS-93-040, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung eines Einspruches gegen eine Strafverfügung nach dem Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 12. Oktober 1994 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung eines Einspruches gegen die Strafverfügung des Magistrats der Stadt Krems vom 11. Mai 1993 betreffend Bestrafung nach dem Fremdengesetz wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde im wesentlichen folgendes aus: Die Strafverfügung vom 11. Mai 1993 sei dem Beschwerdeführer am 20. Mai 1993 zugestellt worden und nach Ablauf der zweiwöchigen Einspruchsfrist am 3. Juni 1993 in Rechtskraft erwachsen. Mit Schriftsatz vom 16. Juni 1993 habe der Beschwerdeführer einen Wiedereinsetzungsantrag mit der Begründung gestellt, er hätte sich während der Einspruchsfrist in Schubhaft befunden und weder die nötigen Sprachkenntnisse noch die nötigen Rechtskenntnisse gehabt, um einen erfolgversprechenden Einspruch zu verfassen.

Wenn der Beschwerdeführer vermeine, aufgrund seiner mangelnden Deutschkenntnisse und seiner Rechtsunkenntnis nicht selbst zur Erhebung eines Einspruches in der Lage gewesen zu sein und alles in seiner Macht liegende getan zu haben, um Unterstützung bei der Erhebung des Rechtsmittels zu erhalten, so müsse ihm entgegengehalten werden, daß er zwar anläßlich seiner Inhaftierung um einen Rechtsbeistand ersucht habe und seit 11. Mai 1993 bei Amnesty International für einen Schubhaftbesuch in Evidenz gehalten worden sei, jedoch nach Zustellung der Strafverfügung vom 11. Mai 1993, hinsichtlich welcher der Wiedereinsetzungsantrag gestellt worden sei, keine weiteren Aktivitäten gesetzt habe. Dabei hätte ihm - schon aufgrund des vorangegangenen Asylverfahrens - auch ohne entsprechende Deutschkenntnisse bewußt sein müssen, daß die Zustellung eines behördlichen Schriftstückes den Lauf einer Frist in Gang setzen könnte. Da der Beschwerdeführer nicht einmal einwende, nach Zustellung der Strafverfügung versucht zu haben, zu erfahren, worum es sich bei dem ihm zugestellten amtlichen Schriftstück handle und was allenfalls dagegen unternommen werden könne, sei ihm keinesfalls ein minderer Grad des Verschuldens zuzubilligen.

Eine Unmöglichkeit der schriftlichen Kontaktnahme mit der Behörde erster Instanz sei nicht behauptet worden und lasse sich aus der Aktenlage nicht erkennen. Außerdem könne nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bei Zustellung einer in deutscher Sprache gehaltenen Strafverfügung in der Unkenntnis der deutschen Sprache seitens des Adressaten kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gelegen sein.

Demnach träfen die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG nicht zu, sodaß der den Wiedereinsetzungsantrag abweisende Bescheid der Erstbehörde zu Recht ergangen sei.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer vertritt die Ansicht, die Schubhaft in Verbindung mit mangelnder Kenntnis der deutschen Sprache habe für ihn ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis dargestellt, das ihn daran gehindert habe, fristgerecht einen Einspruch gegen die Strafverfügung vom 11. Mai 1993 zu erheben. Er habe alles in seiner Macht stehende unternommen, um rechtlichen Beistand und Unterstützung bei der Erhebung eines Rechtsmittels zu erhalten. Es sei von ihm bereits am 11. Mai 1993 Amnesty International von seiner Inschubhaftnahme verständigt worden; aus Kapazitätsgründen habe ein Besuch durch einen Vertreter dieser Organisation jedoch erst am 4. Juni 1993 stattfinden können. Mit diesem Zeitpunkt sei das Hindernis zur Erhebung eines Einspruches weggefallen.

2. Diesem auch schon im Verwaltungsverfahren erstatteten Vorbringen hat die belangte Behörde entgegengehalten, daß der Beschwerdeführer zwar am 11. Mai 1993 Amnesty International von seiner (laut Beschwerde am 7. Mai 1993 erfolgten) Inschubhaftnahme mit dem Ersuchen um Rechtsbeistand verständigt habe, jedoch nach Zustellung der im vorliegenden Zusammenhang wesentlichen Strafverfügung vom 11. Mai 1993 am 20. Mai 1993 keine weiteren Schritte unternommen habe. Diese maßgeblichen Feststellungen bleiben in der Beschwerde nicht nur unbestritten, vielmehr wird ausdrücklich vorgebracht, daß sich die am 11. Mai 1993 erfolgte Verständigung der genannten Organisation durch den Beschwerdeführer auf die Inschubhaftnahme bezogen habe. Von einer, wie die Beschwerde meint, der belangten Behörde insoweit unterlaufenen Aktenwidrigkeit kann demnach keine Rede sein. Hatte es aber der Beschwerdeführer verabsäumt, anläßlich der Zustellung der Strafverfügung die angesichts der von ihm ins Treffen geführten mangelhaften Kenntnis der deutschen Sprache gebotenen Schritte zur Wahrung allenfalls offenstehender Rechtsverfolgungsmöglichkeiten zu setzen, so kann mit der belangten Behörde darin nicht bloß ein minderer Grad des Versehens i.S. des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG erblickt werden. Dem könnte auch nicht entgegengehalten werden, daß der Beschwerdeführer aufgrund seiner mangelhaften Deutschkenntnisse nicht in der Lage gewesen sei, die Strafverfügung als solche zu erkennen. Denn selbst wenn man von dieser - im Hinblick auf den bereits eineinhalbjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich und seiner Tätigkeit für das kurdische Informationsbüro in Wien unwahrscheinlichen - Annahme ausginge, hätte er doch jedenfalls den amtlichen (behördlichen) Charakter des Schriftstückes erkennen und zumutbarerweise schon aufgrund der nicht allzu fernliegenden Möglichkeit damit verbundener rechtlicher Konsequenzen unter Bezugnahme auf die Zustellung dieses Schriftstückes sich um Rechtsbeistand kümmern müssen.

3. Im Hinblick auf die vorstehenden Erwägungen ist der Verfahrensrüge dahingehend, daß die belangte Behörde auf den Beweisantrag des Beschwerdeführers zur Feststellung seiner mangelhaften Deutschkenntnisse nicht eingegangen sei, der Boden entzogen.

4. Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

5. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994180984.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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