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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1991 §11;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des E, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. Mai 1993, Zl. 4.331.548/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770.-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der "ehemaligen UdSSR", der am 10. November 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 22. Jänner 1992, mit dem festgestellt worden war, bei ihm lägen die Voraussetzungen für seine Anerkennung als Flüchtling nicht vor, mit Berufung bekämpft.
Mit Bescheid vom 19. Mai 1993 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und versagte die Gewährung von Asyl.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Der vorliegende Beschwerdefall gleicht hinsichtlich der Frage der Flüchtlingseigenschaft in allen für die Entscheidung relevanten Einzelheiten (Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Asylgesetz 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94, Kundmachung vom 5. August 1994, BGBl. Nr. 610/1994) jenem, der dem hg. Erkenntnis vom 25. August 1994, Zl. 94/19/0435, zugrundelag. Auf dieses Erkenntnis wird daher gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen, wobei eine Ausfertigung zur Information angeschlossen ist.
Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid aber auch damit begründet, daß der Beschwerdeführer, der bei seiner Ersteinvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien am 13. Jänner 1992 angegeben hat, sich vor seiner Einreise in das Bundesgebiet in Ungarn aufgehalten zu haben, bereits in Ungarn vor Verfolgung sicher gewesen sei, weshalb ausgehend von § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 die Gewährung von Asyl gemäß § 3 leg. cit. nicht in Betracht komme. Die belangte Behörde befaßte sich hiebei näher mit dem Begriff der "Verfolgungssicherheit", wobei sie im wesentlichen im Einklang mit der ständigen Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes (beginnend mit dem Erkenntnis vom 27. Mai 1993, Zl. 93/01/0256, und insbesondere dem hg. Erkenntnis vom 24. November 1993, Zl. 93/01/0357), auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, die Rechtslage richtig erkannt hat.
Der Beschwerdeführer hat in der Beschwerde insbesondere geltend gemacht, es sei ihm trotz begehrter Akteneinsicht nicht möglich gewesen, Kenntnis davon zu erlangen, welche Ermittlungen die belangte Behörde gepflogen habe. Auch stehe nicht fest, ob der Beschwerdeführer sich durch Stellung eines Asylantrages in Ungarn weiterer Verfolgung hätte entziehen können.
Mit diesem Vorbringen macht der Beschwerdeführer zutreffend geltend, daß keine ausreichenden Ermittlungen gepflogen wurden, um annehmen zu können, Ungarn biete als Zufluchtsstaat von seiner effektiv geltenden Rechtsordnung her einen dem Standard der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechenden Schutz.
Diese Ausführungen sind nach Maßgabe der den Beschwerdeführer im Verfahren treffenden Mitwirkungspflicht ausreichend konkretisiert, um die Wesentlichkeit der der belangten Behörde unterlaufenen Verletzung von Verfahrensvorschriften (Parteiengehör, Ermittlungs- und Begründungspflicht) zu erkennen. Die Mitwirkungspflicht der Partei geht nicht so weit, daß sich die Behörde ein ordnungsgemäßes Verfahren ersparen könnte, zu dessen Durchführung sie (hier gemäß §§ 11 und 16 Asylgesetz 1991 in Verbindung mit §§ 39, 45 und 60 AVG) verpflichtet ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. April 1984, Zl. 81/05/0019, u.v.a.). Der Mitwirkungspflicht kommt dort Bedeutung zu, wo es der Behörde nicht möglich ist, von sich aus und ohne Mitwirkung der Partei tätig zu werden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 23. Jänner 1987, Zl. 86/11/0044, und vom 27. April 1993, Zl. 91/08/0123). Dies trifft auf die allgemein in Ungarn beobachtete Vorgangsweise betreffend den Schutz von Flüchtlingen vor Rückschiebung in ihren Heimatstaat nicht zu. Die Pflicht eines Beschwerdeführers zur Darlegung der Wesentlichkeit von Verfahrensmängeln vor dem Verwaltungsgerichtshof geht nicht weiter als seine Mitwirkungspflicht im Verwaltungsverfahren gegangen wäre, hätte die belangte Behörde die Verfahrensvorschriften beachtet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0413).
Der Beschwerdeführer hat diese Einwendungen zwar erstmals in der Beschwerde erhoben, doch wurde ihm im Verwaltungsverfahren - die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien ist zufolge der von ihr anzuwendenden Rechtslage des Asylgesetzes (1968) nicht von Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers in Ungarn ausgegangen - nicht Gelegenheit geboten, zur Frage der Verfolgungssicherheit in diesem Staat Stellung zu nehmen, weshalb seine Rüge, es lägen in dieser Hinsicht Verfahrensverletzungen vor, berechtigt ist. Daraus ergibt sich weiters, daß der Beschwerdeführer mit diesem Vorbringen nicht dem gemäß § 41 Abs. 1 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot unterliegt.
Die belangte Behörde hat somit dadurch, daß sie den angefochtenen Bescheid ohne Vorliegen von - unter dem Blickwinkel der Beschwerdeausführungen - entsprechenden Ergebnissen eines unter Wahrung des Parteiengehörs durchgeführten Ermittlungsverfahrens erlassen hat, diesen mit wesentlichen Verfahrensmängeln belastet.
Da - wie oben aufgezeigt - der angefochtene Bescheid auch mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet ist, und die Aufhebung eines Bescheides aus diesem Grund einer solchen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht (vgl. die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Wien 1987, S 572, zweiter Absatz, angeführte Judikatur), war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.
Schlagworte
Begründungspflicht Manuduktionspflicht Mitwirkungspflicht Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung MitwirkungspflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994190485.X00Im RIS seit
20.11.2000