TE Vwgh Erkenntnis 1995/2/28 94/04/0195

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Veröffentlicht am 28.02.1995
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §52;
GewO 1994 §28 Abs1 Z2;
VwGG §28 Abs1 Z4;
VwGG §28 Abs1 Z5;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Pallitsch und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär MMag. Dr. Balthasar, über die Beschwerde der H in Wien, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 9. August 1994, Zl. MA 63-St 166/94, betreffend Verweigerung der Nachsicht vom Befähigungsnachweis (mitbeteiligte Partei: Wirtschaftskammer Wien, Landesinnung Wien der Fußpfleger, Kosmetiker und Masseure), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 13.140,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Schriftsatz vom 15. April 1994 suchte die Beschwerdeführerin beim Magistrat der Stadt Wien, Magistratischem Bezirksamt für den 4. und 5. Bezirk, um Nachsicht vom Befähigungsnachweis für das Gewerbe "Fußpfleger (§ 124 Z. 8 GewO 1994)" mit folgender Begründung an:

"Ich habe mir durch jahrelange kaufmännische Tätigkeit, Kosmetikausbildung und Lehrabschlußprüfung als Fußpfleger die notwendigen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen für die Ausübung des Gewerbes angeeignet (siehe Beilagen). Aufgrund meines Alters und meiner angegriffenen Gesundheit

(2 Bandscheibenoperationen) sehe ich mich derzeit nicht in der Lage, die vorgeschriebene Prüfung abzulegen. Da das Geschäft zur Zeit keine zusätzliche Arbeitskraft trägt, bin ich gezwungen, die Aufgaben eines gewerberechtlichen Geschäftsführers selbst wahrzunehmen."

Der Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 4./5. Bezirk, erteilte mit Bescheid vom 16. Mai 1994 die begehrte Nachsicht. Aufgrund der gegen diesen Bescheid von der mitbeteiligten Partei erhobenen Berufung entschied der Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 9. August 1994 dahin, dem Ansuchen der Beschwerdeführerin "gemäß § 28 Abs. 1 Z. 2 GewO 1994 keine Folge" zu geben. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, bereits aufgrund der Begründung des Nachsichtsansuchens könne angenommen werden, daß außer Streit stehe, daß die Beschwerdeführerin nicht die volle Befähigung gemäß § 28 Abs. 1 Z. 1 GewO 1994 besitze. Aus den vorgelegten Ausbildungsnachweisen und beruflichen Verwendungen der Beschwerdeführerin könne aber auch nicht deren hinreichende tatsächliche Befähigung abgeleitet werden. Diese sei nur dann gegeben, wenn die Ausbildung und die bei den bisherigen Tätigkeiten erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erwarten ließen, daß der Nachsichtswerber damit in der Lage sei, die in der Regel von Inhabern des betreffenden Gewerbes verlangten Leistungen zu erbringen. Eine praktische Tätigkeit im Bereich der Fußpflege könne die Beschwerdeführerin erst ab dem 1. Februar 1993 nachweisen. Vorher sei weder eine einschlägige Ausbildung noch eine einschlägige Tätigkeit absolviert worden. Die Lehrabschlußprüfung im Lehrberuf Fußpfleger sei am 11. April 1994 abgelegt worden. Die Zeit zwischen dem 1. Februar 1993 und dem 11. April 1994 sei mangels jeglicher einschlägiger Vorbildung der Antragstellerin mit der Lehrzeit gleichzusetzen, in der Kenntnisse und Erfahrungen erst nach und nach erworben würden und keine selbständige und eigenverantwortliche fachliche Tätigkeit im gesamten Gewerbe erfolge. Damit könne erst mit Abschluß der Lehrabschlußprüfung bei der Beschwerdeführerin die umfassende theoretische Grundlage für die fachlich einwandfreie Erbringung von Leistungen, wie sie im Gewerbe der Fußpflege üblich seien, angenommen werden. Wenngleich die Vorschriften der Befähigungsnachweisverordnung BGBl. Nr. 628/90 den Maßstab für die volle Befähigung darstellten und bei der Lösung der Frage, ob die hinreichende tatsächliche Befähigung gegeben sei, nicht vollständig heranzuziehen seien, so sei doch zu berücksichtigen, daß erst eine mehrjährige praktische Tätigkeit nach der Lehrabschlußprüfung die Voraussetzung für ein Antreten zur Befähigungsprüfung und damit den Erwerb der vollen Befähigung schaffe. Daraus müsse abgeleitet werden, daß nur durch die Ablegung der Lehrabschlußprüfung noch keinesfalls sämtliche Kenntnisse, Fähigkeiten und vor allem Erfahrungen vorlägen, um das Gewerbe Fußpfleger als Gewerbeinhaber oder gewerberechtlicher Geschäftsführer ausüben zu können. Verglichen mit der praktischen Tätigkeit von 3 Jahren für den Erwerb der vollen Befähigung sei ein Zeitraum von 4 Monaten für die Annahme der hinreichenden tatsächlichen Befähigung zu kurz.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die dem Verwaltungsgerichtshof vorliegende Beschwerde.

Die belangten Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Partei eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem "Recht verletzt, Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis erteilt zu bekommen, wenn die in § 28 GewO angeführten Gründe vorliegen. Weiters wurde im Berufungsverfahren mein Recht auf Parteiengehör nicht gewahrt, weil mir trotz von der der ersten Instanz abweichenden beabsichtigten Wertung der vorgelegten Nachweise über meine Ausbildungen etc. keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, um die Ansicht der Berufungsinstanz, die vorgelegten Zeugnisse etc. reichen nicht aus, um eine hinreichende tatsächliche Befähigung ableiten zu können, zu entkräften." In Ausführung dieses so formulierten Beschwerdepunktes trägt die Beschwerdeführerin im wesentlichen vor, die Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis sei bereits dann zu erteilen, wenn die hinreichende tatsächliche Befähigung des Nachsichtswerbers angenommen werden könne, so daß keine volle Befähigung erforderlich sei. Die belangte Behörde habe dennnoch die Vorschriften der Befähigungsnachweisverordnung, die den Maßstab für die volle Befähigung darstellten, in der Bescheidbegründung vollinhaltlich herangezogen, weil angeführt werde, daß nur durch die Ablegung der Lehrabschlußprüfung noch keineswegs sämtliche Kenntnisse, um das Gewerbe als gewerberechtliche Geschäftsführerin ausüben zu können, vorlägen. Da eben hinreichende Kenntnisse ausreichten, sei dies gar nicht erforderlich. Aufgrund der vorgelegten Zeugnisse hätte die belangte Behörde jedenfalls das Vorliegen hinreichender kaufmännischer Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen, um ein Gewerbe selbstständig führen zu können, als gegeben annehmen müssen. Hinsichtlich der fachspezifischen Kenntnisse vermeine die belangte Behörde, den Zeitpunkt des Abschlusses der Lehrabschlußprüfung als Zeitpunkt werten zu können, zu welchem diese erstmalig vorgelegen seien. Dies sei schon deswegen unrichtig, weil die fachspezifischen Kenntnisse schon vor Ablegung der Prüfung vorgelegen sein könnten und im gegenständlichen Fall auch seien; dies wäre dem Behördenakt schon deswegen zu entnehmen gewesen, weil die Beschwerdeführerin innerhalb kürzester Zeit infolge Ablebens der früheren gewerberechtlichen Geschäftsführerin zum Antritt zu dieser Prüfung gezwungen worden sei. Die Beschwerdeführerin hätte diese Prüfung sicher nicht bestanden, wenn sie sich die Kenntnisse erst innerhalb kürzester Frist hätte erwerben müssen. Überdies hätte berücksichtigt werden müssen, daß die Beschwerdeführerin infolge der schon jahrelang unter Beweis gestellten allgemeinen wirtschaftlichen Kenntnisse sich spätestens seit 1. Februar 1993 auf die fachspezifische Ausübung des Gewerbes der Fußpfleger habe konzentrieren können. Im angefochtenen Bescheid sei nicht einmal konkretisiert, welche Fähigkeiten der Beschwerdeführerin "denn wirklich" zur selbständigen Ausübung des Gewerbes fehlen sollten. Insoweit sei der Bescheid mangelhaft begründet und nicht ausreichend überprüfbar.

Mit diesem Vorbringen ist die Beschwerdeführerin im Recht:

Gemäß § 28 Abs. 1 GewO 1994 ist - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahme abgesehen - die Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis zu erteilen, wenn

1. nach dem Bildungsgang und der bisherigen Tätigkeit des Nachsichtswerbers angenommen werden kann, daß er die für die Gewerbeausübung erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen (volle Befähigung) besitzt und keine Ausschlußgründe gemäß § 13 vorliegen oder

2. eine hinreichende tatsächliche Befähigung des Nachsichtswerbers angenommen werden kann, keine Ausschlußgründe gemäß § 13 vorliegen und

a) dem Nachsichtswerber die Erbringung des vorgeschriebenen Befähigungsnachweises wegen seines Alters, seiner mangelnden Gesundheit oder aus sonstigen, in seiner Person gelegenen wichtigen Gründen nicht zuzumuten ist,

oder

b) wenn besondere örtliche Verhältnisse für die Erteilung der Nachsicht sprechen.

Aus der oben wiedergegeben Formulierung des für das verwaltungsgerichtliche Verfahren maßgeblichen Beschwerdepunktes im Sinne des § 28 Abs. 1 Z. 4 VwGG geht der Verwaltungsgerichtshof zunächst - wobei darauf hingewiesen wird, daß die Geltendmachung der Verletzung des Rechtes auf Parteiengehör nicht zum Beschwerdepunkt, sondern zu den BeschwerdeGRÜNDEN im Sinne des § 28 Abs. 1 Z. 5 VwGG zu zählen ist - in Verbindung mit den oben wiedergegebenen Beschwerdeausführungen davon aus, daß sich die Beschwerdeführerin (lediglich) in ihrem Recht auf Nichtgewährung der Nachsicht nach § 28 Abs. 1 Z. 2 GewO 1994 verletzt erachtet.

Die belangte Behörde hat das Vorliegen des nach dieser Gesetzesstelle als eines von mehreren maßgeblichen Tatbestandsmerkmales der "hinreichenden tatsächlichen Befähigung" der Beschwerdeführerin verneint und sich dabei auf den seit der Ablegung der Lehrabschlußprüfung bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides verstrichenen Zeitraum von lediglich 4 Monaten gestützt.

Wie nun der Verwaltungsgerichtshof bereits zur diesbezüglich vergleichbaren Bestimmung des § 14c GewO 1859 ausgesprochen hat, darf die hinreichende tatsächliche Befähigung eines Nachsichtswerbers nicht deshalb verneint werden, weil dieser nicht solche Verwendungszeiten nachgewiesen hat, wie sie als Voraussetzung für die Zulassung zur Meister- bzw. Befähigungsnachweisprüfung gefordert werden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 4. März 1958, Zl. 2525/54 und vom 9. April 1958, Zl. 1265/56). Ob eine hinreichende tatsächliche Befähigung (zur Bestimmung dieses Begriffes vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom 4. März 1958 sowie jüngst dasjenige vom 28. Juni 1994, Zl. 94/04/0042) des Nachsichtswerbers im Einzelfall vorliegt, wird die Gewerbebehörde in der Regel vielmehr erst dann rechtsirrtumsfrei beurteilen können, wenn sie das Ermittlungsverfahren so gestaltet hat, daß sie aufgrund des Ergebnisses dieses Verfahrens in der Lage ist, folgende Fragen zu beantworten:

1. welche Leistungen im Rahmen des vom Nachsichtswerbers angestrebten Gewerbes in der Regel zu erbringen sind,

2. welche Tätigkeiten beherscht werden müssen, um solche Leistungen zufriedenstellend zu verrichten,

3. auf welche Weise der Nachsichtswerber die von ihm behaupteten Kenntnisse und Fähigkeiten erworben hat (vgl. sinngemäß nochmals das hg. Erkenntnis vom 9. April 1958). Zur Ermittlung des danach maßgeblichen Sachverhaltes hat die Behörde allenfalls auch einen Sachverständigenbeweis - etwa auch in Gestalt einer informativen Befragung des Nachsichtswerbers durch den Sachverständigen - aufzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 1960, Zl. 1374/58).

Den Nachsichtswerber trifft dabei, wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt dargelegt hat, eine Mitwirkungspflicht (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom 9. April 1958 sowie weiters das Erkenntnis vom 9. September 1960, Zl. 3149/58). Gleichwohl ist es ZUVOR Aufgabe der Behörde, der Partei mitzuteilen, mit welchen Angaben bzw. welchem Verhalten sie ihrer Verpflichtung zur Mitwirkung bei der Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes zu entsprechen hätte. Eine nicht gehörige Mitwirkung unterliegt DANN der freien Beweiswürdigung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 1994, Zl. 94/04/0125).

In offensichtlicher Verkennung der Rechtslage hat es die belangte Behörde unterlassen, (im oben dargestellten Sinne) taugliche Ermittlungsschritte zu setzen. Sie hat auch nicht etwa - und zwar in nachvollziehbarer Weise - dargetan, daß die oben für den Regelfall dargelegten Ermittlungsschritte im Hinblick auf die besondere Lage des Falles entbehrlich gewesen wären. Sie ist lediglich von der nach Ablegung der Lehrabschlußprüfung verbrachten berufsspezifischen Zeit ausgegangen. Die belangte Behörde belastete damit den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft nicht erforderlichen Stempelgebührenaufwand für die zweite Abschrift des angefochtenen Bescheides.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Sachverständigenbeweis Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994040195.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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