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32 SteuerrechtNorm
B-VG Art132Leitsatz
Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung der Regelung der BAO über einen mangelnden Anspruch auf Aufhebung eines Bescheides in Ausübung des Aufsichtsrechtes wegen Zumutbarkeit des Verwaltungsrechtsweges; angefochtene Norm sowohl bei verfahrensrechtlicher als auch bei meritorischer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über eine Säumnisbeschwerde gegen die Nichterledigung einer Aufsichtsbeschwerde präjudiziellSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. 1. Der (in der Fassung der Novelle BGBl. 151/1980 geltende) §301 der Bundesabgabenordnung-BAO, BGBl. 194/1961, sowie der darin bezogene (gleichfalls in der Fassung der erwähnten Novelle geltende) §299 BAO haben folgenden Wortlaut:
§301: "Auf die Ausübung der gemäß den §§299 und 300 der Behörde zustehenden Rechte steht niemandem ein Anspruch zu."
§299: "(1) In Ausübung des Aufsichtsrechtes kann ein Bescheid von der Oberbehörde aufgehoben werden,
a) wenn er von einer unzuständigen Behörde, von einem hiezu nicht berufenen Organ oder von einem nicht richtig zusammengesetzten Kollegialorgan einer Behörde erlassen wurde, oder
b) wenn der dem Bescheid zugrundeliegende Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt unrichtig festgestellt oder aktenwidrig angenommen wurde, oder
c) wenn Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können.
(2) Ferner kann ein Bescheid von der Oberbehörde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben werden.
..."
Mit einer Eingabe an die Finanzlandesdirektion für Tirol vom 15. Feber 1990 beantragte die Einschreiterin unter ausdrücklicher Berufung auf den (soeben wiedergegebenen) §299 BAO, die an sie ergangenen Bescheide des Finanzamtes Innsbruck vom 24. April 1989 betreffend die Wiederaufnahme von Verfahren sowie die in den wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide 1984 bis 1986 aufzuheben. Die Finanzlandesdirektion beantwortete diese Eingabe mit einem (nicht als Bescheid ergangenen) Schreiben vom 8. März 1990, in dem sie ihre Rechtsauffassung bekanntgab und der Sache nach die Aufhebung der vom Finanzamt erlassenen Bescheide in Ausübung des Aufsichtsrechtes ablehnte.
2. Im vorliegenden, auf Art140 (Abs1 letzter Satz) B-VG gestützten Antrag an den Verfassungsgerichtshof bezieht sich die Einschreiterin auf dieses Verwaltungsgeschehen und begehrt (mit eingehender Begründung), die in §301 BAO enthaltene Wortfolge "den §299 und" (gemeint wohl die dort enthaltenen beiden Wendungen "den §" sowie "299 und") wegen Verfassungswidrigkeit aufzuheben. Zur Antragsberechtigung führt die Antragstellerin im wesentlichen aus, daß gemäß §301 BAO kein Anspruch auf Bescheidaufhebung nach §299 BAO bestehe; §301 verhindere eine bescheidmäßige Erledigung ihres Ersuchens an die Finanzlandesdirektion und hindere sie (in weiterer Folge) am Zugang zur Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts über eine Beschwerde nach Art130 bzw. Art144 B-VG.
3. Die Bundesregierung erstattete zu diesem Gesetzesprüfungsantrag eine Äußerung, in der sie in erster Linie für die Zurückweisung des Antrages mangels Antragslegitimation eintritt.
II. Der Antrag ist nicht zulässig.
1. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluß VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt eingenommen, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 B-VG setze voraus, daß durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und daß der durch Art140 Abs1 B-VG dem einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 10481/1985). Ein derartiger Weg steht der Einschreiterin im vorliegenden Fall offen: sie ist nämlich in der Lage, wegen der Unterlassung der bescheidmäßigen Erledigung ihres Antrages an die Finanzlandesdirektion vom 15. Feber 1990 (Säumnis-)Beschwerde nach Art132 B-VG an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben, darin ihre verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §301 BAO darzulegen und anzuregen, der Verwaltungsgerichtshof möge von Amts wegen einen Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof stellen. In bezug auf eine solche Säumnisbeschwerde ist folgendes festzuhalten:
§301 BAO in der Stammfassung dieses Gesetzes entsprach §68 Abs7 AVG (so Reeger-Stoll, Kommentar zu Bundesabgabenordnung (1966), S. 941, Anm. 1 zu §301); hieran änderte die Novelle BGBl. 151/1980 nichts, welche bloß eine Anpassung aus terminologischen Gründen herbeiführte (s. dazu die Erläuterung mit Gegenüberstellung des jeweiligen Gesetzeswortlautes in: Ellinger-Wetzel, Die Bundesabgabenordnung idF der Novelle 1980 (1980), S. 232). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist eine Säumnisbeschwerde gegen die Nichterledigung einer Aufsichtsbeschwerde unzulässig, weil gemäß §68 Abs7 AVG auf die Ausübung des Aufsichtsrechtes niemandem ein Anspruch zusteht (VwGH 30.6.1965, Zl. 1067/64, mit Bezugnahme auf VwSlg. 1455/A/1950). Überträgt man diese Rechtsauffassung sinngemäß auf §301 BAO, so erschiene diese Gesetzesvorschrift für den Verwaltungsgerichtshof anläßlich der Entscheidung über eine an ihn (wegen der Nichterledigung eines auf eine Maßnahme nach §299 BAO abzielenden Parteiantrages an die Finanzlandesdirektion) erhobene Säumnisbeschwerde als präjudiziell, denn es hätte sich die verfahrensrechtliche Beurteilung einer solchen Beschwerde unter dem Aspekt ihrer Zulässigkeit an §301 BAO auszurichten. Wollte man hingegen - wohl entgegen der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs - annehmen, daß der Verwaltungsgerichtshof über eine Säumnisbeschwerde dieser Art meritorisch zu entscheiden hätte, so hätte er §301 BAO im Rahmen seiner (anstelle der Abgabenbehörde zu treffenden) Sachentscheidung heranzuziehen.
Der Verfassungsgerichtshof findet auch keinen Anhaltspunkt, welcher die Annahme rechtfertigen könnte, daß der Antragstellerin der eben geschilderte, zur verlangten Rechtskontrolle führende Umweg unzumutbar wäre, wobei in diesem Zusammenhang noch anzumerken ist, daß es nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs bezüglich der Zumutbarkeit eines Umwegs auf die Erfolgsaussichten der Parteien in der Sache nicht ankommt (zB VfGH 25.11.1991 V179-181/91).
2. Der vorliegende Individualantrag war sohin aus den dargelegten Gründen wegen mangelnder Antragslegitimation zurückzuweisen, was gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung beschlossen werden konnte.
Schlagworte
VfGH / Individualantrag, Verwaltungsgerichtshof, Säumnisbeschwerde, Verwaltungsverfahren, Abänderung und Behebung von amtswegen, Finanzverfahren, AufsichtsrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1992:G98.1990Dokumentnummer
JFT_10078986_90G00098_00