TE Vwgh Erkenntnis 1995/1/24 94/20/0183

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Veröffentlicht am 24.01.1995
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. Februar 1994, Zl. 4.320.692/2-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG erlassenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. Februar 1994 wurde die Berufung des Beschwerdeführers - eines türkischen Staatsangehörigen, der am 3. April 1991 in das Bundesgebiet eingereist war und am 18. April 1991 einen Asylantrag gestellt hatte - gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 20. April 1991 - mit dem festgestellt worden war, daß bei ihm die Voraussetzungen für seine Anerkennung als Flüchtling nicht vorlägen - abgewiesen und die Gewährung von Asyl versagt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Bei seiner niederschriftlich festgehaltenen Vernehmung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien am 9. August 1991 hat der Beschwerdeführer unter Punkt 18. hinsichtlich seines "Fluchtweg" folgendes angegeben:

"Meinen nicht mehr vorhandenen türkischen RP bekam ich mit Hilfe meines Onkels nach langem Warten und Bezahlung eines Schmiergeldes. Ende Januar 1991 verließ ich mein Heimatdorf und fuhr mit einem Autobus nach Istanbul und am 19.3.1991 ebenfalls mit einem Autobus nach BG wo ich mich drei Tage aufhielt. Ich reist aus BG legal aus, marschierte dann illegal nach Jugoslawien. Am 3.4.1991 kam ich zu Fuß in der Nähe von Maribor in das österreichische Bundesgebiet. Ich fuhr dann mit einem jugoslawischen Taxi nach Graz und von dort mit der Bahn nach Wien."

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien hat ihren negativen Feststellungsbescheid damit begründet, daß dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft (im Sinne des § 1 Asylgesetz (1968) in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) nicht zukomme.

Der Beschwerdeführer hat in seiner dagegen erhobenen Berufung diese Beurteilung bekämpft und Gründe dargelegt, warum ihm die Flüchtlingseigenschaft bzw. die Asylgewährung hätte zuerkannt werden müssen.

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer, ohne sich mit seiner Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 auseinanderzusetzen, deshalb kein Asyl gemäß § 3 leg. cit. gewährt, weil sie der Ansicht war, daß bei ihm der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. gegeben sei, wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war. Sie ging von den Angaben des Beschwerdeführers bei seiner niederschriftlichen Vernehmung am 9. August 1991 - daß er die Türkei am 19. März 1991 verlassen und über Bulgarien sowie das "ehemalige Jugoslawien" am 3. April 1991 in das Bundesgebiet eingereist sei - aus und befaßte sich in rechtlicher Hinsicht näher mit dem Begriff der "Verfolgungssicherheit" im Sinne der genannten Gesetzesstelle, wobei sie im wesentlichen in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (beginnend mit dem Erkenntnis vom 27. Mai 1993, Zl. 93/01/0256), auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, die Rechtslage richtig erkannt hat. Die Asylgewährung hat die belangte Behörde im Ergebnis deshalb versagt, weil sie der Ansicht war, daß der Beschwerdeführer bereits im "ehemaligen Jugoslawien" Verfolgungssicherheit erlangt habe.

Der Beschwerdeführer macht dagegen geltend, die Annahmen der belangten Behörde, daß er in "Jugoslawien" die Möglichkeit gehabt hätte, um Asyl anzusuchen und er in diesem Land die Rückschiebung in seinen Heimatstaat nicht hätte befürchten müssen, seien unrichtig. Die belangte Behörde habe ihn weder zu diesen Umständen befragt, noch habe sie die in "Jugoslawien" im April 1991 tatsächlich bestehenden Verhältnisse ermittelt. Im April 1991 sei das "ehemalige Jugoslawien praktisch bereits zerfallen gewesen". In Ansehung von Slowenien und Kroatien sei es aufgrund der Volksabstimmungen eindeutig gewesen, daß von seiten dieser Länder Unabhängigkeitserklärungen erfolgen würden. Ebenso sei zu befürchten gewesen, daß es "diesfalls zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommen könnte"; das Militär sei in Alarmbereitschaft gewesen. Im April 1991 hätten keine normalen Verhältnisse mehr im "ehemaligen Jugoslawien" bestanden. Dem Beschwerdeführer sei die Stellung eines Asylantrages damals nicht zumutbar gewesen. Die im Stadium der Abtrennung befindlichen Nachfolgestaaten seien noch nicht Mitglieder der "Genfer Flüchtlingskonvention" gewesen.

Der Beschwerdeführer rügt zutreffend, daß sich die belangte Behörde mit den konkreten Verhältnissen im "ehemaligen Jugoslawien" bezogen auf den Zeitpunkt seines Aufenthaltes in diesem Land (bzw. den Nachfolgestaaten) nicht auseinandergesetzt hat. Er ist auch mit seinem Hinweis im Recht, daß Kroatien und Slowenien als Nachfolgestaaten des "ehemaligen Jugoslawien" erst nach seiner Einreise in das Bundesgebiet - nämlich Slowenien mit Wirksamkeit vom 25. Juni 1991 und Kroatien mit Wirksamkeit vom 8. Oktober 1991 - erklärt haben, sich an die Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und die daraus ergebenden Verpflichtungen gebunden zu erachten (vgl. dazu BGBl. Nr. 806/1993).

Würden somit die in der Beschwerde gegen die Annahmen der belangten Behörde dargelegten Behauptungen des Beschwerdeführers zutreffen, so könnte nicht mehr ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß der Beschwerdeführer, bezogen auf den allein maßgeblichen Zeitpunkt seines Aufenthaltes in diesem Land (vgl. unter anderem das hg. Erkenntnis vom 27. April 1994, Zl. 94/01/0074 und die dort angegebene Judikatur), bereits im "ehemaligen Jugoslawien" vor Verfolgung sicher gewesen sei.

Der Beschwerdeführer hat die konkreten Behauptungen zur Bestreitung der von der belangten Behörde angenommenen Verfolgungssicherheit erstmals in der Beschwerde aufgestellt, doch wurde ihm im Verwaltungsverfahren - in dem die Erstbehörde diesen Asylausschließungsgrund nicht herangezogen hat - nicht Gelegenheit gegeben, dazu Stellung zu nehmen, weshalb sein in der Beschwerde erstattetes Vorbringen nicht gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG verstößt. Damit hat der Beschwerdeführer die Wesentlichkeit eines Verfahrensmangels aufgezeigt.

Da sohin Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesonders deren Art. III Abs. 2.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994200183.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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