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L92059 Altenheime Pflegeheime Sozialhilfe Wien;Norm
B-VG Art127 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell und Dr. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schidlof, über die Beschwerde der I in Wien, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 9. Juni 1994, Zl. MA 12-16790/Dez.II, betreffend Gewährung von monatlich wiederkehrenden Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin bezieht seit September 1991 eine Sozialhilfe-Dauerleistung. Zuletzt wurde mit Bescheid der Magistratsabteilung 12 - Sozialamt vom 19. März 1993 die monatliche Geldleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes auf die Dauer unveränderter Verhältnisse bis 30. September 1993 befristet zuerkannt. Aufgrund eines amtsärztlichen Gutachtens bestünde bei der Beschwerdeführerin eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit.
Mit einem amtsärztlichen Gutachten vom 15. September 1993 wurde bei der Beschwerdeführerin neuerlich eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit für ein Jahr festgestellt. Ein Antrag der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung einer Invaliditätspension wurde mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 3. März 1993 abgelehnt. Die dagegen erhobene Klage wurde mit Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 16. Juni 1993 mangels Arbeitsunfähigkeit abgelehnt. Aufgrund des festgestellten medizinischen Leistungskalküls sei die Beschwerdeführerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt voll verweisbar. Sie könne z.B. Hilfstätigkeiten in größeren Betrieben, eingesetzt für Sortier-, Zusammenlege- oder Einschlichtarbeiten in Textilhandelsbetrieben durchführen. Es handle sich dabei durchwegs um Arbeiten mit leichter körperlicher Belastung, Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien ausreichend vorhanden. Die Beschwerdeführerin sei infolge der derzeit voll abgeklungenen Depression beruflich durchaus einsetzbar, sodaß eine Invalidität im Sinne des Gesetzes nicht gegeben sei. Die Magistratsabteilung 12 veranlaßte daraufhin eine neuerliche amtsärztliche Begutachtung der Beschwerdeführerin. Das amtsärztliche Gutachten vom 24. Februar 1994 ergab dabei im wesentlichen, daß die Beschwerdeführerin nicht invalid sei. Sie könne leichtere Arbeiten im Sitzen, Gehen, Stehen, im Freien bzw. im geschlossenen Raum, leisten. Sie sei allerdings als "nicht vermittelbar" zu betrachten, weil sie nur sehr einfache Tätigkeiten ausführen könne, jahrzehntelang nicht mehr gearbeitet habe, sehr häufig im Krankenstand wäre und wegen ihres Alters.
Mit Bescheid der Magistratsabteilung 12 - Sozialamt vom 27. April 1994 wurde die der Beschwerdeführerin zuletzt mit Bescheid vom 19. März 1993 zuerkannte monatliche Geldleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes mit 30. April 1994 eingestellt. Die Einstellung ergebe sich aufgrund der mit Urteil des Sozialgerichtes festgestellten Arbeitsfähigkeit; die Arbeitsfähigkeit sei auch mit amtsärztlichem Gutachten vom 24. Februar 1994 bestätigt worden.
Die Beschwerdeführerin erhob Berufung, wobei sie im wesentlichen darauf verwies, schon seit zehn Jahren keiner Arbeit nachgehen zu können. Seit dieser Zeit sei sie auch "finanziell befürsorgt". Sie schaffe es nur schwer, ihre Aufgaben im Haushalt zu erledigen und sei schon seit längerer Zeit regelmäßig in Betreuung des Sozialpsychiatrischen Ambulatoriums Hernals. Sie beantrage eine weitere amtsärztliche Untersuchung.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Entscheidung der Behörde erster Instanz dahin abgeändert, daß die Dauerleistung mit 31. Mai 1994 eingestellt wurde. Begründend wurde darauf verwiesen, daß sich aus § 13 Abs. 1 des Wiener Sozialhilfegesetzes (in der Folge: WSHG) in Verbindung mit § 4 Abs. 1 der Verordnung der Wiener Landesregierung betreffend die Festsetzung der Richtsätze in der Sozialhilfe, LGBl. für Wien Nr. 13/1973 (Richtsatzverordnung), ergebe, daß grundsätzlich nur alte (bei Frauen ab dem vollendeten 60. Lebensjahr) oder länger als sechs Monate erwerbsunfähige Personen eine Dauerleistung beziehen könnten. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bestünde ein Rechtsanspruch auf eine Dauerleistung auch dann, wenn eine negative Stabilität der Verhältnisse gegeben sei. Eine solche könne jedoch nur dann angenommen werden, wenn tatsächlich Versuche, die Hilfsbedürftigkeit zu beseitigen, unternommen worden seien und diese Bemühungen aufgrund ihrer Art, Intensität und Dauer in Verbindung mit den konkreten Lebensumständen Anlaß zu einer Zukunftsprognose dergestalt gäben, daß die die Hilfsbedürftigkeit bedingenden Umstände im negativen Sinne stabil seien. Davon könne bei der Beschwerdeführerin, die jahrelang im Bezug monatlich wiederkehrender Geldleistungen zur Sicherung des Lebensbedarfes gestanden sei und daher weder nach der Aktenlage noch nach ihrem eigenen Vorbringen ernsthafte Bemühungen habe setzen müssen, sich wieder in das Erwerbsleben einzugliedern, keine Rede sein. Wenn die Beschwerdeführerin einwende, sie sei nicht mehr in der Lage, eine Arbeit zu finden bzw. zu leisten, so könne ihr dabei nicht gefolgt werden. Wie im Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 16. Juni 1993 festgestellt worden sei, sei die Beschwerdeführerin auf dem Arbeitsmarkt "voll verweisbar". Im Hinblick auf diese Feststellungen bestünde für die belangte Behörde kein Anlaß, die Beschwerdeführerin ihrem Antrag gemäß neuerlich amtsärztlich untersuchen zu lassen. Die Korrektur des Einstelldatums ergebe sich daraus, daß eine rückwirkende Einstellung unzulässig sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die - dem Vorbringen nach - wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Das Wiener Sozialhilfegesetz, LGBl. Nr. 11/1973, regelt nicht ausdrücklich, unter welchen Voraussetzungen Sozialhilfe für den Lebensbedarf in Form von regelmäßigen Dauerleistungen zuzuerkennen ist. Es sieht lediglich vor, daß Sozialhilfe auch in Form wiederkehrender Geldleistungen gewährt werden kann (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 11. März 1988, Zl. 87/11/0228).
Steht die Behörde in einem konkreten Einzelfall vor der Entscheidung, ob sie Sozialhilfe in der Weise gewähren soll, daß sie für die Zukunft einen regelmäßig auszuzahlenden Geldbetrag zuerkennt, der so lange auszuzahlen ist, als nichts anderes verfügt wird, oder ob sie eine Sozialhilfeleistung jeweils nur für einen konkreten Zeitraum zuerkennt und weitere Leistungen späteren Bescheiden vorbehält, dann hat sie sich diesbezüglich von Überlegungen leiten zu lassen, die sich an den einleitenden Bestimmungen des Gesetzes (§§ 3 ff), aber auch an den verfassungsrechtlichen Geboten des Art. 127 Abs. 1 und 8 B-VG (Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit) orientieren (vgl. auch dazu das bereits genannte Erkenntnis vom 11. März 1988).
Die belangte Behörde hat die bisher regelmäßig ausbezahlte Sozialhilfe im wesentlichen mit der Begründung eingestellt, die Beschwerdeführerin sei weder über 60 Jahre alt noch erwerbsunfähig. Ferner fehle es bei ihr an einer "negativen Stabilität der Verhältnisse", da von der Beschwerdeführerin keinerlei Versuche unternommen worden seien, die Hilfsbedürftigkeit zu beseitigen.
Als zutreffend erweist sich dabei die Auffassung der belangten Behörde, daß die Voraussetzungen für die Gewährung einer Dauerleistung weder im Gesetz noch in der Sozialhilfeverordnung abschließend geregelt sind.
Dauerleistungen sollen dann zuerkannt werden, wenn sich aufgrund einer vorhersehbaren Stabilität der Verhältnisse des Hilfesuchenden ein für die (nächste) Zukunft annähernd gleichbleibender Bedarf nach Sozialhilfeleistungen zu ergeben scheint. In diesem Fall liegt es nicht nur im Interesse des Hilfesuchenden, Sozialhilfeleistungen ohne monatliche Antragstellungen rechtzeitig (§ 6 WSHG) zu erhalten, sondern auch im Interesse der Behörde im Sinne einer sparsamen und zweckmäßigen Verwaltung, nicht monatlich über Anträge Ermittlungen anstellen und absprechen zu müssen. Die im Gesetz und in der Verordnung genannten Voraussetzungen des Alters und der Erwerbsunfähigkeit stellen gewiß typische Fälle der Zuerkennung von Dauerleistungen dar. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß auch bei jüngeren und erwerbsfähigen Hilfesuchenden aufgrund besonderer Umstände die genannte Stabilität der für die Beurteilung der Hilfsbedürftigkeit maßgebenden Verhältnisse gegeben ist, die einen gleichbleibenden Sozialhilfeanspruch als wahrscheinlich erscheinen lassen (vgl. das Erkenntnis vom 20. Dezember 1988, Zl. 88/11/0156).
Die im Jahre 1940 geborene Beschwerdeführerin hat nach der Aktenlage keinen Beruf erlernt und war während der letzten zwanzig Jahre nicht berufstätig. Im amtsärztlichen Gutachten vom 24. Februar 1994 wird unter anderem auch darauf hingewiesen, daß die Beschwerdeführerin als "nicht vermittelbar" zu betrachten ist. Wenn die belangte Behörde ohne Berücksichtigung dieser Umstände die von der Rechtsprechung geforderte vorhersehbare Stabilität der Verhältnisse der Hilfesuchenden deshalb verneint hat, weil eine solche "negative Stabilität" (iS einer Prognostizierbarkeit stabiler "negativer" - iS des Fortbestandes der Hilfsbedürftigkeit gegebener - Verhältnisse) NUR dann angenommen werden könne, wenn tatsächlich entsprechende Versuche, die Hilfsbedürftigkeit zu beseitigen, unternommen worden seien, so kann ihr dabei nicht gefolgt werden, zumal nicht ersichtlich ist, durch welche Bemühungen die Beschwerdeführerin ihre Hilfsbedürftigkeit hätte beseitigen können. Das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 16. Juni 1993 ist diesbezüglich nicht aussagekräftig.
Aufgrund dieser Erwägungen belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 1 Z. 2 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand konnte ein Anspruch auf Ersatz der Umsatzsteuer nicht zuerkannt werden.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994080202.X00Im RIS seit
01.03.2002Zuletzt aktualisiert am
16.04.2012