Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
EGVG Art9 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Mizner und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde des YA, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in D, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 31. Jänner 1990, Zl. III-4033/89, betreffend Bestrafung nach Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer im Instanzenzug schuldig erkannt, er habe am 24. April 1988 um
3.25 Uhr in B, X-Platz 4, vor der I-Bar, die Ordnung an einem öffentlichen Ort durch sein Verhalten, welches geeignet war, Ärgernis zu erregen, gestört, indem er an einer wörtlichen und tätlichen Auseinandersetzung beteiligt war. Er habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG begangen. Über den Beschwerdeführer wurde eine Geldstrafe von S 700,-- (Ersatzarrest 42 Stunden) verhängt.
Begründend wurde dargelegt, die Behörde erster Instanz habe festgestellt, daß R.M. und M.S. einerseits sowie der Beschwerdeführer, Y.A. und Al.A. andererseits nach dem Verlassen der I-Bar in B vor dem Lokal in einen Streit geraten seien, der mit einem Raufhandel und mit Tätlichkeiten geendet habe. Alle fünf Beteiligten seien aktiv am Raufhandel beteiligt gewesen. Der Beschwerdeführer habe die Beteiligung am Raufhandel bestritten und behauptet, er habe sich lediglich gegen widerrechtliche Angriffe zur Wehr gesetzt. Dieser Argumentation des Beschwerdeführers müsse seine eigene Aussage entgegengehalten werden. Der Beschwerdeführer habe insbesondere ausgesagt, daß nach dem Verlassen des Lokals eine wörtliche Auseinandersetzung entstanden sei, an der sich Al.A. (der Vater des Beschwerdeführers) und andere Personen beteiligt hätten. M.S. habe seinen Vater angesprungen. R.M. habe versucht, M.S. zurückzuhalten. R.M. habe dem Al.A. einen Faustschlag ins Gesicht versetzt. Al.A. sei zu Boden gefallen; M.S. habe sich auf ihn gestürzt. Y.A. habe die beiden trennen wollen. R.N. habe mit Y.A. zu raufen begonnen. Der Beschwerdeführer habe R.M. von Y.A. wegziehen wollen. R.M. sei aufgestanden und habe dem Beschwerdeführer die Faust ins Gesicht geschlagen. Der Beschwerdeführer habe R.M. daraufhin weggestoßen und sei dadurch auf den Boden gefallen. Er sei dann auf dem Boden gelegen; R.M. habe ihm von hinten beide Hände festgehalten. Die belangte Behörde gehe davon aus, daß dieser vom Beschwerdeführer geschilderte Sachverhalt der Wahrheit entspreche. Eine Notwehrsituation für den Beschwerdeführer könne daraus nicht abgeleitet werden. Dieser hätte die Möglichkeit gehabt, die beleidigenden Ausführungen beim nächsten Gendarmerieposten anzuzeigen, anstatt mit verbalen Gegenangriffen eine tätliche Auseinandersetzung zu provozieren. Auf der Grundlage der eigenen Aussage des Beschwerdeführers sei - ohne auf die anderen Zeugenaussagen speziell einzugehen - als erwiesen anzunehmen, daß der Beschwerdeführer den Tatbestand des Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG verwirklicht habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung mehrfach auf den Unterschied zwischen einem "Handgemenge" und einer "Rauferei" hingewiesen (vgl. das Erkenntnis vom 10. September 1984, Slg. 11502/A, und die dort zitierte Vorjudikatur). In ein Handgemenge kann auch derjenige geraten, der sich gegen einen widerrechtlichen Angriff zur Wehr setzt. Hat der Beschuldigte in Notwehr oder unverschuldeter Putativnotwehr gehandelt, so war sein Verhalten auch nicht geeignet, Ärgernis zu erregen, weil Notwehrmaßnahmen von unbefangenen Menschen nicht als unerlaubt und schändlich empfunden werden. Gleiches hätte für den Fall unverschuldeter Notwehrüberschreitung zu gelten.
Die belangte Behörde hat ihrer Beurteilung erkennbar den vom Beschwerdeführer geschilderten Sachverhalt zugrunde gelegt. Dieser somit festgestellte Sachverhalt ist zunächst nicht geeignet, den Schuldspruch insoweit zu tragen, als dem Beschwerdeführer die Verwirklichung des Straftatbestandes durch Beteiligung an einer "wörtlichen Auseinandersetzung" vorgeworfen wird; dies schon deshalb, weil die des näheren geschilderten und festgestellten Beschimpfungen von R.M. oder M.S. einerseits und An.A. andererseits, nicht aber vom Beschwerdeführer geäußert wurden.
An Hand des festgestellten Sachverhaltes kann aber auch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, daß der Beschwerdeführer - entsprechend der schon im Verwaltungsstrafverfahren vorgetragenen Verantwortung - lediglich in ein "Handgemenge" im Sinne der oben dargelegten Rechtsprechung geraten sei bzw. sich gegen einen widerrechtlichen Angriff zur Wehr gesetzt hätte. Soweit ein Verhalten des Beschwerdeführers in Rede steht, wurde lediglich festgestellt, dieser habe R.M. von Y.A. wegziehen wollen. Er habe ferner den R.M. weggestoßen, nachdem ihm dieser einen Faustschlag versetzt habe. Mangels näherer, im Hinblick auf die Verantwortung des Beschwerdeführers, der sich auf eine Notwehrsituation berufen hat, gebotener Feststellungen kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, daß das "Wegziehen" des R.M. von Y.A. in der erkennbaren Absicht erfolgte, die Raufenden zu trennen; diesfalls könnte nicht von einem Verhalten gesprochen werden, das im Sinne des Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG objektiv geeignet wäre, Ärgernis zu erregen. Soweit das "Wegstoßen" des R.M., nachdem ihm dieser einen Faustschlag versetzt habe, in Rede steht, kann mangels entsprechender Feststellungen nicht gesagt werden, daß der Beschwerdeführer dabei den Rahmen einer maßhaltenden Abwehr überschritten hätte.
Insgesamt sind die getroffenen Feststellungen somit nicht geeignet, den Schuldvorwurf zu tragen; der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1990100050.X00Im RIS seit
20.11.2000