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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über die Beschwerde der Z in S, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Mai 1994, Zl. 4.343.372/1-III/13/93, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 1.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG erlassenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Mai 1994 wurde die Berufung der Beschwerdeführerin - einer türkischen Staatsangehörigen, die am 23. August 1993 in das Bundesgebiet eingereist war und am 30. August 1993 einen Asylantrag gestellt hatte - gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 3. September 1993 - mit dem der Asylantrag abgewiesen worden war - abgewiesen und damit die Asylgewährung versagt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Bei der niederschriftlich festgehaltenen Vernehmung durch das Bundesasylamt am 30. August 1993 hat die nach ihrem "Fluchtweg" befragte Beschwerdeführerin unter anderem folgendes angegeben:
"Am 19.8.1993 fuhr ich von Elazig nach Istanbul mit einem Autobus, wo ich am 20.8.1993 in den Morgenstunden ankam. Am 20.8.1993 am Abend fuhr ich mit einem Bus Richtung Österreich. Es war kein türkischer Bus, sondern ein großer Reisebus mit einer nichttürkischen Aufschrift. In der Mitte des Gepäckraumes war ein Holraum in den man auch vom Businneren einsteigen konnte. Auch eine zweite Frau war mit mir in diesem Versteck.
...
Die Reise nach Österreich dauerte 50 Stunden. An den Grenzen mußten wir lange warten.
Frage: Welche Länder haben Sie durchquert?
Antwort: Ungarn habe ich wahrgenommen. Bei der Einreise nach Ungarn mußte ich mich nicht verstecken, weil der Fahrer den ungarischen Beamten Geld gegeben hat. Wir wurden auch nicht kontrolliert. Ich hielt mich während der Fahrt im Bus auf, bei den anderen Grenzen mußte ich mich verstecken. ..."
Das Bundesasylamt hat seinen abweislichen Bescheid damit begründet, daß der Beschwerdeführerin die Flüchtlingseigenschaft (im Sinne von § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991) nicht zukomme. Des weiteren hat das Bundesasylamt die Asylgewährung auch mit der Begründung versagt, daß die Beschwerdeführerin vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet bereits in Ungarn vor Verfolgung sicher gewesen sei.
Die Beschwerdeführerin hat in ihrer dagegen erhobenen Berufung Gründe dargelegt, warum ihr die Flüchtlingseigenschaft bzw. die Asylgewährung hätte zuerkannt werden müssen.
Die belangte Behörde hat der Beschwerdeführerin, ohne sich mit ihrer Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 auseinanderzusetzen, deshalb kein Asyl gemäß § 3 leg. cit. gewährt, weil sie der Ansicht war, daß bei ihr der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. gegeben sei, wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war. Sie ging von den Angaben der Beschwerdeführerin bei ihrer niederschriftlichen Vernehmung am 30. August 1993 - daß diese die Türkei am 20. August 1993 verlassen habe und per Lastkraftwagen, sohin auf dem Landwege, nach Österreich gereist sei - aus und befaßte sich in rechtlicher Hinsicht näher mit dem Begriff der "Verfolgungssicherheit" im Sinne der genannten Gesetzesstelle, wobei sie im wesentlichen - in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (beginnend mit dem Erkenntnis vom 27. Mai 1993, Zl. 93/01/0256), auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird - die Rechtslage richtig erkannt hat. Die Asylgewährung hat die belangte Behörde deshalb versagt, weil sie der Ansicht war, daß sich die Beschwerdeführerin aufgrund der geographischen Lage der Türkei im Zusammenhalt mit der von ihr angegebenen Reiseart und Reisedauer entweder in Bulgarien, in Griechenland oder in der Russischen Föderation aufgehalten haben müsse und bereits in einem dieser Länder vor Verfolgung sicher gewesen sei.
Die Beschwerdeführerin macht - soweit sie sich in ihrer Beschwerde gegen den gebrauchten Asylausschließungsgrund wendet - gegen diese Annahmen der belangten Behörde im wesentlichen geltend, daß in den genannten Ländern kein Schutz (durch Asylgewährung) gewährleistet gewesen sei. In den ehemaligen Ländern der "Sowjetunion" bestünden in den peripheren Gebieten bürgerkriegsähnliche Zustände. In Bulgarien und Griechenland sei eine entsprechende Verfolgung der türkischen Minderheit zu befürchten gewesen. Schon aus zeitlichen Gründen hätte sie in den Transitländern keinen Asylantrag stellen können. Eine "Verfolgungssicherheit" habe in diesen Staaten - wenn überhaupt - nur unter Inanspruchnahme unzumutbarer bürokratischer Wege theoretisch bestanden. Stattdessen sei für sie praktisch die Möglichkeit im Vordergrund gestanden, im kurzen Wege (in die Türkei) abgeschoben zu werden.
Würden die in der Beschwerde gegen die Annahmen der belangten Behörde dargelegten Behauptungen der Beschwerdeführerin zutreffen, so könnte aber nicht mehr ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß die Beschwerdeführerin, bezogen auf den allein maßgeblichen Zeitpunkt ihres Aufenthaltes in diesem Land (vgl. unter anderem das hg. Erkenntnis vom 27. April 1994, Zl. 94/01/0074 und die dort angegebene Judikatur), bereits in Bulgarien, in Griechenland oder der Russischen Föderation vor Verfolgung sicher gewesen sei.
Die Beschwerdeführerin hat die konkreten Behauptungen zur Bestreitung der von der belangten Behörde angenommenen Verfolgungssicherheit erstmals in ihrer Beschwerde aufgestellt, doch wurde ihr im Verwaltungsverfahren - in dem die Erstbehörde den gebrauchten Asylausschließungsgrund nicht darauf gestützt hat, daß die Beschwerdeführerin bereits in Bulgarien, Griechenland oder der Russischen Föderation sicher gewesen sei - nicht Gelegenheit gegeben, dazu Stellung zu nehmen, weshalb ihr in der Beschwerde erstattetes Vorbringen nicht gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG verstößt. Damit hat die Beschwerdeführerin die Wesentlichkeit eines Verfahrensmangels augezeigt.
Des weiteren erfordert die Annahme einer Verfolgungssicherheit in einem Drittstaat unter anderem die tatsächlich erfolgte Einreise in diesen Drittstaat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 1994, Zl. 94/19/0932). Der niederschriftlich festgehaltenen Vernehmung der Beschwerdeführerin durch das Bundesasylamt am 30. August 1993 ist aber bloß zu entnehmen gewesen, daß diese mit einem Autobus am 20. August 1993 von Instanbul Richtung Österreich fuhr, fünfzig Stunden unterwegs war und unter anderem durch Ungarn gefahren ist. Ein Ermittlungsergebnis im Sinne des § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991, daß die Beschwerdeführerin in die Russische Föderation eingereist sei, lag aber ebensowenig vor, wie die belangte Behörde aufgrund der erstinstanzlichen Ermittlungsergebnisse auch nicht eindeutig und zweifelsfrei feststellen konnte, ob der "Fluchtweg" der Beschwerdeführerin tatsächlich mit einer Einreise in Griechenland und/oder in Bulgarien verbunden gewesen ist. Bei Heranziehung des gebrauchten Asylausschließungsgrundes hätte die belangte Behörde demnach jedenfalls eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens im Sinne des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 anordnen müssen, um dadurch die tatsächlich erfolgte Einreise der Beschwerdeführerin in den im angefochtenen Bescheid angenommenen Drittländern zu ermitteln.
Da sohin Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Bei diesem Ergebnis braucht auf die weiteren Beschwerdeausführungen nicht weiter eingegangen zu werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht im Rahmen des gestellten Begehrens auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994200678.X00Im RIS seit
20.11.2000