TE Vwgh Erkenntnis 1995/2/1 94/18/1028

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Veröffentlicht am 01.02.1995
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1993 §18 Abs2 Z1;
FrG 1993 §20 Abs1;
MRK Art8 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde der J, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 19. Oktober 1994, Zl. SD 786/94, betreffend Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 19. Oktober 1994 wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Jugoslawischen Föderation, gemäß § 18 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes (FrG) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin sei am 22. Mai 1991 vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen der §§ 12 (zweite Alternative), 15, 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren verurteilt worden. Dieses Urteil sei seit 15. Juli 1992 rechtskräftig. Der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG sei durch diese Verurteilung erfüllt. Die von der Beschwerdeführerin begangene Straftat rechtfertige die in § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme.

Die Beschwerdeführerin halte sich seit 1971 im Bundesgebiet auf. Auch ihr Sohn lebe hier. Das Aufenthaltsverbot stelle daher einen Eingriff in ihr Privat- und Familienleben dar. Eine familiäre Bindung zu ihrem Ehemann bestehe nicht, zumal das Scheidungsverfahren bereits anhängig sei. Die Beschwerdeführerin sei wegen Beihilfe zu einem Mordanschlag auf ihren Ehemann verurteilt worden, also wegen einer Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe von 10 bis 20 Jahren bzw. mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sei. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen, nämlich zur Verhinderung von strafbaren Handlungen und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, dringend geboten und daher gemäß § 19 FrG zulässig.

Auch die gemäß § 20 Abs. 1 FrG vorzunehmende Interessenabwägung falle im Hinblick auf die Art und die Schwere der von der Beschwerdeführerin begangenen Straftat nicht zu ihren Gunsten aus. Auch wenn die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin und ihrer Familie erheblich seien, wögen sie doch nicht schwerer als die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sprechenden öffentlichen Interessen. Durch die von der Beschwerdeführerin geplante Tat hätten auch völlig unbeteiligte Dritte leicht zu Schaden kommen können.

Die Auffassung, daß die Wiederholung der Straftat oder die Begehung einer anderen Straftat im Falle der Beschwerdeführerin auszuschließen sei, könne nicht geteilt werden. Der Ehemann der Beschwerdeführerin habe zudem am 26. Mai 1994 angegeben, daß er neuerlich um sein Leben fürchte. Der Hinweis der Beschwerdeführerin, daß sie ihren wirtschaftlichen Rückhalt in ihrer Beteiligung an einem näher bezeichneten Lokal habe, zu dessen Geschäftsführerin sie am 20. Mai 1994 bestellt worden sei, überzeuge nicht, zumal Gesamtverbindlichkeiten von 4 Millionen Schilling bestünden. Außerdem sei der Geschäftsbetrieb nach den Auskünften des Ehemannes der Beschwerdeführerin bereits eingestellt worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Gegen die - zutreffende - Auffassung der belangten Behörde, daß der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt und die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, führt die Beschwerdeführerin nichts ins Treffen.

2.1. Die Beschwerdeführerin meint, die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei im Grunde der §§ 19 und 20 Abs. 1 FrG nicht zulässig. Im Hinblick darauf, daß sie nach 4 Jahren aus der Strafhaft bedingt entlassen worden sei, sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Sinne des § 19 FrG nicht mehr dringend geboten. Außerdem sei das Ergebnis der Interessenabwägung unrichtig. Bei der Interessenabwägung sei ihr langjähriger Aufenthalt und der ihrers Sohnes im Bundesgebiet und die dadurch bewirkte Integration zu berücksichtigen gewesen. Auch in diesem Zusammenhang sei die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe von Bedeutung.

2.2. Mit diesen Ausführungen vermag die Beschwerdeführerin keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die zur Vollziehung des Fremdengesetzes zuständige Behörde die gemäß § 19 FrG vorzunehmende Beurteilung, ob die Erlassung des Aufenthaltsverbotes dringend geboten ist, und die im Grunde des § 20 Abs. 1 FrG erforderliche Interessenabwägung selbständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes und ohne Bindung an die vom Gericht bei der bedingten Strafnachsicht oder bei der bedingten Entlassung aus einer Freiheitsstrafe angestellten Erwägungen vorzunehmen (siehe die hg. Erkenntnisse vom 14. April 1993, Zl. 93/18/0103, vom 4. Mai 1994, Zl. 94/18/0031 und Zl. 84/18/0180, und vom 6. Oktober 1994, Zl. 94/18/0622). Im Hinblick auf die Schwere der von der Beschwerdeführerin begangenen Straftat begegnet es keinen Bedenken, wenn die belangte Behörde die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen, nämlich zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und zum Schutz der Rechte anderer, als dringend geboten und damit im Grunde des § 19 FrG als zulässig angesehen hat. Das gleiche gilt für das Ergebnis der gemäß § 20 Abs. 1 FrG vorgenommenen Interessenabwägung. Auf Grund der Schwere der von der Beschwerdeführerin begangenen Straftat sind die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sprechenden öffentlichen Interessen von großem Gewicht. Soweit die Beschwerdeführerin im Hinblick auf die Beziehungen zu ihrem in Österreich lebenden Sohn familiäre Interessen geltend macht, sind diese in ihrer Bedeutung dadurch relativiert, daß der Sohn der Beschwerdeführerin nach dem Beschwerdevorbringen bereits großjährig ist. Den langjährigen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet (seit 1971) und die damit verbundene Integration hat die belangte Behörde berücksichtigt. In welcher wirtschaftlichen Situation sich die Gesellschaft, deren Geschäftsführung die Beschwerdeführerin kurz vor Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides übernommen hat, befindet, ist für das Ergebnis der Interessenabwägung ebensowenig von entscheidender Bedeutung wie die Frage, ob der Ehemann der Beschwerdeführerin tatsächlich um sein Leben fürchtet oder nicht. Die von der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang gerügten Verfahrensfehler sind demnach nicht relevant.

Nach dem Gesagten kann der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie die Auffassung vertreten hat, daß die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin und ihrer Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung.

2.3. Soweit sich die Beschwerdeführerin zur Stützung ihres Standpunktes auf die Entscheidungen des EGMR vom 18. Februar 1991, 31/1989/191/291, im Fall Moustaquim gegen Belgien (ÖJZ 1991, Seite 452 ff) und vom 26. März 1992, 55/1990/246/317, im Fall Beldjoudi gegen Frankreich (ÖJZ 1992, Seite 773 ff) beruft, ist ihr zu erwidern, daß die diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalte in wesentlichen Punkten anders gelagert waren als der vorliegende.

Der im vorliegenden Fall zu beurteilende Sachverhalt unterscheidet sich vom Fall Moustaquim vor allem durch die Schwere der strafbaren Handlungen sowie dadurch, daß Moustaquim, der als Zweijähriger nach Belgien gekommen war, die Straftaten als Jugendlicher begangen hat.

Im Fall Beldjoudi wertete der EGMR als entscheidend, daß der (1950) in Frankreich geborene Fremde und seine Eltern bis 1. Jänner 1963 die französische Staatsbürgerschaft hatten. Er war seit über zwanzig Jahren mit einer Französin verheiratet. Der eheliche Wohnsitz war stets in Frankreich. Dazu kommt, daß in diesem Beschwerdefall die Ehefrau des Fremden Mitbeschwerdeführerin war und der EGMR primär auf ihre persönlichen Verhältnisse Bedacht nahm.

3. Da nach dem Gesagten schon der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine Entscheidung über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994181028.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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