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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
ASVG §292;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Dr. Fürnsinn, Dr. Germ, Dr. Höß und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Simetzberger, über die Beschwerde der A in B, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 6. September 1993, Zl. 946.895/3-2a/1993, betreffend Härteausgleich nach § 76 KOVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin brachte mit an das Landesinvalidenamt für Tirol gerichtetem Schreiben vom 10. August 1992 vor:
"... erhielt ich bis 1. 1. 1950 nach den bis dahin geltenden versorgungsrechtlichen Bestimmungen (WMFG) als Mutter von 2 a.e. Kindern nach dem vom Krieg nicht zurückgekehrten Verlobten und Vater der beiden Kinder die Brautversorgung. Für die Kinder wurde Waisenversorgung geleistet. Für die Erziehung und Versorgung der Kinder mußte ich allein aufkommen. Witwen erhielten Witwenrente bzw. -beihilfe zugesichert, mir wurde eine solche oder ähnliche Versorgung mangels Aufnahme einer entspr. Bestimmung in das Kriegsopferversorgungsgesetz aus völlig unverständlichen Gründen verweigert bzw. vorenthalten.
Ich stehe im 80. Lebensjahr und bestreite meinen Lebensunterhalt von der schwerst erarbeiteten PVA-Pension, die incl. Ausgleichszulage S 6.305,-- monatl. beträgt.
Da Witwen nach Schwerbeschädigten, deren Tod nicht Folge der Dienstbeschädigung war, eine Beihilfe bis zu S 8.444,-- erhalten können, darf ich Sie in Anlehnung an diese Bestimmung ersuchen, einen Härteausgleich i.S. des § 67 KOVG zu gewähren."
Bei den Akten befindet sich u.a. ein Schreiben des Wehrkreiskommandos XVII vom 26. Februar 1944, in dem der Beschwerdeführerin mitgeteilt wurde, daß gemäß der Verfügung des Reichsministers des Inneren keine Genehmigung mehr zur nachträglichen Eheschließung mit Vermißten erteilt werde. Ausnahmen seien nur möglich, wenn Anhaltspunkte dafür vorhanden seien, daß der Heldentod des Vermißten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eingetreten sei (z.B. bei schwer verwundet Zurückgelassenen). Nachdem dies für den Verlobten der Beschwerdeführerin nicht zugetroffen habe und daher die Hoffnung bestehe, daß er sich am Leben befinde, habe ein Ansuchen um Bewilligung der nachträglichen Eheschließung keine Aussicht auf Erfolg.
In einem weiteren Schreiben vom 4. Mai 1944 teilte die genannte Dienststelle der Beschwerdeführerin mit, daß sie ihren "Bräutigam" mit Wirkung vom 1. Oktober 1943 zum Obergefreiten befördert habe, weil ihm als Obergefreiter Kriegsbesoldung zustehe und sie daher Anspruch auf Zahlung von Kriegsbesoldung habe.
Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens erging der angefochtene Bescheid, mit dem der Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung eines Ausgleiches gemäß § 76 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 (KOVG) abgewiesen wurde.
Zur Begründung wird nach verkürzter Wiedergabe des Antrages und des § 76 KOVG weiter ausgeführt, die Gewährung eines Ausgleiches für nichtverehelichte Frauen in Form der sogenannten "Brautversorgung" komme grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die ernste Absicht des Kriegsteilnehmers zur Eheschließung mit der Braut und Mutter der unehelichen Kinder nachgewiesen sei und Bedürftigkeit vorliege. Nach den durchgeführten Ermittlungen seien im Fall der Beschwerdeführerin die im persönlichen Bereich gelegenen Voraussetzungen für die Bewilligung des beantragten Härteausgleiches als gegeben anzusehen. Was die Frage der Bedürftigkeit anlange, habe die belangte Behörde in gleichartig gelagerten Fällen stets den für die Gewährung einer Ausgleichszulage nach dem ASVG maßgebenden Richtsatz (derzeit monatliches Nettoeinkommen von S 7.000,--) als Einkommensgrenze herangezogen. Bei Einkünften in dieser Höhe könne angenommen werden, daß der Unterhalt noch ausreichend gesichert sei und somit der nach dem KOVG 1957 zugrunde liegende Versorgungsgedanke als erfüllt gelte.
Die Beschwerdeführerin beziehe eine Pension von der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten zuzüglich einer Ausgleichszulage in Höhe von S 6.117,-- monatlich für 1992 bzw. von S 6.602,-- monatlich für 1993. Außerdem habe sie laut Übergabsvertrag vom 5. Februar 1988 das lebenslängliche freie Wohnrecht einschließlich Anspruch auf Beheizung im Haus Dorfstraße Nr. 4 in B. Im Übergabsvertrag sei der Jahreswert dieser Sachleistung mit rund S 18.000,-- veranschlagt, das ergebe einen monatlichen Betrag von S 1.500,--. Demgegenüber werde der Beschwerdeführerin seitens der Pensionsversicherungsanstalt lediglich S 398,-- monatlich als Gegenwert angerechnet. Selbst unter Berücksichtigung dieses zweifellos sehr niedrigen Betrages verfüge die Beschwerdeführerin jedoch schon über ein Einkommen, das eine positive Ermessensentscheidung nicht mehr zulasse.
Gegen diesen Bescheid wandte sich die Beschwerdeführerin an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluß vom 28. Februar 1994, B 1770/93, ablehnte und die Beschwerde antragsgemäß an den Verwaltungsgerichtshof abtrat.
Für das verwaltungsgerichtliche Verfahren wurde die Beschwerde auftragsgemäß ergänzt.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und kostenpflichtige Abweisung beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 76 Abs. 1 KOVG 1957, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 212/1984, bestimmt:
"Sofern sich aus den Vorschriften dieses Bundesgesetzes besondere Härten ergeben, kann der Bundesminister für soziale Verwaltung im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen auf Antrag oder von Amts wegen einen Ausgleich gewähren."
Die Gewährung eines Härteausgleiches gemäß § 76 KOVG 1957 steht im Ermessen der Behörde. Wer die Gewährung eines Ausgleiches wegen besonderer Härte geltend macht, ist Partei im Sinne des nach § 86 Abs. 1 KOVG anzuwendenden § 8 AVG. Die Gewährung eines Ausgleiches gemäß § 76 KOVG setzt zunächst voraus, daß "sich aus den Vorschriften dieses Bundesgesetzes besondere Härten ergeben". Erst dann kann die Behörde von dem ihr in dieser Bestimmung eingeräumten Ermessen einen positiven Gebrauch machen (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 21. April 1982, Slg. N. F. Nr. 10.709/A).
Die vom Gesetz geforderte besondere Härte muß durch Tatsachen und Umstände des Einzelfalles gegeben sein (vgl. die Erkenntnisse vom 10. April 1985, Zl. 84/09/0220, und Zl. 85/09/0062; ferner das Erkenntnis vom 5. Juni 1985, Zl. 85/09/0067). Liegt eine besondere Härte nicht vor, dann ist die Gewährung eines Ausgleiches zu versagen, ohne daß auf die allenfalls für eine positive Ermessensübung sprechende tatsächliche wirtschaftliche Lage der Beschwerdeführerin eingegangen werden kann (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis des verstärkten Senates vom 21. April 1982, und die Erkenntnisse vom 10. April 1985, Zl. 84/09/0220, und vom 5. Juni 1985, Zl. 85/09/0067).
Da die Gewährung eines Härteausgleiches im Ermessen der Behörde liegt, folgt für die Überprüfung des angefochtenen Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof, daß Rechtswidrigkeit des Bescheides dann nicht gegeben ist, wenn die Behörde von dem ihr eingeräumten freien Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat (vgl. Art. 130 Abs. 2 B-VG).
Die belangte Behörde hat im Sinne der wiedergegebenen Rechtsprechung zunächst zutreffend im Bereich rechtlicher Gebundenheit die zu lösende Frage nach dem Vorliegen einer besonderen Härte bejaht, die sie offenbar darin sieht, daß die Eheschließung, bedingt durch die Kriegsereignisse bei Stalingrad, unterblieben ist. Schon vor dem Hintergrund des bekannten Schicksals der Angehörigen der 6. Armee kann der Verwaltungsgerichtshof nicht die von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift vertretene Auffassung teilen, eine Bezugnahme auf die Witwenrente sei bei der Beschwerdeführerin deshalb unterblieben, weil "nähere Umstände über das Schicksal des bei Stalingrad vermißten Verlobten" der Beschwerdeführerin bis heute nicht bekannt seien und daher der Kausalzusammenhang unklar wäre. Im übrigen verweist der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang auf sein Erkenntnis vom 18. Oktober 1990, Zl. 90/09/0048, in dem er in einem Härteausgleichsverfahren nach § 76 KOVG zum Ausdruck gebracht hat, daß die für die Zuerkennung von KOVG-Leistungen entscheidende "besondere Härte" auch im Bereich der Anspruchsvoraussetzung der Kausalität gelegen sein kann, wenn im Hinblick auf die außergewöhnliche Lagerung des Einzelfalles diese Frage nicht mehr eindeutig zu klären ist.
Nach dem angefochtenen Bescheid hat aber die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin, der auch nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes als Antrag auf Witwenversorgung im Wege des Härteausgleiches zu verstehen ist, aber mangels Bedürftigkeit der Beschwerdeführerin abgewiesen. Die Bedürftigkeitsgrenze wurde dabei mit dem Ausgleichszulagenrichtsatz nach dem ASVG angenommen.
Damit hat aber die belangte Behörde nicht berücksichtigt, daß die im KOVG festgelegten sozialen Standards über denen des ASVG liegen. Diesbezüglich hat der Verwaltungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis vom 20. Oktober 1988, Zl. 85/09/0160, im Zusammenhang mit der Frage einer Witwenbeihilfe im Wege des Härteausgleiches darauf hingewiesen, daß die Einkommensgrenze der Witwenbeihilfe (vgl. § 36 Abs. 2 in Verbindung mit § 35 Abs. 3 KOVG) erheblich über dem Betrag des Richtsatzes der Mindestpension nach dem ASVG (vgl. §§ 292 f) liegt.
Der angefochtene Bescheid erweist sich daher aus den dargestellten Gründen als inhaltlich rechtswidrig und war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich im Rahmen des Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
ErmessenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994090121.X00Im RIS seit
27.03.2001