TE Vwgh Erkenntnis 1995/1/19 93/18/0009

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Veröffentlicht am 19.01.1995
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

AAV §48 Abs1;
VStG §5 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 23. November 1992, Zl. 3/07-7153/5-1992, betreffend Einstellung eines Strafverfahrens wegen Übertretung der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (mitbeteiligte Partei: W in D, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in S), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Zur Vorgeschichte des vorliegenden Beschwerdefalles wird auf das hg. Erkenntnis vom 8. Oktober 1992, Zl. 90/19/0486, hingewiesen. Mit diesem Erkenntnis wurde der im Instanzenzug ergangene Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 30. Juli 1990, mit dem über den Mitbeteiligten (damals Beschwerdeführer) gemäß den § 31 und 33 Abs. 7 des Arbeitnehmerschutzgesetzes in Verbindung mit § 62 Abs. 2 im Zusammenhalt mit § 48 Abs. 1 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV) eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt worden war, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Die tragende Begründung dieses Erkenntnisses ging dahin, daß die belangte Behörde gegen § 44a VStG verstoßen habe, weil der Spruch ihres Erkenntnisses weder eine Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat noch die Angabe der dadurch verletzten Verwaltungsvorschrift enthalten habe. Weiters sei die Anführung des § 33 Abs. 7 Arbeitnehmerschutzgesetz im Zusammenhang mit der Angabe der bei der Verhängung der Strafe angewendeten Gesetzesbestimmung unerfindlich, falls die belangte Behörde - wie der Begründung ihres Bescheides entnommen werden könnte - von einer Übertretung des § 62 Abs. 2 AAV ausgegangen sei.

Für das fortzusetzende Verfahren wurde darauf hingewiesen, daß § 62 Abs. 2 AAV zwei Tatbestände enthalte und daß es im Falle der Annahme einer Übertretung des § 48 Abs. 1 AAV näherer Ausführungen zur Verschuldensfrage bedürfe.

2. Mit Bescheid vom 23. November 1992 gab der Landeshauptmann von Salzburg (die belangte Behörde) der Berufung des Arbeitsinspektorates gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom 19. April 1990, mit dem das gegen den Mitbeteiligten geführte Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 lit. a VStG 1950 eingestellt worden war, keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid.

In der Begründung ihres Bescheides führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Verfahrensganges aus, die Anzeige lasse nicht erkennen, welchen der beiden Tatbestände des § 62 Abs. 2 AAV der Mitbeteiligte verwirklicht haben solle. Soweit es sich um den Tatbestand des ersten Satzes handle, könne dem Vorbringen des Mitbeteiligten nicht widersprochen werden, daß es infolge des Fehlens eines Krans nicht möglich gewesen sei, Betriebseinrichtungen oder Transportmittel zu verwenden, sowie daß das Tragen der Bestandteile, von denen keiner mehr als 40 kg gewogen habe, über die Stiege den Arbeitnehmern ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen sei. Soweit dem Mitbeteiligten die Übertretung des § 48 Abs. 1 erster Satz AAV vorgeworfen werde, sei aus der Anzeige des Arbeitsinspektorates nicht zu erkennen, aus welchen Gründen der Beschwerdeführer das außerhalb des Betriebes erfolgte Handeln seiner Arbeitnehmer hätte vorhersehen können.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales gemäß § 9 Abs. 2 ArbIG 1974.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und - ebenso wie der Mitbeteiligte - eine Gegenschrift erstattet, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Der Beschwerdeführer vermißt Erwägungen der belangten Behörde zur Verwirklichung des im § 62 Abs. 2 zweiter Satz AAV enthaltenen Tatbestandes und meint, die belangte Behörde hätte zu dem Ergebnis kommen müssen, daß diese Bestimmung übertreten worden sei. Bei einer Last von 40 kg handle es sich nach arbeitsmedizinischen Erkenntnissen um eine schwere Last, insbesondere wenn man die Höhenlage (2000 m Seehöhe) und die niedrige Temperatur berücksichtige.

1.2. § 62 Abs. 2 AAV hat folgenden Wortlaut:

"Zum Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten sind nach Möglichkeit Betriebseinrichtungen oder Betriebsmittel, wie Fördereinrichtungen oder Transportmittel, zu verwenden. Zum Heben, Tragen oder Bewegen von schweren, gefährlichen oder ähnlichen Lasten sind den Arbeitnehmern geeignete Betriebseinrichtungen oder Betriebsmittel, wie Fördereinrichtungen, Transportmittel, Gurte, Seile oder Traghaken, zur Verfügung zu stellen; diese Einrichtungen und Mittel müssen einen möglichst sicheren Transport gewährleisten."

1.3. Die vom Beschwerdeführer angestrebte Bestrafung des Mitbeteiligten wegen Übertretung des § 62 Abs. 2 zweiter Satz AAV scheitert schon daran, daß innerhalb der Verjährungsfrist von sechs Monaten (§ 31 Abs. 2 VStG 1950) keine Verfolgungshandlung wegen eines bestimmten, dem § 62 Abs. 2 zweiter Satz AAV zu unterstellenden Verhaltens gesetzt wurde. Eine Verfolgungshandlung unterbricht nur dann die Verjährung, wenn sie sich auf alle der Bestrafung zugrundeliegenden Sachverhaltselemente bezogen hat (siehe die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, unter E. Nr. 19a zu § 32 Abs. 2 VStG zitierte hg. Rechtsprechung). Tatzeit war nach dem Inhalt der Anzeige vom 18. September 1989 der 10. August 1989. Im Ladungsbescheid vom 6. November 1989 wurde die begangene Tat wie folgt umschrieben:

"Sie haben als handelsrechtlicher Geschäftsführer der T-Gesellschaft mbH, H und somit als das zur Vertretung nach außen berufene Organ der T-Gesellschaft mbH & Co, H, für welche die T-Gesellschaft mbH als persönlich haftende Gesellschafterin auftritt, zu verantworten, daß die T-Gesellschaft mbH & Co, H, am 10.8.1989 auf der Baustelle Siebhaus, X-Sperre, Gemeinde M, den Arbeitnehmer F mit Mitarbeiter zum Heben von Lasten über eine Umlenkrolle die in etwa 20 Meter Höhe beim Siebhaus angebracht war, mittels Firmenkombiwagen Kennzeichen S-n1 (der Kombiwagen wurde mehrere Meter zurückgefahren, um so die Last hochzuziehen), beschäftigt und damit den Arbeitnehmern zum Heben dieser Lasten keine geeigneten Betriebsmittel zur Verfügung gestellt hat."

In der als weitere Verfolgungshandlungen innerhalb der Verjährungsfrist in Betracht kommenden Ladung des Mitbeteiligten zur mündlichen Verhandlung vom 3. Jänner 1990 und in der niederschriftlichen Vernehmung als Beschuldigter am 25. Jänner 1990 wurde auf die Umschreibung der angelasteten Tat im Ladungsbescheid vom 6. November 1989 hingewiesen. In dieser Umschreibung der angelasteten Tat findet sich kein Hinweis darauf, um welche Lasten es sich gehandelt hat, insbesondere keine Sachverhaltsangaben, die einen Schluß in der Richtung erlaubt hätten, es habe sich um schwere, gefährliche oder ähnliche Lasten gehandelt. Da somit innerhalb der Verjährungsfrist keine die Verjährung unterbrechende Verfolgungshandlung in Ansehung der Übertretung des § 62 Abs. 2 zweiter Satz AAV gesetzt wurde, kam die vom Beschwerdeführer angestrebte Bestrafung des Mitbeteiligten wegen dieser Übertretung nicht in Betracht. Demnach erübrigen sich Erörterungen darüber, welches Gewicht die von den Arbeitnehmern zu tragenden Lasten hatten und ab welchem Gewicht von schweren Lasten gesprochen werden kann.

2. Sofern das Vorbringen des Beschwerdeführers auf Seite 3 vorletzter Absatz seiner Beschwerde dahin zu verstehen sein sollte, daß eine Übertretung des § 62 Abs. 2 erster Satz AAV verwirklicht worden sei, ist ihm zu erwidern, daß sich in den Verwaltungsakten kein Hinweis darauf findet, daß an der konkreten Baustelle die Möglichkeit zur Verwendung von Betriebseinrichtungen oder Betriebsmitteln zum Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten bestanden hat. Dementsprechend findet sich auch in der Umschreibung der angelasteten Tat im Ladungsbescheid vom 6. November 1989 kein diesbezügliches Sachverhaltselement.

3.1. Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde vor, ihre zu § 48 Abs. 1 AAV gegebene Begründung übertrage die Ermittlungspflicht dem Arbeitsinspektorat. Inwieweit durch den Arbeitsvorgang die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Erreichung eines möglichst wirksamen Schutzes des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer verletzt wurde und ob Umstände vorliegen, auf Grund welcher er die Möglichkeit des konkreten Fehlverhaltens in seine Überlegungen hätte einbeziehen müssen, könne nicht bereits im Stadium der Anzeige beurteilt, sondern müsse durch die Behörde ermittelt werden. Deshalb hätte die belangte Behörde die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens heranziehen und allenfalls weitere Ermittlungen durchführen müssen, insbesondere im Hinblick darauf, daß die Arbeitnehmer auf die Durchführung von Arbeiten an Förderbändern spezialisiert seien und ein Heben einer Vulkanisierpresse in eine höhere Lage nicht so außergewöhnlich sein dürfte.

3.2. Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer auf die Ausführungen unter Punkt II.2.3. des eingangs zitierten Erkenntnisses vom 8. Oktober 1992 hinzuweisen, wonach unter Berücksichtigung der angezogenen Verordnungsstelle und des konkreten Sachverhaltes ein Verschulden des Mitbeteiligten nur dann in Betracht komme, wenn Umstände vorlägen, auf Grund welcher er die Möglichkeit des konkreten Fehlverhaltens in seine Überlegungen hätte miteinbeziehen müssen und daher in der Lage gewesen wäre, dem Fehlverhalten durch entsprechende Maßnahmen und Kontrollen zu begegnen. Welche derartigen Umstände im konkreten Beschwerdefall gegeben sein sollen und auf Grund welcher Beweise die belangte Behörde solche Umstände hätte feststellen können, wird in der Beschwerde nicht dargetan und ist auch aus den Verwaltungsakten nicht ersichtlich.

4. Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Verantwortung für Handeln anderer Personen Besondere Rechtsgebiete Arbeitsrecht Arbeiterschutz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1993180009.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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