Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 1991 §7 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Stöberl, Dr. Holeschofsky und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des O in T, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. Dezember 1993, Zl. 4.337.350/1-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Somalias. Am 26. März 1992 reiste er in das Bundesgebiet ein und stellte am 31. März 1992 den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Mit Bescheid vom 6. Mai 1992 (zugestellt am 20. Mai 1992) stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei.
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. Dezember 1993 wurde in Erledigung der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 6. Mai 1992 der Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 AsylG 1991 abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 13. Juni 1994, B 212/94-8, infolge Ablehnung ihrer Behandlung dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetretene Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer, ohne sich mit seiner Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Z. 1 AsylG 1991 auseinanderzusetzen, deshalb kein Asyl gemäß § 3 leg. cit. gewährt, weil sie der Ansicht war, daß bei ihm der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. gegeben sei, wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war. Sie ging von den Angaben des Beschwerdeführers in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 7. April 1992 aus, nach denen er sich vor seiner Einreise in das Bundesgebiet in Italien aufgehalten habe. In rechtlicher Hinsicht befaßte sich die belangte Behörde mit dem Begriff der "Verfolgungssicherheit" im Sinne der genannten Gesetzesstelle.
Soweit der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt der inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides vorbringt, ihm sei bescheinigt worden, daß er fristgerecht den Asylantrag gestellt habe und zum vorläufigen Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sei (§ 7 Abs. 1 AsylG 1991), weshalb die belangte Behörde nicht davon hätte ausgehen dürfen, daß er in Italien vor Verfolgung sicher gewesen sei (vgl. § 6 Abs. 2 leg. cit.), übersieht er, daß der Bescheinigung gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 1991 über die vorläufige Aufenthaltsberechtigung ein Bescheidcharakter nicht zukommt und sie nur rein deklarative Bedeutung hat (vgl. die Materialien, abgedruckt bei Schmidt-Aigner-Taucher-Petrovic, Fremdenrecht, 294); sie präjudiziert den Ausgang des Asylverfahrens nicht, ihre Richtigkeit kann durch die Ergebnisse des Asylverfahrens widerlegt werden (vgl. § 47 AVG, § 292 ZPO).
Der Beschwerdeführer wendet sich jedoch auch gegen die Annahme der belangten Behörde, daß er in Italien vor Verfolgung sicher gewesen sei. Er rügt unter dem Gesichtspunkt der Verletzung seines Rechts auf Parteiengehör das Fehlen von Feststellungen zur Frage, ob er in Italien tatsächlich ausreichenden Rückschiebungsschutz genossen hätte. Würde die Behauptung hinsichtlich des mangelnden Rückschiebungsschutzes zutreffen, so könnte nicht mehr ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß der Beschwerdeführer bereits in Italien vor Verfolgung sicher gewesen sei.
Der Beschwerdeführer hat diese Behauptungen zwar erstmals in der Beschwerde aufgestellt, doch wurde ihm im Verwaltungsverfahren nicht Gelegenheit geboten, zur Frage der Verfolgungssicherheit Stellung zu nehmen, weshalb der Beschwerdeführer mit diesem Vorbringen nicht dem gemäß § 41 Abs. 1 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot unterliegt.
Die belangte Behörde hat dadurch, daß sie den angefochtenen Bescheid ohne Vorliegen von - unter dem Blickwinkel der Beschwerdeausführungen - entsprechenden Ergebnissen eines unter Wahrung des Parteiengehörs durchgeführten Ermittlungsverfahrens erlassen hat, diesen mit Verfahrensmängeln belastet. Sie hat dadurch Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.
Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Bescheidbegriff Mangelnder Bescheidcharakter Besondere Rechtsgebiete Diverses Bescheidbegriff Mangelnder Bescheidcharakter Beurkundungen und BescheinigungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994191252.X00Im RIS seit
11.07.2001