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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Händschke als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde der T, mit mj. M, mj. A, und mj. X, alle in G, vertreten durch Dr. V, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 5. Juli 1994, Zl. 4.343.783/6-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige des Irak, reiste gemeinsam mit ihrem Ehegatten B am 14. Oktober 1993 in das Bundesgebiet ein. Am 18. Oktober 1993 wurde mit ihr im Beisein eines Dolmetsch vor dem Bundesasylamt, Zweigstelle Traiskirchen, eine Niederschrift aufgenommen, der zufolge sie Folgendes angab:
"Mein Ehegatte stellte einen Asylantrag.
Ich möchte mich mit meinen Kindern nach § 4 AsylG 1991 seinem Verfahren anschließen und stelle hiermit einen Erstreckungsantrag.
Ich bin mit meinem Gatten seit 2. Juni 1982 verheiratet.
Ich verließ mein Heimatland ausschließlich wegen der Probleme meines Gatten, um bei ihm bleiben zu können.
Eigene Fluchtgründe habe ich nicht vorzubringen."
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 7. Juni 1994 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Asyl vom 18. Oktober 1993 "gemäß § 4 des Asylgesetzes 1991, BGBl. Nr. 8/1992, abgewiesen." In der Begründung des Bescheides ging die Behörde erster Instanz davon aus, die Beschwerdeführerin habe (lediglich) einen auf § 4 Asylgesetz 1991 gestützten Asylantrag gestellt. Da der erfolgreiche Erstreckungsantrag die Gewährung von Asyl an den Ehegatten oder sonstigen in der zitierten Bestimmung genannten Verwandten voraussetze, der vom Ehegatten der Beschwerdeführerin gestellte Asylantrag jedoch mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. April 1994, Zl. 4.343.783/1-III/13/93, rechtswirksam erlassen am 4. Mai 1994, rechtskräftig abgewiesen worden sei, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
Die Beschwerdeführerin erhob fristgerecht gegen diesen Bescheid Berufung und begründete diese im wesentlichen damit, der bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt - Außenstelle Traiskirchen - am 18. Oktober 1993 anwesende Dolmetscher habe arabisch in einem syrischen Dialekt gesprochen, ihre Muttersprache hingegen sei kurdisch, sie spreche zwar arabisch, dies jedoch im irakischen Dialekt, weshalb es zu Verständigungsschwierigkeiten gekommen sei. Sie habe nicht alle an sie gerichteten Fragen verstanden und habe auch Schwierigkeiten gehabt, sich gegenüber dem Dolmetscher verständlich zu machen. Die Beschwerdeführerin habe dies in der Niederschrift auch zu erkennen gegeben. Sie habe bei ihrer Einvernahme am 18. Oktober 1993 vor dem Bundesasylamt auch ausdrücklich ausgeführt, daß sie auch wegen ihrer eigenen politischen Aktivitäten im Irak Verfolgung erlitten habe. Es sei somit nicht zutreffend, daß sie ihren Asylantrag ausschließlich damit begründet habe, daß ihr Ehegatte in Österreich einen Asylantrag gestellt habe. Es sei auch nicht zutreffend, daß sie gesagt habe, lediglich wegen der Probleme ihres Ehegatten das Heimatland verlassen zu haben. Aus den angeführten Gründen seien wesentliche Teile des Vorbringens der Beschwerdeführerin über ihre politische Verfolgung im Irak von der Behörde gar nicht erfaßt worden. Die Behörde habe die im Ermittlungsverfahren geltenden Grundsätze der Amtswegigkeit, bei der Erforschung der materiellen Wahrheit, der freien Beweiswürdigung, des Parteiengehörs und andere verletzt, weil sie keine Schritte unternommen habe, den wahren Sachverhalt nach Aufnahme der nötigen Beweise festzustellen. Zur Dokumentation ihrer eigenen regimekritischen Tätigkeit habe die Beschwerdeführerin bei der Vernehmung am 18. Oktober 1993 dem Leiter der Amtshandlung auch Unterlagen vorgelegt und vorgebracht, daß sie selbst seit 1979 immer wieder an Demonstrationen teilgenommen habe, welche von regimekritischen Gruppen organisiert worden seien, um die Welt aufmerksam zu machen, unter welchen Umständen Kurden im Irak lebten, wie das irakische Regime mit der Opposition umgehe, welche Konsequenzen die Giftgasangriffe des Irak auf die Bevölkerung gehabt hätten und in welcher Weise durch das irakische Regime kurdische Dörfer zerstört worden seien. Am 25. Mai 1987 habe sie in Y an einer Demonstration teilgenommen, mit welcher gegen die Zerstörung der kurdischen Dörfer protestiert worden sei. Bei dieser Demonstration sei seitens der irakischen Behörden (Geheimdienst) in die Menge der Demonstranten geschossen worden, die Beschwerdeführerin sei von einer Kugel ins Bein getroffen worden und habe dadurch eine schwere Verletzung erlitten. Nach diesem Vorfall sei die Beschwerdeführerin von den irakischen Behörden monatlich, ja sogar mehrmals monatlich zu Verhören geholt worden, bei denen sie über regimekritische Demonstrationen und Tätigkeiten befragt und dabei auch geschlagen und mißhandelt worden sei. Sie habe sich in der Zeit vom 15. bis zum 18. Juni 1987 im Gefängnis des Geheimdienstes in Arbil aus den oben angeführten Gründen befunden.
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG im wesentlichen mit der Begründung ab, gemäß § 4 AsylG 1991 sei die Gewährung von Asyl auf Antrag auf die ehelichen und außerehelichen mj. Kinder und den Ehegatten auszudehnen, sofern sich diese Personen in Österreich aufhalten und die Ehe schon vor der Einreise nach Österreich bestanden habe. Da dem Gatten der Beschwerdeführerin mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. April 1994, Zl. 4.343.783/1-III/13/92, rechtswirksam zugestellt am 4. Mai 1994, kein Asyl gewährt worden sei, fehle es schon an der grundlegenden Voraussetzung für eine Ausdehnung der Asylgewährung, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei. Auf die - von ihr selbst sinngemäß wiedergegebenen - Berufungsausführungen, sie habe auch eigene Fluchtgründe geltend gemacht, deren Protokollierung lediglich auf Grund von Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dolmetscher unterlassen worden sei, ging die belangte Behörde mit keinem Wort ein.
In ihrer Beschwerde macht die Beschwerdeführerin wiederum geltend, sie habe ihren Asylantrag niemals ausschließlich damit begründet, "ihrem Mann gemäß § 4 AsylG 1991 nachfolgen zu wollen". Vielmehr habe sie - auch unter Vorlage von Unterlagen - eigene Fluchtgründe behauptet. Demgegenüber habe die Behörde ihr Vorbringen diesbezüglich unvollständig wiedergegeben und in der Folge auch lediglich den Inhalt des § 4 AsylG zitiert und ihrer rechtlichen Beurteilung zugrundegelegt. Hätte die belangte Behörde ihrer Pflicht zur amtswegigen umfassenden Sachverhaltsermittlung Genüge getan, hätte sie der Beschwerdeführerin eigene Fluchtgründe zubilligen und Asyl gewähren müssen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Dieser Rüge kommt Berechtigung zu. Es stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, wenn die belangte Behörde keine weiteren Ermittlungen darüber anstellt, ob ein Antrag gemäß § 3 in Verbindung mit § 1 Z. 1 AsylG 1991 oder (bzw. auch) gemäß § 4 AsylG 1991 von der Beschwerdeführerin gestellt wurde. Dazu hätte es auf der Grundlage der Berufungsausführungen zumindest der Einvernahme des Erhebungsbeamten und des Dolmetschers, die bei der niederschriftlichen Vernehmung der Beschwerdeführerin am 18. Oktober 1993 zugegen gewesen waren, bedurft. Daran ändert auch nichts der Umstand, daß nach der Textierung der Niederschrift über die Vernehmung am 18. Oktober 1993 von "einem Erstreckungsantrag" nach "§ 4 AsylG 1991" gesprochen wird, wird doch gerade diese einschränkende Interpretation ihres Vorbringens in der Berufung in Abrede gestellt. Vor Eingehen in die materielle Betrachtung des Vorliegens oder Nichtvorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Erstreckung der Asylgewährung gemäß § 4 AsylG 1991 hätte die belangte Behörde daher im Sinne der Berufungsausführungen zu prüfen gehabt, ob ausschließlich ein solcher Antrag überhaupt vorlag, oder ob nicht die Behörde erster Instanz über einen Antrag entschieden hat (nämlich nach § 4 AsylG 1991), den die Beschwerdeführerin nicht - oder nur zusätzlich, falls ihre Fluchtgründe nicht als beachtlich qualifiziert werden sollten - gestellt hat; die Behörde hätte angesichts der Möglichkeit der Antragstellungen nach § 3 in Verbindung mit § 1 Z. 1 AsylG 1991 und nach § 4 AsylG 1991 für den Fall, daß verschiedene Familienmitglieder Asyl beantragen, hinreichend klären müssen, ob der Asylantrag den Wunsch gemäß § 12 Abs. 3 leg. cit. erkennen läßt, in Österreich Asyl zu erhalten, indem der Asylwerber als Flüchtling anerkannt wird, oder mittels Ausdehnung des Asyls des Ehegatten oder eines Elternteils gemäß § 4 AsylG 1991 (vgl. hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 1994, Zl. 94/01/0131).
Da die belangte Behörde es unterlassen hat, im Rahmen ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht die in der Berufung aufgeworfene Frage der rechtlichen Qualifikation des von der Beschwerdeführerin tatsächlich gestellten Antrages und des darüber abgeführten Verfahrens anzustellen, das heißt die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für ihre materielle Entscheidung zu klären, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994200780.X00Im RIS seit
20.11.2000