TE Vwgh Erkenntnis 1995/2/21 94/20/0720

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Veröffentlicht am 21.02.1995
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §1 Z2;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2 idF 1994/610;
AVG §13a;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Blaschek und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über die Beschwerde des S in R, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. August 1994, Zl. 4.344.788/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist indischer Staatsangehöriger und reiste am 13. Juli 1994 in das Bundesgebiet ein. Er stellte am 21. Juli 1994 den Asylantrag. Anläßlich seiner am 26. Juli 1994 vor dem Bundesasylamt erfolgten niederschriftlichen Befragung gab der Beschwerdeführer an, sein Onkel J und zwei (namentliche genannte) Cousins seien in der Terrororganisation "B.T.F."

(Bhindrawala Tiger Force) aktiv tätig gewesen und hätten auch Terroranschläge verübt. Dieser sei im September 1993 im Zuge einer Auseinandersetzung mit der Polizei getötet worden. Dieser Onkel habe die Wasserpumpstation der Eltern des Beschwerdeführers als Operationsbasis für seine terroristischen Unternehmungen benützt, weshalb die Polizei dort hingekommen sei, um den Beschwerdeführer und seine Familie über die Identität anderer Terroristen zu befragen. Aus Angst davor, von Terroristen getötet zu werden, habe der Beschwerdeführer keine Namen verraten und sich zu einer Tante nach N begeben, wo er sich bis zu seiner Ausreise aus Indien aufgehalten habe. Dort habe er auch erfahren, daß die Polizei nach ihm suche, um ihn zu befragen; er sei von indischen Behörden jedoch nie verhaftet oder eingesperrt worden, ein Haftbefehl gegen ihn bestehe nicht. Er habe Indien am 10. oder 11. Februar 1994 vom Flughafen New Delhi aus verlassen und sei mit einem falschen Reisepaß nach Rom geflogen. In einem Vorort von Rom habe er schwarz gearbeitet und sei illegal ca. 5 Monate dort geblieben. Er habe während dieses Aufenthaltes in Italien nicht um Asyl angesucht, weil ihm bekannte Inder gesagt hätten, er würde in Italien kein Asyl erhalten.

Ergänzend gab der Beschwerdeführer an, sein Vater sei zweimal für jeweils 5 bis 7 Tage inhaftiert worden, um den Aufenthalt des Beschwerdeführers bekanntzugeben.

Mit Bescheid vom 26. Juli 1994 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Asyl ab und gegründete dies im wesentlichen damit, taugliche Asylgründe habe der Beschwerdeführer nicht darlegen können. Die von den indischen Behörden beabsichtigte Befragung des Beschwerdeführers über weitere Terroristen stellten eine konkret gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlung aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention nicht dar. Kein Staat müsse Angriffe auf seinen Bestand und auf seine äußere oder innere Sicherheit tolerieren. Es liege vielmehr auch in der Natur der Sache, geeignet erscheinende Befragungen über Terroristen bzw. deren Organisation im Verwandtschaftskreis eines mutmaßlichen Terroristen durchzuführen. Darüberhinaus sei eine Asylgewährung ausgeschlossen, weil der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 verwirklicht sei. Der Beschwerdeführer sei über Italien, also einen Drittstaat, in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Italien sei Mitglied der Genfer Flüchtlingskonvention und wende diese auch an. Eine Verfolgung von seiten dieses Staates sei auch vom Beschwerdeführer nicht behauptet worden. Er sei daher in diesem Staat vor Verfolgung sicher gewesen und habe sich solange in Italien aufgehalten, daß es ihm auch zumutbar gewesen wäre, dort um Asyl anzusuchen.

In seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung wiederholte der Beschwerdeführer, die von ihm angeführten Umstände seien "asylrelevant", es sei ihm nicht zumutbar, sich der Befragung durch staatliche indische Behörden zu stellen und damit Gefahr zu laufen, Repressalien der Terrororganisation ungeschützt ausgesetzt zu sein. Da sich der Beschwerdeführer der Einvernahme der staatlichen Instanzen nicht gestellt habe, sei er aber nunmehr auch gravierender staatlicher Verfolgung ausgesetzt, was schon das Beispiel seines Vaters zeige, der mehrmals inhaftiert worden sei, um Anhaltspunkte für den Aufenthalt des Beschwerdeführers zu gewinnen. Zur Untermauerung seiner Glaubwürdigkeit legte er ein Konvolut von Berichten bei, die ihm von Amnesty International zur Verfügung gestellt worden seien. Auch die Annahme des Bundesasylamtes, es sei Verfolgungssicherheit in einem Drittland gegeben gewesen, sei unrichtig, da er dort tatsächlich einen effektiven Rückschiebungsschutz nicht genossen habe.

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid der belangten Behörde wurde die Berufung des Beschwerdeführers abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, unter Zugrundelegung des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens erster Instanz gemäß § 20 AsylG 1991 idF BGBl. Nr. 610/1994, übernehme sie "auch die zutreffende rechtliche Beurteilung des angefochtenen Bescheides". Darüberhinaus stellt sie fest, daß die Befragung des Beschwerdeführers durch indische Behörden ja den Zweck gehabt hätte, von ihm Informationen über die Identität von Terroristen zu bekommen, zumal sein Onkel ein führendes Mitglied dieser Terrororganisation gewesen sei. In diesem Fall sei der Grund für die von den Behörden angestrebte Befragung lediglich in einem von den Behörden beim Beschwerdeführer vermuteten "Sonderwissen" über die Aktivitäten seines Onkels bzw. der Terrororganisation, der er angehört hatte, erworben durch sozialen Umgang mit diesem gelegen, und somit weder in seiner politischen Gesinnung noch schlechthin in der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kollektiv zu suchen. Der Beschwerdeführer habe auch nicht plausibel gemacht, warum er vom staatlichen Schutz seines Heimatlandes, soweit er von den Behörden den Bürgern seines Landes allgemein gewährleistet werden könne, ausgenommen hätte werden sollen, zumal ja gerade im Falle einer Kooperation mit diesen Behörden kein Anlaß bestünde, ihn als Informanten den bekämpften Terroristen preiszugeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden und über die Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Unter dem Gesichtspunkt der inhaltlichen Rechtswidrigkeit macht der Beschwerdeführer geltend, ihm drohten Verfolgungshandlungen seitens der staatlichen indischen Behörden, da er sich dem Zugriff der Polizei hinsichtlich der beabsichtigten Einvernahme über die angeblich terroristischen Aktivitäten seines Onkels entzogen habe. Dieser Umstand sei jedenfalls asylrelevant. Es gehe nicht bloß darum, im Rahmen eines Strafverfahrens von ihm vermutetes Sonderwissen zu erfragen, vielmehr finde bei politischer Motivation, politischen Hintergründen in Indien kein den rechtsstaatlichen Gesichtspunkten entsprechendes Strafverfahren statt. Es bestehe die ernste Gefahr, daß die indische Polizei, wie dies in seiner Haft gewesen sei, den Beschwerdeführer verfolgen würde und er keine Rechtsschutzgarantien hätte, wie sie in einer westeuropäischen Demokratie üblich seien. Er habe auch keinen ausreichenden staatlichen Schutz vor Übergriffen terroristischer Organisationen genossen. Entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde gehe es nicht bloß um einen fehlenden lückenlosen Rechtsschutz, sondern bestehe vielmehr in diesem Zusammenhang überhaupt kein staatlicher Rechtsschutz. Unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Verfahrensvorschriften macht der Beschwerdeführer geltend, die politischen Verhältnisse in Indien hätten bei ausreichenden Erhebungen durch die belangte Behörde festgestellt werden können und hätte sich aufgrund solcher Erhebungen ergeben, daß das Vorbringen des Beschwerdeführers glaubhaft sei und mit der politischen Realität in Indien im Einklang stehe.

Dem ist folgendes zu erwidern:

Der belangten Behörde ist beizupflichten, wenn sie das von ihr als glaubhaft erachtete Vorbringen des Beschwerdeführers nicht als geeignet angesehen hat, Anhaltspunkte für eine asylbegründende staatliche Verfolgung darzutun. Die von der belangten Behörde vertretene Rechtsansicht, die von den indischen Behörden beabsichtigte Befragung des Beschwerdeführers nach Kontakten und Tätigkeiten jener Terrororganisation, der sein Onkel und zwei seiner Cousins angehört hatten, könnte nicht als Verfolgung des Beschwerdeführers gewertet werden, steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, der zufolge auch wiederholten Vorladungen zur Polizei und Befragungen nach dem Aufenthalt von Verwandten nicht der Charakter von Eingriffen zukommt, die ihrer Intensität nach als Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention qualifiziert werden könnten (vgl. hg. Erkenntnis vom 21. April 1993, Zl. 92/01/1059 und die dort angegebene weitere Judikatur). Daß die Verweigerung der Zusammenarbeit mit den Behörden für den Beschwerdeführer Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention nach sich ziehen könnte, ist auch schon deshalb auszuschließen, weil allfällige aus diesem Grund gegen den Beschwerdeführer gerichtete behördliche Maßnahmen bei Bedachtnahme auf sein gesamtes Vorbringen nicht unter die in der Flüchtlingskonvention angeführten Fluchtgründe eingereiht werden könnten (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis vom 21. April 1993, Zl. 92/01/1059).

Daß sich der Beschwerdeführer in seinem Heimatland bereits einmal in Haft befunden hätte, wird in der Beschwerde erstmals behauptet und steht im Widerspruch zu den diesbezüglich eindeutigen Angaben des Beschwerdeführers selbst anläßlich seiner Befragung durch das Bundesasylamt. Die daran geknüpften Überlegungen können daher vom Verwaltungsgerichtshof schon im Hinblick auf das Neuerungsverbot des § 41 VwGG nicht aufgegriffen werden.

Die vom Beschwerdeführer des weiteren ins Treffen geführte Furcht vor allfälligen terroristischen Repressionen im Falle seiner tatsächlichen Zusammenarbeit mit den Behörden des Heimatlandes kann ebenfalls nicht zur Asylgewährung führen, weil terroristische Aktivitäten nicht dem Heimatstaat des Beschwerdeführers zuzurechnen sind und er im Asylverfahren nicht dargetan hat, daß sein Heimatstaat ihm keinen entsprechenden Schutz bieten könne oder wolle. Der Beschwerdeführer gab bei seiner Befragung vielmehr selbst an, bis zu seiner Ausreise unbehelligt in N bei einer Tante gelebt zu haben, nie verhaftet worden zu sein und auch nicht per Haftbefehl gesucht zu werden. Eine bloß subjektiv empfundene Furcht vor Verfolgung genügt für die Asylgewährung ebensowenig wie allgemeine Benachteiligungen, die auf seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, wie hier der Sikhs, zurückgeführt werden könnten (vgl. auch hg. Erkenntnisse vom 8. Juli 1993, Zl. 92/01/0715 und vom 10. März 1993, Zlen. 92/01/1076 und 1077). Im übrigen bringt er diesen Aspekt erstmals in der Beschwerde vor. Insoweit der Beschwerdeführer daran die Rüge knüpft, die belangte Behörde hätte diesen Sachverhalt ermitteln müssen, ist ihm entgegenzuhalten, daß nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die sich auch im Hinblick auf die Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 AsylG 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994 G 92,93/94, kundgemacht in BGBl. Nr. 610/1994, nicht geändert hat, die Behörde nur im Falle hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung in Frage kommt, gemäß § 16 Abs. 1 AsylG 1991 in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen hat. Aus dieser Gesetzesstelle kann aber keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber nicht behauptet hat, zu ermitteln (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. November 1992, Zlen. 92/01/0800 bis 0803). Insbesondere kann aus den der Berufung beigelegten Berichten von Amnesty International nur entnommen werden, daß es in etwa 200 Fällen, verteilt über die Provinzen Jammu, Kashmir und Punjab zu unaufgeklärtem Verschwinden von Personen gekommen ist. Ein mangelnder staatlicher Schutz im Fall von Repressionen von Seiten "verratener" Terroristen kann aus diesen Berichten für den vorliegenden Fall nicht abgeleitet werden.

Insgesamt erweist sich daher die Beschwerde als unbegründet und war aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle WahrheitSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994200720.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

16.04.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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