TE Vwgh Erkenntnis 1995/1/19 94/18/0637

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.01.1995
beobachten
merken

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1993 §19;
FrG 1993 §20 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des A in Z, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 18. August 1994, Zl. III 18-2/94, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer, einen ägyptischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 Z. 1, Abs. 2 Z. 6 und §§ 19, 20 und 21 FrG ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. In der Begründung stellte die belangte Behörde im wesentlichen fest, daß der Beschwerdeführer am 21. September 1991 mit einem am 17. September 1991 von der österreichischen Botschaft in Kairo ausgestellten, bis 8. Oktober 1991 gültigen "(Besucher-)Sichtvermerk", der mit den Vermerken "Nur in Verbindung mit Rückflugkarte gültig" sowie "Arbeitsaufnahme nicht gestattet" versehen gewesen sei, in das Bundesgebiet eingereist sei. Diesen Sichtvermerk habe der Beschwerdeführer aufgrund unrichtiger Angaben über den Zweck und die beabsichtigte Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet erhalten, weil er bei der "Sichtvermerksbeantragung" unter Vorweis eines Rückflugtickets angegeben habe, kurzfristig zu "Nicht-Erwerbszwecken" in das Bundesgebiet einreisen zu wollen, während er in Wirklichkeit die Absicht gehabt habe, in Österreich zu arbeiten und dort längerfristig zu bleiben.

Bereits am 25. September 1991 habe der Beschwerdeführer als "selbständiger Zeitungskolporteur" gearbeitet. In der Folge seien ihm von der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck Sichtvermerke erteilt worden, und zwar am 11. November 1991 mit einer Gültigkeit bis 11. Februar 1992, am 3. Februar 1992 mit einer Gültigkeit bis 3. August 1992 und am 1. September 1992 mit einer Gültigkeit bis 1. September 1993. Am 2. September 1993 sei ihm eine Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz mit einer Gültigkeit bis 2. April 1994 erteilt worden. (Aus den Verwaltungsakten geht darüber hinaus hervor, daß das Verfahren über den am 28. Februar 1994 eingereichten Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 38 AVG bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren über die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ausgesetzt wurde.) Der Beschwerdeführer habe sich nach seiner Einreise zunächst zu seinem Bruder in Z, B-Straße 13, begeben, wo er zur polizeilichen Anmeldung gelangt sei. In der Folge habe er die Wohnung in Z aufgegeben, ohne sich polizeilich abzumelden, und in Innsbruck, H-Straße 223, Unterkunft genommen, ohne sich dort anzumelden (Übertretungen nach § 4 Abs. 1 bzw. § 3 Abs. 1 iVm § 22 Abs. 1 Z. 1 Meldegesetz 1991). Ferner sei er im Jahr 1993 rechtskräftig wegen der Verwaltungsübertretung nach § 64 Abs. 1 KFG bestraft worden, weil er am 4. Juni 1993 einen Pkw gelenkt habe, ohne im Besitz der hiefür erforderlichen Lenkerberechtigung gewesen zu sein. Er sei nur im Besitz eines ägyptischen internationalen Führerscheins gewesen, der aufgrund der Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers im Bundesgebiet zwischenzeitig seine Gültigkeit verloren gehabt hätte. Diesen Sachverhalt beurteilte die belangte Behörde rechtlich dahin, daß der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 6 FrG verwirklicht worden sei und daß das Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers die im § 18 Abs. 1 Z. 1 FrG umschriebene Annahme rechtfertige. Unter Hinweis auf den relativ kurzen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und die Tatsache, daß sich - außer einem Bruder, mit dem der Beschwerdeführer nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebe - keine näheren Angehörigen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet befänden, vertrat die belangte Behörde ferner die Auffassung, daß das Aufenthaltsverbot keinen im Sinne des § 19 FrG relevanten Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers darstelle, weshalb nicht darauf eingegangen werden müsse, ob die Erlassung des Aufenthaltsverbots zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten sei, und es auch keiner Interessenabwägung gemäß § 20 Abs. 1 leg. cit. bedürfe. Die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes entspreche den für seine Erlassung maßgeblichen Umständen. Aufgrund des Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers sei bis zum Wegfall des Grundes für die Erlassung des Aufenthaltsverbots, nämlich "der Gefährlichkeit des Beschwerdeführers für die öffentliche Ordnung", das Verstreichen von zehn Jahren vonnöten.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens durch die belangte Behörde erwogen:

Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht der Beschwerdeführer geltend, daß ihm die belangte Behörde zwar mit Mitteilung vom 27. Juli 1994 vorgehalten habe, durch unrichtige Angaben im Sinne des § 18 Abs. 2 Z. 6 FrG gegenüber der österreichischen Botschaft in Kairo über den Zweck und die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes im Bundesgebiet einen Einreisesichtvermerk erschlichen zu haben; sie habe es jedoch unterlassen, zu den von ihm im Rahmen seiner Stellungnahme vom 4. August 1994 aufgestellten Behauptungen Beweise aufzunehmen, und ihm insbesondere keine Möglichkeit gegeben, durch geeignete Beweisaufnahmen die Unrichtigkeit der Annahme der belangten Behörde zu widerlegen. Es wäre - wie an anderer Stelle der Beschwerde ausgeführt - zu erheben gewesen, "welche Angaben der Beschwerdeführer nunmehr tatsächlich gegenüber der österreichischen Botschaft in Kairo gemacht hat, allenfalls wäre die Einvernahme eines informierten Sprechers der Botschaft erforderlich gewesen."

Dem ist entgegenzuhalten, daß der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 4. August 1994 mitgeteilt hat, daß er keinesfalls gegenüber der österreichischen Botschaft in Kairo unrichtige Angaben über den Zweck und die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes im Bundesgebiet gemacht hätte. Er hätte nämlich zunächst vorgehabt, seinen Bruder, der schon länger in Österreich lebte, zu besuchen. Während dieses Aufenthaltes habe sich dann für ihn die Möglichkeit ergeben, in Österreich zu arbeiten. Mit diesen Behauptungen hat sich die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides auseinandergesetzt und ihnen die Glaubwürdigkeit versagt, weil es jeglicher Lebenserfahrung widerspreche, daß eine Person, die einem fremden Land einen Besuch abstatten wolle, kurz nach der Einreise in dieses Land dort arbeite (und dementsprechend längerfristig in diesem Land bleiben wolle), ohne diese Absicht schon zuvor im Heimatland bei der Beantragung des (Einreise-)Sichtvermerks gehabt zu haben. Gegen diese Beweiswürdigung bestehen im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof zustehenden Kontrolle (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) keine Bedenken (vgl. neben dem schon von der belangten Behörde zitierten hg. Erkenntnis vom 3. Dezember 1992, Zl. 92/18/0466, auch das hg. Erkenntnis vom 3. März 1994, Zl. 94/18/0020). Bei dieser Sachlage hatte die belangte Behörde keine Veranlassung, weitere Ermittlungen in der vom Beschwerdeführer gewünschten Richtung vorzunehmen, zumal der Beschwerdeführer in der erwähnten Stellungnahme den ihm vorgehaltenen Inhalt seiner Angaben vor der österreichen Botschaft, nämlich die Absicht, kurzfristig zu "Nicht-Erwerbszwecken" in das Bundesgebiet einreisen zu wollen, nicht in Abrede gestellt hatte.

Eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides erblickt der Beschwerdeführerin darin, daß die belangte Behörde die Annahme, daß sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Sinn des § 18 Abs. 1 Z. 1 FrG gefährde, im wesentlichen (nur) damit begründet habe, daß er "einen Verstoß gegen das Meldegesetz" begangen habe und über ihn eine "Verwaltungsstrafe nach § 64 Abs. 1 KFG" verhängt worden sei. Hinsichtlich des Verstoßes gegen das Meldegesetz falle ihm bloß Fahrlässigkeit zur Last, weil er die polizeiliche Ummeldung einfach vergessen habe; was die Übertretung des KFG betreffe, so sei er im Besitze eines gültigen Führerscheines und daher auch berechtigt gewesen, ein Kraftfahrzeug zu lenken.

Bei diesem Vorbringen verkennt der Beschwerdeführer, daß die belangte Behörde die in § 18 Abs. 1 Z. 1 FrG umschriebene Annahme nicht nur wegen der - BEIDEN - Verstöße gegen das Meldegesetz 1991, zu deren Begehung Fahrässigkeit ausreicht, und wegen der rechtskräftigen Bestrafung wegen der Übertretung nach § 64 Abs. 1 KFG, an die die belangte Behörde gebunden war, sondern - in erster Linie - wegen der zu Recht bejahten Verwirklichung des Tatbestandes nach § 18 Abs. 2 Z. 6 FrG als gerechtfertigt angesehen hat. Dies begegnet angesichts der Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Bereich des Fremdenwesens keinem Einwand (vgl. das schon erwähnte hg. Erkenntnis vom 3. März 1994, Zl. 94/18/0020).

Im Recht ist der Beschwerdeführer hingegen, wenn er sich gegen die Auffassung der belangten Behörde wendet, das Aufenthaltsverbot stelle keinen im Sinne des § 19 FrG relevanten Eingriff in sein Privatleben dar. Da dem Beschwerdeführer der Aufenthalt im Bundesgebiet für einen beträchtlichen Zeitraum, während dem er einer erlaubten Beschäftigung nachging, behördlich gestattet worden war, sind die auf rechtmäßigen Grundlagen beruhenden privaten Lebensbeziehungen des Beschwerdeführers bereits als soweit gefestigt anzusehen, daß sie als schutzwürdig iS des § 19 FrG gewertet werden müssen. Daß durch den Aufenthalt im Bundesgebiet noch kein HOHER Integrationsgrad bewirkt wurde, reicht nicht hin, um einen Eingriff in das Privatleben verneinen zu können. Hingegen kann von einem Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers keine Rede sein, weil der sich als einzig naher Angehöriger im Bundesgebiet aufhaltende Bruder des Beschwerdeführers mit diesem nicht im gemeinsamen Haushalt lebt und somit nicht vom Schutzbereich des § 19 FrG umfaßt ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 1994, Zl. 93/18/0582).

Da es die belangte Behörde in Verkennung dieser Rechtslage unterlassen hat, die nach § 19 FrG gebotene Prüfung und die in § 20 Abs. 1 leg. cit. vorgeschriebene Interessenabwägung vorzunehmen, belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Dazu kommt, daß die Begründung des angefochtenen Bescheides nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennen läßt, warum unter Bedachtnahme auf die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände (§ 21 Abs. 2 FrG) der Wegfall des Grundes für diese Maßnahme - unter der Voraussetzung künftigen Wohlverhaltens des Beschwerdeführers (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. September 1994, Zl. 94/18/0189) - erst nach Ablauf von zehn Jahren angenommen werden könne.

Die damit begründete Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften tritt jedoch gegenüber der inhaltlichen Rechtswidrigkeit zurück, deretwegen der angefochtene Bescheid somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994180637.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten