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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);Norm
AAV;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates für Kärnten vom 22. Februar 1993, Zl. KUVS-K1-1224/2/1992, betreffend Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens wegen Übertretung der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (mitbeteiligte Partei: W in B, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in R), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
I.
1.1. Anläßlich einer Überprüfung der Baustelle X-Sperre am 5. September 1990 stellte das Arbeitsinspektorat fest, daß die Auflaufstellen des Förderbandes im Siebhaus, Zubringerband 39, sowie bei der Spannrolle, Band B4, und beim Förderband unter der Brecheranlage gegen gefahrbringendes Berühren nicht gesichert waren.
1.2. In der Anzeige vom 28. September 1990 beantragte das Arbeitsinspektorat deshalb die Bestrafung des verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlichen wegen Übertretung des § 34 Abs. 2 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV). Bemerkt wurde, daß der ARGE X-Sperre mit Schreiben vom 29. Juni 1989 die Absicherung sämtlicher Auflaufstellen bei den Förderbändern aufgetragen worden sei.
2.1. Mit Schreiben vom 11. Oktober 1990 forderte die Erstbehörde die ARGE Sperre X auf, die zur Vertretung nach außen berufene Person bekanntzugeben.
2.2. Mit Schreiben der ARGE Sperre X vom 24. Oktober 1990 wurde mitgeteilt, daß von ihr als verantwortliche Person für den Betrieb der Kiesaufbereitungsanlage der Mitbeteiligte eingesetzt sei.
2.3. Mit Schreiben vom 21. Jänner 1991 ersuchte die Erstbehörde die Bezirkshauptmannschaft Kufstein um Vernehmung des Mitbeteiligten als Beschuldigten und umschrieb die ihm zur Last gelegte Tat wie folgt:
"Sie haben es, wie am 5.9.1990 anläßlich einer Überprüfung der Baustelle "X-Sperre" in M von einem Organ des Arbeitsinspektorates dienstlich festgestellt wurde, als das gem. § 9 VStG. 1950 zur Vertretung nach außen hin berufene Organ der Arge Sperre X und somit als für den Betrieb der Kiesaufbereitungsanlage Verantwortlicher unterlassen, dem technischen Arbeitnehmerschutz hinlänglich nachzukommen, zumal die Auflaufstellen des Förderbandes im Siebhaus, Zubringerband 39 (auf der Metallkonstruktion mit Farbe Nr. 17 angeschrieben) sowie bei der Spannrolle, Band B 4 und beim Förderband unter der Brecheranlage gegen gefahrbringendes Berühren nicht gesichert waren."
In gleicher Weise wurde die angelastete Tat im Ladungsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 28. Jänner 1991 umschrieben.
2.4. In einer schriftlichen Stellungnahme vom 19. März 1991 führte der Mitbeteiligte aus, er sei als Maschinenbauingenieur Angestellter der Firma Y, die sich mit fünf weiteren Firmen zur "ARGE Sperre X" zusammengeschlossen habe. Er sei für den Maschinenpark zuständig. Auf der Baustelle seien 250 bis 280 Personen beschäftigt. Insgesamt seien 2.500 t Maschinenausrüstung installiert. Er müsse auf Grund der Größenordnung Aufgabenbereiche delegieren. Ihm seien vier angestellte Meister nachgeordnet, wovon ein namentlich genannter für die in der Anzeige genannten Förderbänder zuständig sei. Der schriftliche Auftrag des Arbeitsinspektorates sei dem genannten Meister ausgehändigt worden mit dem Hinweis, daß die Auflagen unverzüglich zu erfüllen seien. Die Sicherung sei in der Folge durch Sicherheitsketten erfolgt.
Zusammenfassend ergebe sich, daß der Mitbeteiligte nicht zur Vertretung nach außen befugtes Organ im Sinne des § 9 VStG sei und überdies alles getan habe, um die Arbeitnehmerschutzvorschriften einzuhalten.
2.5. In seiner Stellungnahme vom 25. Juli 1991 vertrat das Arbeitsinspektorat die Auffassung, daß die Absperrung mit einer Kette keine geeignete Schutzmaßnahme sei. Zur Verantwortlichkeit des Mitbeteiligten führte das Arbeitsinspektorat aus, er sei von der ARGE Sperre X genannt worden. Von nachgeordneten Meistern liege keine schriftliche Zustimmungserklärung vor, daß sie für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften für diesen Bereich der Baustelle verantwortlich seien. Es sei Sache der Behörde, den verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlichen festzustellen.
2.6. Der von der Erstbehörde am 29. August 1991 als Zeuge vernommene Bauleiter gab an, hinsichtlich der Verantwortungsbereiche gebe es bei der genannten ARGE keine schriftlichen Delegierungserklärungen zwischen den einzelnen verantwortlichen Funktionen. Er trage als Bauleiter die gesamte Verantwortung auf der Baustelle. Die einzelnen Abteilungsleiter hätten auf Grund ihrer innerbetrieblichen Funktion die in der Abteilung anfallenden Kompetenzbereiche und könnten sich auf Grund des Umfanges der Baustelle "untergeordneter Dienstnehmer in gehobenen Positionen" bedienen. Der Mitbeteiligte sei ihm unterstellt und habe auf der Baustelle entsprechend dem Organisationsschema seinen Verantwortungsbereich abzudecken. Diesen habe er seinen unterstellten Organen, welche jeweils als Meister tätig seien, überantwortet und die einzelnen Zuständigkeitsbereiche an diese Personen delegiert.
2.7. In seiner Stellungnahme vom 29. Jänner 1992 führte der Mitbeteiligte unter anderem aus, aus der Aussage des Bauleiters ergebe sich, daß er gewisse Verantwortungsbereiche delegiert habe. Er sei nicht verantwortlicher Beauftragter im Sinne des § 9 VStG.
3.1. Mit Straferkenntnis vom 6. Oktober 1992 erkannte die Erstbehörde den Mitbeteiligten schuldig, er habe die - wie in der Anzeige umschriebene - Übertretung des § 34 Abs. 2 AAV "als das gemäß § 9 VStG zur Vertretung nach außen hin berufene Organ der ARGE Sperre X und somit als für den Betrieb der Kiesaufbereitungsanlage Verantwortlicher" begangen. Über ihn wurde eine Geldstrafe von S 25.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe eine Woche) verhängt.
3.2. In der Begründung dieses Bescheides wurde zur Verantwortlichkeit des Mitbeteiligten ausgeführt, er sei für den "in Beschwerde gezogenen Arbeitsbereich" zuständig gewesen. Er habe keine schriftliche Zustimmungserklärung der ihm unterstellten Meister vorlegen können. Voraussetzung für die Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten wäre aber dessen nachweisliche Zustimmung zu seiner Bestellung gewesen.
4.1. In der dagegen erhobenen Berufung wies der Mitbeteiligte neuerlich auf sein Angestelltenverhältnis zur Firma Y hin. Die Rechtsausführungen der Erstbehörde zum verantwortlichen Beauftragten gingen ins Leere. Außerdem habe er die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzbestimmungen an den ihm unterstellten namentlich genannten Meister delegiert. Die vorgenommene Absicherung sei ausreichend gewesen.
4.2. In seiner Stellungnahme vom 25. November 1992 zur Berufung des Mitbeteiligten führte das Arbeitsinspektorat zu dessen Verantwortlichkeit lediglich aus, er sei als gemäß § 9 VStG nach außen berufenes Organ bestraft worden. Die Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten werde nach wie vor nicht behauptet.
5. Mit Bescheid vom 22. Februar 1993 gab der unabhängige Verwaltungssenat für Kärnten (die belangte Behörde) der Berufung des Mitbeteiligten Folge, behob den erstinstanzlichen Bescheid und verfügte die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG.
In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, zur Tatzeit sei eine namentlich genannte Person als Bauleiter für die gesamte Baustelle verantwortlich gewesen. Er scheine auch im ARGE-Vertrag als verantwortliches Organ auf. Schriftliche Delegierungserklärungen zwischen den einzelnen verantwortlichen Funktionen, wie sie sich aus dem vorgelegten Organigramm ergäben, lägen nicht vor.
Der Mitbeteiligte sei kein zur Vertretung nach außen berufenes Organ der ARGE. Es liege aber auch keine Zustimmungserklärung des Mitbeteiligten zu seiner Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten vor, sodaß seine Verantwortlichkeit auch nicht auf § 9 Abs. 2 VStG gestützt werden könne.
6.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales.
6.2. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und - enbenso wie der Mitbeteiligte - Gegenschrift erstattet, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Beschwerdeführer tritt der tragenden Begründung im angefochtenen Bescheid, daß der Mitbeteiligte weder als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der ARGE Sperre X noch als verantwortlicher Beauftragter angesehen werden könne, nicht entgegen. Er meint jedoch, es wäre an der belangten Behörde gelegen, von Amts wegen zu prüfen, ob der Beschwerdeführer zum Bevollmächtigten im Sinne des § 31 Abs. 2 des Arbeitnehmerschutzgesetzes bestellt worden sei.
2.1. Vor der näheren Befassung mit diesen Beschwerdeausführungen ist zunächst festzuhalten, daß die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu Unrecht davon ausgehen, daß die genannte ARGE Arbeitgeber der an der genannten Baustelle eingesetzten Arbeitnehmer gewesen sei. Arbeitsgemeinschaften sind Gesellschaften bürgerlichen Rechts. Diesen fehlt die Rechtspersönlichkeit (siehe Kastner-Doralt-Novotny, Grundriß des österreichischen Gesellschaftsrechts5, 55; Aicher in Rummel2 I Rz 13 zu § 26; Strasser in Rummel2 II Rz 26 zu § 1175). Mangels Rechtsfähigkeit kann eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts nicht Dienstgeber sein. Diese Eigenschaft kommt vielmehr den einzelnen Gesellschaftern der Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu (vgl. dazu Krejci in Rummel2 I Rz 144 zu § 1151; ferner das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 10. Dezember 1986, Slg. Nr. 12.325/A, mwN).
2.2. Bezogen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß Arbeitgeber der für die ARGE tätigen Arbeitnehmer alle Mitglieder der ARGE Sperre X waren. Sie (bzw. ihre zur Vertretung nach außen Berufenen im Sinne des § 9 Abs. 1 VStG) waren in erster Linie Adressaten der Strafbestimmungen des Arbeitnehmerschutzgesetzes (im vorliegenden Fall § 31 Abs. 2 lit. p) und demnach auch zur Einhaltung der auf Grund des § 24 dieses Gesetzes erlassenen AAV verpflichtet.
Die verfehlte Bezeichnung des Arbeitgebers in der Tatanlastung im Rechtshilfeersuchen vom 21. Jänner 1991 und im Ladungsbescheid vom 28. Jänner 1991 (siehe oben I.2.3.) nahm diesen Verfolgungshandlungen nicht ihre die Verjährung unterbrechende Wirkung. Die unrichtige Bezeichnung des Arbeitgebers hätte auch von der belangten Behörde als Berufungsbehörde entsprechend richtiggestellt werden müssen (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 30. Juli 1992, Zlen. 92/18/0211 bis 0218). Das gleiche gilt für die unrichtige Bezeichnung des Beschwerdeführers "als das gemäß § 9 VStG 1950 zur Vertretung nach außen hin berufene Organ der ARGE Sperre X", zumal die Eigenschaft in der ein Beschuldigter eine Tat zu verantworten hat, nicht Sachverhaltselement der ihm angelasteten Tat, sondern ein die Frage der Verantwortlichkeit der von Anfang an als Beschuldigter angesprochenen Person betreffendes Merkmal ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 1990, Zl. 90/19/0469, mwN).
2.3. Richtig ist, daß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Behörde gehalten ist, von sich aus zu klären, ob eine bestimmte Person allenfalls als verantwortlicher Beauftragter oder als Bevollmächtigter verwaltungsstrafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann (vgl. auch dazu das oben zitierte Erkenntnis vom 17. Dezember 1990). Voraussetzung für eine derartige Ermittlungspflicht ist jedoch, daß im Verfahren Anhaltspunkte hervorgekommen sind, die solche Ermittlungen zielführend erscheinen lassen.
Dies war im vorliegenden Verfahren nicht der Fall. Der Mitbeteiligte hat seine Verantwortlichkeit von Beginn an bestritten und darauf hingewiesen, daß er Arbeitnehmer einer der an der ARGE beteiligten Gesellschaften sei. Die Erstbehörde hat - wie oben erwähnt in rechtlich verfehlter Weise - die Übertretung dem Mitbeteiligten als zur Vertretung nach außen berufenem Organ der ARGE Sperre X angelastet und dies damit begründet, daß er für den von der Anzeige betroffenen Arbeitsbereich zuständig gewesen sei und die Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten nicht nachgewiesen habe. Nachdem der Beschwerdeführer in der Berufung seine Verantwortlichkeit neuerlich bestritten hat, hat sich das Arbeitsinspektorat in seiner im Berufungsverfahren abgegebenen Stellungnahme damit begnügt, darauf hinzuweisen, daß der Mitbeteiligte "als gemäß § 9 VStG nach außen berufenes Organ" bestraft und die Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten nach wie vor nicht behauptet worden sei.
Die Bestellung eines Bevollmächtigten im Sinne des § 31 Abs. 2 Arbeitnehmerschutzgesetz setzt voraus, daß dieser nicht nur mit seinem Einverständnis vom Arbeitgeber mit der Überwachung der Einhaltung der jeweiligen arbeitnehmerschutzrechtlichen Bestimmungen betraut, sondern von diesem auch mit den entsprechenden Anordnungs- und Entscheidungsbefugnissen zu ihrer Durchsetzung ausgestattet wurde (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1991, Zl. 91/19/0098, mwN). Unter Berücksichtigung dieser Judikatur sowie der unter Punkt II.2.1 und II.2.2. dargestellten Rechtslage und der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens gab es für die belangte Behörde keinen ausreichenden Grund, Untersuchungen darüber anzustellen, ob der Mitbeteiligte Bevollmächtigter der Arbeitgeber gewesen ist. Für die gegenständliche Baustelle war ein Bauleiter bestellt worden. Ob dieser - nach dem vorliegenden Organigramm in der Hierarchie über dem Mitbeteiligten stehende - Bauleiter von den Arbeitgebern zum verantwortlichen Beauftragten oder zum Bevollmächtigten bestellt wurde, ist hier nicht zu untersuchen. Hinsichtlich des Mitbeteiligten konnte dies auch unter Berücksichtigung des Parteienvorbringens nicht angenommen werden, auch wenn die Maschinen in seinen Zuständigkeitsbereich fielen. Die Zuständigkeit eines Arbeitnehmers für einen bestimmten Aufgabenbereich in einem Betrieb begründet nämlich nach dem Gesagten noch nicht seine Bestellung zum Bevollmächtigten.
3. Da sich sohin die Beschwerde im Ergebnis als unbegründet erwiesen hat, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens erfolgte deshalb, weil die Umsatzsteuer in den in dieser Verordnung genannten Pauschalbeträgen für Schriftsatzaufwand bereits enthalten ist.
Schlagworte
Rechtsfähigkeit Parteifähigkeit Gebilde ohne Rechtsfähigkeit Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit Verantwortlichkeit (VStG §9) Verantwortlichkeit (VStG §9) verantwortlich Beauftragter Verantwortlichkeit (VStG §9) zur Vertretung berufenes Organ Verhältnis zu anderen Materien Normen VStG BevollmächtigterEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1993180230.X00Im RIS seit
01.06.2001