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L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
Stmk BauO 1968 §57 Abs1 litaLeitsatz
Abweisung von Anrainereinwendungen gegen eine Baubewilligung zur Errichtung eines Kleinkraftwerkes mit einem Turbinengebäude (§57 Abs1 lita Stmk BauO 1968). Keine Kompetenz des Landesgesetzgebers zur Normierung einer baubehördlichen Bewilligungspflicht für die Errichtung von unmittelbar der Wassernutzung dienenden Bauten (vgl. E v 16.10.92, B942/91); verfassungskonforme Interpretation des §57 Abs1 lita Stmk BauO 1968 möglich. Der Beschwerdeführer wurde im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, weil die Aufsichtsbehörde einen gemeindebehördlichen Bescheid aufrechterhielt, obwohl der im Instanzenzug eingeschrittene Gemeinderat seine Zuständigkeit zur getroffenen Sachentscheidung, nämlich zum Abspruch über die vom Beschwerdeführer im Bauverfahren erhobenen Einwendungen, zu Unrecht in Anspruch genommen hat.Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Steiermark ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden des Beschwerdevertreters die mit 15.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Bürgermeister der Gemeinde Eppenstein, Bezirk Judenburg, erteilte den Beteiligten F und V H mit Bescheid vom 16. Mai 1991 die Baubewilligung zur Errichtung eines (wasserrechtlich bereits genehmigten) Kleinkraftwerkes. Das Projekt besteht im wesentlichen aus einer Wehranlage mit Einlaufbecken (sog. Tirolerwehr in Holzbauweise), einer etwa 740 m langen Druckrohrleitung (Nennweite 250 mm) und einem kleineren Turbinengebäude (insbesondere zur Aufnahme der maschinellen Einrichtung, einer Turbine mit 350 mm Laufraddurchmesser und eines Drehstromgenerators). Der Beschwerdeführer, welcher in der Bauverhandlung als Nachbar Einwendungen erhoben hatte, ergriff gegen diesen Bescheid Berufung, die jedoch vom Gemeinderat mit Bescheid vom 17. Juni 1991 abgewiesen wurde. Auch die sodann erhobene Vorstellung des Beschwerdeführers an die Steiermärkische Landesregierung blieb erfolglos. Die Aufsichtsbehörde begründete ihren abweisenden Bescheid vom 1. August 1991 im wesentlichen damit, daß der Beschwerdeführer bloß seine Einwendungen im vorangegangenen Widmungsverfahren zu Einwendungen im Baubewilligungsverfahren erhoben habe; über die Einwendungen sei jedoch bereits im Widmungsverfahren abgesprochen worden.
2. Gegen den Vorstellungsbescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher der Beschwerdeführer insbesondere eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend macht und dazu vorbringt, daß das Vorhaben aus kompetenzrechtlichen Gründen bloß einer wasserrechtlichen, nicht aber auch einer baurechtlichen Bewilligung bedürfe.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.
II. Die - zulässige - Beschwerde ist gerechtfertigt.
1. Der Verfassungsgerichtshof verweist auf die Entscheidungsgründe seines Erkenntnisses B942/91 vom 16. Oktober 1992, in dem er sich mit der Kompetenzrechtslage auseinandergesetzt und mit näherer Begründung dargelegt hat, daß die Zuständigkeit des Baurechtsgesetzgebers nur dort und insoweit in Betracht kommt, als es sich um Bauten handelt, die nicht unmittelbar, sondern bloß mittelbar der Wassernutzung dienen, der Landesgesetzgeber also nicht befugt wäre, die Errichtung von Wasserbauten im engeren Sinn einer Bewilligungspflicht nach der Bauordnung zu unterwerfen. In diesem Sinn hat der Gerichtshof die - auch im vorliegenden Beschwerdefall in Betracht zu ziehende - Vorschrift des §57 Abs1 litg Stmk. BauO 1968 (welche in bloß allgemeiner Weise davon spricht, daß "bauliche Anlagen größeren Umfanges unter der Erde, insbesondere Schachtbrunnen, Kanalanlagen, Schutzräume, Keller u. dgl." einer baubehördlichen Bewilligung bedürfen) einer verfassungskonformen Interpretation zugänglich erachtet und demgemäß die baurechtliche Bewilligungspflicht für Rohrleitungen eines Kleinkraftwerkes verneint. Grundsätzlich das gleiche gilt - wenn man das im Projekt vorgesehene Turbinengebäude ins Auge faßt - für §57 Abs1 lita Stmk. BauO 1968, welcher die baubehördliche Bewilligungspflicht in allgemeiner Weise für "Neubauten oder Bauten, bei denen nach Abtragung oder Zerstörung eines bestehenden Baues dessen Grund- und Kellermauern ganz oder teilweise wiederverwendet werden" festlegt.
Zusammenfassend folgt aus diesen Erwägungen, daß der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt wurde, weil die Aufsichtsbehörde einen gemeindebehördlichen Bescheid aufrechterhielt, obwohl der im Instanzenzug eingeschrittene Gemeinderat seine Zuständigkeit zur getroffenen Sachentscheidung, nämlich zum Abspruch über die vom Beschwerdeführer im Bauverfahren erhobenen Einwendungen, zu Unrecht in Anspruch genommen hat (s. auch dazu das erwähnte Erkenntnis B942/91).
Der angefochtene Bescheid war aus diesen Gründen aufzuheben.
2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG; im zugesprochenen Betrag sind 2.500 S an Umsatzsteuer enthalten.
III. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.
Schlagworte
Baurecht, Baubewilligung, BehördenzuständigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1992:B1057.1991Dokumentnummer
JFT_10078799_91B01057_00