Index
40 VerwaltungsverfahrenNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlaßfallLeitsatz
Quasianlaßfall; Anlaßfallwirkung der Aufhebung des §51 Abs1 VStG mit E v 01.10.92, G103/92 ua.Spruch
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Wien (Wiener Landesregierung) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit 15.000 S bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Mit Berufungsbescheid vom 3. März 1992 verhängte der Unabhängige Verwaltungssenat Wien über die Beschwerdeführerin eine Geldstrafe von 1.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe 60 Stunden) wegen Verstoßes gegen §52 Z10a StVO 1960 iVm §99 Abs3a StVO 1960. Bei Erlassung dieses Bescheides wandte der Verwaltungssenat §51 Abs1 VStG an, wonach dem Beschuldigten eines Verwaltungsstrafverfahrens das Recht der Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat zusteht.
Mit Erkenntnis vom 1. Oktober 1992, G103/92 ua., hob der Verfassungsgerichtshof §51 Abs1 VStG als verfassungswidrig auf; für das Außerkrafttreten wurde eine Frist bis zum 30. September 1993 bestimmt.
1.2. Wie sich aus Art140 Abs7 B-VG ergibt, wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist darum so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zur Zeit der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
1.3. Dem im Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall im engeren Sinn (anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet wurde) sind all jene Fälle gleichzuhalten, die mit Beginn der nichtöffentlichen Beratung bereits anhängig waren (VfSlg. 10616/1985, 11711/1988).
Die nichtöffentliche Beratung im Verfahren zur Prüfung des §51 Abs1 VStG begann am 1. Oktober 1992; mit Erkenntnis vom selben Tag wurde diese Vorschrift als verfassungswidrig aufgehoben (s. Punkt 1.1.).
Die vorliegende Beschwerde langte beim Verfassungsgerichtshof am 23. April 1992 - also vor Beginn der nichtöffentlichen Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren - ein.
1.4. Nach dem Gesagten ist der Fall daher einem Anlaßfall gleichzuhalten.
Nach der Lage des Falles ist es nicht ausgeschlossen, daß die Anwendung des §51 Abs1 VStG für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war.
1.5. Es ist daher auszusprechen, daß die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid wegen der Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt wurde; der Bescheid ist aufzuheben (vgl. etwa VfSlg. 10736/1985).
2. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG 1953 abgesehen.
3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 2.500 S enthalten. Kosten für Stempelmarken werden durch den Pauschalsatz abgegolten.
Schlagworte
VfGH / AnlaßfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1992:B507.1992Dokumentnummer
JFT_10078986_92B00507_00