TE Vwgh Erkenntnis 1995/2/23 95/06/0022

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Veröffentlicht am 23.02.1995
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Index

L37157 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Tirol;
L82000 Bauordnung;
L82007 Bauordnung Tirol;

Norm

BauO Tir 1989 §30 Abs1;
BauO Tir 1989 §30 Abs4;
BauO Tir 1989 §4 Abs1;
BauRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über die Beschwerde des H in G, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 23. November 1994, Zl. Ve1-550-2181/1-2, betreffend Einwendungen gegen eine Baubewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1. W-Gesellschaft m.b.H. in I, 2. Gemeinde G, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus dem Vorbringen in der Beschwerde sowie den vorgelegten Beilagen (darunter insbesondere der angefochtene Bescheid, der Berufungsbescheid und die Vorstellung des Beschwerdeführers) ergibt sich:

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde als Baubehörde I. Instanz wurde der erstmitbeteiligten Partei (in der Folge kurz: Bauwerberin) die Baubewilligung für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses auf einem Grundstück im Gebiet der mitbeteiligten Gemeinde erteilt. Über Berufung des Beschwerdeführers als Nachbarn wurde - im zweiten Rechtsgang - mit Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde vom 4. Oktober 1994 der erstinstanzliche Bewilligungsbescheid durch Anfügung weiterer Vorschreibungen (5. bis 9.) ergänzt, darunter Punkt 7., daß die auf dem Bauplatz anfallenden Oberflächenwässer beiderseits am Gebäude schadlos in Richtung Sportplatz und in weiterer Folge in den G-Bach abzuführen seien. Die Einwendungen des Beschwerdeführers (in diesem Zusammenhang als Antragsteller bezeichnet), a) wonach bei Muren das zu Tal stürzende Geröll und Gehölz eine Verlegung des vorbeifließenden Baches verursachen, den Bach über die Ufer treten lassen und das Wasser "an" die umliegenden Grundstücke ableiten würde, und das Bauobjekt eine allenfalls abgehende Lawine direkt auf das Grundstück des Beschwerdeführers ableiten würde; b) die Liegenschaft der Bauwerberin zum Teil "in der roten Zone" liege; c) die Sichtverhältnisse "bei der Einfahrt des Antragstellers ein dauernder Gefahrenherd bedeute"; d) der im Bereich der Einfahrt auf das Baugrundstück befindliche Weiderost unverhältnismäßig lauten Lärm nach sich ziehe; e) daß keine Erhöhung der Straße über das bisher vorhandene Straßenniveau stattfinden dürfe, da sonst bei Regen "ein Wasserstau zur Einfriedung des Grundstückes des Antragstellers entstehen könne"; f) das Bauprojekt soweit "von den Grundgrenzen des Antragstellers zurückzusetzen sei, daß ein freier Abluß der Oberflächenwässer möglich sei, ohne daß dieses Wasser auf der Liegenschaft des Antragstellers abrinne", wurden teils als unbegründet abgewiesen (lit. a), teils zurückgewiesen (lit. b, c und d) und teils (lit. e und f) auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Vorstellung, in der er zusammenfassend geltend machte, daß sich gegenüber seinem Anwesen "eine gefährliche Schotterrinne" befinde, von welcher im Winter alljährlich Lawinen und im Sommer Muren abgingen. Diese könnten den vorbeifließenden Bach verlegen, der in weiterer Folge über die Ufer treten könne. Das geplante Bauwerk stehe "aber in diesem Fall gerade als Wehr, wobei die gesamte Überflutung aufgestaut bzw. auf die umliegenden Grundstücke abgeleitet würde". Das Bauwerk würde ebenfalls eine Lawine direkt auf sein Grundstück ableiten (wurde eingehend näher ausgeführt). Der Zufahrtsweg zur Liegenschaft der Bauwerberin sei derart gelegen, daß der Weg unmittelbar nach der Einfahrt zu seinem Grundstück scharf nach links schwenke, um dann wiederum in der ursprünglichen Fahrtrichtung weiter zu verlaufen. Durch Verschlechterung der Sichtverhältnisse werde er bei Benützung der eigenen Ein- bzw. Ausfahrt gefährdet, zumal ja durch die Errichtung des Bauobjektes ein erhöhtes Verkehrsaufkommen entstehen werde. Auch die Errichtung eines Weiderostes im Bereich der Einfahrt des Baugrundstückes sei "unsinnig", weil bekanntlich "durch das Befahren von Weiderosten lauter Lärm" entstehe, der ihn stören werde. Werde die Straße über das bisher vorhandene Straßenniveau erhöht, könne bei Regen ein Wasserstau zur Einfriedung seines Grundstückes entstehen. Dagegen sei ausreichende Vorsorge zu treffen (wurde ebenfalls näher ausgeführt).

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Vorstellung als unbegründet abgewiesen. Begründend führte sie zusammenfassend aus, daß der Beschwerdeführer den eingeholten Gutachten nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten sei. Seinen Einwendungen betreffend die Verkehrssituation auf der Zufahrtsstraße bzw. hinsichtlich der Errichtung eines Weiderostes im Bereich der Einfahrt sei entgegenzuhalten, daß diese gemäß "der herrschenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keine Einwendungen" seien, die der Beschwerdeführer "mit Erfolg" im Bauverfahren geltend machen könne. Es handle sich nämlich um Immissionen, die nicht vom Bauwerk, sondern durch den Verkehr auf der Zufahrtsstraße verursacht würden, weshalb der Beschwerdeführer damit keine subjektiv-öffentlichen Rechte im Sinne des § 30 Abs. 4 der Tiroler Bauordnung (TBO) geltend mache. Die belangte Behörde könne auch der Argumentation, es könne "durch das Bauverfahren" (gemeint wohl: durch das Bauwerk) zu Behinderungen des Abflusses der Oberflächenwässer kommen, nicht folgen. Grundsätzlich habe jeder Bauwerber dafür Sorge zu tragen, daß die auf seinem Grundstück anfallenden Oberflächenwässer schadlos abgeleitet würden. Die Baubehörde habe die Einhaltung dieser Verpflichtung im Berufungsbescheid durch die Auflage Punkt 7. aufgetragen. Wie der Verwaltungsgerichtshof in mehreren Erkenntnissen festgestellt habe, dienten die für "gefährdete Grundstücke" geltenden Baubeschränkungen des § 4 Abs. 1 TBO - und um solche handle es sich - primär dem Schutz des Bauwerbers, oder auch dem öffentlichen Interesse an einer den Naturgefahren angemessenen Bebauung, nicht jedoch dem Interesse des Nachbarn (verwiesen wird auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Jänner 1992, Zl. 91/06/0239, und vom 7. November 1991, Zl. 91/06/0187). Dadurch, daß die Berufungsbehörde diese Einwendungen als privatrechtliche Einwendungen und nicht als objektiv öffentlich-rechtliche Einwendungen beurteilt habe, sei der Beschwerdeführer in keinen Rechten verletzt worden.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Nach seinem Vorbringen erachtet sich der Beschwerdeführer in seinen Rechten deshalb verletzt, weil durch die Verwirklichung des Bauvorhabens eine (erhöhte) Gefährdung seines Grundstückes durch Lawinen, Muren und Überflutungen zu erwarten sei.

Gemäß § 30 Abs. 1 der Tiroler Bauordnung (TBO), LGBl. Nr. 33/1989 in der hier anzuwendenden Fassung LGBl. Nr. 81/1994, sind Nachbarn Eigentümer von Grundstücken, die zu dem zur Bebauung vorgesehenen Grundstück in einem solchen räumlichen Naheverhältnis stehen, daß durch die bauliche Anlage oder durch deren Benützung hinsichtlich der durch dieses Gesetz geschützten Interessen mit Rückwirkungen auf ihr Grundstück oder die darauf errichtete bauliche Anlage zu rechnen ist. Dem Grundeigentümer ist der Bauberechtigte gleichgestellt.

Gemäß § 30 Abs. 4 TBO hat die Behörde über eine Einwendung des Nachbarn abzusprechen, die die Verletzung eines Rechtes behauptet, das in einer Bestimmung dieses Gesetzes oder einer Verordnung aufgrund dieses Gesetzes begründet ist, die nicht nur der Wahrung öffentlicher Interessen, sondern auch dem Schutz der Nachbarn dient (subjektiv öffentlich-rechtliche Einwendung). Subjektiv öffentlich-rechtliche Einwendungen können insbesondere auf Vorschriften über die widmungsgemäße Verwendung von Grundstücken, insbesondere auf die §§ 12 bis 16b des Tiroler Raumordnungsgesetzes 1984, die Bauweise, die Bauhöhe, die Mindestabstände von baulichen Anlagen, die Beschaffenheit des Bauplatzes und den Brandschutz gestützt werden.

Gemäß § 4 Abs. 1 erster und zweiter Satz TBO dürfen bauliche Anlagen nur auf Grundstücken errichtet werden, die sich nach ihrer Widmung, Lage, Form, Größe und Bodenbeschaffenheit für die vorgesehene Bebauung eignen und eine dieser Bebauung entsprechende, rechtlich gesicherte Verbindung mit einer öffentlichen Verkehrsfläche haben. Im Freiland, mit Ausnahme von Sonderflächen, dürfen bauliche Anlagen nicht auf Grundstücken errichtet werden, die durch Hochwasser, Vermurungen, Steinschlag, Erdrutsch, Lawinen oder andere Gefahren bedroht sind, es sei denn, daß Maßnahmen zur Abwendung dieser Gefahren technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar sind. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinen Erkenntnissen vom 7. November 1991, Zl. 91/06/0187, und vom 23. Jänner 1992, Zl.91/06/0239, (auf die die belangte Behörde zutreffend verwiesen hat), ausgesprochen, daß die für gefährdete Grundstücke geltenden primär dem Schutz des Bauwerbers und der Personen, welche sich in der Baulichkeit aufhalten werden, allenfalls darüber hinaus auch dem öffentlichen Interesse an einer den Naturgefahren angemessenen Bebauung dienen, nicht jedoch dem Interesse des Nachbarn. Der Beschwerdeführer hat vielmehr unter BAURECHTLICHEN Gesichtspunkten kein subjektiv-öffentliches Recht darauf, daß bei baulichen Maßnahmen auf Nachbargrundstücken darauf zu achten wäre, daß die im Katastrophenfall für das Grundstück des Beschwerdeführers zu erwartende Hochwasser- bzw. Vermurungs- oder Lawinengefahr keine quantitative Veränderung erfährt. Es ist vielmehr in erster Linie Sache jedes Grundeigentümers (so auch des Beschwerdeführers) sich durch geeignete Schutzvorrichtungen selbst vor den Auswirkungen von Naturgewalten zu schützen. Soweit sich solche Ansprüche allenfalls aus dem Zivilrecht (beispielsweise aus § 364 Abs. 2 ABGB) ableiten lassen, sind sie, worauf schon im zitierten Erkenntnis Zl. 91/06/0187 verwiesen wurde, vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen.

Dem Vorbringen der Beschwerde in formeller Hinsicht ist entgegenzuhalten, daß die Verfahrensrechte der Nachbarn (nur) soweit reichen, als ihnen subjektiv-öffentliche Rechte eingeräumt sind, wie der Verwaltungsgerichtshof mehrfach ausgesprochen hat (aus jüngerer Zeit siehe beispielsweise das Erkenntnis vom 20. Oktober 1994, Zl. 93/06/0115).

Da somit das Beschwerdevorbringen erkennen läßt, daß die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde ohne weiteres Verfahren gemäß § 35 Abs. 1 VwGG abzuweisen. Damit ist auch der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, gegenstandslos.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1995060022.X00

Im RIS seit

03.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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