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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
ABGB §1332;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Stöberl, Dr. Holeschofsky und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. April 1993, Zl. 4.327.454/4-III/13/92, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist in einer Angelegenheit des Asylwesens, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. April 1993 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Bangladesch, gegen den Bescheid der Sichterheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 2. März 1992, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist in einer Angelegenheit des Asylwesens abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der Beschwerdeführer hat seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gegen den, seine Flüchtlingseigenschaft verneinenden Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 26. November 1991 im wesentlichen damit begründet, er habe sich, nachdem ihm dieser Bescheid (am 3. Dezember 1991) zugestellt worden wäre, zwecks "Abfassung des Berufungsantrages" an die Evangelische Flüchtlingsberatungsstelle Traiskirchen gewendet. Angesichts einer Fülle von Hilfeansuchen sei eine "sofortige Erledigung" zwar nicht möglich gewesen, jedoch die Verfassung einer Berufung (auf einem vom Beschwerdeführer vorunterfertigten Papier) zugesagt worden. Der damit betraute Mitarbeiter der Evangelischen Flüchtlingsberatung habe allerdings den Handkoffer, in dem sich die Berufungsunterlagen des Beschwerdeführers befunden hätten, "vorübergehen verloren", was zu einer Versäumung der Berufungsfrist geführt habe. Zum Verlust des Koffers sei es auf folgende Weise gekommen: Der Mitarbeiter bei der Evangelischen Flüchtlingsberatungsstelle sei am Freitag den 13. Dezember 1991 bis gegen 22.00 Uhr im Evangelischen Pfarrgemeindesaal in Traiskirchen beschäftigt gewesen. Anschließend sei er, um sich nach dem nächsten Zug nach Baden zu erkundigen, zum Bahnhof gefahren, wo allerdings eine Rauferei im Gange gewesen sei, in die auch "Bekannte von der Oasis verwickelt" gewesen seien. Der Mitarbeiter habe schlichtend einzugreifen versucht und er sei in der Folge von der einschreitenden Polizei aufs Kommissariat "mitgenommen" worden. Dort habe sich seine Unschuld herausgestellt und er sei mit dem Kleinbus der Oasis gegen 0.15 Uhr nach Hause gebracht worden. Beim Ausladen seines Fahrrades und seiner zwei Taschen aus dem Kleinbus habe er dann den Handkoffer mit den Berufungsunterlagen des Beschwerdeführers "wahrscheinlich aus Übermüdung" neben dem Gehsteig stehen gelassen. Er habe das Fehlen des Koffers zwar gleich am Morgen bemerkt, sei sich jedoch sicher gewesen, daß sich dieser noch im Kleinbus befinde. Er habe sich daher entschlossen, den Koffer erst am Montag, wenn in der Oasis wieder gearbeitet würde, zu holen. Am Montag dem 16. Dezember 1991 habe er sich "kurz nach Mittag" davon überzeugen können, daß der Koffer nicht im Kleinbus war. Da über das Wochenende drei verschiedene Personen mit dem Bus gefahren seien, sei wertvolle Zeit vergangen, bis diese Personen kontaktiert hätten werden können und als Ergebnis festgestanden wäre, daß der Koffer offensichtlich nicht im Bus vergessen worden war. Der Mitarbeiter der Flüchtlingsberatung habe in der Folge gegen 17.30 Uhr beim Fundamt der Stadtpolizei Baden angerufen, sei aber auf der nächsten Tag "vertröstet" worden. An diesem Tag (dem letzten Tag der Berufungsfrist gegen den genannten Bescheid) habe er in der Früh vom Fundamt die Auskunft erhalten, daß der Koffer tags zuvor an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich geschickt worden sei, wo er - nachdem alle Bemühungen, "das Paket unterwegs abzufangen" gescheitert seien - erst am 19. Dezember 1992 angekommen, dann aber dem Mitarbeiter der Flüchtlingsberatung sogleich ausgefolgt worden sei.
Die belangte Behörde hat den Umstand, daß der Mitarbeiter der Flüchtlingsberatung den Koffer mit den Berufungsunterlagen des Beschwerdeführers am Gehsteig "schlichtweg vergessen" habe, angesichts der besonderen Verantwortung, die der Flüchtlingsbetreuer durch die Zusage der Abfassung einer Berufung für den Beschwerdeführer übernommen habe, einerseits als grob fahrlässiges Verhalten bewertet und andererseits auf höchstgerichtliche Judikatur verwiesen, wonach ein bloßes Versehen nicht als ein einen Wiedereinsetzungsgrund bildendes Ereignis angesehen werden könne. Diesem Mitarbeiter liege - so die belangte Behörde - weiters zur Last, daß er, selbst als er das Fehlen des Koffers bemerkt habe, nicht sofort tätig geworden sei, sondern erst am 16. Dezember 1991 die Oasis kontaktiert habe, obwohl ihm Mitarbeiter der Oasis offensichtlich persönlich bekannt gewesen seien und er diese daher auch am Wochenende kontaktieren und auf diese Weise nachforschen hätte können, ob sich der Koffer im Kleinbus befinde. "Gegebenenfalls" hätte er schon vor dem 16. Dezember 1992, bevor der Koffer nach Wien gesandt worden sei, beim Fundamt der Stadtpolizei Baden anfragen können. Da der Flüchtlingsbetreuer somit die Möglichkeit gehabt hätte, bereits vor dem 16. Dezember 1991 wieder in den Besitz des Koffers zu kommen, sei er nicht durch ein unabwendbares oder unvorhergesehenes Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ohne sein Verschulden, abgesehen von einem minderen Grad des Versehens gehindert gewesen, die Berufungsfrist einzuhalten und es sei daher der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht abgewiesen worden.
Die Beschwerde erweist sich aus folgenden Gründen als nicht berechtigt:
Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Voraussetzung dieses Wiedereinsetzungsgrundes ist also zunächst ein für die Versäumung kausales Ereignis. Hierunter ist nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes jedes Geschehen - ohne jede Beschränkung auf Vorgänge in der Außenwelt - zu verstehen (vgl. dazu die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4 (1990) 622 f referierte hg. Judikatur). Dieses Ereignis muß für die Partei allerdings unvorhergesehen oder unabwendbar sein, wobei sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens treffen darf. Unvorhergesehen ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ein Ereignis, wenn die Partei es tatsächlich nicht mit einberechnet hat und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten konnte; es ist unabwendbar, wenn sein Eintritt objektiv von einem Durchschnittsmenschen nicht verhindert werden kann (vgl. z.B. den Beschluß eines verstärkten Senates vom 25. März 1976, VwSlg. 9024 A). Das in diesen Begriffen somit gelegene Moment der Sorgfaltspflicht (vgl. Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts5 (1991) RZ 618) ist dahin zu verstehen, daß diese Pflicht dann noch gewahrt ist, wenn der Partei nur ein minderer Grad des Versehens unterläuft. Ein solcher "minderer Grad des Versehens" liegt nur dann vor, wenn es sich um leichte Fahrlässigkeit handelt, also dann, wenn ein Fehler begangen wird, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht, nicht aber dann, wenn die Partei auffallend sorglos gehandelt hat (vgl. z. B. den hg. Beschluß vom 28. April 1994,
Zlen. 94/16/0066, 0067).
Ob ein solches Ereignis schließlich die Partei selbst oder ihren - bevollmächtigten oder lediglich im Innenverhältnis ermächtigten - Vertreter behindert, macht keinen Unterschied; ein Verschulden, das den Vertreter der Partei trifft, ist so zu behandeln, als wäre es der Partei selbst unterlaufen (vgl. die bei Ringhofer, Verwaltungsverfahren I (1987) 747 f referiert hg. Judikatur).
Ausgehend von dieser Rechtslage ist im Verlust des Handkoffers mit den Berufungsunterlagen, der sich in der Verfügungsgewalt des als - im Innenverhältnis ermächtigten - Vertreters des Beschwerdeführers anzusehenden Mitarbeiters der Evangelischen Flüchtlingsberatung befand, zwar zunächst ein die Kriterien der Unvorhergesehenheit bzw. Unabwendbarkeit erfüllendes Ereignis zu sehen, wobei kein Anhaltspunkt dafür besteht, daß diesem Mitarbeiter eine Verletzung der ihm in diesem Zusammenhang obliegenden Sorgfaltspflicht zur Last liege, die über den minderen Grad des Versehens hinausgeht. Gerade angesichts der vorhergehenden Ereignisse, in die der Mitarbeiter ohne sein Verschulden involviert war, kann jedenfalls nicht ohne nähere Begründung angenommen werden, der Handkoffer wäre aufgrund auffallender Sorglosigkeit neben dem Gehsteig vergessen worden.
Allerdings hat dieser Mitarbeiter - im Gegensatz zu den Beschwerdebehauptungen - in der Folge keineswegs alle gebotenen und ihm zumutbaren Maßnahmen ergriffen um sich wiederum in den Besitz des Koffers zu setzen und so das die Einbringung der Berufung hindernde Ereignis zu beenden. Obwohl ihm, wie die belangte Behörde von der Beschwerde unwidersprochen ausführt, Mitarbeiter der Oasis persönlich bekannt waren, hat er es nämlich unterlassen, mit diesen unverzüglich Kontakt aufzunehmen, sobald ihm der Verlust des Koffers bewußt wurde. Vielmehr hat er entsprechende Nachforschungen - trotz Kenntnis vom Ende der Berufungsfrist am Dienstag, den 17. Dezember 1991 - erst am Montag, den 16. Dezember 91 angestellt, wobei er sich - nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers - erst "kurz nach Mittag" dieses Tages davon überzeugen konnte, daß der Koffer nicht im Kleinbus war. Dieses mangelnde Interesse an der unverzüglichen Wiederbeschaffung des Handkoffers kann allerdings nicht anders denn als auffallend sorglos beurteilt werden.
Es kann daher der belangten Behörde im Ergebnis nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie den geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrund als nicht erfüllt ansah.
Die somit unbegründete Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994190017.X00Im RIS seit
20.11.2000