TE Vfgh Erkenntnis 1992/10/2 V231/91, V232/91

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Veröffentlicht am 02.10.1992
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Index

L1 Gemeinderecht
L1000 Gemeindeordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Allg
B-VG Art148e
B-VG Art148i
EMRK Art4
Verordnung des Gemeindevorstandes der Gemeinde Düns über Hand- und Zugdienste der Gemeinde Düns vom 11.12.90
Vlbg Landesverfassung Art58 Abs2
Vlbg GemeindeO §91

Leitsatz

Antragsbefugnis des Landesvolksanwaltes nur hinsichtlich noch in Geltung stehender Verordnungen; Aufhebung einer Verordnung über Hand- und Zugdienste einer Gemeinde wegen Verpflichtung des Haushaltsvorstandes zur Leistung eines Abschätzbetrages bei Leistungsunfähigkeit und Nichterbringung der Leistung durch einen Hausgenossen; unsachlicher Versagungsgrund der Befreiung von dieser Dienstleistungspflicht; kein Verstoß gegen das Verbot der Zwangsarbeit

Spruch

I. Die Verordnung des Gemeindevorstandes der Gemeinde Düns über die Hand- und Zugdienste der Gemeinde Düns vom 11. Dezember 1990 wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. März 1993 in Kraft.

III. Die Vorarlberger Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.

IV. Der Antrag auf Feststellung, daß die Verordnung des Gemeindevorstandes der Gemeinde Düns über Hand- und Zugdienste in der Gemeinde Düns vom 19. Dezember 1985 gesetzwidrig war, wird zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Der Landesvolksanwalt von Vorarlberg stellte gemäß Art139 B-VG iVm Art148 i Abs2 B-VG und Art58 Abs2 der Vorarlberger Landesverfassung LGBl. 30/1984 den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge a) feststellen, daß die Verordnung des Gemeindevorstandes der Gemeinde Düns über Hand- und Zugdienste in der Gemeinde Düns vom 19. Dezember 1985 gesetzwidrig war, b) die Verordnung des Gemeindevorstandes der Gemeinde Düns über die Hand- und Zugdienste der Gemeinde Düns vom 11. Dezember 1990 als verfassungswidrig aufheben.

1.1.2. Der zur Äußerung eingeladene Gemeindevorstand der Gemeinde Düns und die Vorarlberger Landesregierung traten diesem Antrag des Landesvolksanwaltes entgegen.

1.2.1. Die gemäß §91 Vorarlberger Gemeindeordnung (GemO), LGBl. 25/1935 idFd ArtII LGBl. 35/1985, erlassene Verordnung des Gemeindevorstandes der Gemeinde Düns vom 11. Dezember 1990 hat folgenden Wortlaut:

"§1

Jeder Haushaltsvorstand der in der Gemeinde Düns wohnhaft ist, wird zur Leistung von Hand- und Zugdiensten, im Ausmaß von einer Tagschicht jährlich, herangezogen.

§2

Die Handdienste sind für Gemeindeerfordernisse und zwar zur Straßenerhaltung der Gemeindestraßen und zur Kulturarbeit im Gemeindewald, über Aufforderung der Gemeinde, zu leisten.

§3

Die Dienste können durch taugliche Vertreter geleistet oder durch einen Abschätzbetrag in Höhe von S 640.-, welcher in der Gemeindekasse einzuzahlen ist, ersetzt werden.

§4

Sollte weder der Haushaltsvorstand infolge körperlicher Gebrechen (insbesonder hohen Alters) noch eine andere, im gemeinsamen Haushalt wohnende Person, diese Leistung erbringen können, kann bei der Gemeinde Düns um Befreiung angesucht werden.

§5

Diese Verordnung tritt am 01.01.1991 in Kraft. Hierdurch treten alle bisher erlassenen Verordnungen, betreffend Hand- und Zugdienste außer Kraft."

1.2.2. §91 Vorarlberger Gemeindeordnung (GemO), LGBl. 25/1935 idFd ArtII LGBl. 35/1985, lautet:

"§91.

Die Gemeinde kann für Gemeindeerfordernisse Arbeiten und Dienste verlangen. Die Dienste können in Hand- und Zugdiensten bestehen; sie sind in Geld nach den ortsüblichen Preisen abzuschätzen. Besteht in einer Gemeinde eine besondere gültige Übung hinsichtlich der Verteilung und des Ausmaßes solcher Dienste, kann die Gemeinde diese Dienste nach dieser Übung weiterhin verlangen. Wenn eine solche besondere gültige Übung nicht besteht oder wenn die Gemeinde davon keinen Gebrauch machen will, so kann sie den Haushaltungsvorstand zur Leistung von Handdiensten im Ausmaße von höchstens 3 Tagschichten jährlich heranziehen. Ob die Dienste durch den Verpflichteten selbst oder durch einen tauglichen Vertreter geleistet werden, oder ob statt dessen der geschätzte Betrag in die Gemeindekassa bezahlt wird, bestimmt der Verpflichtete."

2. Über den Antrag des Landesvolksanwaltes wurde erwogen:

2.1. Zur Verordnung vom 19. Dezember 1985

2.1.1. Die Verordnung des Gemeindevorstandes der Gemeinde Düns über Hand- und Zugdienste vom 19. Dezember 1985 trat gemäß §5 der Verordnung des Gemeindevorstandes der Gemeinde Düns über die Hand- und Zugdienste vom 11. Dezember 1990 mit Ablauf des Jahres 1990 außer Kraft und gehörte daher schon im Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr dem Rechtsbestand an.

2.1.2. Nach Art148 i B-VG iVm Art58 Abs2 Vorarlberger Landesverfassung (Art148 e B-VG) erkennt der Verfassungsgerichtshof auf Antrag des Landesvolksanwalts über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen, die im Bereich der Verwaltung des Landes ergangen sind. Es handelt sich um einen Fall einer abstrakten Normenkontrolle. Nur Normen solcher Verordnungen können auf diese Weise angefochten werden, die noch in Geltung stehen (Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts7, 1992, Rz. 1274; Thienel, ÖZöR 35 (1984) 19; s. auch VfSlg. 3186/1957).

2.1.3. Aus diesen Erwägungen war der die Verordnung vom 19. Dezember 1985 betreffende Antrag als unzulässig zurückzuweisen (Punkt IV. des Spruchs).

2.2. Zur Verordnung vom 11. Dezember 1990

2.2.1. Der Verfassungsgerichtshof befaßte sich bereits wiederholt mit landesgesetzlichen Vorschriften über die Leistung von Hand- und Zugdiensten für Gemeindeerfordernisse nach Art des §91 GemO (vgl. VfSlg. 3934/1961, 4746/1964, 5243/1966, 5423/1966, 5511/1967) und sprach u.a. im Erkenntnis VfSlg. 3934/1961 aus, daß eine solche Regelung, die Hand- und Zugdienste als Geldabgabe vorsähe, verfassungswidrig wäre; dies auch dann, wenn sie Dienste in einem Umfang verlangte, daß der/die Verpflichtete sie nicht selbst erbringen könnte und sich - im Fall der persönlichen Nichterbringbarkeit - zur Leistung durch einen Stellvertreter oder in Geld gezwungen sähe.

2.2.2.1. Die der angefochtenen Verordnung zugrundeliegenden Sätze 4 und 5 des §91 GemO räumen dem/der Verpflichteten - der Begriff "Haushaltsvorstand" umfaßt, verfassungskonform interpretiert, Personen sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechtes - aber ohnedies Anspruch auf persönliche Erbringung der geforderten Leistung ein. Daran ändert auch nichts, daß es einem/einer Verpflichteten, der/die zur persönlichen (Dienst-)Leistung imstande ist, freisteht, die Dienste durch einen tauglichen Stellvertreter oder in Geld zu erbringen.

So gesehen bestehen entgegen der Meinung des Landesvolksanwaltes gegen §91 GemO aus der Sicht dieser Rechtssache keine verfassungsrechtlichen Bedenken, und zwar - wie beizufügen bleibt - auch nicht unter dem Aspekt der Begrenzung des Verpflichtetenkreises auf nur eine Person je Haushalt (Haushaltsvorstand) oder des Art4 EMRK (Frowein-Peukert, EMRK-Kommentar, 1985, 43, 45, 47 Rz. 16; vgl. VfSlg. 11198/1986).

2.2.2.2. Die Vorschrift des §4 der angefochtenen Verordnung vom 11. Dezember 1990 trägt der gesetzlichen Voraussetzung, daß keine Verpflichtung zu Dienstleistungen besteht, die der/die Verpflichtete nicht selbst erbringen kann, insofern Rechnung, als sie gebietet, daß der nicht (mehr) persönlich Leistungsfähige von seiner Verpflichtung zu "befreien" ist, jedoch mit der ausdrücklichen Einschränkung, daß die abverlangte Leistung auch von keiner anderen (mit dem Haushaltsvorstand) im gemeinsamen Haushalt lebenden Person erbracht werden kann. Der Landesvolksanwalt macht dazu - zusammengefaßt - geltend, es sei unsachlich, einem persönlich leistungsunfähigen Verpflichteten die Befreiung deshalb zu verwehren, weil er mit einer theoretisch zur Leistung der Dienste fähigen Person im selben Haushalt lebt, die zur Dienstleistung gar nicht bereit sein muß. Der Verfassungsgerichtshof tritt dieser - in den Äußerungen des Gemeindevorstandes der Gemeinde Düns und der Vorarlberger Landesregierung nicht weiter erörterten - Auffassung bei. Lehnt nämlich der Hausgenosse - den keine Leistungsverpflichtung trifft - die Dienstleistung ab, ist der Haushaltsvorstand zur Leistung des Abschätzbetrages genötigt, ohne daß ihm die gesetzlich eingeräumte Wahlmöglichkeit zustünde.

2.2.3. Allein schon aus diesen Gründen war die Verordnung des Gemeindevorstandes der Gemeinde Düns vom 11. Dezember 1990, die angesichts der inhaltlichen Interdependenz ihrer Bestimmungen als untrennbare Einheit zu werten ist, in Stattgebung des Antrages des Landesvolksanwaltes wegen Gesetzwidrigkeit zur Gänze aufzuheben (Punkt I. des Spruchs).

Die das Inkrafttreten der Normaufhebung und die Kundmachungspflicht verfügenden Aussprüche (Punkte II. und III.) beruhen auf Art139 Abs5 B-VG.

2.3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite und Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

Schlagworte

VfGH / Legitimation, Volksanwaltschaft, Gemeinderecht, Hand- und Zugdienste, Zwangsarbeit, Haushaltsvorstand

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:V231.1991

Dokumentnummer

JFT_10078998_91V00231_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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