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19/05 Menschenrechte;Norm
FrG 1993 §18 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des M in Wien, vertreten durch Dr. Z, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 14. Dezember 1994, Zl. SD 928/94, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 14. Dezember 1994 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen polnischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 sowie Abs. 2 Z. 1 und 2 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
Der Beschwerdeführer sei erstmals im Jahr 1989 in Österreich - aufgrund eines tätlichen Angriffes gegen ein Organ der Sicherheitsexekutive - "polizeilich in Erscheinung getreten". In der Folge sei er insgesamt dreimal, und zwar wegen dieses tätlichen Angriffes gemäß § 270 StGB, weiters wegen vorsätzlicher Sachbeschädigung und sodann wegen gefährlicher Drohung, vorsätzlicher Körperverletzung und Widerstandes gegen die Staatsgewalt in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand verurteilt worden. Zwei dieser Straftaten richteten sich gegen dasselbe Rechtsgut (Schutz der Staatsgewalt) und alle Delikte gründeten sich auf denselben Charaktermangel (aggressives Verhalten infolge Alkoholisierung). Der Beschwerdeführer sei daher in mehrfacher Hinsicht wegen strafbarer Handlungen, die i.S. des § 71 StGB auf der gleichen schädlichen Neigung beruhten, verurteilt worden. Es lägen daher die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG vor.
Bei einer Überprüfung am 18. Juni 1994 sei der Beschwerdeführer wiederum, wie in allen früheren Fällen, alkoholisiert und aggressiv gewesen; er sei in der Folge wegen aggressiven Verhaltens nach dem Sicherheitspolizeigesetz bestraft worden.
Weiters habe sich herausgestellt, daß der beschriebene Charaktermangel des Beschwerdeführers (Neigung zur Begehung strafbarer Handlungen im Zustand der Alkoholisierung) schwerwiegende Auswirkungen auf sein Verhalten im Straßenverkehr habe. Nicht nur, daß der Beschwerdeführer schon im Jahr 1990 wegen Verweigerung des Alkotests bestraft worden sei, sei er im Jahr 1994 neuerlich wegen dieses Deliktes, und darüber hinaus in den Jahren 1993 und 1994 zweimal wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges ohne Lenkerberechtigung bestraft worden. Es lägen damit insgesamt vier schwerwiegende Übertretungen verwaltungsrechtlicher Vorschriften vor, womit auch der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG erfüllt sei. Bei dieser Sachlage gefährde das Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers - im übrigen sei ihm bereits zum zweiten Mal die Lenkerberechtigung, nunmehr für die Dauer von 15 Monaten, entzogen worden - nicht nur die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Bereich des Straßenverkehrs, sondern laufe auch den im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Interessen (hier:
Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Gesundheit und der Rechte anderer sowie Schutz der inneren Sicherheit und jener Organe, die dafür zu sorgen hätten) zuwider, sodaß auch die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 FrG vorlägen.
Da der Beschwerdeführer seit etwa fünf Jahren mit seiner Familie in Österreich lebe, sei mit dem Aufenthaltsverbot ohne jeden Zweifel ein nicht unbeträchtlicher Eingriff in sein Privat- und Familienleben verbunden. Dessen ungeachtet sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der genannten Ziele des Art. 8 Abs. 2 MRK dringend geboten, weil der Beschwerdeführer seit seinem "Auftreten" bis zum heutigen Tag immer wieder bewiesen habe, daß er seine "Trinkgewohnheit nicht im Griff hat" und im betrunkenen Zustand immer wieder strafbare Handlungen begangen habe. Von einer bloßen Identitätskrise zu Beginn seines Aufenthaltes in Österreich könne dabei ebensowenig die Rede sein, wie von einem bloß lausbubenhaften Benehmen.
Die beschriebenen nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes seien evident und die belangte Behörde sei der Auffassung, daß die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie - das Kind gehe noch zur Schule -, die, wolle sie vereint bleiben, Österreich verlassen und anderswo Aufenthalt nehmen müsse, nicht so schwer wögen.
Angesichts der sich über fünf Jahre hinziehenden, auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Rechtsbrüche vermöge die belangte Behörde nicht zu erkennen, daß sich das Verhalten des Beschwerdeführers bald ändern werde. Die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes erscheine mit Rücksicht auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände i.S. des § 21 Abs. 2 FrG gerechtfertigt.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der (der Sache nach) Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden und aus diesen Gründen die Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Die Beschwerde wendet sich zunächst gegen die Ansicht der belangten Behörde, es sei der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt. Wenn der Täter in der vollen Berauschung verschiedenartige strafbare Handlungen begehe, so begründe die Tatsache der jeweiligen vollen Berauschung allein noch nicht die gleiche schädliche Neigung, weil darunter nur die kriminelle Neigung verstanden werden könne.
1.2. Gemäß § 71 StGB beruhen auf der gleichen schädlichen Neigung mit Strafe bedrohte Handlungen, wenn sie gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet oder auf gleichartige verwerfliche Beweggründe oder auf den gleichen Charaktermangel zurückzuführen sind.
Selbst wenn man der oben wiedergegebenen Beschwerdemeinung folgte, wäre damit für den Beschwerdeführer nichts gewonnen, denn der belangten Behörde ist jedenfalls darin beizupflichten, daß der tätliche Angriff auf einen Beamten (§ 270 StGB) und der Widerstand gegen die Staatsgewalt (§ 269 StGB) insofern auf der gleichen schädlichen Neigung i.S. des § 71 StGB beruhen, als beide strafbaren Handlungen gegen dasselbe Rechtsgut, nämlich das Funktionieren der Staatsgewalt, gerichtet sind. Darüber hinaus beruhen auch der tätliche Angriff auf einen Beamten und die vorsätzliche Körperverletzung auf der gleichen schädlichen Neigung, ist doch in beiden Fällen der Körper bzw. die körperliche Unversehrtheit eines Menschen Angriffsobjekt, womit diese Delikte als gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet anzusehen sind (vgl. dazu Leukauf-Steininger, Kommentar zum Strafgesetzbuch3, § 71 RN 2).
Die belangte Behörde ist demnach zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß der Beschwerdeführer unter Zugrundelegung des maßgeblichen Sachverhaltes der drei gerichtlichen Verurteilungen (daß diese nicht rechtskräftig seien, wird in der Beschwerde nicht behauptet) den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 (vierter Fall) FrG verwirklicht habe.
2. Die Rechtsanschauung der belangten Behörde, daß im Beschwerdefall überdies der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 2 (erster Fall) FrG erfüllt sei, begegnet auf dem Boden des im angefochtenen Bescheid insoweit als maßgeblich angenommenen Sachverhaltes der zweimaligen Bestrafung wegen Übertretung des § 5 Abs. 2 StVO und der zweimaligen Bestrafung wegen Übertretung des § 64 Abs. 1 KFG (auch insoweit wird die Rechtskraft nicht in Zweifel gezogen) keinen Bedenken (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 13. Jänner 1994, Zl. 93/18/0427, mwN).
3. Daß die belangte Behörde auf der Grundlage der Verwirklichung der Tatbestände des § 18 Abs. 2 Z. 1 (vierter Fall) und des § 18 Abs. 2 Z. 2 (erster Fall) FrG die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme für gerechtfertigt erachtet hat, entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. auch dazu das Erkenntnis Zl. 93/18/0427).
4. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde - ausgehend von einem von ihr zu Recht angenommenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers durch das Aufenthaltsverbot - die Zulässigkeit dieser Maßnahme im Grunde des § 19 FrG in unbedenklicher Weise bejaht und dies auch hinreichend begründet. Die Vielzahl und die Schwere der sich über einen längeren Zeitraum (ca. fünf Jahre) erstreckenden Straftaten und die darin zum Ausdruck kommende Neigung des Beschwerdeführers, sich über die Rechtsordnung hinwegzusetzen, lassen die Verhängung des Aufenthaltsverbotes zum Schutz der öffentlichen Ordnung und zur Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen (Art. 8 Abs. 2 MRK) dringend geboten erscheinen.
5. Aber auch dem Beschwerdevorwurf, die belangte Behörde habe die Interessenabwägung verfehlt vorgenommen, vermag der Gerichtshof nicht beizupflichten.
Im Rahmen der von ihr nach § 20 Abs. 1 FrG durchgeführten Abwägung hat die belangte Behörde - durchaus im Sinn des Beschwerdevorbringens - die für den Beschwerdeführer sprechenden Gesichtspunkte erkennbar als von beachtlichem Gewicht gewürdigt. Wenn sie diese dennoch als nicht so schwer wiegend wie die gegenläufigen öffentlichen Interessen gewertet hat, so kann dies angesichts der großen Zahl und der beharrlichen Begehung von die öffentliche Ordnung und Sicherheit grob beeinträchtigenden strafbaren Handlungen nicht als rechtswidrig erkannt werden. Dies umso weniger, als sich der Beschwerdeführer selbst durch die - unbestritten gebliebene - behördliche Androhung eines Aufenthaltsverbotes im Jahr 1992 nicht von der Begehung weiterer Straftaten hat abhalten lassen.
6. Schließlich erweist sich auch die mit zehn Jahren festgesetzte Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes als nicht mit der behaupteten Rechtswidrigkeit behaftet. Im Hinblick auf die zahlreichen und sich über mehrere Jahre erstreckenden Gesetzesverstöße (zum Teil sogar nach Androhung eines Aufenthaltsverbotes) kann der Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie von der Annahme ausgegangen ist, daß die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände (§ 21 Abs. 2 FrG), also das für diese Maßnahme sprechende öffentliche Interesse, vorhersehbarerweise nicht vor Verstreichen von zehn Jahren wegfallen werde.
7. Da somit die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt - was bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt -, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.
8. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995180248.X00Im RIS seit
20.11.2000