Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §66 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Mizner und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde des J in S, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 21. Februar 1990, Zl. VI/4-St-150, betreffend Übertretung des Forstgesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Am 3. Februar 1989 wurde durch einen Amtssachverständigen festgestellt, daß auf dem Waldgrundstück des Beschwerdeführers Nr. 510/3 KG L. sämtliche Bäume bzw. Holzgewächse entfernt, das Erdreich zum Teil abgetragen, auf dem südlichen Teil der Fläche eine Vertiefung ausgehoben und in dieser Wurzelstöcke abgelagert worden waren. Die Erdarbeiten (unter Verwendung eines Baggers) waren zu diesem Zeitpunkt noch im Gang. Dieser Sachverhalt wurde dem Beschwerdeführer am 7. Februar 1989 durch die Bezirkshauptmannschaft G. (BH) niederschriftlich unter Hinweis auf § 174 Abs. 1 lit. a Z. 3 und 6 FG vorgehalten. Der Beschwerdeführer rechtfertigte sich damit, er sei auf Grund einer Auskunft des Bezirksförsters der Meinung gewesen, für die Arbeiten sei keine Bewilligung erforderlich. Er habe schon mehrmals bei der Gendarmerie angezeigt, daß die Fläche als wilde Mülldeponie benützt werde. Er sei bereit, an anderer Stelle aufzuforsten.
Mit Straferkenntnis der BH vom 2. Oktober 1989 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe "am 2. Februar 1989 auf der Waldparzelle Nr. 510/3 KG L. ohne Bewilligung eine Rodung, Waldverwüstung durchgeführt" und hiedurch die Verwaltungsübertretung nach "§ 174 Abs. 1 lit. a Z. 3 in Verbindung mit § 16 Abs. 1 FG" begangen. Es wurde eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.
In seiner Berufung legte der Beschwerdeführer dar, es sei ihm nicht bekannt gewesen, daß für die Rodung eine forstbehördliche Bewilligung erforderlich wäre. Dieser Rechtsirrtum sei nicht vorwerfbar, weil ihm der Bezirksförster erklärt habe, daß "bis zu einer Fläche von 0,5 ha keine Bewilligung erforderlich" sei. Dies habe der Beschwerdeführer - möglicherweise mißverständlich - auf Rodungen bezogen.
Die belangte Behörde holte Befund und Gutachten eines Amtssachverständigen ein. Dieser legte dar, die derzeit gerodete Waldfläche befinde sich als Einzelareal im agrarischen Umland. Die nächstgelegenen Laubwaldkomplexe befänden sich ca. 200 m östlich. Die Waldparzelle stelle in der Natur ein langgezogenes Dreieck mit einem Flächenausmaß von 3326 m2 und einer Länge von ca. 170 m dar. Vor der Entfernung des Bewuchses sei das Grundstück mit einem ca. 30-jährigen Pappel-Weidenbestand mit einem Überschirmungsgrad von fünf bis sechs Zehntel bestockt gewesen. Derzeit sei die Fläche völlig kahl geschlägert; die Kulturgattung sei noch nicht geändert. Im Südostteil des Areals sei eine Grube angelegt worden, die bis ungefähr 2 m unter das ehemalige Bodenniveau reiche. Das Überschußmaterial sei südlich am Parzellenrand zu Erdhügeln aufgehäuft worden. In der Grube selbst lägen Pappel- und Weidenstöcke des Vorbestandes sowie an drei Stellen Bauschutt (Ziegel, Eternitplatten etc.), der unter Umständen erst nach der vorgenommenen Rodung wild deponiert worden sei. Der Waldstreifen weise für das umliegende Ackerland eine wesentliche Windschutzfunktion auf. Die Rodung zum Zweck der Vergrößerung der landwirtschaftlichen Betriebsflächen könnte nur schwerlich genehmigt werden. Gegen eine Fällung mit anschließender Wiederaufforstung bestehe kein Einwand, da die Waldfläche mit schnellwüchsigen Holzarten, die im Alter von 30 Jahren als hiebsreif anzusehen seien, bestockt gewesen sei. Durch eine Wiederanpflanzung mit Pappel und Weide wäre die Windschutzfunktion schon nach wenigen Jahren gewährleistet. Es liege somit eine widerrechtliche Rodung der Waldfläche vor. Im Südostteil sei auf einer Fläche von rund 950 m2 Waldverwüstung dadurch begangen worden, daß eine bis zu 2 m tiefe Erdgrube ausgehoben und das Überschußmaterial als Erdwall aufgeschüttet worden sei. Hiedurch sei die Produktionskraft des Waldbodens wesentlich geschwächt worden.
In einer Stellungnahme brachte der Beschwerdeführer vor, der Baumbestand sei weniger als 30 Jahre alt gewesen und habe keine Windschutzfunktion gehabt. Die Bewirtschaftung der Ackerflächen des Beschwerdeführers sei durch den Baumbestand erschwert gewesen. Zu einer wilden Mülldeponie sei es deshalb gekommen, weil es dem Beschwerdeführer bis jetzt untersagt worden sei, die gerodete Fläche in eine Ackerfläche umzuwandeln.
Mit Spruchpunkt a) des angefochtenen Bescheides behob die belangte Behörde die Bestrafung "wegen der Übertretung der widerrechtlichen Rodung" und stellte das Strafverfahren insoweit ein. Mit Spruchpunkt b) des angefochtenen Bescheides änderte die belangte Behörde das bekämpfte Straferkenntnis wie folgt ab:
"Sie haben im Februar 1989 auf dem Waldgrundstück Nr. 510/3 KG L eine wilde Mülldeponie im Ausmaß von 950 m2 angelegt und dadurch § 16 Abs. 1 und 2 lit. d FG übertreten. Deswegen wird über sie gemäß § 174 Abs. 1 lit. a Z. 3 FG eine Geldstrafe ... (Ersatzfreiheitsstrafe ...) verhängt."
Begründend legte die belangte Behörde nach auszugsweiser Wiedergabe des Verfahrensganges dar, bei der geschlägerten Fläche sei die Kulturgattung Wald noch nicht geändert worden;
es liege daher ein nicht strafbarer Versuch der Rodung vor;
insoweit sei das Strafverfahren mangels voller Tatbestandsverwirklichung einzustellen. Die Angaben des Beschwerdeführers betreffend die Anlage einer wilden Mülldeponie seien in keiner Weise zu einer Rechtfertigung der Übertretung nach § 16 Abs. 1 und 2 lit. d FG geeignet.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 24 VStG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid (unter Bedachtnahme auf das im Verwaltungsstrafverfahren geltende Verbot der reformatio in peius) nach jeder Richtung abzuändern. "Sache" im Sinne dieser Gesetzesstelle ist immer die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Unterbehörde gebildet hat. Dies bedeutet für den Bereich des Verwaltungsstrafverfahrens, daß die Berufungsbehörde trotz ihrer Berechtigung, den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, doch auf die Ahndung der dem Beschuldigten im Strafverfahren erster Instanz zur Last gelegten Tat beschränkt bleibt, sodaß sie ihn nicht für eine Tat schuldig sprechen darf, die ihm im Verfahren vor der ersten Instanz gar nicht zur Last gelegt worden ist. Hingegen ist es grundsätzlich nicht rechtswidrig, wenn die Berufungsbehörde das Verhalten des Beschuldigten einem anderen Tatbestand (Tatbild) unterstellt als die Behörde erster Instanz, sofern es sich um ein und dasselbe Verhalten des Täters handelt, also Identität der Tat vorliegt (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Juni 1994, Zl. 94/09/0035, und die dort zitierte Vorjudikatur).
Im Straferkenntnis erster Instanz war dem Beschwerdeführer zur Last gelegt worden, er habe "am 2. Februar 1989 ... ohne Bewilligung eine Rodung, Waldverwüstung durchgeführt" und hiedurch gegen "§ 16 Abs. 1 in Verbindung mit § 174 Abs. 1 lit. a Z. 3 FG" verstoßen.
Der darin der Sache nach enthaltene Vorwurf des Verstoßes gegen das Rodungsverbot (§ 174 Abs. 1 lit. a Z. 6 FG) ist im Hinblick auf Spruchpunkt a) des angefochtenen Bescheides nicht mehr Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.
Wegen der Beschränkung der belangten Behörde auf die "Sache" ist daher zunächst zu untersuchen, ob der im angefochtenen Bescheid enthaltene Vorwurf, der Beschwerdeführer habe "im Februar 1989 eine wilde Mülldeponie angelegt und dadurch § 16 Abs. 1 und 2 lit. d FG übertreten", in dem durch den Gegenstand des Verfahrens erster Instanz gezogenen Rahmen (unter Bedachtnahme auf den das Verwaltungsstrafverfahren einstellenden Teil des angefochtenen Bescheides) Deckung findet. Maßstab ist dabei der von der Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens durch den angefochtenen Bescheid unberührt verbleibende Ausspruch des Straferkenntnisses erster Instanz, der Beschwerdeführer habe "am 2.2.1989 ... eine Waldverwüstung durchgeführt".
Der Spruch dieses Straferkenntnisses entsprach nicht der Vorschrift des § 44a Z. 1 VStG, weil Tatmerkmale, die zur Individualisierung und Konkretisierung des vorgeworfenen Verhaltens erforderlich gewesen wären, nicht enthalten waren; es wurden nämlich jene Handlungen und Unterlassungen des Beschwerdeführers, durch die dieser den Tatbestand der Waldverwüstung verwirklicht hätte, nicht bezeichnet.
Die Berufungsbehörde wäre auch diesfalls zu einer - im Gegensatz zur unzulässigen Auswechslung der Tat rechtmäßigen - "Modifizierung der Tatumschreibung" berechtigt gewesen; dies allerdings nur unter der Voraussetzung, daß jenes konkrete, dem Beschuldigten durch den Strafbescheid der Berufungsbehörde zur Last gelegte Verhalten in konkretisierter Form bereits Gegenstand des Strafverfahrens erster Instanz war.
Diese Voraussetzungen liegen im Beschwerdefall nicht vor; denn im Verwaltungsstrafverfahren erster Instanz war gegenüber dem Beschwerdeführer - in einer den Anforderungen an eine Verfolgungshandlung (§ 32 Abs. 2 VStG) entsprechenden Form - zwar der Vorwurf erhoben worden, er habe (ohne entsprechende Bewilligung) Bäume und sonstige Holzgewächse entfernen, die Wurzelstöcke ausgraben, Erdreich abtragen und Bodenvertiefungen ausheben lassen (vgl. die Niederschrift vom 7. Februar 1989); es ist aber nach der Aktenlage nicht ersichtlich, daß der Beschwerdeführer im Verwaltungsstrafverfahren erster Instanz mit dem Vorwurf konfrontiert worden wäre, "eine wilde Mülldeponie angelegt" zu haben. Ebensowenig enthalten Spruch und Begründung des Strafbescheides erster Instanz einen solchen Tatvorwurf.
Mit der auf eben diesen Vorwurf gegründeten Bestrafung hat die belangte Behörde somit die Tat ausgewechselt. Ihr Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
Schlagworte
"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung) Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Verwaltungsstrafrecht Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Bindung an den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens Allgemein Mängel im Spruch Spruch der Berufungsbehörde Spruch der Berufungsbehörde Änderungen des Spruches der ersten Instanz Umfang der Abänderungsbefugnis Allgemein bei Einschränkung der Berufungsgründe beschränkte Parteistellung Umfang der Abänderungsbefugnis Reformatio in peiusEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1990100092.X00Im RIS seit
20.11.2000