TE Vwgh Erkenntnis 1995/1/26 94/19/0258

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Veröffentlicht am 26.01.1995
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. Dezember 1993, Zl. 4.343.020/1-III/13/93, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG erlassenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. Dezember 1993 wurde die Berufung des Beschwerdeführers - eines Staatsangehörigen von Afghanistan, der am 21. Juni 1993 in das Bundesgebiet eingereist war und am 22. Juni 1993 einen Asylantrag gestellt hatte - gegen den seinen Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 25. Juni 1993 abgewiesen und damit die Asylgewährung versagt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Der nach seinem "Fluchtweg" befragte Beschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlich festgehaltenen Vernehmung durch das Bundesasylamt am 23. Juni 1993 unter anderem folgendes angegeben:

"Bis zur Ableistung meines Militärdienstes konnte ich um keinen Reisepaß ansuchen. Danach hatte ich nicht die Absicht mein Heimatland zu verlassen. Als ich mein Land verlassen mußte, hatte ich keine Zeit mehr um einen Reisepaß anzusuchen.

...

Am 15.6.1993, am Nachmittag, holte mich A von dem Haus ab. Wir begaben uns danach zum Flugplatz in Kabul, wo wir mit einer Maschine der Ariana Fluggesellschaft nach Moskau flogen. Was mit den Beamten der Grenzkontrollstelle am Flugplatz vereinbart war, weiß ich nicht. Ich kann nur angeben, daß A vor mir die Grenzkontrolle passierte und ich hinter ihm herging. Ich wurde von niemandem nach meinem Reisepaß gefragt.

Erst in Moskau im Transitraum habe ich erkannt, daß vier weitere afghanische Flüchtlinge unter denselben Bedingungen auf der Flucht waren. In Moskau im Transitraum mußte ich ca. 4 Stunden auf A warten. Danach teilte er uns mit, daß wir die Grenzkontrolle jetzt ohne Probleme passieren könnten. Danach brachte er uns zu einem anderen Fluchthelfer in Moskau. Diese Adresse sowie der Name des Fluchthelfers ist mir nicht bekannt. Mit dem neuen Fluchthelfer wurde dann vereinbart, daß er mich für US $ 4.000 nach Holland bringen würde. Ich blieb für 3 Tage in der Wohnung des Fluchthelfers. ...

Während meines Aufenthaltes in Moskau habe ich das Quartier nicht verlassen, da uns der Schlepper angewiesen hat in der Wohnung zu bleiben.

Am 18.6.1993, am Nachmittag, holte uns der Schlepper von der Wohnung ab und brachte uns zu einem Bahnhof. Von dort fuhren wir mit einem Zug ab. Nach einer ca. 10-stündigen Fahrt stiegen wir in einem Bahnhof aus dem Zug aus. Der Ort ist mir nicht mehr erinnerlich. Ich weiß nur, daß die Ortstafel in zyrillischer Schrift beschrieben war. Ich nehme daher an, daß wir uns noch in Rußland befunden haben. Danach marschierten war ca. 4 Stunden durch Wiesen und Wälder.

Nach diesem Marsch warteten wir ca. 2 Stunden unter freiem Himmel auf ein grünes Geländefahrzeug russischer Bauart. Mit diesem fuhren wir ca. 18 Stunden durch unverbautes Gebiet. Danach mußten wir das Fahrzeug wieder verlassen und marschierten abermals sechs Stunden. In den Morgenstunden des 20.6.1993 erreichten wir eine Ortschaft, bestehend aus ca. 15 Häuser. In einem dieser Häuser, vermutlich ein Bauernhof, mußten wir uns 12 Stunden verstecken. Ich habe keine Ahnung wo dies war. Ich habe nichts gesehen, was auf die Nationalität des Landes hingewiesen hätte. Nach dieser 12-stündigen Wartezeit kam ein LKW, mit lateinischer Aufschrift. Den Laderaum dieses LKW mußten wir über das Dach besteigen. ... Wir fuhren wiederum ca. 12 Stunden mit dem LKW, wobei nur ein längerer Aufenthalt von ca. 1/2 Stunde war. Auch bei diesem Aufenthalt durften wir das Fahrzeug nicht verlassen. Nach der gesamten Fahrzeit von ca. 12 Stunden hielt der LKW abermals an, und der Fahrer teilte uns in russischer Sprache mit, daß es sehr schwierig sei nach Holland zu kommen und er deshalb abermals US $ 1.000 verlange. Ich war nicht mehr in der Lage den geforderten Betrag zu bezahlen, da ich kein Geld mehr hatte. Der LKW-Fahrer teilte mir weiters mit, daß wir jetzt in Österreich seien und ich auch hier um politisches Asyl ansuchen könnte. Ich wollte zuerst weiter nach Holland, jedoch zwang mich der Fahrer auszusteigen.

...

Wien erreichte ich am 21.6.1993 in den Morgenstunden. ...

Zu dem Fluchthelfer in Moskau, bei dem es sich um einen russischen Staatsangehörigen gehandelt hat und dessen Name mir nicht bekannt ist, möchte ich noch angeben, daß er uns nach unseren Wunschländern befragte und uns mitteilte, daß das einzige Land wo wir Asyl bekommen könnten Holland sei. Aus diesem Grund entschied ich mich für die Flucht nach Holland. Für mich war es nicht möglich in Rußland um Asyl anzusuchen, da ich befürchtete gegen russische Kriegsgefangene die sich in Afghanistan befinden ausgetauscht werde.

..."

Das Bundesasylamt hat seinen abweislichen Bescheid im wesentlichen damit begründet, daß dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft nicht zukomme, weil er eine konkret gegen ihn gerichtet gewesene staatliche Verfolgung durch sein Heimatland nicht habe glaubhaft machen können.

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer - ohne sich mit seiner Flüchtlingseigenschaft auseinanderzusetzen oder auf die im erstinstanzlichen Bescheid für die Abweisung des Asylantrages gegebene Begründung und das vom Beschwerdeführer dagegen erhobene Rechtsmittel einzugehen - deshalb kein Asyl gewährt, weil sie der Ansicht war, daß bei ihm der Asylausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 gegeben sei, wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war. Sie stützte sich insoweit auf die Angaben des Beschwerdeführers bei seiner Erstbefragung (am 23. Juni 1993), wonach dieser sich vor seiner Einreise nach Österreich in Moskau aufgehalten habe und folgerte aus diesem Aufenthalt, daß der Beschwerdeführer bereits in Rußland vor Verfolgung sicher gewesen sei, weshalb die Asylgewährung ausgeschlossen sei.

Insoweit der Beschwerdeführer inhaltliche Rechtswidrigkeit der Auslegung des Begriffes "Verfolgungssicherheit" geltend macht, kommt diesen Rügen im Lichte der zu § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 ergangenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis vom 24. November 1993, Zl. 93/01/0357, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird) keine Berechtigung zu.

Der Beschwerdeführer wendet sich des weiteren aber auch gegen die Annahme der belangten Behörde, daß er bereits in Rußland vor Verfolgung sicher gewesen sei. Er bringt dazu unter anderem vor, die belangte Behörde habe nicht positiv festgestellt, daß er vor seiner Einreise nach Österreich "in Drittstaaten" vor Verfolgung sicher gewesen sei, sondern sie habe lediglich den "unbegründeten Schluß" gezogen, daß er seinen "Verfolgungs- und Rückschiebungsschutz hätte aktualisieren können". Er sei vor seiner Einreise in das Bundesgebiet aber keineswegs vor Verfolgung sicher gewesen. Die belangte Behörde habe ihm seine "angebliche Verfolgungssicherheit" bzw. die insoweit zur Stützung ihrer Schlußfolgerungen herangezogenen Ermittlungsergebnisse nicht vorgehalten. Hätte die belangte Behörde aber hinsichtlich der "Verfolgungssicherheit" sein Parteiengehör nicht verletzt, dann hätte sie aufgrund seines die pauschalen und verfehlten Annahmen (der Behörde) widerlegenden Vorbringens zu einem für ihn günstigeren Bescheid gelangen können. Des weiteren habe die belangte Behörde ihren Bescheid auch in einer für den Verwaltungsgerichtshof (im Rahmen seiner nachprüfenden Kontrolle) nicht mehr nachvollziehbaren Weise unbegründet gelassen, indem sie für ihre Schlußfolgerungen keine konkreten Ermittlungsergebnisse (im angefochtenen Bescheid) angegeben habe.

Mit diesen Ausführungen im Zusammenhalt mit den von der belangten Behörde unbeachtet gelassenen Angaben in seiner Erstbefragung, wonach er in Rußland befürchtet habe gegen russische Kriegsgefangene in Afghanistan ausgetauscht zu werden, bringt der Beschwerdeführer in tatsächlicher Hinsicht Behauptungen vor, bei deren Zutreffen nicht mehr ohne weiteres die Rede sein könnte, Rußland biete als Zufluchtsstaat von seiner effektiv geltenden Rechtsordnung her einen dem Standard der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechenden Schutz.

Der Beschwerdeführer hat diese Behauptungen teils schon im erstinstanzlichen Verfahren und teils erstmals in der Beschwerde aufgestellt, doch wurde ihm - zumal die Erstbehörde ihren abweislichen Bescheid nicht darauf gestützt hat, daß der Beschwerdeführer in Rußland bereits vor Verfolgung sicher gewesen sei - im Berufungsverfahren nicht Gelegenheit geboten, zu der ihm nicht bekanntgegebenen Annahme der belangten Behörde, daß er in Rußland "Verfolgungssicherheit" erlangt habe, Stellung zu nehmen, weshalb sein in der Beschwerde erstattetes Vorbringen auch nicht gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG verstößt.

Die belangte Behörde hat somit dadurch, daß sie den angefochtenen Bescheid sowohl unter Außerachtlassung der Angaben des Beschwerdeführers in seiner Erstbefragung als auch dadurch, daß sie den angefochtenen Bescheid ohne Vorliegen von - unter dem Blickwinkel der Beschwerdeausführungen - entsprechenden Ergebnissen eines unter Wahrung des Parteiengehörs durchgeführten Ermittlungsverfahrens erlassen hat, diesen mit wesentlichen Verfahrensmängeln belastet, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Der angefochtene Bescheid war daher - ohne daß auf die übrigen Beschwerdeausführungen noch eingegangen werden muß - schon aus den dargelegten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994190258.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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