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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AMG 1983 §1 Abs3 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Novak, Dr. Mizner und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde der XY-GmbH in W, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Gesundheit und öffentlicher Dienst vom 30. April 1990, Zl. 767.452/6-VII/12/90, betreffend Untersagung des Inverkehrbringens eines Produktes als diätetisches Lebensmittel nach § 17 Abs. 4 des Lebensmittelgesetzes 1975, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem am 4. Dezember 1989 bei der belangten Behörde eingelangten Schreiben vom 1. Dezember 1989 meldete die Beschwerdeführerin das Produkt "XY GOLDKORN HAFERKLEIE" als diätetisches Lebensmittel gemäß § 17 des Lebensmittelgesetzes 1975 (LMG 1975) an. Dem Schreiben waren der vorgesehene Verpackungstext, ein Warenmuster sowie ein Gutachten des Vorstandes des Institutes für Ernährung der Veterinärmedizinischen Universität Wien über Haferkleie "an sich" und ein Gutachten eines Diplomernährungswissenschaftlers angeschlossen. Nach dem erstgenannten Gutachten handle es sich bei Haferkleie um vermahlene und gesichtete Haferflocken, wobei etwa 55 % Hafermehl und 45 % Haferkleie anfalle. Nach dem ernährungswissenschaftlichen Gutachten sei Haferkleie geeignet, eine ausgeprägte Senkung erhöhter Blutcholesterinspiegel, speziell des LDL-Cholesterins, zu bewirken. Lösliche Ballaststoffe, die besonders stark in Haferkleie angereichert seien, hätten nämlich einen deutlich stärkeren Effekt auf den Cholesterinstoffwechsel als z.B. unlösliche Ballaststoffe, die vornehmlich in Weizenkleieprodukten vorkämen.
Die belangte Behörde holte daraufhin Gutachten der amtlichen Sachverständigen ein. Diese ergaben, daß nach dem Verwendungszweck des gegenständlichen Produktes ein "Lebensmittel" nicht vorliege. Die Haferkleie solle nämlich dazu dienen, bei Vorliegen erhöhter Cholesterinwerte im Rahmen einer Kur den Cholesterinspiegel zu senken bzw. die Verdauung zu regulieren. Diese Effekte sollten durch die in der Haferkleie enthaltenen unverdaulichen Ballaststoffe bewirkt werden. Das angemeldete Produkt diene somit nicht der Zufuhr vom Körper benötigter essentieller Nährstoffe zur Deckung des Energie- und Nährstoffbedarfes. Ferner sei mangelnde Unterscheidbarkeit von anderer "normaler" Haferkleie gegeben. Die auf der vorgesehenen Verpackung aufscheinenden Angaben des Ballaststoffgehaltes des Produktes sowie über die Herbeiführung einer geregelten Verdauung wurden als unrichtige gesundheitsbezogene Anpreisungen beurteilt; desgleichen die Ausführungen betreffend die "Allgemeine Empfehlung für eine ausgewogene Ernährung" sowie die "Anwendungsempfehlung".
Die Gutachten der Amtssachverständigen wurden der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht.
Mit dem bei der belangten Behörde am 5. Februar 1990 eingelangten Schreiben vom 1. Februar 1990 modifizierte die Beschwerdeführerin die als fachlich unrichtig bezeichneten Angaben auf dem Verpackungstext. Ferner wurde darauf hingewiesen, daß Haferkleie hohe Anteile an Eiweiß (14,9 %), Fett (8,3 %), Stärke (45,2 %) sowie Mineralstoffe und Vitamine enthalte. Daß das angemeldete Produkt daneben auch Ballaststoffe enthalte, könne an der Lebensmitteleigenschaft nichts ändern. Haferkleie unterscheide sich auch deutlich von Lebensmitteln vergleichbarer Art wie Haferflocken, Hafermehl etc. Haferkleie zeichne sich nämlich durch einen deutlich erhöhten Ballaststoffanteil im Vergleich zu anderen Lebensmitteln vergleichbarer Art aus. Diese Ballaststoffe seien überdies zu einem großen Anteil löslich und bewirkten dadurch die cholesterinsenkende Wirkung.
Der nunmehrige Textentwurf für die Kennzeichnung des angemeldeten Produktes wies folgenden Wortlaut auf:
"Packungsvorderseite
XY Goldkorn Haferkleie
Hinweisschildchen mit:
Reich an Hafer-Ballaststoffen
Empfohlen zur Senkung erhöhter Cholesterinwerte
Hilft bei Darmträgheit
linke Seitenfläche: XY
250 g; 1 Eßlöffel = ca. 11 g
XY Goldkorn Haferkleie enthält die wertvollsten Bestandteile des Hafers: Vitamine, Mineralstoffe und lösliche sowie unlösliche Ballaststoffe.
XY Goldkorn Haferkleie kann vielseitig angewendet werden wie z. B. - zum Anreichern von Muesli, Joughurt, Dessertcremes usw.
-
als teilweiser Ersatz von Semmelbrösel (bei panierten Gerichten - 100 %, bei faschierten Laibchen 20 %)
-
zum Anreichern, Binden von Getreide- und Gemüsesuppen
-
als teilweiser Ersatz (20 - 50 %) von Weizenmehl beim Backen (z.B. Brot, Weihnachtsgebäck, Kuchen, Biskuit, Palatschinkenteig, Kaiserschmarrn usw.)
-
für Nockerl/Haferspätzle als Suppeneinlage bzw. Beilage u.a.m.
rechte Seitenfläche:
XY
250 g; 1 Eßlöffel = ca. 11 g
unten: Austria A
Analyse Produktzusammensetzung:
100 g Haferkleie enthalten im Durchschnitt:
13,6 wasserunlösliche Ballaststoffe
6,5 g wasserlösliche Ballaststoffe
14,9 g Eiweiß
8,3 g Fett
45,2 g Stärke = 45,7 g Kohlenhydrate
0,5 g Saccharose
2,1 g Mineralstoffe, d.s. unter anderem:
480 mg Phosphor
180 mg Magnesium
60 mg Calcium
6 mg Natrium
6 mg Eisen
5 mg Mangan
3 mg Zink
Vitamine
0,28 mg Vitamin B1
1,44 mg Niacin
0,75 mg Pantothensäure
1.3346 Kilojoule (= 322 Kilokalorien)
bzw. 3,8 Broteinheiten (BE)
Die Werte unterliegen den bei Naturprodukten üblichen
Schwankungen.
Rückseite: XY Goldkorn Haferkleie
Naturrein mit Keim
Allgemeine Empfehlung für eine cholesterinbewußte Ernährung:
Einer der wichtigsten und häufigsten Risikofaktoren für die Entstehung von Herz- und Kreislauferkrankungen ist ein zu hoher
Cholesterinspiegel: Eine vernünftige, cholesterinbewußte Ernährung kann ein derartiges Risiko deutlich reduzieren. Dazu zählen im wesentlichen:
-
Reduktion der Gesamt-Kalorienzufuhr
-
Verminderung der Gesamt-Fettzufuhr (besonders durch Einschränkung der tierischen Fette/gesättigten Fettsäuren)
-
Wahl einer günstigeren Fettzusammensetzung (Verwendung pflanzlicher Fette mit mehrfach ungesättigten Fettsäuren)
-
Zurückhaltung beim Konsum von Alkohol
-
Erhöhung des Ballaststoffanteils in der Nahrung
Wirkungsweise von Haferkleie:
XY Goldkorn Haferkleie enthält die wertvollen Bestandteile des Hafers in konzentrierter Form. Das gilt gleichermaßen für Vitamine, Mineralstoffe und Ballaststoffe.
-
Die wasserlöslichen Ballaststoffe - die in Haferkleie besonders reich vertreten sind - bewirken eine Senkung erhöhter Blutcholesterinwerte.
-
Die wasserunlöslichen Ballaststoffe regen die Darmtätigkeit an.
Anwendungsempfehlung:
Im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung sollte Haferkleie daher - bereits vorbeugend - eine wichtige Rolle spielen. Die Verwendung von 40 g - 50 g Haferkleie ist in diesem Fall als sinnvoll anzusehen.
Bei Vorliegen erhöhter Cholesterinwerte sind im Rahmen einer Haferkleie-Kur folgende Mengen zu empfehlen: 50 g - 100 g über den Tag verteilt, für eine Dauer von 4 bis 5 Wochen. Danach kann wieder auf die niedrigere Menge von 40 g - 50 g pro Tag reduziert werden.
Die Kur sollte im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung mit dem behandelnden Arzt abgestimmt werden.
Wichtiger Hinweis: Ballaststoffe sind Quellstoffe und benötigen daher Flüssigkeit. Achten Sie deshalb auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr, d.i. 1,5 - 2 l Trinkmenge pro Tag. Anwendungsbeispiele finden Sie auf der Seitenfläche der Packung.
Packungsunterseite:
XY-GmbH., W/Austria
Trocken lagern, vor Fremdgeruch schützen.
EAN-Code
Verpackungs-Materiela-Code
Empf. Aufbrauchsfrist:
bis (Monat/Jahr + Code)
Packungsoberseite:
XY
Goldkorn Haferkleie"
Mit Schreiben vom 14. Februar 1990 legte die Beschwerdeführerin ein ergänzendes Gutachten der Lebensmittel-Versuchsanstalt vor. Danach sei unter Berücksichtigung der Zusammensetzung der Haferkleie, die einen relativ hohen Nährwert im Vergleich zur Weizenkleie aufweise, eine Einstufung als Lebensmittel gerechtfertigt. Ballaststoffe seien für die Ernährung unentbehrlich, auch wenn sie keine Energie beisteuerten.
Die dazu eingeholten Amtssachverständigengutachten ergaben neuerlich, daß das angemeldete Produkt nach der Art und Form des Inverkehrbringens nicht dazu bestimmt sei, überwiegend Ernährungs- oder Genußzwecken zu dienen. Ferner mangle es an der Unterscheidbarkeit des Produktes von Lebensmitteln vergleichbarer Art. Ein Vergleich mit Weizenkleie sei verfehlt, da es sich bei Hafer und Weizen um zwei verschiedene Getreidearten handle.
In einer weiteren Stellungnahme hob die Beschwerdeführerin hervor, daß sich Haferkleie durch einen über den Durchschnittswerten liegenden Nährwert gegenüber Haferflocken unterscheide. Aus den vorgelegten Unterlagen ergäbe sich darüber hinaus eindeutig, daß die Lebensmitteleigenschaft des Produktes gegeben sei. Sollte die belangte Behörde der Argumentation der Beschwerdeführerin nicht folgen, so werde die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fach der Ernährungswissenschaft und Lebensmitteltechnologie beantragt.
Die daraufhin erstatteten Amtssachverständigengutachten wiederholten im wesentlichen die bisher vertretene Auffassung, daß Haferkleie kein Lebensmittel darstelle. Haferflocken und Haferkleie seien verschiedene Dinge, wobei sich daher naturgemäß Haferkleie von Haferflocken unterscheide.
Von einer neuerlichen Verständigung der Beschwerdeführerin vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens wurde Abstand genommen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde das Inverkehrbringen des von der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 1. Dezember 1989, modifiziert mit Schreiben vom 1. Februar 1990, angemeldeten Produktes als diätetisches Lebensmittel gemäß § 17 Abs. 4 LMG 1975 untersagt. In der Begründung wurde der nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensgeschehens und der angewendeten gesetzlichen Bestimmungen darauf hingewiesen, daß es schon an der Lebensmitteleigenschaft des angemeldeten Produktes fehle. Nach § 2 LMG 1975 liege ein Lebensmittel dann vor, wenn der Stoff dazu bestimmt sei, von Menschen überwiegend zu Ernährungs- oder Genußzwecken gegessen ... zu werden. Diese Frage sei anhand der Aufmachung des angemeldeten Produktes zu beurteilen. Dabei werde in hervorstechender Art und Weise darauf hingewiesen, daß das Produkt "reich an Ballaststoffen" und "wertvoll für eine geregelte Verdauung" sei sowie "zur Senkung erhöhter Cholesterinwerte empfohlen" werde. Daraus sei erwiesen, daß primärer Verwendungszweck des in Rede stehenden Erzeugnisses nicht die Zufuhr ernährungsphysiologischer Stoffe (Nährstoffe) sei, sondern Ballaststoffzufuhr zur Verdauungsregelung und Senkung des Cholesterinspiegels. Daß durch die kurmäßige Einnahme von Haferkleie im entsprechenden Ausmaß die ausgelobten Änderungen im Organismus bewirkt würden, sei seitens der belangten Behörde unwidersprochen geblieben; für die Frage der Lebensmittelqualität sei daraus jedoch keine Bestätigung ableitbar. Wenn auch die Verbrauchergruppe "Personen mit erhöhtem Cholesterinspiegel" prinzipiell als solche im Sinne des § 17 Abs. 1 LMG 1975 anzusehen wären, so sei dies im vorliegenden Fall jedoch nicht mehr relevant, zumal bereits die Frage der Lebensmitteleigenschaft verneint worden sei. Ebenso sei nicht mehr relevant, daß das angemeldete Produkt besonderen Ernährungsbedürfnissen oder der Zufuhr bestimmter Nährstoffe (die tatsächliche Effizienz von Haferkleie in der Behandlung von an erhöhtem Cholesterinspiegel leidenden Personen bzw. bei der Behandlung von Darmträgheit sei durch die von der Beschwerdeführerin vorgelegten wissenschaftlichen Arbeiten als gegeben anzunehmen) Rechnung tragen könne. Unabhängig davon, daß die Lebensmittelqualifikation im Sinne des § 2 LMG 1975 nicht als gegeben anzusehen sei, könne der Argumentation der Beschwerdeführerin auch deshalb nicht gefolgt werden, weil zwar Haferkleie und Haferflocken aus ein und derselben Getreideart durch entsprechende Verarbeitung hergestellt würden, es sich jedoch dabei um - auch im Hinblick auf die Nährwerte - verschiedene Produkte handle. Die Unterscheidbarkeit müßte zwischen Haferkleie der Beschwerdeführerin und von anderen Firmen hergestellter Ware begründet sein und zwar so, daß ein gegenüber herkömmlichen Produkten besonders ernährungsphysiologisch bedeutsamer Nährwertanteil bzw. eine andere Verarbeitungs- oder Herstellungstechnik vorliege. Die Unterscheidbarkeit der von der Beschwerdeführerin angemeldeten Haferkleie zur herkömmlichen Haferkleie sei nicht gegeben, weshalb eine Einstufung als diätetisches Lebensmittel nicht in Frage komme. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Zuziehung eines Sachverständigen aus dem Fach der Ernährungswissenschaft und Lebensmitteltechnologie sei nicht weiter zu verfolgen, weil die Frage der Einstufung bei dem in Rede stehenden Produkt eine Rechtsfrage darstelle, die einer Lösung durch Sachverständige nicht zugeführt werden könne. Von einer Übermittlung der abschließenden amtlichen Sachverständigengutachten sei Abstand genommen worden, weil eventuelle weitere Ausführungen für die Frage der Einstufung an sich nichts gebracht hätten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 17 Abs. 1 LMG 1975 sind diätetische Lebensmittel Lebensmittel besonderer Beschaffenheit, die für bestimmte Gruppen von Verbrauchern zu dem Zweck hergestellt wurden,
a) die Zufuhr bestimmter Nährstoffe oder anderer ernährungsphysiologisch wirkender Stoffe zu steigern oder zu verringern oder
b) besonderen Ernährungsbedürfnissen bei Krankheiten, Mangelerscheinungen, Funktionsanomalien und bei Überempfindlichkeit gegen einzelne Lebensmittel oder deren Bestandteile, während der Schwangerschaft und Stillzeit sowie des Säuglings oder Kleinkindes Rechnung zu tragen,
und die sich dadurch von Lebensmitteln vergleichbarer Art unterscheiden. Wahrheitsgemäße Angaben über den diätetischen Zweck sind keine nach § 9 Abs. 1 verbotenen Bezeichnungen.
Nach § 17 Abs. 2 leg. cit. ist es verboten, Lebensmittel unter einer Aufmachung oder unter Verwendung von Bezeichnungen, die die Eignung des Lebensmittels im Sinne des Abs. 1 dartun, vor ihrer Anmeldung beim Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz (derzeit: Bundesminister für Gesundheit und Konsumentenschutz) in Verkehr zu bringen.
Der zuständige Bundesminister hat gemäß Abs. 4 der genannten Gesetzesstelle durch Bescheid das Inverkehrbringen einer als diätetisches Lebensmittel angemeldeten Ware unverzüglich, längstens binnen drei Monaten zu untersagen, wenn die Ware den im Abs. 1 angeführten Anforderungen nicht entspricht oder für den vorgesehenen diätetischen Zweck nicht geeignet ist.
Gemäß § 17 Abs. 5 LMG 1975 sind mit der Anmeldung Warenmuster und jene Unterlagen vorzulegen, die eine Beurteilung im Sinne des Abs. 1 ermöglichen.
Die dreimonatige Frist des § 17 Abs. 4 LMG 1975 beginnt mit dem Einlangen der Anmeldung beim Bundesminister. Die Berechtigung der Behörde zur Untersagung des angemeldeten Produktes endet aber, wenn der Anmelder die Anmeldung zurückzieht oder durch eine Änderung zum Ausdruck bringt, daß nicht mehr die ursprüngliche, sondern nur noch die abgeänderte Fassung der Anmeldung Gegenstand des Verfahrens sein soll. Im letzteren Fall fehlt dem Bundesminister die Zuständigkeit zur Untersagung des Inverkehrbringes des ursprünglich angemeldeten Produktes; es ist nur noch eine Untersagung des durch die Abänderung angemeldeten "neuen" Produktes innerhalb der aufgrund der Abänderung neu in Gang gesetzten Untersagungsfrist zulässig.
Im Beschwerdefall begann die Dreimonatsfrist des § 17 Abs. 4 LMG 1975 für das ursprünglich angemeldete Produkt mit dem Einlangen der Anmeldung bei der belangten Behörde am 4. Dezember 1989 zu laufen. Noch vor Ablauf dieser Dreimonatsfrist modifizierte die Beschwerdeführerin mit dem bei der belangten Behörde am 5. Februar 1990 eingelangten Schreiben das angemeldete Produkt. So wurde der Hinweis "Wertvoll für eine geregelte Verdauung" in "Hilft bei Darmträgheit" geändert. Statt der allgemeinen Empfehlung für eine "ausgewogene" Ernährung wurde eine Empfehlung für eine "cholesterinbewußte" Ernährung abgegeben. Während im Zusammenhang mit der Wirkungsweise von Haferkleie ursprünglich darauf hingewiesen wurde, daß die wasserunlöslichen Ballaststoffe eine "geregelte Verdauungsregulierung bewirken", wurde in der geänderten Aufmachung hervorgehoben, daß eine "Anregung der Darmtätigkeit" erfolge. Schließlich wurde der Hinweis "Während die unlöslichen Ballaststoffe für eine verdauungsregulierende Wirkung sorgen, tragen die löslichen Ballaststoffe zur Senkung erhöhter Cholesterinspiegel bei." überhaupt weggelassen.
Daraus ergibt sich, daß von der Beschwerdeführerin eine Änderung der Beurteilungsgrundlagen vorgenommen worden ist. Mit dem Einlangen dieser wie eine Neuanmeldung zu betrachtenden Modifikation bei der belangten Behörde am 5. Februar 1990 begann daher eine neue Dreimonatsfrist für das modifizierte Produkt zu laufen. Innerhalb dieser Dreimonatsfrist, nämlich am 5. Mai 1990, wurde der angefochtene Bescheid erlassen. Die in der Beschwerde behauptete Unzuständigkeit der belangten Behörde liegt daher nicht vor.
In der Beschwerde wird ferner die Auffassung vertreten, daß die am Samstag, dem 5. März 1990, an einen Angestellten der Beschwerdeführerin, nämlich den Portier, erfolgte Zustellung nicht als Zustellung im Sinne des Zustellgesetzes (in der Folge: ZustellG) gilt. Gemäß § 16 Abs. 5 ZustellG gelte eine Ersatzzustellung als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 leg. cit. wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte; die Zustellung werde jedoch mit dem auf die Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam. Die Abwesenheit von der Abgabestelle gemäß § 13 Abs. 3 ZustellG könne daher nur eine solche sein, die eine Ersatzzustellung nicht überhaupt unzulässig mache. Eine Abwesenheit über das Wochenende erfülle daher die Voraussetzungen des § 16 Abs. 5 leg. cit. Die Zustellung sei daher frühestens am Montag, dem 7. Mai 1990, bewirkt, wobei zu diesem Zeitpunkt jedoch die Dreimonatsfrist des § 17 Abs. 4 LMG 1975 abgelaufen gewesen sei.
Der angefochtene Bescheid ist an die "XY-GmbH" gerichtet.
Nach § 13 Abs. 3 ZustellG ist, wenn der Empfänger keine natürliche Person ist, die Sendung einem zur Empfangnahme befugten Vertreter zuzustellen. Das Gesetz stellt der Behörde frei, bei der Zustellung eines seinem Inhalt nach für eine (nicht durch einen gewillkürten Bevollmächtigten vertretene) juristische Person bestimmten Schriftstücks entweder einen - individuell bestimmten - "zur Empfangnahme befugten Vertreter" oder die juristische Person selbst als Empfänger anzugeben. Die Anordnung des § 13 Abs. 3 leg. cit. bedeutet nicht, daß damit der Kreis derer, denen zugestellt werden kann, abschließend geregelt ist. Eine Ersatzzustellung ist auch in diesen Fällen zulässig; dies ergibt sich aus § 16 Abs. 1 leg. cit. (vgl. das Erkenntnis vom 19. Oktober 1992, Zlen. 91/10/0122, 0164).
Nach § 16 Abs. 1 ZustellG darf, wenn die Sendung nicht dem Empfänger zugestellt werden kann und an der Abgabestelle ein Ersatzempfänger anwesend ist, an diesen zugestellt werden (Ersatzzustellung), sofern der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält.
Nach § 16 Abs. 2 leg. cit. kann Ersatzempfänger jede erwachsene Person sein, die an der selben Abgabestelle wie der Empfänger wohnt oder Arbeitnehmer oder Arbeitgeber des Empfängers ist und die - außer wenn sie mit dem Empfänger im gemeinsamen Haushalt lebt - zur Annahme bereit ist.
Auch Arbeitnehmer einer nicht natürlichen Person (juristischen Person oder Personenvereinigung) sind für diese als solche taugliche Ersatzempfänger (vgl. das Erkenntnis vom 13. Oktober 1992, Zl. 92/07/0114).
Der bei der Beschwerdeführerin angestellte Portier war daher ein tauglicher Ersatzempfänger für den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde. Daß dieser Angestellte zur Annahme nicht bereit gewesen ist, ist nicht ersichtlich. Daß die allgemein zur Vertretung der Beschwerdeführerin befugten Personen sich nicht regelmäßig an der Abgabestelle aufhalten, wurde von der Beschwerdeführerin nicht behauptet. Ein unter § 16 Abs. 5 ZustellG zu subsumierender Fall liegt nicht vor.
In der Sache geht die belangte Behörde - insoweit zutreffend - davon aus, daß einem Produkt die Eigenschaft eines - einer individuellen Zulassung nach § 17 Abs. 4 LMG zugänglichen - diätetischen Lebensmittels zukommt, wenn
a) die Lebensmitteleigenschaft im Sinne der Begriffsbestimmung des § 2 LMG gegeben ist,
b) eine besondere Beschaffenheit vorliegt, wodurch sich das Lebensmittel signifikant von anderen ("gewöhnlichen") Lebensmitteln unterscheidet,
c) für bestimmte, nämlich die in § 17 Abs. 1 lit. a und b LMG beschriebenen Zwecke hergestellt wird, was
d) eine besondere Eignung für eine bestimmte Verbrauchergruppe bewirkt (vgl. hiezu Barfuß u.a., LebensmittelR2 I A, Kommz § 17, 4 f; Brustbauer u.a., Das Lebensmittelgesetz 1975, 92 ff).
Die belangte Behörde bejahte das Vorliegen der unter c) und
d) angeführten Tatbestandsvoraussetzungen; diese sind somit im Beschwerdeverfahren nicht weiter zu erörtern.
Ihre Auffassung, der Zulassung des vorliegenden Produktes als diätetisches Lebensmittel im Sinne des § 17 LMG stehe schon die fehlende Lebensmitteleigenschaft im Sinne des § 2 LMG entgegen, kann auf der Grundlage des festgestellten Sachverhaltes nicht geteilt werden.
Die belangte Behörde hält die Eignung des Produktes, die "ausgelobten Änderungen im Organismus" ("Senkung erhöhter Cholesterinwerte", "geregelte Verdauung") zu bewirken, für gegeben; sie vertritt jedoch die Auffassung, aus den Hinweisen auf diese Wirkungen in der Aufmachung des Produktes ergebe sich, daß primärer Verwendungszweck des in Rede stehenden Erzeugnisses nicht die Zufuhr ernährungsphysiologischer Stoffe (Nährstoffe) sei, sondern Balaststoffzufuhr zur Verdauungsregulierung und Senkung des Cholesterinspiegels.
Nach § 2 LMG kommt einem Produkt die Lebensmitteleigenschaft nur dann zu, wenn es dazu bestimmt ist, überwiegend zu Ernährungs- oder Genußzwecken gegessen, gekaut oder getrunken zu werden; es entscheidet daher die Bestimmung des Produktes über seine Lebensmitteleigenschaft. Nur dann, wenn ohne überdehnte Interpretation davon gesprochen werden kann, daß eine Ware überwiegend Ernährungs- oder Genußzwecken dient, kann von einem Lebensmittel gesprochen werden (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 30. Mai 1994, Zl. 92/10/0164, mit weiteren Judikaturhinweisen).
Bei der Prüfung der Frage, ob ein diätetisches Lebensmittel im Sinne des § 17 LMG vorliegt, ist zu berücksichtigen, daß (bei entsprechender Bedachtnahme auf die durch § 9 LMG gezogenen Grenzen) wahrheitsgemäße (nicht irreführende) Angaben über den diätetischen Zweck zulässig sind. Wollte man alleine solchen wahrheitsgemäßen Angaben über den diätetischen Zweck die Wirkung zuschreiben, daß die Lebensmitteleigenschaft des Produktes beseitigt wäre, so wären die Vorschriften über die Anmeldepflicht inhaltsleer. Diese knüpfen nämlich an die "Aufmachung" bzw. die "Verwendung von Bezeichnungen, die die Eignung des Lebensmittels im Sinne des § 1 dartun" an (vgl. § 17 Abs. 2 LMG). Folgte man der Auffassung der belangten Behörde, daß selbst wahrheitsgemäße Hinweise auf den diätetischen Zweck eines Produktes zur Folge hätten, daß dessen Lebensmitteleigenschaft verloren ginge, so verbliebe kein Anwendungsbereich für § 17 Abs. 2 LMG. Dies zeigt, daß die Verneinung der Lebensmitteleigenschaft allein wegen der vorliegenden Hinweise auf den diätetischen Zweck nicht dem Gesetz entspricht. Mit der - hier unter Bedachtnahme auf allfällige diätetische Zwecke zu lösenden - Frage, ob das Produkt dazu bestimmt ist, überwiegend Ernährungs- oder Genußzwecken zu dienen, hat sich die belangte Behörde somit nicht hinreichend auseinandergesetzt (vgl. dazu die Erwähnung der Haferkleie im ÖLMB, ..... Andere Mahlprodukte und Erzeugnisse aus Getreide 54a).
Auch mit der Auffassung, es fehle an der Unterscheidbarkeit des Produktes von "anderer Haferkleie", hat die belangte Behörde den Anforderungen an eine gesetzmäßige Begründung nicht entsprochen. Die in der Rechtsprechung (vgl. das Erkenntnis vom 24. Jänner 1983, Zl. 82/10/0162) vertretene Auffassung, das jeweilige Produkt müsse von "Lebensmitteln vergleichbarer Art" unterscheidbar sein, beruht auf dem in § 17 Abs. 1 LMG normierten Tatbestandsmerkmal "Lebensmittel besonderer Beschaffenheit, die für bestimmte Gruppen von Verbrauchern zu bestimmten (vgl. lit. a und b) Zwecken hergestellt wurden und die sich dadurch von Lebensmitteln vergleichbarer Art unterscheiden". Vergleichsmaßstab (Lebensmittel "vergleichbarer Art") ist somit jenes Lebensmittel, das zwar in die entsprechende Gruppe von Produkten fällt, aber nicht die besondere (diätetische) Zweckbestimmung im Sinne des § 17 Abs. 1 LMG aufweist. Bei der Beurteilung einer Ware nach § 17 Abs. 1 LMG ist daher vom "Standardprodukt" auszugehen; die Frage, was das Standardprodukt ist, ist nach der jeweiligen Verkehrsauffassung zu entscheiden (Barfuß aaO, FN 5).
In der Frage der "Unterscheidbarkeit" geht es somit um die an der Zweckbestimmung orientierte Abgrenzung zwischen diätetischen Lebensmitteln einerseits und nicht diätetischen Lebensmitteln ("Standardprodukten") andererseits; eine Forderung nach der Unterscheidbarkeit eines diätetischen Lebensmittels von diätetischen Lebensmitteln anderer Hersteller entspreche nicht dem Gesetz. Eine solche Auffassung würde zur Monopolisierung jenes diätetischen Lebensmittels führen, das als erstes in Verkehr gebracht wurde. Die Anmeldung gleicher Produkte anderer Hersteller müßte an der mangelnden Unterscheidbarkeit zum erstgenannten Produkt scheitern. Ein solcher Inhalt kann dem Gesetz keinesfalls unterstellt werden. Der von der belangten Behörde angestellte Vergleich zwischen dem strittigen Produkt und "anderer Haferkleie" entspräche somit nur dann dem Gesetz, wenn es sich nach der Verkehrsauffassung bei Haferkleie um das "Standardprodukt" handelte; mit anderen Worten, wenn der Haferkleie nach der Verkehrsauffassung ein diätetischer Verwendungszweck gar nicht zugeschrieben würde, sondern sie überwiegend von "normalen", das heißt keiner bestimmten Gruppe im Sinne des § 17 Abs. 1 LMG zuzurechnenden Verbrauchern zur allgemeinen Gesundheitsprophylaxe verwendet würde. Mangels näherer, auf sachverständiges Wissen gegründeter Feststellungen über die Verkehrsauffassung in diesem Bereich, die nicht schon auf Grund allgemeinen Erfahrungswissens getroffen werden können, kann somit nicht abschließend beurteilt werden, ob der von der belangten Behörde bei der Prüfung der "Unterscheidbarkeit" herangezogene Vergleichsmaßstab dem Gesetz entspricht.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 416/1994. Stempelgebührenersatz konnte nur für die in einfacher Ausfertigung vorzulegende Beschwerdeausfertigung und die Vollmacht zugesprochen werden.
Schlagworte
sachliche Zuständigkeit in einzelnen AngelegenheitenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1990100110.X00Im RIS seit
07.05.2001