TE Vwgh Erkenntnis 1995/1/25 94/03/0167

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Veröffentlicht am 25.01.1995
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Index

L10016 Gemeindeordnung Gemeindeaufsicht Gemeindehaushalt Steiermark;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §56;
AVG §68 Abs2;
B-VG Art119a Abs5;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
GdO Stmk 1967 §47 Abs1;
GdO Stmk 1967 §93 Abs1;
GdO Stmk 1967 §94 Abs1;
GdO Stmk 1967 §94 Abs5;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 94/03/0168 94/03/0169

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerden 1.) der X-Großhandelsges.m.b.H. in V, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Stmk LReg vom 20. Juli 1992, Zl. 11 - 14 S 16 - 92/1, betreffend Zurückweisung einer Vorstellung (mP: Gemeinde S, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in G), und 2.) der X-Großhandelsges. m. b.H. in V, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in B, sowie der Gemeinde S, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid der Stmk LReg vom 20. Juli 1992, Zl. 11 - 14 S 16 - 92/6, betreffend einstweilige Verfügung gemäß § 47 der Stmk. Gemeindeordnung 1967, zu Recht erkannt:

Spruch

1. Die Beschwerde der X-Großhandelsgesellschaft m.b.H. gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 20. Juli 1992, Zl. 11 - 14 S 16 - 92/1, wird als unbegründet abgewiesen.

Die X-Großhandelsgesellschaft m.b.H. hat dem Land Steiermark Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und der mitbeteiligten Partei Gemeinde S Aufwendungen in der Höhe von

S 12.500,- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

2. Der angefochtene Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 20. Juli 1992, Zl. 11 - 14 S 16 - 92/6, wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat der X-Großhandelsgesellschaft m. b.H. Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- und der Gemeinde S Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 30. März 1992 erließ der Bürgermeister der Gemeinde S gestützt auf § 47 Abs. 1 der Stmk. Gemeindeordnung 1967, LGBl. Nr. 115, eine "einstweilige unaufschiebbare Verfügung", mit welcher er den Straßenbauhof seiner Gemeinde mit sofortiger Wirkung beauftragte, die auf einer im Eigentum der X-Großhandelsgesellschaft m.b.H. stehenden Liegenschaft befindlichen "Tafeln, welche infolge Gefahr im Verzug eine Verkehrsbehinderung im Hinblick auf die Leichtigkeit, Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs auf der öffentlichen Straße darstellen, im öffentlichen Interesse zu entfernen", und die Tafeln im Straßenbauhof zu verwahren.

Gegen diesen Vorgang erhob die X-Großhandelsgesellschaft m. b.H. einerseits Vorstellung an die Stmk. Landesregierung und andererseits Berufung an den Gemeinderat der Gemeinde S. Letzterer wies mit Bescheid vom 19. Mai 1992 diese Berufung mit der Begründung gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unzulässig zurück, bei dem angefochtenen Vorgang handle es sich nicht um einen Bescheid.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 20. Juli 1992, Zl. 11 - 14 S 16 - 92/1, wies die Stmk. Landesregierung die Vorstellung der X-Großhandelsgesellschaft m.b.H. gegen die einstweilige Verfügung des Bürgermeisters der Gemeinde S vom 30. März 1992 mangels Erschöpfung des Instanzenzuges mit der Begründung zurück, gemäß § 94b StVO 1960 sei die Gemeinde im Rahmen des eigenen Wirkungsbereiches zuständig zur Erlassung von Bescheiden nach § 35 StVO 1960. Die gegenständliche Verkehrsbeeinträchtigung habe sich im Bereich einer Gemeindestraße der Gemeinde S befunden, weshalb die Zuständigkeit des Bürgermeisters dieser Gemeinde gegeben gewesen sei. Mit Rücksicht auf den Wortlaut der Bestimmung des § 35 Abs. 1 StVO 1960 hätte bei Gefahr im Verzug richtigerweise die Gemeinde S einen Mandatsbescheid gemäß § 57 AVG erlassen müssen, gegen den dem betroffenen Grundeigentümer die Vorstellung an den Bürgermeister offengestanden wäre. Gegen dessen Entscheidung hätte in weiterer Folge die Möglichkeit der Berufung an den Gemeinderat und letztlich der Vorstellung an die Aufsichtsbehörde bestanden. Aus dem Akteninhalt sei ersichtlich, daß diese Vorgangsweise nicht gewählt worden sei. Daraus ergebe sich, daß die vorliegende Vorstellung als unzulässig zurückzuweisen sei, da der Instanzenzug noch nicht erschöpft sei.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der Stmk. Landesregierung vom 20. Juli 1992, Zl. 11 - 14 S 16 - 92/6, wurde "aus Anlaß der Vorstellung" der X-Großhandelsgesellschaft m.b.H. der Bescheid des Gemeinderates der Gemeinde S vom 19. Mai 1992 im Grunde des § 94 der Stmk. Gemeindeordnung 1967 aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat im wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, nach Ansicht der Vorstellungsbehörde habe die X-Großhandelsgesellschaft m.b.H. im erstbehördlichen Verfahren keine Parteistellung erlangt, weil sich die einstweilige Verfügung gemäß § 47

Stmk. Gemeindeordnung 1967 nicht gegen sie, sondern an den Bauhof der Gemeinde S gerichtet habe.

Gegen den zuerst genannten Bescheid richtet sich die Beschwerde der X-Großhandelsgesellschaft m.b.H. Gegen den zweitgenannten Bescheid richten sich die Beschwerden sowohl der X-Großhandelsgesellschaft m.b.H. als auch der Gemeinde S.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete jeweils eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerden kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung verbunden und darüber erwogen:

1. Zum Bescheid Zl. 11 - 14 S 16- 92/1:

Nach der in der Begründung dieses Bescheides wiedergegebenen Auffassung der belangten Behörde war vor Erhebung der Vorstellung durch die X-Großhandelsgesellschaft m. b.H. der Instanzenzug gegen die einstweilige Verfügung des Bürgermeisters der Gemeinde S vom 30. März 1992 deshalb noch nicht erschöpft, weil richtigerweise anstelle einer einstweiligen Verfügung gemäß § 47 Stmk. Gemeindeordnung 1967 ein Mandatsbescheid gemäß § 57 AVG hätte ergehen müssen, gegen den zunächst eine Vorstellung an den Bürgermeister und in der Folge eine Berufung an den Gemeinderat offengestanden wäre.

Mit dieser Rechtsansicht verkennt die belangte Behörde zwar die Rechtslage. Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, ist maßgebend für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels nicht, in welchem Behördenbereich der unterinstanzliche Bescheid gesetzmäßigerweise hätte erlassen werden müssen oder welche Rechtsvorschriften richtigerweise hätten herangezogen werden müssen, sondern danach, welche Behörde welche Rechtsvorschriften tatsächlich angewendet hat (vgl. die in Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, S. 487, zitierte hg. Rechtsprechung).

Die auf Zurückweisung der Vorstellung der X-Großhandelsgesellschaft m.b.H. lautende Entscheidung der belangten Behörde erweist sich im Ergebnis aber dennoch als rechtsrichtig.

Es kann im gegebenen Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob es sich bei einer auf § 47 Abs. 1 der Stmk. Gemeindeordnung gestützten einstweiligen unaufschiebbaren Verfügung um einen Bescheid des Bürgermeisters oder um die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt handelt, weil in keinem Fall eine Vorstellung an die belangte Behörde zulässig ist. Handelt es sich nämlich um einen Bescheid, so geht gemäß § 93 Abs. 1 der Stmk. Gemeindeordnung 1967 der Instanzenzug an den Gemeinderat. Daß der Bürgermeister nach der Anordnung des § 47 Abs. 1 leg. cit. von der getroffenen einstweiligen unaufschiebbaren Verfügung "unverzüglich dem zuständigen Kollegialorgan zu berichten" hat, könnte daran nichts ändern. Handelt es sich aber bei einer solchen einstweiligen unaufschiebbaren Verfügung um die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, so fehlt es für die Zulässigkeit einer Vorstellung im Sinne des § 94 Abs. 1 leg. cit. schon an der Voraussetzung der Existenz eines Bescheides, gegen den sie sich richten könnte.

Aus den dargelegten Gründen war die Beschwerde der X-Großhandelsgesellschaft m.b.H. gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 20. Juli 1992, Zl. 11 - 14 S 16 - 92/1, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

2. Zum Bescheid Zl. 11 - 14 S 16 - 92/6:

Da die Gemeinde S die Beschwerdelegitimation

der X-Großhandelsgesellschaft m.b.H. in Zweifel zog, ist zunächst auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die in einer aufhebenden, in Rechtskraft erwachsenen, über eine Vorstellung gegen einen Bescheid eines Gemeindeorganes ergangenen Entscheidung einer Aufsichtsbehörde enthaltenen, den Spruch tragenden Gründe nicht nur im fortgesetzten Verfahren für die Gemeindebehörde und die Aufsichtsbehörde selbst bindend sind, sondern auch den Verwaltungsgerichtshof sogar dann binden, wenn diese der objektiven Rechtslage nicht entsprechen sollten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Mai 1979, Zl. 1534/78, und die dort zitierte Vorjudikatur). Es ist daher die zufolge Art. 131 Abs. 1 Z. 1 für die Beschwerdelegitimation der X-Großhandelsgesellschaft m.b.H. allein maßgebliche Möglichkeit, daß durch den angefochtenen Bescheid subjektive Rechte der X-Großhandelsgesellschaft m.b.H. verletzt worden sind, nicht auszuschließen. Denn die belangte Behörde stützte ihre Entscheidung ausdrücklich auf die Bestimmung des § 94 der Stmk. Gemeindeordnung 1967. Die von der X-Großhandelsgesellschaft m.b.H. gegen den gegenständlichen angefochtenen Bescheid erhobene Beschwerde ist daher zulässig.

Sie ist auch, ebenso wie die Beschwerde der Gemeinde S, berechtigt.

Gemäß § 94 Abs. 1 der Stmk. Gemeindeordnung 1967 kann, wer durch den Bescheid eines Gemeindeorganes in einer Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches im Bereich der Landesvollziehung in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, nach Erschöpfung des Instanzenzuges innerhalb von zwei Wochen nach Erlassung des Bescheides dagegen Vorstellung erheben.

Nach dem Abs. 5 dieser Gesetzesstelle hat die Aufsichtsbehörde den Bescheid, wenn Rechte des Einschreiters durch ihn verletzt werden, aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde zu verweisen.

Eine auf § 94 der Stmk. Gemeindeordnung 1967 gestützte Aufhebung eines Bescheides eines Gemeindeorgans durch die Aufsichtsbehörde darf somit nur in Erledigung einer nach dem Abs. 1 dieser Gesetzesstelle erhobenen Vorstellung und nur dann erfolgen, wenn durch den Bescheid Rechte des Einschreiters verletzt werden. Hingegen bietet diese Gesetzesstelle keine geeignete Rechtsgrundlage für eine amtswegige Aufhebung eines Bescheides eines Gemeindeorgans durch die Aufsichtsbehörde.

Diese Rechtslage verkannte die belangte Behörde. Denn, wie sich aus dem diesbezüglich zu keinerlei Zweifel Anlaß gebenden Wortlaut des Spruches des in Rede stehenden angefochtenen Bescheides ergibt, der sich ausdrücklich auf § 94 leg. cit. beruft, erfolgte die Aufhebung des Bescheides des Gemeinderates der Gemeinde S vom 19. Mai 1992 nicht in Erledigung einer von der X-Großhandelsgesellschaft m.b.H. gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung und auch nicht wegen einer Verletzung subjektiver Rechte der X-Großhandelsgesellschaft m.b.H., sondern lediglich "aus Anlaß" einer solchen Vorstellung und, wie sich aus der dem angefochtenen Bescheid beigegebenen Begründung ergibt, wegen einer objektiven Rechtswidrigkeit des Bescheides des Gemeinderates.

Es war daher dieser Bescheid über Beschwerde beider Beschwerdeführerinnen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Bescheidbegriff Mangelnder Bescheidcharakter Besondere Rechtsgebiete Gemeinderecht Inhalt der Vorstellungsentscheidung Aufgaben und Befugnisse der Vorstellungsbehörde Rechtsnatur der Vorstellung Verhältnis zu anderen Normen und Materien Zulässigkeit der Vorstellung Parteistellung und Rechtsansprüche der Parteien (außer der Gemeinde) im Vorstellungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994030167.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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