TE Vwgh Erkenntnis 1995/2/8 94/03/0072

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Veröffentlicht am 08.02.1995
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §66 Abs4;
VStG §24;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte DDr. Jakusch und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Werner, über die Beschwerde des M in B, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 2. Februar 1994, Zl. 17/167-1/1993, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Schwaz vom 22. Juni 1993 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, am 15. Oktober 1992, um 11.03 Uhr einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw auf der A 12 Inntalautobahn in Weer bei km 55,1 in Fahrtrichtung Osten gelenkt und dabei "die gesetzlich zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h (Überleitung Gegenverkehrsbereich)" um 47 km/h überschritten zu haben. Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 52 lit. a Z. 10a StVO 1960 begangen, weshalb gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 über ihn eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt wurde.

In der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Berufung wendete der Beschwerdeführer u.a. ein, daß sich "bei bzw. vor km 55,1 keinesfalls der mit 80 km/h geschwindigkeitsbeschränkte Bereich befunden haben kann".

Die belangte Behörde gab dieser Berufung keine Folge, änderte aber den Spruch des angefochtenen Straferkenntisses dahingehend ab, daß der Beschwerdeführer den Pkw am 15. Oktober 1992 um 11.03 Uhr auf der Inntalautobahn A 12 in Weer in Fahrtrichtung Osten gelenkt habe, wobei er innerhalb des 600 m langen Bereiches vor der bei km 54,430 beginnenden Übergangsöffnung zur Gegenfahrbahn die verordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 47 km/h überschritten habe. Zu Recht zeige der Beschwerdeführer auf, daß der in der Anzeige bezeichnete Tatort noch nicht innerhalb jenes Bereiches gelegen sei, für den eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h verordnet worden sei. Daß der Beschwerdeführer aber die für die 600 m lange Strecke vor der Mittelstreifenüberfahrt verordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h überschritten habe, sei durch das im Akt befindliche Lichtbild ausreichend dokumentiert. Die Verbesserung des fehlerhaften Spruches des erstinstanzlichen Bescheides sei zulässig, da der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am 6. März 1993 Akteneinsicht genommen habe und bei dieser Gelegenheit erkennen habe können, daß die seinem Mandanten zur Last gelegte Geschwindigkeitsüberschreitung im Bereich der Baustelle bei der Terfener Innbrücke gesetzt worden sein müsse. Demgemäß habe er auch auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anbieten können, um den Tatvorwurf zu widerlegen. Die Gefahr einer Doppelbestrafung könne ebenfalls ausgeschlossen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Mit Bescheid vom 29. Juni 1994 berichtigte die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG i.V.m. § 24 VStG den angefochtenen Bescheid dahingehend, daß die Länge jenes Bereiches, innerhalb der der Beschwerdeführer am 15. Oktober 1992, um 11.03 Uhr die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten habe, anstatt "600 m" "550 m" zu lauten habe. Bei der Berechnung der Länge der 80 km/h Geschwindigkeitsbeschränkung sei jener Bereich von 50 m in Abzug zu bringen gewesen, für den bereits die 60 km/h Geschwindigkeitsbeschränkung Gültigkeit gehabt habe.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Aus der Verordnung des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr vom 7. September 1992, Zl. 138.012/47-I/31-92, und den Regelplänen U 2.2 und U 2.2a, die Bestandteil dieser Verordnung sind und von denen sich Ablichtungen im Verwaltungsstrafakt befinden, ergibt sich u.a., daß für den Bereich von km 55,030 bis km 54,430 eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h verordnet war. Dem ebenfalls im Strafakt enthaltenen Aktenvermerk der Arbeitsgemeinschaft Terfener Innbrücke vom 9. Dezember 1992 ist zu entnehmen, daß die mit der zuvor genannten Verordnung angeordneten Straßenverkehrszeichen den Regelplänen U 2.2 und U 2.2a entsprechend ab 7. September 1992 bis 6. November 1992 aufgestellt waren.

Der Beschwerdeführer hat in der Berufung gegen das Straferkenntnis vorgebracht, aus dem Umstand, daß auf dem Radarfoto, welches bei Straßenkilometer 55,1 aufgenommen worden sei, das Verbotszeichen nicht ersichtlich sei, ergebe sich, daß es nicht der Verordnung entsprechend aufgestellt worden sei, die Verordnung somit nicht ordnungsgemäß kundgemacht worden sei. Die belangte Behörde ist jedoch im Sachverhaltsbereich davon ausgegangen, das Radarlichtbild zeige den Beschwerdeführer im Bereich zwischen Straßenkilometer 54,430 und 55,030; dies ergebe sich daraus, daß auf dem Bild das Fahrzeug des Beschwerdeführers beim Passieren der an den Fahrbahnrändern aufgestellten Voranzeigern für den Fahrstreifenverlauf, auf denen die Entfernungsangabe "100 Meter" angegeben ist, erkennbar sei. Aus dem Regelplan U 2.2 ergibt sich, daß diese Vorankünder 400 m vor der Mittelstreifenüberfahrt verordnet worden sind. Im Hinblick auf dieses Lichtbild vermag der Verwaltungsgerichtshof die Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht als unschlüssig zu erkennen. Nur in der Richtung, ob der Sachverhalt genügend erhoben wurde und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig waren, unterliegt aber die Beweiswürdigung der belangten Behörde der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053). Ausgehend von der Feststellung, daß das Radarlichtbild den Beschwerdeführer nicht bei km 55,1 zeigt, geht auch der Einwand des Beschwerdeführers, aus dem Lichtbild ergebe sich, daß das Verbotszeichen nicht der Verordnung entsprechend aufgestellt worden sei, ins Leere, sodaß der Verwaltungsgerichtshof die Feststellung der belangten Behörde, die Verordnung des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr sei ordnungsgemäß kundgemacht worden, nicht als rechtswidrig zu erkennen vermag.

Der Beschwerdeführer kann aber aus einem anderen Grund die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzeigen:

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG i.V.m. § 24 VStG ist die Berufungsbehörde berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern. Sie darf aber dem Beschuldigten keine andere Tat anlasten, als diejenige, die bereits Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen ist. Wechselt sie die von der Erstinstanz als erwiesen angenommene Tat aus, dann nimmt sie damit eine Befugnis in Anspruch, die durch § 66 Abs. 4 AVG nicht gedeckt ist (vgl. u. a. das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 1975, Zl. 1469/74, VwSlg. Nr. 8864/A).

Im vorliegenden Fall wurde dem Beschwerdeführer während des gesamten erstinstanzlichen Strafverfahrens eine Geschwindigkeitsübertretung am Tatort "km 55,1 der A 12 Inntalautobahn" vorgeworfen. In seiner Stellungnahme vom 19. April 1993 brachte der Beschwerdeführer ausdrücklich vor, daß nach der entsprechenden Verordnung des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr die Geschwindigkeitsbeschränkung von 80 km/h noch nicht bei km 55,1, sondern erst 600 m vor km 54,430 (also ab km 55,030) festgelegt war. Trotzdem wurde er mit dem erstinstanzlichen Bescheid einer Geschwindigkeitsüberschreitung am Tatort Inntalautobahn A 12 bei km 55,1 schuldig erkannt.

Wenn die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ausführt, aus dem im Akt befindlichen Radarlichtbild sei zu entnehmen, daß es innerhalb des mit 80 km/h geschwindigkeitsbeschränkten Bereiches der Inntalautobahn A 12 aufgenommen wurde, so mag dies zutreffen. Die belangte Behörde war aber bei der hier gegebenen Sachlage dennoch nicht berechtigt, den Spruch der erstinstanzlichen Behörde in der Weise abzuändern, daß sie den von der Erstbehörde angenommenen Tatort "bei km 55,1" durch "innerhalb des 600 m langen Bereiches" (bzw. wie die belangte Behörde später berichtigte "innerhalb des 550 m langen Bereiches") vor der bei km 54,430 befindlichen Übergangsöffnung zur Gegenfahrbahn" austauschte. In Anbetracht des Umstandes, daß bereits im erstinstanzlichen Verfahren der exakte Tatort und die für diesen geltende Geschwindigkeitsbeschränkung strittig waren und im Straferkenntnis sodann der Tatort bei km 55,1 festgelegt wurde, liegt in der von der belangten Behörde vorgenommenen Änderung des Tatortes eine Auswechslung der vorgeworfenen Tat.

Soweit die belangte Behörde ihre Vorgangsweise damit zu rechtfertigen sucht, daß sie auf die geringe entfernungsmäßige Abweichung der Tatortangaben hinweist - zwischen dem von der Erstinstanz angenommenen Tatort und dem Standort des Vorschriftszeichens nach § 52 lit. a Z. 10a StVO 1960 (laut Regelplan bei km 55,030), welches den Beginn der mit 80 km/h geschwindigkeitsbeschränkten Strecke anzeigte, liegt eine Distanz von 70 m -, ist darauf zu verweisen, daß km 55,1 noch nicht innerhalb der Straßenstrecke liegt, für die eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h verordnet worden war.

Weil der Beschwerdeführer bereits im erstinstanzlichen Verfahren die Frage aufgeworfen hatte, ob ab km 55,1 oder ab km 55,03 die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h verordnet sei, kann die von der belangten Behörde vorgenommene Modifizierung auch nicht als zulässige Präzisierung der im Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses angeführten Tatortbeschreibung angesehen werden.

Indem die belangte Behörde im Spruch des angefochtenen Bescheides den Tatort auswechselte, erkannte sie den Beschwerdeführer einer anderen Tat schuldig, als ihm im erstinstanzlichen Straferkenntnis zur Last gelegt worden war. Damit entschied sie entgegen der Bestimmung des § 66 Abs. 4 AVG i. V.m. § 24 VStG nicht mehr in der Sache, die Gegenstand des erstbehördlichen Straferkenntnisses war und belastete so ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Zudem steht einer Bestrafung hinsichtlich des von der belangten Behörde angenommenen Tatortes entgegen, daß in bezug auf dieses Sachverhaltselement eine die Verjährung verhindernde Verfolgungshandlung iSd § 32 Abs. 2 VStG nicht gesetzt worden ist. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde reicht die Einsichtnahme des Vertreters des Beschwerdeführers in den Verwaltungsstrafakt und damit in das Radarlichtbild schon deshalb nicht aus, die Verfolgungsverjährung zu unterbrechen, weil der Vorwurf der Erstbehörde unzweifelhaft auf die Begehung einer Verwaltungsübertretung bei Kilometer 55,1 gerichtet war.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

Schlagworte

Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Verwaltungsstrafrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994030072.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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